Montag, 29. April 2024

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner (1813-1883), hier die Wiener Fassung von 1875, Premiere in der Oper Frankfurt, 28.04.2024

Marco Jentzsch (Tannhäuser)
(alle Fotos von Barbara Aumüller)

Wagners liebstes Kind

Tannhäuser war bekanntlich Wagners liebstes Kind. Nach zahlreichen Überarbeitungen (die Uraufführung fand 1845 in Dresden statt) dachte er bis kurz vor seinem Tode über diverse Revisionen seiner Partitur nach, wovon er mindestens drei verwirklichte. Noch in seinem Todesjahr 1883 soll er seiner Ehefrau Cosima verkündet haben, der Welt noch den Tannhäuser schuldig zu sein. Tannhäuser, ein work in progress?

 

Heinrich von Ofterdingen ist Tannhäuser

Genauso so mag das Team um Mathew Wild (Regie, erstmals in Frankfurt), Thomas Guggeis (musikalische Leitung) und Maximilian Enderle (Dramaturgie) gedacht haben, als sie das Werk für die Frankfurter Oper in die Tat umsetzten. Tannhäuser wird bei ihnen jetzt mit Heinrich von Ofterdingen identifiziert (ein Minnesänger aus dem gleichnamigen Fragment eines Romans von Novalis von 1802), und das vor allem zu dem Zweck, der Person ein neues, zeitgemäßes Image zu geben. Nämlich das eines erfolgreichen Professors der Literaturwissenschaft, der als Flüchtling vor den Nazis an der kalifornischen, katholisch orientierten Maria Stella University lehrt, mit seinem Buch Montsalvat 1956 den Pulitzer-Preis erhält, aber aus ungeklärten Umständen in den frühen 1960er Jahren spurlos aus der Öffentlichkeit verschwindet. 

Domen Križaj (Wolfram von Eschenbach; in der Bildmitte stehend)
und Ensemble

Die McCarthys und der Vatikan

Handlungsort und Zeit sind die kruden Jahre der McCarthy Verfolgung von Kommunisten, Demokraten und Schwulen in den USA, die Haltung der katholischen Kirche dazu, ausgedrückt im 2. Vatikanischen Konzil zurzeit Papst Johannes XXIII., das rigide die Homosexualität und homoerotische Neigungen verteufelte und zur Todsünde erklärte, sowie die Reaktionen und die Auseinandersetzung der progressiven Intellektuellen und Schriftsteller damit. Gerade Persönlichkeiten wie Arnold Schoenberg, Billy Wilder, Franz Werfel, Bertold Brecht, Igor Strawinsky, Max Horkheimer oder auch Theodor W. Adorno waren als Exilanten unter anderem auch als Hochschullehrer tätig, und erlebten die Widersprüche dieser Zeit am eigenen Leibe.

Marco Jentzsch (Tannhäuser) und Dshamilja Kaiser (Venus)

Zwischen Exzess und Entsagung

Was aber hat das mit Tannhäuser zu tun? Tannhäuser, alias Heinrich von Ofterdingen, gerät in den Strudel des Konflikts, der sich hier zwischen sinnlicher und geistiger Liebe, konkret: zwischen Homosexualität und Heterosexualität bewegt. Das Werk ist insofern geprägt von den Ambivalenzen von hoher Liebe und Erotik, von Exzess und Entsagung, von Individualität und Konformität.

Die Regie lässt Tannhäuser (bleiben wir bei dem Namen) in einem Hotelzimmer erscheinen, wo er auf einem Bett schreibt und nachdenkt. Das Bühnenbild (Herbert Bartz-Murauer) besteht aus drei Rahmen (Hotelzimmer). In der Mitte befindet sich die reale Person, rechts und links davon sein erotischer Traumanteil. Sexuelle Handlungen mythischer Figuren bestimmen das Bild. Mal heterosexuell, mal homosexuell kopulieren Bacchus, Amor, Ganymed, Leda, Satyrn, Strömkarl mit der Geige, der schwarze Bock und Venus als Mann miteinander in verschiedenen Szenerien und Positionen. Tannhäuser leidet sichtbar unter seinen Halluzinationen. Alles wirkt ikonenhaft, schön gestaltet (Raphaela Rose, Kostüme), aber alles andere als sinnlich, eher das Gegenteil ist der Fall. 


Sinnliche Distanz oder distanzierte Sinnlichkeit

Venus erscheint und bezirzt den Schriftsteller. Sie ist die leibhaftige Totengöttin, die Inkarnation von Thanatos und Eros. Aber auch hier, sinnliche Distanz oder distanzierte Sinnlichkeit. Tannhäuser scheint sich wie in einem Gefängnis auf dem Venusberg zu fühlen, denn dreimal bittet er seine Muse, ihn ziehen zu lassen. Auch der letzte Versuch, ihm sein homoerotisches Begehren durch einen schönen Jüngling zu erfüllen (man ist an Thomas Manns Tod in Venedig erinnert) scheint nichts zu fruchten (oder vielleicht doch?). Die sinnlich erotische Hölle des Venusbergs verlässt Tannhäuser und landet am Fuße der Engelsburg (so könnte man das Gemäuer ähnliche Gebilde, das die gesamte Bühne im Halbkreis einschließt, zumindest deuten)

v.l.n.r. Henri Klein (Ein junger Student) und Marco Jentzsch (Tannhäuser)
sowie Dshamilja Kaiser (Venus)

Wenig sinnlich, dafür beeindruckend vielfältig

Der erste Aufzug ist ein überschwängliches Konglomerat an mythologischen Bezügen, mit kunstvollen erotischen Videos (Clemens Walter), seltenen choreographischen Ideen, wie zum Beispiel die Putzszene des Hirten, oder die sportlichen Einsprengsel von Football, Baseball und Ringen (Louisa Talbot). Alles in allem jedoch extrem artifiziell und kaum einer sinnlichen erotischen Venusberg Atmosphäre gerecht werdend. Dennoch höchst eindrucksvoll vor allem durch die Musik. Aber dazu später.

Marco Jentzsch (Tannhäuser; mit dem Rücken zum Betrachter) und
Henri Klein (Ein junger Student; in blau-weiß geringeltem Shirt)
sowie Ensemble

Poetry Contest

Der zweite Aufzug, das politische Herzstück des Ganzen, ist noch Teil der ursprünglichen Dresdner Version. Der Sängerkrieg. Hier gestaltet als Annual Charity Poetry Contest unter dem Motto: What is the true Nature of Love? (Was ist die wahre Natur der Liebe). Man befindet sich in einem Vorlesungssaal. Der füllt sich langsam, und die Protagonisten der Minnesänger versammeln sich unter der Führung des Dekans (Landgraf Hermann von Thüringen). Tannhäuser, der Star unter den Minnesängern (er signiert seine preisgekrönten Bücher) muss gegen seine Kontrahenten antreten, die alle die platonische Liebe besingen. Tannhäuser grätscht dazwischen, und besteht auf der echten, der sinnlichen Liebe, denn ohne Liebesakt keine Liebe. (erotische Videos untermalen seinen Gesang). Alles vibriert vor Entsetzen, auch die Studenten. Der Jüngling aus dem Venusberg sitzt unter den Kommilitonen, nähert sich Tannhäuser, der ihn innig küsst. Das Fass ist übergelaufen. Er hat sich als Homosexueller geoutet, eine unverzeihliche Schandtat. Man will ihn auf der Stelle lynchen.

Marco Jentzsch (Tannhäuser; in der Bildmitte kniend) und Ensemble


Verrat an der Liebe, oder Aushöhlung der Demokratie?

Einzig Elisabeth, die maßlos Enttäuschte, rettet ihn vor den todeswütigen Minnesängern?!? Ihr Vorschlag: Tannhäuser soll sich Absolution beim Papst erbitten und eine Pilgerreise nach Rom antreten.

Auch dieser Aufzug lässt viele Fragen offen. Eigentlich geht es um die wahre Natur der Liebe (eine glänzende Idee der Regie), die durchaus aktuell zu bedienen ist. Tannhäuser fragt seine Sänger Kontrahenten, wie es Liebe geben könne ohne Genuss. Hier aber erinnert der Kuss an den des Judas zur Identifizierung Jesus für seine Festnahme und Kreuzigung. An dieser Stelle gewinnt das regressive Moment die Oberhand. Hier macht die Handlung einen Rückschritt in die Zeit um 1960, dessen Problematik heute aber überhaupt keine Rolle mehr spielt. Warum dann dieser Kunstgriff? Warum nicht bei der ursprünglichen Version bleiben? Will man auf die unselige Cancel Culture der letzten Jahre hinweisen, den ideologisierten engen Korridor der Meinungs- und Handlungsfreiheit, auf die fortschreitende Aushöhlung der Demokratie?

v.l.n.r. Christina Nilsson (Elisabeth), Marco Jentzsch (Tannhäuser) und
Domen Križaj (Wolfram von Eschenbach)

Wer werfe den ersten Stein?

Dazu analysieren wir den dritten Aufzug. Tannhäuser bekommt die Absolution verweigert. (Ein historisches Video zeigt während des Vorspiels die Prozession der Kardinäle vom Petersplatz in den Petersdom des Vatikans nach dem Ende des Konzils im Jahre 1962). Der Papst belässt ihn in der Sünde und versetzt ihm ein zweites Mal den gesellschaftlichen Todesstoß. Er will zurück auf den Venusberg, obwohl er ihm nur Leid gebracht hat. Venus, die Todesgöttin, empfängt ihn bereits. Doch der Verzweiflungsruf „Elisabeth“ seines vermeintlichen Retters, Wolfram von Eschenbach (er nämlich ist verliebt in Elisabeth und küsst sie auf offener Bühne) lässt ihn noch einmal hadern. Er besinnt sich offensichtlich der „wahren“ Liebe zu Elisabeth und – nimmt eine Überdosis (?). Elisabeth dagegen erkennt die eigene Schuld: „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Sie setzt sich mit dem literarischen Werk Heinrich von Ofterdingens, ihren platonisch Geliebten, auseinander, macht selbst Karriere, sammelt Preise ein und erwirbt den Doktortitel honoris causa.


Ein herrlicher musikalischer Reigen

Ein politischer Schluss, kein philosophischer, kein Liebestod als Befreiung von menschlichen Schwächen, sondern Selbstmord aus Verzweiflung und weibliche Karriere aus Einsicht in die sozialpolitischen Widersprüche der Gesellschaft. Zumindest was die Regie betrifft, hat die Frankfurter Version von 2024 im Wagnerschen Sinne „der Welt einen neuen Tannhäuser gebracht“.

Musikalisch und textlich allerdings die von 1875 bzw. 1845. Und dazu kann man nur der musikalischen Leitung gratulieren. Thomas Guggeis hat mit seinem Opern- und Museumsorchester eine Musik gezaubert, die Wagnerischer kaum sein kann. Zwischen chromatischem Irisieren und diatonischer Klarheit, alles in perfekter Manier enthalten. Die musikalische Begleitung der Sängerinnen und Sänger ein Gedicht, und nicht zuletzt die rhythmische Energetik und die bacchanalische Sphärenstimmung, kaum zu überbieten. Selten so eine ausgewogene und situationsangepasste Musik vernommen. Auch der Chor und Extra-Chor (Tilman Michael) gehören absolut in diesen herrlichen Reigen. Schade, das Tilman Michael zum Ende der Saison eine neue Aufgabe an der New Yorker Met übernehmen wird, er hinterlässt dafür einen der besten Chöre in diesem Lande.

Marco Jentzsch (Tannhäuser) und Dshamilja Kaiser (Venus)
sowie Ensemble

Tannhäuser, Venus, Elisabeth

Die Sängerinnen und Sänger: Tannhäuser, alias Heinrich von Oferdingen, sang der Tenor Marco Jentzsch. Er debütierte an der Frankfurter Oper und das mit bester Referenz. Sein lyrisches Timbre verstand er vor allem in den derben Ausbrüchen extrem zu verwandeln: Mal verzückt, weltabgewandt, dann wieder voll in der Realität des Unvermeidlichen. 

Christina Nilsson (Sopran) als Elisabeth, verkörpert die Wagner Stimme par excellence. Sie hat ein gewaltiges Volumen und in den höchsten Höhen singt sie immer noch klar und ausdrucksstark. Ihr scheint jeder Ton der Welt mit Leichtigkeit zuzufallen. Die Venus, ja die Venus. Ihre Rolle war verzwickt (zwischen Leben und Tod), aber die Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser verstand es prächtig, diese diskrepante Dualität gesanglich wie schauspielerisch umzusetzen. Von ausgesucht sinnlicher Brillanz beispielsweise ihre Überredungs-Arie, um Tannhäuser zum Bleiben zu bewegen (1. Aufzug).

v. l.: Erik von Heyningen, Andrea Bauer-Kanabas, Dshamilja Kaiser,
Marco Jentzsch, Christina Nilsson, Domen Križaj,
Ensemble
 beim Abschluss Applaus (Foto: H.boscaiolo) 

Gesangliche Bestleistung

Die sechs Barden oder auch Minnesänger waren allesamt stimmlich in bester Form. Herausragend ihr Sextett Bleib bei Elisabeth am Ende des ersten Aufzugs und ihre solistischen Auftritte während des Sängerwettstreits. Vielleicht noch zu erwähnen Karolina Bengtsson (Sopran) als vermeintlicher Hirte, hier eine Putzfrau, und Domen Križaj (Bariton) als Wolfram von Eschenbach, der sich als heimlicher Liebhaber von Elisabeth entpuppt, und dessen Charakter Fragen offenlässt.

Zwischen Highlight, Regression und Enigma

Die Premiere kam bestens an. Warum das? Die Handlung war´s bestimmt nicht, denn in ihr lagen bzw. liegen zu viele Ungereimtheiten und auch regressive, um nicht zu sagen reaktionäre Momente. Musikalisch und gesanglich wie auch bühnen-, choreographie- und lichttechnisch (Jan Hartmann) dafür ein Highlight der Frankfurter Oper. Mit Thomas Guggeis ist Leben in das Opern – und Museumsorchester eingekehrt, das begeistert. Das Bühnengeschehen war kurzweilig, die Wechsel zwischen Dramatik und Lyrik ausgewogen und das Bühnenschauspiel insgesamt von großer Vielfalt und Abwechslung geprägt. Die politische und queere Umdeutung bleibt allerdings ein Enigma.   

 

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