Dienstag, 19. März 2024

Frühjahrstournee der Jungen Deutschen Philharmonie (JDP), Konzerthaus Wien, 17.03.2024

Junge Deutsche Philharmonie (Foto: Achim Reissner)

„Klingende Aura“

Ja, liebe Leser dieses Artikels, sie haben sich nicht vertan. Tatsächlich handelt dieser kritische Bericht vom Konzertauftritt der Jungen Deutschen Philharmonie (Leitung: John Storgårds) im Großen Saal des gut besuchten Wiener Konzerthauses. In Wien firmiert das Konzert unter „Jeunesse musik.erleben“. Die Tournee allerdings gibt sich das Motto: Klingende Aura. Man bietet dazu ein Programm mit Werken von Johannes Brahms, Matthias Pintscher und Jean Sibelius. Dazu noch Béla Bartók, der aber an diesem Abend durch die Tragische Ouvertüre d-Moll op 81 (1880) von Johannes Brahms (1833-1897) ersetzt wurde.

John Storgårds (musik. Ltg.), Junge Deutsche Philharmonie
(Foto: H.boscaiolo) 

Mal zum Lachen, mal zum Weinen

Beginnen wir gleich mit op.81. Das große Zukunftsorchester mit gut 80 jungen bis sehr jungen Instrumentalisten eröffnet im Tutti gleich hochmotiviert mit dem einsätzigen Sinfoniesatz von gut 14 Minuten Dauer. Er entpuppt sich gleich zu Anfang als Pendant zur sehr wohl bekannten Akademischen Festouvertüre, die Brahms quasi parallel dazu schrieb. Und, während die letztgenannte größten Erfolg verbuchen konnte, geriet die Tragische ins Abseits. Warum das, wo Brahms doch beide in seinem geliebten Urlaubsort Bad Ischl, bei Sommerfrische und bester Laune komponierte?

Die Antwort liegt vielleicht am Ort ihrer Uraufführung in Wien. Denn während die Festouvertüre Ruhm, Ehre und Zuversicht ausstrahlt, liegt in der Tragischen scheinbar eher die Schwere und Düsternis der Hoffnungslosigkeit, was die Wiener nicht wollten. Aber weit gefehlt. Zwar ist richtig, dass die Tragische einen Marche funebre, eine düstere Fuge, und viel dunkle Klangfarben der Tuba und Posaunen enthält, aber daneben auch viel Erhabenes, und sogar ein Touch aus Beethovens Klaviersonate Nr. 8 c-Moll op. 13, genannt Pathétique. Ja, man vermeint gar eine sinfonische Dichtung zu hören, aber Brahms, der selbst zur Akademischen meinte, sie sei zum Lachen und zur Tragischen ergänzte, sie sei zum Weinen, hat keinerlei Bezüge zu literarischen oder poetischen Vorbildern im Sinn gehabt. Er wollte lediglich eine dramatische neben der akademischen Ouvertüre schreiben, und vielleicht den Sonatenhauptsatz, der er formal ist, zu einer weiteren Sinfonie verwenden. Bedauerlicherweise ist die Tragische nach ihrer Uraufführung erst einmal in der Schublade verschwunden. Man hatte ja die Akademische Festouvertüre.


Ein Einstieg nach Maß

Was aber die JDP unter John Storgårds daraus machte, war phänomenal. Man hörte trotz allem die tiefe innere Gelassenheit und Freude eines Sommerfrischlers, der mit Rhythmen, Formen und Instrumenten experimentierte und seine Gefühlswelt mit großer Aura umhüllte. Ein Einstieg nach Maß.

Leila Josefowicz (Foto: Chris Lee)  

Schöne Erscheinung, beeindruckende Aura

Dann folgte von Matthias Pintscher (*1971), zurzeit Residenzkomponist der JDP, Mar´eh für Violine und Orchester (2011, überarbeitet 2014). Pintschers Musik ist alles andere als komplex oder kompliziert. Er liebt die langen Bögen, den klaren Ton, die variablen Klangfarben, das Atmen und vor allem das Liedhafte. Seine Musik ist einzigartig, gerade wegen ihrer Bezüge zur Tradition, aus der sie, im Mahler´schen Sinne, das Feuer lebendig werden lässt. Mar´eh ist aus dem Hebräischen und bedeutet in etwa eine schöne Erscheinung oder auch eine beeindruckende Aura. Pintscher schreibt dazu, es gehe bei allem Gegenwärtigen, auch ums Erinnern: „Das Stück ist hoch, schnell und filigran, aber es handelt sich nicht um eine extrovertierte oder exaltierte Virtuosität, sondern um eine Introspektion …“ – Vielleicht um eine herzliche Umarmung oder um ein schönes Lächeln?

 

Liedhaft und leise

Und an dieser Stelle kommt die Solistin an der Violine, Leila Josefowicz (*1977), ins Spiel. In schwarzer Robe mit durchwirkten Silberstreifen, schien sie das einsätzige Violinkonzert förmlich zu leben. Sie spielte mit dem ganzen Körper, tanzte, seufzte, lachte, litt und genoss, immer an der Phrasierung und der Expressivität der Partitur orientiert. Auch das Orchester, oft im Hauch der Klänge verbleibend, fast nebulös, war in höchstem Maße gefordert, denn es herrschten überwiegend die leisen und leisesten Töne vor.

Leila Josefowicz (Foto: Tom Zimberoff)

Ein Stück wie ein Regenbogen

Das Wechselspiel zwischen Solo und Tutti geriet unter den Händen von John Storgårds zu einer perfekten Symbiose, was vor allem die Übergänge des dreiteiligen Violinkonzerts äußerst positiv gestaltete. Oft waren sie mehr spürbar als hörbar, wie von feinen Spinnenweben durchwirkt. Die abschließende Kadenz, leicht untermalt von einem kaum wahrnehmbaren Paukenwirbel, virtuos und spannungsgeladen, stieg bis ins höchste Flageolett und wurde erweitert durch Glissandi mit dem Bogenkopf und viel perkussivem Geklapper und Geraunze. Das Stück endet wie der Regenbogen, Irgendwo im Nirgendwo, leise im Dreifachen-piano, einem letzten Atemhauch. Perfekt möchte man meinen. Leila Josefowicz bot neben wunderbarer Streicherkunst noch eine gestenreiche und wirklich aparte Performance. Leider gab sie keine Zugabe, was das Publikum wohl erwartet hätte.

John Storgårds (musik. Ltg.), Junge Deutsche Philharmonie 
(Foto: H.boscaiolo)

"Sinfonie der Unabhängigkeit"

Den abschließenden zweiten Teil des Konzertabends gestaltete die JDP mit Jean Sibelius´ (1865-1957) Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 43 (1902). Das monumentale, viersätzige Werk wird auch die Sinfonie der Unabhängigkeit genannt, vor allem wegen des zurzeit ihres Entstehens vom russischen Zarenreich besetzten Finnlands. Bekanntlich hatte Sibelius zwar keine patriotischen Ambitionen, aber vor allem die Art der Komposition, mit ihrer heroischen Attitüde und einfachen Dreiton-Motivik, machte es zur heimlichen Hymne der Finnen, denen Sprache und Kultur von den Besatzern beschnitten wurde.

 

Wie ein Protest gegen all das Unrecht

Tatsächlich ist diese Sinfonie im italienischen Rapallo um 1901 entstanden und wurde 1903 noch einmal überarbeitet. Sie ist bar jeglichen Schwermuts und jeglicher Tragik, was das sonstige Oeuvre Sibelius´ charakterisiert, sondern eher zuversichtlich, warm und freudvoll, was wohl den Finnen an ihr gefallen haben mag. Denn sie gehörte von ihrer Uraufführung an, am 08. März 1902, zu ihrem Favoriten. So heißt es: „Wie ein niederschmetternder Protest gegen all das Unrecht – so erschien bereits nach den ersten triumphalen Aufführungen dem Kollegen Robert Kajanus (er dirigierte die Uraufführung, d. V.) das Andante (des zweiten und dritten Satzes, d. V.).“ Wie gesagt, Sibelius selbst verhielt sich gegenüber dieser Deutung seines Werks eher zurückhaltend. Ihm ging es eher um die Beschäftigung mit dem Don Juan aus Mozarts Oper sowie seinem Plan, aus Dantes Göttlicher Komödie vier Tondichtungen zu produzieren.

 Junge Deutsche Philharmonie (Foto: H.boscaiolo)

Sprengen aller Ketten

Auffallend bei dieser Komposition ist allerdings das sich durch alle vier Sätze durchziehende Dreiton-Motiv in verschiedensten Variationen, ein Motiv, dass sich im Finalsatz zu einem Sechston-Motiv ausweitet und zu ungeheuerlicher Klangfülle führt. Überhaupt lässt die Sinfonie viele Bezüge zu Tschaikowskis 6. Sinfonie, die Pathétique, sowie zu Mozarts Don Giovanni und Beethovens Eroica erkennen. Sibelius schien sich in Italien - er war eigentlich zu Kurzwecken dort - sehr inspiriert zu fühlen, was aus jedem Satz dieser Sinfonie herauszuhören ist.

John Storgårds (musik. Ltg.), Junge Deutsche Philharmonie 
(Foto: H.boscaiolo)


Opus Magnum für die Finnen

Das gewaltige Finale des vierten Satzes setzt dem Ganzen dann die Krone auf. In einem überragenden molto Largamento mit ohrenbetäubender Lautstärke endet dieses gewaltige Opus Magnum, das Sibelius, quasi ungewollt, zum geistigen Vater der Finnen machte. Die JDP wuchs hier über sich hinaus und sprengte alle Ketten. Ja es wurde geradezu physisch auf der Bühne. Die langen Ostinati der Celli und Bassgeigen, die lautenstarken Hymnen der Posaunen, Tuben und Trompeten, das gewaltige Auf und Ab der Dynamik der Streicher und Holzbläser forderte die jungen Musikerinnen und Musiker ganz. Und das meisterten sie unter der sehr engagierten Leitung ihres Dirigenten in Residenz, John Storgårds, mit Brillanz. 

Ein lohnendes Konzert, lang anhaltender Beifall, keine Zugabe (die hätte eh nicht gepasst) und –  eine erkenntnisreiche Tour nach Wien.

Simon Rattle, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
(Foto: H.boscaiolo)

Persönlicher Nachtrag:

Am Samstag, den 16.03. habe ich, als Pressevertreter, erstmals den historischen Großen Saal des Musikvereins Wien besucht mit einem Konzert des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Simon Rattle. Man präsentierte übrigens Richard Wagners Vorspiel und Isoldes Liebestod aus „Tristan und Isolde“, Thomas Adès´ Aquifer für Orchester (Erstaufführung in Österreich, Uraufführung einen Tag davor in München) sowie Ludwig van Beethovens Sechste Sinfonie, genannt Sinfonia Pastorale.

Ich bin mir absolut dessen bewusst, dass ein Vergleich beider Orchester und Programme nicht unbedingt statthaft ist. Aber in einem, so meine ich, doch. Und zwar im musikalischen Engagement und der Spielfreude. In diesen Bereichen kann die Junge Deutsche Philharmonie gegenüber den Münchnern durchaus punkten. Was die jungen Musikerinnen und Musiker auf die Bühne brachten, war Weltklasse und Oskar reif.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen