Alexander Malofeev (Klavier) und das hr-Sinfonieorchester (Leitung: Alain Altinoglu), Alte Oper Frankfurt, 01.03.2024
Alexander Malofeev (Foto: Evgeny Evtyukhof/Ludmila Malofeeva) |
"Der apokalyptische
Soundtrack des 20. Jahrhunderts"
Das Konzert
stand unter dem Tagesmotto: Schostakowitschs Rückzug, was tatsächlich mit
seiner 4. Sinfonie c-Moll op.43 zu tun hat, aber mit dem Konzertabend
herzlich wenig. Leider, denn Rachmaninows Paganini Variationen,
ebenfalls op. 43, ist unter gänzlich anderen Umständen entstanden. Vielleicht
hätte man den Abend eher nach der Aussage des Cellisten Mstislaw Rostopowitschs
(1927-2007) über das Schaffen Schostakowitschs benennen sollen: „Apokalyptische
Soundtrack des 20. Jahrhunderts“. Das zumindest hätte für beide Werke gepasst.
Selten
gehörte Musikalität
Aber gehen
wir ins Detail. Gleich zu Beginn der erste Hammer. Am Klavier saß der blutjunge
Alexander Malofeev (*2002) und zeigte, so lässig, wie gekleidet
(schwarzes T-Shirt mit offenem Hemd darüber), nicht allein überragende Technik,
sondern vor allem eine Musikalität, wie selten gehört. Ja, es ging um die, für
Normalsterbliche kaum spielbare Rhapsodie über ein Thema von Paganini für
Klavier und Orchester op 43 (1934) von Sergej Rachmaninow (1873-1943).
Bekanntlich nahm sich Rachmaninow, der schon mehr als ein Jahrzehnt in den USA
verweilte, die von Niccolò Paganini (1782-1840) für Violine konzipierten
Teufelsvariationen (1817) zur Vorlage, wählte daraus das Capriccio Nr. 24
als Themenvorlage, ergänzte es durch eine Dies Irae, dies illa Einlage,
und schuf damit einen apokalyptischen, ebenfalls vierundzwanzigteiligen Pakt zwischen
dem Interpreten (Klavier) und dem Teufel (Orchester), einem zwischen Leben und
Tod.
Rachmaninow höchstselbst saß bei der Uraufführung am Flügel, und das am 17. November 1934, in Begleitung des Philadelphia Orchestra unter der Leitung des legendären Leopold Stokowski. Alexander Malofeevs Auftritt, er wirkt nicht nur jünger, sondern strahlt auch den typischen Optimismus seiner Generation aus, ließ von Anfang an keinen Zweifel aufkommen, wer als Sieger vom Podest steigen wird. Der Teufel, in diesem Fall das Orchester war chancenlos.
Alexander Malofeev (Foto: Michael Kocyan Artists Management) |
Existenzieller Battle zwischen Solo und Tutti
24 Variationen,
die es in sich hatten. Ein faustisches Werk von knapp 24 Minuten Länge, das mittels
des mittelalterlichen Hymnus über das Jüngste Gericht, ab der 7.
Variation, den Kampf zwischen Gut und Böse einläutete, immer durchwirkt mit
wunderbar lyrischen Abschnitten, wie beispielsweise in der 18. (auch als Filmmusik
bekannt), oder auch durch gnadenlos schwere, das gesamte Repertoire an
Virtuosität abverlangende Partien, die sich ab der 20. Variation in ein existenzielles
Battle zwischen Solo und Tutti, zwischen Sein oder Nicht-Sein ausweitete.
hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper Frankfurt (Foto: H.boscaiolo) |
An
Wahnsinn grenzende Interpretation
Wer ist der Gute? Wer ist der Böse? Ob Flügel oder Orchester, die Frage bleibt offen. Nicht aber die an Wahnsinn grenzende Interpretation des Tastenkünstlers. Immer in engem Kontakt mit dem sichtbar vorausdenkenden Chefdirigenten, Alain Altinoglu, und dem Orchester, erklangen die mitunter heftigen Dialoge, wie in 13 bis 17, wie aus einem Guss, wobei festzuhalten ist, dass auch die Orchestermitglieder absolut gefordert waren. Vor allem die Blechbläser, aber auch die Streicher, standen in diesem apokalyptischen Reigen auf gleicher Höhe mit dem Pianisten.
Alain Altinoglu (Dirigent), Alexander Malofeev (Klavier) und Mitglieder des hr-Sinfonieorchesters Foto: H.boscaiolo |
Ein musikalisches
Phänomen
Alexander Malofeev ist nicht allein ein technisches, sondern vor allem ein musikalisches Phänomen. Ihm liegt die Musik am Herzen. Die Technik ist ihr absolut untergeordnet. Das bewies er durch zwei vom begeisterten Publikum geforderten Zugaben. Einmal ein Menuett aus der Feder Georg Friedrich Händels, ohne Schnickschnack und mit viel Seele gespielt, sowie aus Peter Tschaikowskis Nussknacker Suite den Tanz der Zuckerfee, eine Klavierbearbeitung, einfach nur zum Hinschmelzen. So jung und schon so reif, möchte man meinen. Alexander Malofeevs zweiter Auftritt in der Alten Oper (vor zwei Jahren hatte er den Ausfall des Meisters aller Klassen, Jewgeni Kissin, mit Bravour ersetzt) sollten, ja müssen weitere folgen und bitte dann ein Klavier-Rezital.
hr-Sinfonieorchester (Foto: Archivbild) |
Kein Werk
des sozialistischen Realismus
Der zweite Teil
des Konzerts gehörte ausschließlich Dmitrij Schostakowitsch (1906-1975). Seine 4.
Sinfonie c-Moll op.43 (1934/36) sollte eine seiner berühmtesten werden,
obwohl sie erst 25 Jahre nach seiner Erstellung, zunächst in Moskau am
30.Dezember 1961 uraufgeführt, und zwei Jahre später in Dresden von der
Dresdener Staatskapelle, unter der Leitung von Kirill Kondraschin, in Deutschland
erstaufgeführt wurde. Warum diese Zeitverschiebung?
Dieses Werk entsprach
so gar nicht dem „sozialistischen Realismus“, das bedeutete: Die Musik sollte
verständlich und optimistisch sein. Denn im gleichen Zeitraum geriet Schostakowitschs
Oper Lady Macbeth von Mzensk (1936) unter Beschuss des Stalin Regimes,
eben weil diese Musik von der offiziellen Kultur- bzw. Kunstlinie abwich. Schostakowitsch musste um sein Leben bangen.
Nach Aussage seines Freundes Isaak Glikman (1911-2003) soll er nach Anraten zweier Funktionäre die Sinfonie auf Eis gelegt haben, um eine „öffentliche
Blamage zu vermeiden“. Viel Legendenbildung, aber eines ist sicher, die
Sinfonie hat es in sich und kratzt an der Staatsräson.
Gewaltig,
gigantomanisch
Zunächst erfordert sie einen riesigen, über einhundert köpfigen Orchesterapparat. Alle Bläserstimmen sind doppelt, drei, vier bis achtfach besetzt. So beispielsweise die Hörner. Dazu kommen zwei Harfen, eine Celesta, ein Xylophon sowie ein Schlagwerk, das allein von acht Perkussionisten bedient werden muss. Dazu ein Streicherapparat von mehr als fünfzig Musikerinnen und Musiker. Gewaltig. Wie auch die Musik.
Alain Altinoglu (Dirigent) und Mitglieder des hr-Sinfonieorchesters Foto: H.boscaiolo |
„Wacht
auf, Verdammte dieser Erde“
Das dreiteilige
Werk beginnt gleich mit einem heftigen Marschrhythmus, begleitet von Pauken und
großer Militärtrommel, was sich bis zum Dreifachen Forte steigert. Es klingt
wie ein Marsch zum Schlachtfeld, ja, wenn nicht ein fast anmutender lyrischer Teil
folgen würde. Überhaupt sind die Kontraste extrem. Thema scheint sich an Thema
zu reihen, und doch ist dieser Allegro poco moderato Satz ein klassisch
zu nennender Sonatenhauptsatz mit Exposition, Durchführung und Reprise.
Herausragend
das Presto furioso am Ende der Durchführung, was allein die Streicher, einschließlich
der Kontrabässe, bis an ihre technischen Grenzen treibt. Ein Hummelflug enormen
Ausmaßes. Immer wieder überlagern sich die Themen und bilden so extrem
dissonante, weil bitonale oder gar tritonale Abschnitte, die aber immer wieder
durch monotone Rhythmen und homophone Schlüsse zusammengeführt werden.
Bemerkenswert noch die Anspielung auf die Internationale: „Wacht auf Verdammte
dieser Erde, die immer noch zum Hunger zwingt“ in der Exposition, und der Wechsel
von hammerharter pochender Rhythmik zu beschwingtem Walzertanz im Reprisen Satz.
Ein elend langer Orgelpunkt, dominiert von den Perkussionisten, leitet die Coda
ein. Noch einmal ein kurzes Violin- (Symbol für Freude und Optimismus) und Fagott-Solo (Symbol für Schostakowitsch selbst) und dann ein spannungsgeladener Abgang
im Pianissimo. Brutal. Mehr kann man dazu nicht sagen.
Der
Bürokratie eine Nase zeigen
Der zweite Satz geriet ganz im Sinne von Gustav Mahlers Lied von der Erde. Nur härter und kompromissloser im Klang. Ein Moderato con moto, der man nachsagt, ihr Notenbild habe die Form einer Nase: Man erinnere sich an seine gleichnamige Oper (1930) nach Nicolai Gogols (1809-1852) Novelle, die sich kritisch mit dem staatlichen Bürokratismus auseinandersetzt und die wegen angeblich musikalischem Formalismus frühzeitig aus dem Opernprogramm gestrichen wurde. Insofern wohl ein ironisches Spiel, was bei der geplanten Uraufführung ebenfalls hätte in die Hose gehen können. Hier war es eine Art Fugato in ABA-Form von ausgesprochener Intensität.
Alain Altinoglu (Dirigent) und Mitglieder des hr-Sinfonieorchesters Foto: H.boscaiolo |
Im
Zeichen des Fagotts und der Posaune
Der dritte
und letzte Satz wiederum gehört zu den komplexesten und bizarrsten der
sinfonischen Schöpfungen überhaupt. Er beginnt mit einem Largo, eine Art
Trauermarsch, ganz im Stil von Mahlers Adagietto seiner 2. Sinfonie, um
dann, von der Oboe initiiert, in einen Dreiviertel Takt zu wechseln. Im Allegro
wird es jetzt kontrapunktisch mit rhythmischem Ostinato der acht Perkussionisten.
Zwischendurch lässt Mozarts Zauberflöte grüßen, man hört Kuckucksrufe und Wälzerklänge von der Wiener Strauss Familie. Alles eigentlich sehr positiv
und lebensbejahend.
Aber dann - eine persönliche Antwort des Komponisten durch das Fagott. Begleitet von Tuba,
Xylophon und Posaune (als Zeichen Stalins) geben sich die Instrumente ein
Stelldichein von herausragender Dynamik und extremer Kontrastierung. Es steigert
sich bis zu einer brutalen Choralreminiszenz des Orchester-Tutti und zu einem
langen, sehr langen Bordun der Perkussionisten mit viel Becken, Tamtam, Pauken-
bzw. Militärtrommelschlägen.
Mit diversen
Echos aus dem ersten Satz, Reminiszenzen an Mahlers 2. Sinfonie und Tschaikowskis
Sechster, pulsiert die Sinfonie schließlich im morendo in die
Dunkelheit des ursprünglichen c-Moll. Der Wahnsinn von gut einer Stunde hatte
sein endgültiges Ende gefunden.
Alain Altinoglu (Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters) Foto: Ben Knabe |
Man freut sich auf ein Wiedersehen und Wiederhören
Alles
geplättet von dieser gewaltigen Lawine ins Innere der Seele. Ist die Vierte das
Credo Schostakowitschs. Nach diesem Erlebnis kann man das mit Fug und Recht
annehmen.
Alain
Altinoglu, seit 2021
Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters, hat eigenen Aussagen zufolge
vor, alle 15 Sinfonien Sergej Schostakowitschs einzuspielen. Man darf nicht nur
gespannt sein, sondern sich auch darauf freuen.
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