Ensemble Modern mit HK Gruber (Gesang und musikalische Leitung), Wallis Giunta (Sopran) und dem Amarcord Gesangsquartett, Alte Oper Frankfurt, 11.03.2024
Ensemble Modern (Foto: Wonge Bergmann) |
Die
Gesellschaft aufmischen
Ganz die
roaring Twenties im voll besetzten Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt und
viele Parallelen zu heute. Die repräsentierten die vier aufregendsten Komponisten der Nachkriegszeit,
Schoenberg, Hindemith, Korngold und Weill. Sie mischten durch ihre musikalischen
Eskapaden die Gesellschaft der Bürger und feinen Leute auf und brachen radikal mit den Konventionen, nicht weil sie sie ignorierten, sondern vor allem,
weil sie ihre Leere, Doppelmoral und wohl ein bisschen auch ihre Verlogenheit musikalisch
und theatralisch aufdeckten.
Rigorose
Absage an die Tradition
Allen voran
Paul Hindemith (1895-1963), der bereits mit seinen Einaktern Mörder, Nusch-Nuschi
und Sancta Susanna für Aufsehen sorgte, sich den Beinamen Bad Boy
zuzog, und als Mitbegründer der Donaueschinger Musiktage 1921 mit seiner Kammermusik
Nr. 1 op.24 (1922) eine rigorose Absage an die spätromantische Tradition
leistete. Wie das?
Er setzte einfach zwei Quartette, eins für Streicher, eins für Bläser, gegenüber, ergänzte sie durch Klavier, Schlagzeugapparat und Akkordeon und zauberte daraus eine Kammermusik, ganz im Sinne der sinfonischen Tradition, viersätzig im Allegro, Allegretto, Andante und Presto, aber dennoch mit revolutionärer Attitüde. So schreibt er vor: sehr schnell, wild, streng, mit Ausdruck und lebhaft. Auch kennt er keine thematische Arbeit mehr. Alles scheint spontan und impulsiv, kein Motiv, kein Thema, keine Entwicklung, und dennoch ist irgendwie alles noch in einem durchaus bekannten Rahmen geordnet.
Ensemble Modern, HK Gruber vor dem Flügel (Foto: H.boscaiolo) |
Spannung
auf dem Höhepunkt
Für heutige
Ohren ist das gut 15-minütige, von zwölf versierten Musikern präsentierte Werk
tatsächlich ein Hinhörer erster Güte. Da fetzen sich Klavier, Flöte, Geigen und
Trompete in wildem Wettkampf, da spielt ein Quartett mit Flöte, Fagott, Klarinette
und Glocke ein befremdliches Fugato und zum Finale geben sich alle noch einmal
mit dem damals sehr bekannten Wilm-Wilm-Foxtrott (genannt nach dem Fuchstanz
des Wiener Komponisten Wilhelm Wieninger) regelrecht die Kante, bis eine Sirene
dem atemlosen, höchst virtuosen Spiel ein Ende setzt. Die Spannung ist auf dem
Höhepunkt, aber die Sirene heult noch gut eine Minute nach, bis endlich das
befreiende Klatschen und Bravo-Rufen „erlaubt“ ist.
Ein klasse
Stück. Damals aber hielt man es für pervers, kitschig, wertlos. Heute kann man
die beabsichtigte Bloßstellung der traditionellen Konventionen durch dieses Meisterstück
durchaus nachvollziehen. Denn der Weltkrieg und seine Folgen ließen keinen
Platz mehr für Romantik und Innerlichkeit. Eine neue Zeit war angebrochen.
Ein
Lustspiel nach dem 1. Weltkrieg?
Ganz konträr
dazu die Bühnenmusik von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) zu Shakespeares Viel
Lärm um Nichts op.11 (1918/20). Korngold galt seinerzeit als Wunderkind und
wurde gerne mit Mozart verglichen. Allerdings darf bei seiner Karriere die
Dominanz seines Vater Julius, ein Kritikerpapst und einflussreicher Medienzar,
nicht unterschätzt werden. Korngold wurde nicht in den 1. Weltkrieg involviert,
was möglicherweise seine Entscheidung für dieses Lustspiel beeinflusst haben
könnte. Immerhin glaubte er selbst, dass man ihm diese Komposition so unmittelbar
nach dem Kriege übelnehmen könnte. Aber sei´s drum.
Kaleidoskop
der Musikwelt Wiens
Diese vierzehnteilige sinfonische Suite soll ein „Lustspiel im Lustspiel“ (Guy Wagner) sein, ist leicht konnotiert und mit vielen Zitaten herkömmlicher bekannter Musik gespickt. Eine Salonmusik bzw. Wiener Cafémusik par exzellence mit 19 Musikerinnen und Musikern, darunter Hammond Orgel, Harfe und Hornpipe. Ein Kaleidoskop der Musikwelt Wiens, dem Heurigen, dem Walzer und der Operette. Wohl wissend darum, dass infolge des Krieges eine vollständige Aufführung mit Orchester unmöglich war, komponierte Korngold mehrere verkürzte Fassungen für kleine Ensembles, wovon das Ensemble Modern ein Best off von fünf der vierzehn vorstellte.
links vorn: HK Gruber, Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Im Getümmel
des gesellschaftlichen Umbruchs
Eine
verkürzte Geschichte des Schauspiels, aber dafür ein brillant gesetztes
Instrumentalwerk. Herausragend dabei die vom Violoncello solistisch dominierte
Gartenszene (4), eine großartig interpretierte Elegie von Michael Maria Kasper,
und das Mummenschanz-Finale mit herber Operettenmelodie von den Hornpipes, Cecile
Schwagers und Jernej Cigler. Tatsächlich traf diese Suite, deren
Uraufführung am 24. Januar 1920 in Berlin stattfand, zunächst auf wenig Gegenliebe,
fand aber in den roaring Twenties seinen Platz im Getümmel des
gesellschaftlichen Umbruchs.
Emotionale
Zwölftonmusik
Arnold
Schoenberg (1874-1951) zählt unbestritten zu den innovativsten Komponisten der
Zwischenkriegszeit und überhaupt. Seine Dodekaphonie hat die Töne emanzipiert
und die Musikwelt zu neuen Ufern geführt. Bekanntlich war er ein
Filmenthusiast, hatte aber wenig Neigung zu Auftragswerken, da sie ihn in
seiner Freiheit einschränkten.
Mit seiner Begleitmusik zu einer Lichtspiel Scene op. 34 (1930) ließ er sich ausnahmsweise darauf ein, als ihm der Verlag Heinrichshofen anlässlich seines Firmenjubiläums das entsprechende Angebot machte. Hier konnte und wollte er beweisen, dass Zwölftonmusik durchaus auch emotionale Bezüge herzustellen vermag. Wohl nach dem Handbuch der Filmmusik (1927), das Kriterien für Katastrophe, Angst oder drohende Gefahr aufstellte, komponierte Schoenberg eine neunminütige Abhandlung in diesem Sinne, wobei er sich vermutlich an dem damals Aufsehen erregenden Theaterstück Cyankali (1929) – über ein Thema der Abtreibung – orientiert haben mag.
HK Gruber (Foto: Boosey & Hawkes) |
Dodekaphonie
an sich gefährlich und furchterregend?
Tatsächlich aber konnte diese Musik, trotz einiger Versuche, nie einen Film begleiten und blieb bis heute lediglich als absolute Musik erhalten. Dennoch überzeugt sie mit stetigen Tremoli und Ostinati von Klavier und Streichern sowie einiger zwölftönigen melodischen Reihen von den ersten Geigern, Jagdish Mistry und Giorgos Panagiotidis, durchaus. Hatte sie doch bis 1933 große Beliebtheit erlangt. Dennoch wurde man den Eindruck nicht los, dass das neunköpfige Ensemble (Fassung Johannes Schöllhorn von 1993) sehr defensiv an die Sache ging und den Angst- und Katastrophencharakter nicht genügend musikalisch heraushob. Oder galt allein schon die Dodekaphonie als gefährlich und furchterregend genug?
Wallis Giunta (Foto: Kirsten Nijhof) |
Die
sieben Todsünden – Sinnbild moralischer Verkommenheit
Den
krönenden Abschluss bildeten die Sieben Todsünden für Sängerin,
Männerstimmen und Orchester (1933) von Kurt Weill (1900-1950) mit dem
Libretto von Bertold Brecht (1898-1956). Es ist ein satirisches Ballett, das
seine Uraufführung am 07. Juni 1933 im Pariser Théatre de Champs-Élysées erfuhr,
und das mit riesigem Erfolg, vor allem unter den deutschen Exilanten. Worum
geht es?
Anna I und ihr Alter Ego Anna II tingeln durch die USA und sollen auf Geiß ihrer Eltern so viel Geld verdienen, dass sie sich ein Eigenheim leisten können. Dabei gehen sie durch die Hölle der sieben Todsünden, als da sind: Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid. Diese Aufzählung der vor allem christlich-religiösen Moralvorstellung (siehe hier Hieronimus Boschs Gemälde der Sieben Todsünden von 1495) wertet Brecht um in die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft, wobei er Bezug nimmt auf die Verhältnisse der USA, die er als Sinnbild der Ausbeutung und moralischen Verkommenheit betrachtet. Ein Text also, der es in sich hat und der durchaus noch heute Aktualität besitzt.
Wallis Giunta (Foto: Dario Acoste) |
Episches Musiktheater
Mit großem
Aufgebot, 18 Instrumentalisten, einem männlichen Gesangquartett, Amarcord,
und einer Sopranistin, Wallis Giunta, bietet dieses 35-minütige Werk
sieben Bilder sowie einen Prolog und einen Epilog. Die Bilder wechseln zwischen
Familie und Anna I und II, wie entsprechend auch die Gesangpartien zwischen Anna
und dem Gesangquartett wechseln.
Wallis Giunta glänzt durch einen kräftigen, bühnenstarken und wohl akzentuierten Sopran. Sie singt nicht nur, sondern spielt ihre Doppelrolle mit gestischer Attitüde. Das Amarcord-Quartett singt mal psalmodisch oder im Choral (Bild 1), mal im Kanon, (Bild 3), mal geteilt im Duett oder Trio (Bild 6) oder auch A cappella (Bild 4). Wallis Giunta dagegen agiert im Sprechgesang, aber auch im Ritornell, mal balladesk, mal deklamatorisch oder liedhaft, ganz im Sinne des epischen Theaters oder besser: Musiktheaters. Auch der Seeräuber-Jenny-Song, mit anderem Text natürlich, gehört dazu (Bild 5). Zwischenspiele, Intermezzi und Solo Einschübe von Trompete, Horn (Bild 2 und 5) oder Gitarre (Bild 4) werden vom Ensemble Modern brillant interpretiert und schaffen eine erfrischende Lebendigkeit. Trotz des sehr langen Textes doch eine sehr kurzweilige Performance aller Teilnehmer.
Ensemble Amarcord (Foto: A-cappella-Musik.de) |
HK Gruber:
Balladensänger und Entertainer
Anhaltender
Applaus scheint HK Gruber, der musikalische Leiter dieses Konzerts, zu
motivieren, den Taktstock abzulegen und einige seiner Balladen und
Lieblingsstücke als Zugabe vorzutragen.
Zunächst Hanns
Eislers Ballade vom Wasserrad aus Bert Brechts Rundköpfe und
Spitzköpfe (1938) und dann die Ballade von den Säckeschmeißern op. 22
(1930). Schließlich, Gruber ist ein ausgezeichneter Sänger und Entertainer
seiner selbst, die Brecht/ Weill´sche Ballade von der Unzulänglichkeit des
menschlichen Strebens (1928). Wahnsinn, wie dieser Mann singt und mitreißt.
Dazu die perfekte Begleitung des Ensembles. Ein wirklicher Höhepunkt zum Abschluss.
HK Gruber hat im buchstäblichen Sinne den Vogel des Abends abgeschossen.
Enden wir
mit dem vielleicht für dieses musikalische Event treffendsten Fazit: „Der
Mensch ist für diese Welt nicht gut genug. Drum haut ihm eben ruhig auf den Hut.“
v. l. vorne.: Wallis Giunta, HK Gruber, Wolfram Lattke, Robert Pohlers, Daniel Knauf, Mitglieder des EM (Foto: H.boscaiolo) |
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