Samstag, 20. April 2024

Jörg Widmann & Friends, Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, 19.04.2024

Jörg Widmann (Foto: Wonge Bergmann)

Eine illustre Gesellschaft bester Freunde

Da stand eine illustre Gesellschaft auf der Bühne des vollbesetzten Mozart Saals der Alten Oper Frankfurt. Jörg Widmann (*1973) mit seinen Freunden Nicolas Altstaedt (*1982) am Violoncello, Dénes Várjon (*1968) am Flügel und vier Twenties aus dem spanischen Katalonien, das Kebyart-Saxophonquartett mit Pere Méndez am Sopran-, Victor Serra am Alt-, Robert Seara am Tenor- und Daniel Miguel am Baritonsaxophon.

 

Ein spannendes Programm

Mitgebracht hatte Jörg Widmann fünf Werke, drei aus seiner Hand und jeweils eins von Robert Schumann (1810-1856), nämlich die Fantasiestücke op 73 für Klarinette und Klavier (1849) und eines von Ludwig van Beethoven (1770-1827), das Trio B-Dur op.11 genannt auch „Das Gassenhauer Trio“ für Klarinette, Klavier und Violoncello (1797/98). Bekannt als exzellenter Klarinettist, spielte Widmann natürlich die Klarinetten-Partien höchstselbst.

Dabei hatte er auch drei eigene Kompositionen: Ein Nachtstück für Klarinette, Violoncello und Klavier (1998, Rev. 2008), Fünf Albumblätter (2024), ursprünglich für Violoncello und Orchester konzipiert, jetzt in der Kammermusikfassung für Violoncello und Klavier und gleichzeitig eine deutsche Erstaufführung, sowie Sieben Capricci für Saxophonquartett (2024), ebenfalls eine Erstaufführung in der Alten Oper Frankfurt.

Spannung pur versprach allein dieses Programm, und das sei vorweggenommen, alle sechs Akteure erfüllten die Erwartungen über allen Maßen.

Jörg Widmann, Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt (Foto: Wonge Bergmann)

Melancholie, Sinnlichkeit, Eruption

Gleich zu Beginn die Schumann Fantasien op. 73. Ein dreiteiliges Kleinod voller intimer Geheimnisse zwischen Melancholie, melodischer Sinnlichkeit und erregter Eruption. Hier bereits glänzten beide Instrumentalsten durch dialogischen Feinsinn und, man könnte es fast behaupten, durch Seelenverwandtschaft. Echte Freundschaft der Beiden war im gesamten Vortrag zu spüren.

Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt (Foto: Wonge Bergmann)

Großer Fan von Schumann

Das folgende Nachtstück für Violoncello und Klavier, ein extremer Kontrast zur vorherigen Musik, bestand lediglich aus Geräuschen und sparsamen Tonfolgen wie Quart, Terz oder Sekundintervallen. Lange Fermaten und plötzliche Ausbrüche ließen Nachtmahre erahnen, die ihr Unwesen treiben, ausgedehnte Liegetöne und abrupte Cluster, Bilder von Nachtgeistern aufblitzen. Nicht von ungefähr kommt der Vergleich mit Francisco de Goyas Radierung „Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (1799) in den Sinn. 

Ein kurzes Stück zum wohligen Gruseln, das abgelöst wird von den fünf Albumblättern für Violoncello und Klavier. Widmann lehnt sich darin an Schumanns Adagio und Allegro für Klavier und Horn op.70 wie auch an dessen Fünf Stücke im Volkston op. 102 an. Überhaupt outet sich Widmann immer wieder als größter Fan dieses Komponisten. So auch hier. Das Werk, unterteilt in Adagio ohne Allegro, Liebelei, Lied im Volkston, Bossa-Nova für Clara und Robert, Mit Humor, ist eine einzige Freundschaftsbezeugung, aber mit einer durchaus kritischen Würze. Sicher Humorvoll, aber ebenso gespickt mit grotesken Einlagen. Der Bossa-Nova extrem gedehnt und konturiert, fast an ein kubistisches Gemälde erinnernd, gleicht eher eine Passacaglia, und der humorvolle Abschluss eher einem grotesken ungarischen Csardas. Beide Musiker boten alle technischen Möglichkeiten ihrer Instrumente auf, ein vielseitiges, spannungsgeladenes, virtuoses Klangspiel der Extraklasse.

Dénes Várjon, Jörg Widmann (Foto: Wonge Bergmann)

Beethoven erobert die Wiener Salons

Beethovens "Gassenhauer" nach der Pause, ein Trio für Klavier, Violoncello und Klarinette ist eines der populärsten Stücke des noch jungen Beethoven geworden. Das lag vor allem an den Variationen über die Arie Bevor ich mich verpflichte des Schluss-Allegretto nach einem Terzett aus Josef Weigls Kassenschlager Der Korsar (heute würde man von einem Hit sprechen). Josef Weigl (1766-1846) gehörte nämlich zu den populärsten Opernkomponisten der Jahrhundertwende, und Beethoven nutzte dessen Bekanntheit sowie seine Freundschaft zum damaligen Cello-Überflieger Josef Beer (1744-1812), um mit diesem Gassenhauer selbst zu einer Berühmtheit zu werden, was ihm auch durchaus gelang. Denn das „Gassenhauer Trio“ schlug ebenso ein wie die Arie. Beethoven wurde Teil der Wiener Salons und selbst in Frankreich, dem Land der Revolution, errang er mit dieser Komposition einen nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad.

 

Im Schlusssatz ein Beethoven - Gold echt

Was aber zeichnet das dreiteilige Stück aus. Nun ja. Im ersten Satz hält sich Beethoven strikt an die Sonatenform. Man hört unverkennbar das umgekehrte Eingangsthema aus seiner 1795 entstanden Sonate op.2 Nr. 1 f-Moll heraus. Auch im Adagio des zweiten Satzes zitiert er aus Mozarts Andante seiner C-Dur Sonate von 1788. Wie gesagt, bis zur Variation viel Mozart, Haydn und Selbstzitat. Aber dann im Allegretto ein Beethoven wie er leibt und lebt, Gold echt. Unglaublich originell, jede Variation ein Kleinod der Kompositionskunst, und darüber hinaus ein Ohrwurm von der ersten Note an. Die drei Interpreten hatten richtig Spaß, harmonierten genial und vor allem der absolut geforderte Pianist Dénes Várjon wuchs förmlich zu einem Neo-Beethoven heran.

v. l.: Pere Méndez, Victor Serra, Robert Seara, Daniel Miguel
(Foto: Wonge Bergmann)

Phänomenales Saxophonquartett

Den krönenden Abschluss bildeten vier Saxophonisten aus Barcelona. Sie wagten sich an Sieben Capricci von Jörg Widmann, die er ihnen auf den Leib geschnitten hat. Widmann selbst meinte in einer kurzen Bühnenansprache, Saxophonmusik sei eigentlich nicht sein Ding. Aber als er die Vier erstmals hörte, habe er seine Meinung diametral geändert. Diese Vier seien phänomenal in Blaskunst, Dynamik und Differenziertheit. Er habe nie vorher so etwas gehört und seine Capricci hätten ihm in ihrer Entstehung größte Freude bereitet.

v. l.: Pere Méndez, Victor Serra, Robert Seara, Daniel Miguel
(Foto: Wonge Bergmann)



Alle Hörgewohnheiten zum Platzen bringen

Tatsächlich führt das Kebyart-Saxophonquartett zu Recht seinen Namen, denn kebyar bedeutet „plötzliches Aufflackern“ oder auch „aufplatzen“. Im weitesten Sinne also Experiment zwischen Aleatorik und Serialismus. Widmann schuf extra für sie sieben kurze anspruchsvolle Petitessen, er selbst nennt sie „Launen“, beginnend mit einem chromatischen vierstimmigen Ascenció (Aufstieg), fortgesetzt von einem grotesken, schalkhaften Walzer, bruitistischen Noises, zwei extrem verstörend sakralen Chorälen, einem Keys genannten Abschnitt, der aus Klappern, Schnalzen und tonlosem Tastenspiel besteht. Im Finale, eine Zirkusparade, erbebt förmlich die Manege. Hier lassen es die Saxophonisten krachen. Alle Akrobaten des Zirkusses kommen auf die Bühne und zeigen noch einmal kurz und prägnant ihre Kunstfertigkeiten.

v. l.: Jörg Widmann, Pere Mendez, Dénes Várjon, Nicolas Altstaedt, Victor Serra,
Daniel Miguel, Robert Seara
in der Alten Oper Frankfurt
Foto: H.boscaiolo


Musikalische Nachhaltigkeit von besten Freunden

Eine klasse Komposition und ein wirklich sehens- und hörenswertes Quartett, das unbedingt nicht zum einzigen Mal in Frankfurt auftreten sollte. Ein Kleinod der Saxophonmusik. Ihre Zugabe, eine Komposition Encore + von ihrem Tenorsaxophonisten Robert Seara, ein Potpourri bekannter Melodien, aber von ausgesuchter Virtuosität, endete mit einem klanglichen Morendo, gedacht als die freundliche Aufforderung, das abendliche Spektakel nun endgültig zu beenden, denn der Applaus wollte kein Ende nehmen. Allen sechs Akteuren gilt das uneingeschränkte Lob. Ein nachhaltiger musikalischer Abend mit besten Freunden.  

 

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