Sonntag, 10. März 2024

Maria Dueñas (Violine) und das City of Birmingham Symphony Orchestra (musikalische Leitung: Kazuki Yamada) (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Maria Dueñas (Website) 

Eigenwillige Interpretation lässt Fragen aufwerfen

Für Maria Dueñas (*2002) war es ihr Debüt im gut besetzten großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Sie wählte sich ausgerechnet Ludwig van Beethovens (1770-1827) einziges Violinkonzert D-Dur op.61 (1806) aus und hatte sich damit eine wirklich hohe Hürde gesetzt. Zweifelsohne, dass sie durch ein farbenreiches Spiel auf den Saiten glänzte und durch hohes technisches Können brillierte (sie ist als zweiundzwanzigjährige nicht umsonst bereits mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet und kann sich mit den besten Orchestern und Dirigenten der Welt schmücken), nein, es ist die Art ihrer Interpretation und Herangehensweise an dieses scheinbar so melodiöse und eingängige Werk, das zumindest einige Fragen aufwirft.

 

Ein Violinkonzert für die Schublade  

Beethoven schrieb dieses Werk (er war als 26-Jähriger Salonlöwe bereits ein sehr erfolgreicher Komponist) für seine Freund Franz Clement (1780-1842), der es mit nur mäßigem Erfolg (die Partitur kam druckfrisch auf die Bühne) am 23. Dezember 1806 im Theater-an-der-Wien zur Uraufführung brachte. Danach wurde es zu Lebzeiten Beethovens nicht mehr gespielt. Es schien zu lang, zu unzusammenhängend, zu wirr, ja man meinte gar, es entbehre jeglichen Genusses. Tatsächlich verschaffte erst der damals sehr junge Josef Joachim (1831-1907) an der Violine mit dem Londoner Sinfonieorchester unter der Leitung Felix Mendelssohn-Bartholdys (1809-1847) im Jahre 1844 dem Werk den Durchbruch

Maria Dueñas (Deutsche Stiftung Musikleben)

Ein streitbarer Dialog

Warum das? Nun ja. Es revolutioniert nicht allein die konzertante Sonatenform (so besteht der erste, gut 25-Minuten dauernde Satz aus sechs Themen, einschließlich der Paukenschläge), sondern lässt das Orchester gleichberechtigt mit der Solostimme auftreten, so dass hier bereits ein dialektischer Bezug zwischen Solo und Tutti, quasi ein streitbarer Dialog zwischen Diskutanten simuliert wird. Dies gelingt dem Komponisten durch extrem kontrastierende Elemente und fast ausuferndem Ideenreichtum, lässt aber der Virtuosität der Solostimme weniger Raum als üblich bei solchen Konzerten. Damals war das noch sehr gewöhnungsbedürftig.

Maria Dueñas und das City of Birmingham Orchestra
in der Alten Oper Frankfurt
 (Foto: H.boscaiolo)


Hang zum Süßlichen

Maria Dueñas hat sich, um ihrer außergewöhnlichen Virtuosität Rechnung zu tragen, für eine sehr romantische, ja man möchte fast sagen lyrische Variante entschieden. Sehr farbig zwar, aber doch mit Hang zum Süßlichen. Gerade im Kopfsatz klang ihr Beitrag mitunter wie ein Liebeslied, ganz im Gegensatz zur Absicht Beethovens, der hier mit seinen Paukenschlägen durchaus einen Fingerzeig auf die revolutionären Zeiten geben wollte. Immerhin glänzte sie durch herrliche Kadenzen, Marke Eigenbau, die nicht allein ihr technisches Können, sondern auch ihre Musikalität genial zum Ausdruck brachten.

Maria Dueñas und das City of Birmingham Orchestra 
in der Alten Oper Frankfurt
 (Foto: H.boscaiolo)


Orchester ganz Beethoven, Solistin ganz Klopstock

An dieser Stelle sei das Orchester mit ihrem Chefdirigenten Kazuki Yamada (*1979) erwähnt, die auf das von starken Rubati durchzogene, sehr sinnliche Spiel der Geigerin mit Bravour reagierten und ihren doch sehr feinen Strich durchaus voll zur Geltung kommen ließen. Man war sich schließlich nicht sicher, wer das Spiel beherrschte. Das Orchester, ganz Beethoven, oder Maria Dueñas, ganz Klopstock (1724-1803), dem Begründer der Erlebnisdichtung. Auch heute ist das noch gewöhnungsbedürftig.

Der Beifall war herzlich, nicht überschwänglich. Ihre Zugabe, Après un rěve, ein wunderschönes Lied von Gabriel Fauré (1845-1924) mit Streicherbegleitung, passte denn auch hervorragend zu ihrer Person. Wie ein Engel stand diese junge Frau auf der Bühne und beglückte damit die Herzen des Publikums.

City of Birmingham Orchestra (Foto: upstream Photography)

Die Geburt der sinfonischen Dichtung

Den zweiten Teil des Abends gestaltete das City of Birmingham Orchestra mit der Symphonie fantastique op.14 von Hector Berlioz (1803-1869). Auch hier eine musikalische Revolution, denn die Gattung Sinfonie wird durch sie im wahrsten Sinne auf den Kopf gestellt. Diese Komposition markiert die Geburt der sinfonischen Dichtung. Berlioz schafft mit diesem Werk quasi eine musikalische Autobiographie, denn es enthält fünf „Episoden aus dem Leben eines Künstlers, eine leidenschaftliche unerfüllte Liebe zu einer Frau“. Was war geschehen?

 

Ein autobiographisches Liebesdrama

Offensichtlich verliebte er sich bei einem Besuch einer Aufführung von Shakespeares Hamlet unsterblich in die Schauspielerin Harriet Smithson (1800-1854). Sie aber erwiderte die Liebe zunächst nicht. Erst als sie die Symphonie fantastique, eine Liebeserklärung an sie, kennenlernte, erkannte sie das Genie Berlioz´, traf sich mit ihm und heiratete ihn am 03. Oktober 1833. Beide blieben aber nur kurze Zeit zusammen. Tatsächlich ist dieses instrumentale Drama ganz auf diese unglückliche Liebe fokussiert. 

Es beginnt mit einem Traum, einer Leidenschaft, die sich wie eine Idee fix durch das ganze, fast einstündige Werk zieht. In der Folge kommt es zu Ball (Tanz)- und Land (Pastorale)-Episoden und ab der vierten, genannt Gang zum Richtplatz, folgt ein siebenminütiges, düsteres, wildes Drama, bei der der Protagonist die Gewissheit erlangt, dass seine Liebe verschmäht wird. Im Traum tötet er sie und erwacht im letzten Kapitel auf einem Hexensabbat. Das Stück endet in einer höllischen Orgie.

City of Birmingham Orchestra in der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Unvergleichlich expressiv

Ein riesiges fast 100-köpfiges Orchester erzählte die Geschichte mit einer unvergleichlichen Expressivität und narrativer Überzeugungskraft. Man spürt förmlich die Begegnung mit einer Frau, die vollkommen dem Ideal des Verliebten entspricht. Stimmungen der Verliebtheit werden klangprächtig vorgeführt. Man tanzt den Walzer, der fulminant von Harfe, Celli und Kontrabässen eingeleitet, und in einer Schlussstretta seinen absoluten Höhepunkt erreicht. Dann eine Pastorale im Stil von Beethovens Sechster Sinfonie (Berlioz war großer Beethoven Fan). Hier dominieren Englisch Horn und Oboe, zwei Hirten, die sich unterhalten und die Liebeszweifel thematisieren, die in einem grollenden Gewitter enden.

Kazuki Yamada (Foto: Sasha Gusov-OPMC)

Ein Opiumrausch der Gefühle

Der Gang zum Richtplatz beherrscht ein martialischer Marschrhythmus, übertönt von Pauken, Trommeln und Becken. Ein Satz wie ein Opiumrausch, der ohne Atemholen in den Hexensabbat übergeht. Flirrende Chromatik der Streicher empfängt den Protagonisten wie gellendes Gelächter und dann die drohenden Glockenschläge. Mit dem Dies Irae, dominiert von Tuben und Posaunen, scheint das Jüngste Gericht angebrochen. Aber irgendwie ist alles nicht so recht echt. Die Hexen scheinen ihren Spaß zu haben. Die Streicher schlagen mit ihren Bögen im col legno den Rhythmus und unter heftigen perkussiven Schlägen fliegen alle schlussendlich auf ihren Besen oder sonst wie davon.

City of Birmingham Orchestra in der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Perfekte Symbiose zwischen Dirigent und Orchester

Ein Wahnsinn der Gefühle, eine Geschichte, die vor allem vom Dirigenten höchstpersönlich erzählt und am Pult gelebt wird. Kazuki Yamada lebt und gestaltet diese Musik, er tanzt, er zweifelt und hadert, er träumt und fällt in den Opiumrausch. Er wird zur Hexe und fliegt im Finale regelrecht davon. Er ist ein unvergleichlicher Motivator, er reißt mit und verwandelt das Orchester zu einer musizierenden Schauspieltruppe. Besser geht es nicht und überzeugender erst recht nicht.

Tosender Beifall und natürlich eine Zugabe. Der erste Satz aus der L’Arlesienne Suite Nr.1 von Georges Bizet (1838-1875). Kraftvoll und unglaublich lebendig. Ein Ausklang voller Energie und Optimismus. Ein Orchester und ein Chefdirigent der Extraklasse.   

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