Ensemble Modern, musikalische Leitung Jean Deroyer und die Sopranistin Kateryna Kasper, Alte Oper Frankfurt, 27.05.2023
Peter Eötvös (Foto: Karl Schlöndorfer) |
Heimreise
Es sollte das sechste und letzte Abonnementskonzert des Ensemble Modern in dieser Saison sein und es war ein denkwürdiges. Denn es fand zu Ehren des am 24.März verstorbenen Komponisten Peter Eötvös statt, der eng mit dem Ensemble verbunden war. Zu diesem Zweck hat man das Abendprogramm umgestaltet und am Ende des ersten Teils Heimreise aus seinem Musiktheater Der Goldene Drache (2014) in das Programm aufgenommen und die vier weiteren Kompositionen aus dramaturgischen Gründen umdisponiert.
Eleanor Alberga (Foto: Benjamin Ealovega) |
Heißer Flug der Fledermaus
Gleich zu Beginn des Abends von Eleanor Alberga (*1949) On A Bat´s Back I Do Fly für sieben Instrumente (2000). In der Tat, ein heißer Flug auf dem Rücken der Fledermaus. Eine Verführung in die Welt der Imagination, in der zunächst Flöte und Klarinette mit flirrenden Klangsequenzen dominierten, ehe Vibraphon Geige und Cello das verwirrende Spiel ergänzten.
Dann ein Wechsel zwischen hektischer Aufgeregtheit und verträumten Passagen mit Glocken- und metallenen Klangstäbchen-Glitzerklängen. Ein wunderschöner Piccolo, Klavier und Klarinetten Mittelteil ließ die Geisterwelten aus Shakespeares Der Sturm (hier holte sich die Komponistin ihre Inspiration) lebendig werden.
Welten der Karibik und Europas
Akrobatisch virtuos mit elektronischer Untermalung wurde es dann gegen Ende. Hier wurde vor allem der Pianist (Ueli Wiget) extrem gefordert. Mit Snare, Base Drum, heftigsten Glissandi von Piccolo und Streicher scheint der Luftgeist Ariel noch einmal das Publikum auf die Schippe zu nehmen, wobei der Pianist die Hauptrolle übernimmt. Eine surreale, fantastische groovige Reise durch die Welt der Karibik (Alberga ist Jamaikanerin), wie zugleich auch durch die der englischen Atlantikküste (ihr heutiger Wohnsitz ist in London).
Man spürt in diesem gut 12-minütigen Werk ihre pianistische Vergangenheit und könnte diesen fantastischen Ausflug auf dem Rücken einer Fledermaus auch gut und gerne als Klavierseptett durchgehen lassen, denn die pianistischen Anforderungen sind exorbitant und vom Pianisten perfekt gemeistert.
Héctor Parra (Foto: Elisabeth Schneider) |
Ein Jazz Funeral à la New Orleans
Equinox für Ensemble (2010) von Hèctor Parra (*1976) hier für 17 Instrumentalisten, sollte in eine völlig gegenteilige Welt führen. Übersetzt bedeutet der Titel zwar Tagundnachtgleiche, ist auch als Soundtrack zum gleichnamigen Film des französischen Regisseurs Laurent Carcélès 2011 verwendet worden - ein Streifen, bei dem ein Pärchen bei einem Wochenendausflug zum Mont St. Michel von den Gezeiten und der hereinbrechenden Nacht überrascht wird und in Lebensgefahr gerät – ist musikalisch aber eher sehr ambivalent an- und ausgelegt.
Trotz Bezüge zu Martin Heideggers philosophischen Sentenzen über den „Ausgleich der Kräfte“, scheint dieses Werk doch eher vom gewaltigen Aufschrei und dem Fall in tiefste Depression und Traurigkeit geprägt zu sein. Der Komponist will „Stimmungen schaffen“, was ihm durchaus auch gelingt. Aber nur welche?
So ist man irgendwie an einen Blues der Jazzfunerals in New Orleans erinnert, unterschieden nur von gewaltiger Lautstärke und fast tödlicher Impulsivität. Ein Extrem-Requiem mit düsterer Attitüde und irgendwie ohne den erwarteten ausgleichenden Aspekt. Das Schluss morendo, ein Solo der Klarinette (Beerdigungsritus) kann zwar kaum versöhnen, aber immerhin lässt es Tod und Teufel wieder zur Ruhe bringen. Rest in Peace.
Peter Eötvös (Foto: Balasz Mohai) |
„Es war ein langer Weg“
Das Memorial an Peter Eötvös (1944-2024) war entnommen aus seinem letztmals 2016 im Frankfurter Depot aufgeführten Musiktheater Der goldene Drache. Hier mit der Sopranistin Kateryna Kasper, die bei der Uraufführung im Jahre 2014 die Hauptrolle des Der Kleine sang. Die Heimreise sollte es sein, die gut 10-minütige Schlussarie der surrealen „Verzauberung des Publikums durch Klang“, so der Komponist höchstselbst. Bekanntlich ist der Zahn, Ausdruck von Schmerz, extrahierter Humanität, Moral und Hoffnung, Mittelpunkt des Bühnengeschehens. Er durchzieht das menschliche Miteinander bis zum bitteren Ende. Der Zahn der Zeit nagt und bedeutet die Vergänglichkeit aller Existenzen.
Die Arie, wie gesagt, ist Opern ähnlich angelegt und handelt von der Heimkehr des Kleinen. „Ich bin da, ich bin fast zuhause, es war eine sehr lange Reise“ und weiter: „Es war ein langer Weg, ich habe einen Zahn verloren.“
Ensemble Modern, vorne Jean Deroyer und Kateryna Kasper (Foto: H.boscaiolo) |
Ruhe in Frieden
Leider war die Stimme von Kateryna Kasper etwas übersteuert (vielleicht wäre bei ihrem Stimmvolumen eine technische Verstärkung nicht notwendig gewesen) und das Ensemble vielleicht dadurch ein wenig zu laut, aber dennoch eine Hommage von bester Auswahl und großer Innigkeit. Am Schluss spuckt der Kleine den Zahn wie eine Kirsche ins Wasser und sinniert: „Der Zahn ist weg, als ob er nie dagewesen wäre.“ Ruhe in Frieden möchte man an dieser Stelle Peter Eötvös von Herzen wünschen.
Hilda Paredes (Foto: Graciela Iturbide) |
Klangliche Perkussion
Hilda Paredes (*1957) sollte mit Revelación für 9 Instrumente einen klanglich perkussiven Höhepunkt setzen. Ein sehr langes Werk, fast 25 Minuten, mit viel Elektronik, bildhaften Szenerien und starken musikalischen Ideen. Als gebürtige Mexikanerin spürt man ihre Bezüge zur lateinamerikanischen Vokalmusik und Bilderwelt.
In diesem Werk, das man auch mit Enthüllung beschreiben könnte, bedient sie sich ausgiebig der Elektronik und der surrealen Gemälde von der spanisch-mexikanischen Malerin Remedios Varo (1908-1963). Flöte Klarinette und Horn dominieren zwar den musikalischen Verlauf, aber zumeist in perkussiven Techniken wie Glissandi, Tremoli, Triller, Zupfen, Klopfen u.v.m. Zwei Perkussionisten sorgen für eine rhythmische und flächige Basis, wogegen das Klavier rein perkussiv präpariert ist. Von ihm wird die Elektronik, vor allem das Sample gesteuert.
Es wimmelt von Ober- und Untertönen, es brummt und pfeift, Flageolett der Streicher und tiefste Töne von Bassklarinette und Bassflöte schlagen sich förmlich in ihrer Gegensätzlichkeit.
Bis zur Stelle, wo Horn (Thomas Mittler) und Klarinette (Jaan Bossier) sich aus der Gruppe lösen und jeweils hintereinander gleichförmige melodische Linien abspielen. Zurück im Ensemble tritt eine Art Reprise ein. Man erinnert sich an die Exposition mit Flöten und Klarinetten Trillern, Vogelrufen gleich, und verharrt dann abrupt im Nichtstun, während das Sample einsetzt.
Ensemble Modern, vorne: Hilda Paredes (Foto: H.boscaiolo) |
Surreale Bilderwelt – magische Musikwelt
Klarinette und Horn scheinen das surreale Bild von Remedios Varo zu enthüllen. Eine herrliche Widerspiegelung des musikalischen Geschehens bis zum absterbenden Schluss, einem wirklich eindrucksvollen Morendo. So als habe die surreale Bilderwelt von Remedios Varo in die inspirativ magische Musikwelt von Hilda Paredes Einzug gehalten. Ein Komposition, die eigentlich für zwei Tänzer konzipiert ist und insofern in dieser Gestalt ihr deutsche Erstaufführung erfuhr. Und das mit Bravour.
Philippe Hurel (Foto: Tina Merandon) |
Extrem modern und innovativ
Den Abschluss des Konzertabends gestaltete Philippe Hurel (*1955) mit Lecon De Choses (1993). Ein „Anschauungsunterricht“ aus der Zeit der Spektralisten um Tristan Murail und Gerard Grisey etc.
Auch hier viel Elektronik und Klangexperimente mit unterschiedlichsten Instrumenten. Darunter Harfe, Hammond-Orgel, Sampler, zwei Perkussionisten (David Haller, Ramón Gardella) sowie zwei Hörner (Thomas Mittler, Sze Fong Yeong) und Klavier (Hermann Kretzschmar).
Ein Sound, der es in sich hatte. Hurel beschreibt seine Musik eher als polyphone Serialität, zersplittert, heterogen, rhythmisch, aber genau berechnet. Und das ist sie auch.
Angelehnt an den Schriftsteller Claude Simon (1913-2005) und dessen gleichnamigen Buchtitel, wird seine Musik von elektronischen Donnerschlägen begleitet, die dem Ganzen eine Struktur verleihen. Es pocht, verschiebt sich in Rhythmus und Klang, kontrastiert bis zum Extremen und scheint schlussendlich alle Parameter des Klangs zu „kontaminieren“ (Hurel).
Mal jazzt es gewaltig, dann bricht alles wieder chaotisch zusammen. Immer aber bleibt ein Hauch von Struktur und traditioneller Form übrig. So besteht der Schluss aus einer fast zweiminütigen Sampler-Conclusio, die langsam aber stetig absinkt und in einem dreifachen Pianissimo endet. Ein Anschauung in Klangkunst in bester Manier des ausgehenden 20. Jahrhunderts und noch heute extrem modern und innovativ.
Jean Deroyer (Foto: Website) |
Fantastisch, einfühlsam und höchst informiert
Abschließend noch zu erwähnen der Dirigent und musikalische Leiter des Abends Jean Deroyer (*1979). Ein fantastischer, einfühlender und höchst informierter „Influencer“, wie selten erlebt. Er las nicht allein die komplexen Partituren, nein er interpretierte sie spontan und ließ sie durch gestenreiches und unglaublich präzises Dirigat lebendig werden.
Ensemble Modern mit Jean Deroyer (Foto: H.boscaiolo) |
Die Instrumentalisten des Ensemble Modern wie auch die wunderbar stimmliche Kateryna Kasper, konnten gar nicht anders, als unter seinen Händen zu Höchstleitungen aufzulaufen. Alle vier Komponisten waren anwesend, auch eine Seltenheit, da ihre Werke schon älteren Datums sind, und boten damit offensichtlich dem jüngst verstorben Peter Eötvös ihre Referenz. Peter Eötvös hätte seine Freude an diesem Konzert gehabt. Wie das Publikum auch.
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