Die Wiener Symphoniker mit Petr Popelka (musikalische Leitung) und Gautier Capuçon (Violoncello), Alte Oper Frankfurt, 14.04.2024 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
Gautier Capuçon (Foto: Sebastian Madej) |
Ein
Leckerbissen am Sonntag-Abend
Immer wieder
ein musikalischer Leckerbissen diese Wiener Symphoniker. Dieses Mal mit
ihrem neuen Chefdirigenten Petr Popelka (*1986), ein Dirigent voller Wiener
Blut, auch wenn er gebürtiger Prager ist, und einem Ausnahme Cellisten, den
Franzosen und Weltenbummler Gautier Capuçon (*1981).
Das
Schwierigste dieser Gattung
Er leitete den denkwürdigen Konzertabend vor vollem Haus in der Alten Oper mit Antonin Dvořáks (1841-1904) Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op.104 (1895) ein. Noch während seines Aufenthaltes in den USA entstanden (die Uraufführung fand allerdings 1896 in London statt), sollte es neben seiner 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ zu seinem bekanntesten Werk reüssieren und gehört heute quasi zu den Pflichtstücken eines jeden Cellisten von Niveau. Denn es zählt auch zu den schwierigsten Partituren dieser Gattung.
Wiener Philharmoniker (Foto: Andreas Balon) |
Meister
der Erzählung
Gautier Capuçon, konservativ mit Fliege, weißem Hemd
und schwarzem Anzug gekleidet, entpuppte sich allerdings schon nach den ersten
Strichen seines späten Einsatzes im Allegro des ersten Satzes als
Meister der Erzählung, als empathischer und empfindsamer Interpret, vor allem aber
als kommunikationsreicher, aufgeschlossener und humorvoller Zeitgenosse. Mit konzentrierter
Lässigkeit könnte man sein Spiel umschreiben, denn alles scheint ihm auf seiner
„L´Ambassadeur“ von Matteo Goffriler aus dem Jahre 1701 mit Leichtigkeit und
größter Ausdrucksqualität zu gelingen.
Größte
Aufmerksamkeit und Hingabe
Bekanntlich
ist das Konzert vom Komponisten selbst gespickt mit Heimatgedanken, böhmischer
Folklore, liedhaft (vor allem im Adagio des zweiten Satzes, welches ein
eigenes Liedzitat: „Lasst mich allein“ op.82 Nr.1, enthält), tänzerisch und von
großer Klangfülle beseelt. Das Cello dialogisiert mit dem Orchester und den
verschiedenen Instrumenten wie Flöte, Klarinette, Oboe, Trompete, Posaune und
Tuba. Immer von größter Aufmerksamkeit und mit Hingabe, wobei der
Dirigent Petr Popelka einen nicht unerheblichen Beitrag leistete. Er,
ebenso wie der Solist, sprühte vor Kreativität und verstand es, jeden einzelnen
Instrumentalisten zu motivieren.
Heimweh
pur
Das Finale, ein Allegro moderato, gestaltete der orchestrale Klangkörper, einschließlich des Solisten, zunächst ruhig, ehe es ein wenig martialisch – stampfender Zweiertakt – und schließlich kämpferisch zuging. Die Themenumkehrung im Mittelteil, eine Art Durchführung, steigert sich in der abschließenden Reprise zu einem hymnischen Schlusspart. Eine ausgedehnte Coda erinnert noch einmal an das Liebeslied des Adagios. Heimweh pur möchte man meinen.
Gautier Capuçon (Foto: Anoush Abrar) |
Ein Liebes-Septett
Capuçon, zu Recht enthusiastisch vom Publikum gefeiert, gab eine ganz besondere Zugabe. Bekanntlich hat Dvořák als Junge heimlich seine spätere Schwägerin Josefina geliebt. Ihr gilt auch das Lied des Adagios „Lasst mich allein“. Jetzt präsentierte er mit sechs Cellisten des Orchesters ein ihr gewidmetes Liebes-Septett von außergewöhnlicher Innigkeit und herzzerreißender Leidenschaft. Ein Abschluss, wie man ihn selten hört und das freundschaftliche Verhältnis Capuçons zum gesamten Orchester noch einmal eindrücklich dokumentierte. Immerhin tourt er doch viele Monate mit diesem überragenden Orchester quer durch Europa.
Gautier Capuçon, Wiener Philharmoniker in der Alten Oper Frankfurt Foto: H.boscaiolo |
Sinfonische
Dichtungen von Weltruhm
Dann der
zweite Teil des Konzertabends. Man hatte Richard Straussens wohl bekanntesten
Sinfonische Dichtungen mitgebracht, Den Don Juan op.20 (1889) und Till
Eulenspiegels lustige Streiche op 28 (1895).
Beides
Meisterwerke des damals noch blutjungen Komponisten. Mit beiden Werken sollte
er Weltruhm erlangen. Don Juan orientiert sich am gleichnamigen Versdrama
des Wiener Dichters Nikolaus Lenau (1802-1850), dessen spätromantische Erzählung
die Person des Frauenverführers, seine Wünsche und Sehnsüchte, seine Erfolge
und Misserfolge beschreibt. Ein Genre, das die Menschen seit den Zeiten der Renaissance
beschäftigt und in vielen Opern seinen Niederschlag gefunden hat.
Wiener Symphoniker (Foto: Stefan Olah) |
Don Juan –
Rhapsodie der Vielfalt
Dennoch,
Richard Strauss relativiert den programmatischen Charakter dieser Stücke. Sicher
nehmen sie Bezug zu Gedichten und Texten, aber „das poetische Programm ist
nichts weiter als der formbildende Anlass zum Ausdruck und der rein
musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen“. Im Klartext, er macht aus dem
Text das, was ihm gerade einfällt. Sinfonische Dichtung ist also ein Ausbruch
aus der festgelegten Struktur der Sonate oder des Liedes. Eine Rhapsodie der
Vielfalt und Kreativität. Tatsächlich aber unterteilt er Lenaus Versepos in 10
Teile, darunter viel Liebeleien, aber auch ein Maskenball, ein Schwertkampf,
und schließlich, nach einer langen Fermate, Erkenntnis und Tod. Tiefes Ausatmen,
das Pochen des Herzens und das Morendo der Töne.
Lassen
wir die Zuhörer die Nüsse knacken
Ähnlich geht es bei den Streichen des Till Eulenspiegels zu. Hier benutzt Strauss das Libretto für eine von ihm geplante Oper mit dem Titel Till Eulenspiegel bei den Schildbürgern, aus dem dann später Guntram (1893) werden sollte. Zu dieser Groteske, von der Claude Debussy beim ersten Hören spontan meinte, sie gleiche einer Stunde neuer Musik von Verrückten, äußerte Strauss eigentlich dasselbe wir zu Don Juan. Nur formulierte er es publikumsfreundlicher, nach der Devise, mache doch jeder daraus, was er möchte: „Wollen wir … die Zuhörer selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen verabreicht hat.“
Petr Popelka (Foto: Khalil Baalbaki) |
Vom
Prolog bis zum Epilog
Till
Eulenspiegels Streiche kosten ihm den Kopf, die der Komponist in 22 Abschnitten
dramatisch zuspitzt. Unglaublich facettenreich, von umwerfender Dynamik und wahnsinnigen Rhythmus Überlagerungen, fordert diese gut 15-minütige „Genialität“, über die
ein Münchener Feuilletonist 1895 urteilte: „Die technische Grundlage der Kompositionsweise
ist eine über Berlioz, Liszt und Wagner noch weit hinausgehende Kühnheit der
Chromatik“, von jedem einzelnen Orchestermitglied alles ab. Petr Popelka
legte sein gesamtes Können in das Dirigat, tanzte, erzählte die Clownerien, mimte
den Gassenhauer, den Aufschneider und den sympathischen Hochstapler bis zum Gericht,
dem 20. Abschnitt. Jetzt wurde es ernst. Trommelwirbel, dreimal schlägt die
Pauke. Posaune, Flöten und Tuba lassen nichts Gutes ahnen. Eulenspielgel
scheint noch naiv vor sich hin zu pfeifen. Dann geht es auf die Leiter, und - baumelt am Seil. Glücklicherweise folgt dem Eingangsprolog – die thematisch-
witzige Vorstellung des Abenteurers und Clowns Till Eulenspiegel – ein Epilog.
Versöhnlich, mit langsamem Zeitmaß des Leitmotivs.
Zwischen
Draufloslachen und heftigem Schluchzen
Ein Orchester mit drei und mehrfachfach besetzten Blech- und Holzbläsern, mit drei Perkussionisten an großen und kleinen Trommeln, Pauken, Triangel, Becken und Glockenspiel, dann gut 60 Streicher mit acht Kontrabässen. Man glaubt es kaum: Es kann im dreifachen Pianissimo, es kann abrupte Wechsel von Fortissimo zu Pianissimo, aber auch rhythmische Wechsel zwischen dreiviertel, vierviertel, sechsachtel Taktfolgen usw. Ein echtes Klangerlebnis, zumal der Eulenspiegel tatsächlich changiert zwischen Draufloslachen und heftigem Schluchzen, zwischen Tanz- und Feierlust und ängstlichem Verstecken. Eine Meisterleistung der Interpretation allemal.
Petr Popelka, Wiener Symphoniker in der Alten Oper Frankfurt Foto: H.boscaiolo |
Der
Walzer, eine Gattung
Natürlich
wurde als Zugabe ein Walzer kredenzt, und zwar der Frühlingsstimmen-Walzer
von Johann Strauss. Was soll man dazu sagen. Besser geht´s nicht. Die Wiener
sind nun mal die besten in dieser Gattung, ja Gattung, denn der Walzer, ihr
Walzer ist eine Besonderheit Wiens, dort zuhause, und von dort in die Welt gezogen.
Bis heute aktuell.
Die Wiener
Symphoniker sind immer einen Besuch wert. Und unter Petr Popelka ganz
besonders.
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