Jörg Widmann & Friends, Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, 19.04.2024
Jörg Widmann (Foto: Wonge Bergmann) |
Eine
illustre Gesellschaft bester Freunde
Da stand
eine illustre Gesellschaft auf der Bühne des vollbesetzten Mozart Saals der
Alten Oper Frankfurt. Jörg Widmann (*1973) mit seinen Freunden Nicolas Altstaedt
(*1982) am Violoncello, Dénes Várjon (*1968) am Flügel und vier Twenties aus dem
spanischen Katalonien, das Kebyart-Saxophonquartett mit Pere Méndez am
Sopran-, Victor Serra am Alt-, Robert Seara am Tenor- und Daniel Miguel am
Baritonsaxophon.
Ein
spannendes Programm
Mitgebracht
hatte Jörg Widmann fünf Werke, drei aus seiner Hand und jeweils eins von
Robert Schumann (1810-1856), nämlich die Fantasiestücke op 73 für Klarinette
und Klavier (1849) und eines von Ludwig van Beethoven (1770-1827), das Trio
B-Dur op.11 genannt auch „Das Gassenhauer Trio“ für Klarinette, Klavier und
Violoncello (1797/98). Bekannt als exzellenter Klarinettist, spielte Widmann
natürlich die Klarinetten-Partien höchstselbst.
Dabei hatte
er auch drei eigene Kompositionen: Ein Nachtstück für Klarinette,
Violoncello und Klavier (1998, Rev. 2008), Fünf Albumblätter (2024),
ursprünglich für Violoncello und Orchester konzipiert, jetzt in der Kammermusikfassung
für Violoncello und Klavier und gleichzeitig eine deutsche Erstaufführung, sowie
Sieben Capricci für Saxophonquartett (2024), ebenfalls eine Erstaufführung
in der Alten Oper Frankfurt.
Spannung pur versprach allein dieses Programm, und das sei vorweggenommen, alle sechs Akteure erfüllten die Erwartungen über allen Maßen.
Jörg Widmann, Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt (Foto: Wonge Bergmann) |
Melancholie,
Sinnlichkeit, Eruption
Gleich zu Beginn die Schumann Fantasien op. 73. Ein dreiteiliges Kleinod voller intimer Geheimnisse zwischen Melancholie, melodischer Sinnlichkeit und erregter Eruption. Hier bereits glänzten beide Instrumentalsten durch dialogischen Feinsinn und, man könnte es fast behaupten, durch Seelenverwandtschaft. Echte Freundschaft der Beiden war im gesamten Vortrag zu spüren.
Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt (Foto: Wonge Bergmann) |
Großer
Fan von Schumann
Das folgende Nachtstück für Violoncello und Klavier, ein extremer Kontrast zur vorherigen Musik, bestand lediglich aus Geräuschen und sparsamen Tonfolgen wie Quart, Terz oder Sekundintervallen. Lange Fermaten und plötzliche Ausbrüche ließen Nachtmahre erahnen, die ihr Unwesen treiben, ausgedehnte Liegetöne und abrupte Cluster, Bilder von Nachtgeistern aufblitzen. Nicht von ungefähr kommt der Vergleich mit Francisco de Goyas Radierung „Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (1799) in den Sinn.
Ein kurzes Stück zum wohligen Gruseln, das abgelöst wird von den fünf Albumblättern für Violoncello und Klavier. Widmann lehnt sich darin an Schumanns Adagio und Allegro für Klavier und Horn op.70 wie auch an dessen Fünf Stücke im Volkston op. 102 an. Überhaupt outet sich Widmann immer wieder als größter Fan dieses Komponisten. So auch hier. Das Werk, unterteilt in Adagio ohne Allegro, Liebelei, Lied im Volkston, Bossa-Nova für Clara und Robert, Mit Humor, ist eine einzige Freundschaftsbezeugung, aber mit einer durchaus kritischen Würze. Sicher Humorvoll, aber ebenso gespickt mit grotesken Einlagen. Der Bossa-Nova extrem gedehnt und konturiert, fast an ein kubistisches Gemälde erinnernd, gleicht eher eine Passacaglia, und der humorvolle Abschluss eher einem grotesken ungarischen Csardas. Beide Musiker boten alle technischen Möglichkeiten ihrer Instrumente auf, ein vielseitiges, spannungsgeladenes, virtuoses Klangspiel der Extraklasse.
Dénes Várjon, Jörg Widmann (Foto: Wonge Bergmann) |
Beethoven
erobert die Wiener Salons
Beethovens "Gassenhauer" nach der Pause, ein Trio für Klavier, Violoncello und Klarinette
ist eines der populärsten Stücke des noch jungen Beethoven geworden. Das lag
vor allem an den Variationen über die Arie Bevor ich mich verpflichte des
Schluss-Allegretto nach einem Terzett aus Josef Weigls Kassenschlager Der
Korsar (heute würde man von einem Hit sprechen). Josef Weigl (1766-1846)
gehörte nämlich zu den populärsten Opernkomponisten der Jahrhundertwende, und
Beethoven nutzte dessen Bekanntheit sowie seine Freundschaft zum damaligen
Cello-Überflieger Josef Beer (1744-1812), um mit diesem Gassenhauer selbst zu
einer Berühmtheit zu werden, was ihm auch durchaus gelang. Denn das „Gassenhauer
Trio“ schlug ebenso ein wie die Arie. Beethoven wurde Teil der Wiener Salons
und selbst in Frankreich, dem Land der Revolution, errang er mit dieser Komposition
einen nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad.
Im Schlusssatz ein Beethoven - Gold echt
Was aber zeichnet das dreiteilige Stück aus. Nun ja. Im ersten Satz hält sich Beethoven strikt an die Sonatenform. Man hört unverkennbar das umgekehrte Eingangsthema aus seiner 1795 entstanden Sonate op.2 Nr. 1 f-Moll heraus. Auch im Adagio des zweiten Satzes zitiert er aus Mozarts Andante seiner C-Dur Sonate von 1788. Wie gesagt, bis zur Variation viel Mozart, Haydn und Selbstzitat. Aber dann im Allegretto ein Beethoven wie er leibt und lebt, Gold echt. Unglaublich originell, jede Variation ein Kleinod der Kompositionskunst, und darüber hinaus ein Ohrwurm von der ersten Note an. Die drei Interpreten hatten richtig Spaß, harmonierten genial und vor allem der absolut geforderte Pianist Dénes Várjon wuchs förmlich zu einem Neo-Beethoven heran.
v. l.: Pere Méndez, Victor Serra, Robert Seara, Daniel Miguel (Foto: Wonge Bergmann) |
Phänomenales
Saxophonquartett
Den krönenden Abschluss bildeten vier Saxophonisten aus Barcelona. Sie wagten sich an Sieben Capricci von Jörg Widmann, die er ihnen auf den Leib geschnitten hat. Widmann selbst meinte in einer kurzen Bühnenansprache, Saxophonmusik sei eigentlich nicht sein Ding. Aber als er die Vier erstmals hörte, habe er seine Meinung diametral geändert. Diese Vier seien phänomenal in Blaskunst, Dynamik und Differenziertheit. Er habe nie vorher so etwas gehört und seine Capricci hätten ihm in ihrer Entstehung größte Freude bereitet.
v. l.: Pere Méndez, Victor Serra, Robert Seara, Daniel Miguel (Foto: Wonge Bergmann) |
Alle
Hörgewohnheiten zum Platzen bringen
Tatsächlich führt das Kebyart-Saxophonquartett zu Recht seinen Namen, denn kebyar bedeutet „plötzliches Aufflackern“ oder auch „aufplatzen“. Im weitesten Sinne also Experiment zwischen Aleatorik und Serialismus. Widmann schuf extra für sie sieben kurze anspruchsvolle Petitessen, er selbst nennt sie „Launen“, beginnend mit einem chromatischen vierstimmigen Ascenció (Aufstieg), fortgesetzt von einem grotesken, schalkhaften Walzer, bruitistischen Noises, zwei extrem verstörend sakralen Chorälen, einem Keys genannten Abschnitt, der aus Klappern, Schnalzen und tonlosem Tastenspiel besteht. Im Finale, eine Zirkusparade, erbebt förmlich die Manege. Hier lassen es die Saxophonisten krachen. Alle Akrobaten des Zirkusses kommen auf die Bühne und zeigen noch einmal kurz und prägnant ihre Kunstfertigkeiten.
v. l.: Jörg Widmann, Pere Mendez, Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt, Victor Serra, Daniel Miguel, Robert Seara in der Alten Oper Frankfurt Foto: H.boscaiolo |
Musikalische
Nachhaltigkeit von besten Freunden
Eine klasse
Komposition und ein wirklich sehens- und hörenswertes Quartett, das unbedingt
nicht zum einzigen Mal in Frankfurt auftreten sollte. Ein Kleinod der
Saxophonmusik. Ihre Zugabe, eine Komposition Encore + von ihrem
Tenorsaxophonisten Robert Seara, ein Potpourri bekannter Melodien, aber
von ausgesuchter Virtuosität, endete mit einem klanglichen Morendo, gedacht als die freundliche
Aufforderung, das abendliche Spektakel nun endgültig zu beenden, denn der Applaus
wollte kein Ende nehmen. Allen sechs Akteuren gilt das uneingeschränkte Lob. Ein nachhaltiger musikalischer Abend mit besten Freunden.
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