Orchesterfest mit dem Dallas Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung von Fabio Luisi und der Starviolinistin Anne-Sophie Mutter, Alte Oper Frankfurt, 07.06.2024 (eine gemeinsame Veranstaltung der Alten Oper und PRO ARTE)
Public viewing zum Orchesterfest 2024 (Foto: Wonge Bergmann) |
Großes Orchesterfest mit public viewing
Mit einem großen Orchesterfest steuert die Alte Oper, in Gemeinschaftsarbeit mit PRO ARTE Frankfurt, auf das Saisonende 2023/2024 zu.
Dazu haben sie sich nicht allein ein Programm der Extraklasse ausgedacht , sondern mit dem Dallas Symphony Orchestra (DSO), unter der Leitung des Grammy-Preisträgers Fabio Luisi (*1959) und der bereits legendären Violinkünstlerin Anne-Sophie Mutter (*1963), einen Klangkörper von höchstem Niveau eingeladen, der großes Spektakel, aber auch beste musikalische Leckerbissen versprechen sollte.
Sowohl der große Saal der Alten Oper, als auch auch der Platz vor der Alten Oper (das Konzert wurde auf einer großen Leinwand, einer Art public viewing, übertragen) waren mit mehreren tausend Menschen bei sommerlichem Wetter prall gefüllt und die Erwartung konnte man energetisch spüren.
Public viewing zum Orchesterfest 2024 (Foto: Wonge Bergmann) |
Pulsierendes Stadtgeflüster
Das Konzert wurde eingeleitet mit einem gut sechs-minütigen Werk der 1981 in Puerto Rico geborenen und seit ihrer Jugend in New York lebenden Komponistin Angélica Negrón, das sie schlicht What keeps me awake (zu deutsch: Was hält mich wach) nennt. Ein Werk für großes Orchester, das sie 2008, also als junge, noch suchende Frau im pulsierenden New York schrieb.
Als „Latina Composer“ fühlte sich die Stadt, schreibt sie, wie „ein leeres Blatt“ an, das sie durch einen kreativen Prozess langsam füllen musste. Sie habe damals, fährt sie fort, dafür kämpfen müssen, „meine eigene Stimme als Komponistin zu finden“ und für „das Medium eines großen Orchesters“ umzusetzen. Und so lässt sich dieses Stück auch interpretieren.
Wie Morsezeichen und schale Vogelstimmen
Es pulsiert nervös wie Morsezeichen und schale Vogelstimmen. Heftige Repetitionen wechseln durch die Instrumentalgruppen wie Echos. Interessant dabei die Aufstellung des Orchesters. Die Celli und Kontrabässe sind mittig bis links, direkt hinter den ersten Geigen, gesetzt. Vorne steht einsam eine Harfe und die Bläser sitzen in einer Reihe hinter den Streichern (gut 60 an der Zahl), die das Volumen des Orchesters gewaltig dominieren. Das perkussive Element besteht hauptsächlich aus Klangstäben, Xylophon und Glockenspiel bzw. Celesta.
Mechanischer Grundton einer nie schlafenden Stadt
Beeindruckend minimalistisch mit langen Tonteppichen, die immer wieder durch perkussive Klangspiele und Blechbläsereinlagen durchbrochen werden. Ein nervöses Schauspiel, oftmals den mechanischen Grundton einer nie schlafenden Großstadt widerspiegelnd. Ein perfekter Einstieg vor allem für das Outdoor-Publikum, könnte man meinen.
Anne Sophie Mutter, Fabio Luisi und das DSO (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Allein für Anne-Sophie und ihre Geige
Dann der eigentliche Höhepunkt des Festabends. Anne-Sophie Mutter, ganz in schulterfreiem Pink und wallendem Haar, betrat die Bühne und spielte das sehr intime zweite Violinkonzert (2021) ihres Freundes John Williams (*1932), das er ihr quasi auf den Leib zugeschnitten hat: „Für mich geht es in diesem Stück vor allem um Anne Sophie Mutter und um ihre Violine als Meisterwerk der Geigenbaukunst“, bekennt er unumwunden (Sie spielt übrigens eine Lord Dunn-Raven Stradivari). Anne Sophie Mutter sei seine „Inspiration und Antriebskraft“. Und in diesem Sinne sollte man dieses viersätzige Werk auch hören und besprechen.
Bilderreich, atmosphärisch
Es beginnt mit einem Proloque, temporeich mit einer Menge improvisatorischer Passagen der Solistin. Nicht wirklich jazzig, dafür aber synkopisch und mit filmreifen Szenerien gespickt. So glaubt man durchaus eine wenig Star Wars und Indiana Jones herauszuhören.
Dazu muss die Zusammensetzung des Orchesters herausgehoben werden. Das perkussive Element ist extrem herausfordernd mit Marimbaphon, Xylophon und Vibraphon, Glockenspiel und diverse Becken, Trommeln , Tambourins, Ratschen, Holzblöcke, Celesta, Klavier, Harfe etc. All das gestaltet dieses Werk zu einer bilderreichen, filmreifen Atmosphäre. Für die Inspiration und Fantasie eines jeden Einzelnen Hörers ist vollauf gesorgt.
Anne-Sophie Mutter kommuniziert mit nahezu allen Instrumentengruppen. Besonders eindrucksvoll sind ihre Duette mit Pauken, Hörnern und Tuba.
Anne Sophie Mutter, Fabio Luisi und das DSO (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Zwischen Wildheit und Melancholie
In Rounds, dem zweiten Teil, herrschen Gemurmel und kreisende Bewegungen vor. Alles scheint sich um balladeske Lyrik und melodisch schnellen Staccato-Passagen zu drehen, die wie ein Wirbelwind durcheinander geraten. Zwischen Wildheit und elegischer Melancholie schwankt dieser Teil und geht nahtlos in den dritten Abschnitt, das Dactyls, über, der sich als komplexer Dreierhythmus (nach dem antiken dreisilbigen Versfuß: lang-kurz-kurz) darstellt.
Auch hier opernreife Szenerien aus Debussys Pelléas e Mélisande (?) mit allerdings wilden und derben Einlagen. Spannungs- und Energiegeladen vor allem durch die Solistin, aber auch das Orchester explodierte förmlich unter der sehr engagierten Leitung des Dirigenten, Fabio Luisi, der sich, nebenbei bemerkt, prächtig mit der Geigerin verstand.
Fabio Luisi, Anne Sophie Mutter und das DSO (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Hat der Komponist alle Hoffnung aufgegeben?
Dennoch sei nicht verhehlt, dass das Werk insgesamt immer in eine Resignation, ja man könnte auch sagen, in eine Depression verfiel. Nach einem lebendigen Aufflackern folgte immer ein elegisches, pessimistisches Absinken in tiefste Melancholie. So vor allem im Schlusssatz, dem Epiloque.
Hier beginnen zunächst die Celli mit einer melodischen Linie, die von Geige und Harfe übernommen und ausgesponnen werden. Tief traurig reiht sich Seufzermotiv an Seufzermotiv. Man glaubt, der Komponist habe alle Hoffnung aufgegeben (dazu sollte man wissen, das Williams diese Komposition während der Corona-Krise geschrieben hat, unter der der fast 90-Jährige besonders gelitten haben soll).
Zum Weinen schön - Hoffnung
Dann aber der Schluss. Er endet im dreigestrichen Cis (A-Dur für das Orchester), in einer hellen, hoffnungsvollen Tonart. Anne-Sophie Mutter spielt hier selbstredend mit höchster Empathie und Innigkeit. Zum Weinen schön endet das 35-minütige, ungewöhnliche Opus Magnum des großartigen John Williams, der nicht nur Film kann, sondern sich auch in der sogenannten E-Musik einen großen Namen geschaffen hat.
Fabio Luisi, Anne Sophie Mutter und das DSO (Foto: H.boscaiolo) |
Ein Lichtblick in Zeiten der Krise und Kriege
Natürlich sollte eine Zugabe sein. Anne Sophie Mutter wählte dafür aus Williams Indiana Jones Soundtrack Helena´s Theme, ein Lied-Arrangement für Geige und Orchester. Ganz der Williams auf der Stradivari, eine fantastische Mischung aus Broadway- und Country-music mit einer virtuosen und nachdenklichen Improvisation der Meisterin. Anne-Sophie Mutter gehört zum Besten, was die sog. Musikindustrie zurzeit zu bieten hat. Gleichzeitig hat sie ihre Bodenhaftung nie verlassen und ist ein Lichtblick in Zeiten der Krisen und Kriege.
Public viewing zum Orchesterfest 2024 (Foto: H.boscaiolo) |
Eine tönende Autobiographie
Peter Tschaikowskys (1840-1893) Sinfonien sind natürlich bestens geeignet für eine Orchesterfest dieser Größenordnung. Allerdings gehört seine 5. Sinfonie, die er 1888 vollendete, nicht unbedingt zu seiner Geliebten unter den insgesamt sechs, die er zu Lebzeiten schrieb. Sie sei „zu massig, zu unaufrichtig, zu bunt, zu lang, überhaupt wenig ansprechend“. Warum das? Gehört sie doch zu den Beliebtesten bei seinem Publikum, und steht sie doch durchaus in der Tradition der Beethovenschen Sinfonien.
Nein, es ist wohl der Tatsache geschuldet, dass sie sein Seelenleben offenlegt, quasi als tönende Autobiographie dasteht. Und die ist, wie wir wissen, nicht gerade positiv zu bewerten. So zieht sich durch das viersätzige Werk eine Art Schicksalsleitmotivik.
Fabio Luisi und das DSO (Foto: H.boscaiolo) |
Dunkle Schicksalsmacht
Bereits die Introduktion scheint dem dunklen Schicksal alle Macht zu übertragen. Düster und bedrohlich kommt sie daher, wird aber im folgenden Allegro durch "Murren, Zweifel, Klagen und Vorwürfe" in energetischer Manier infrage gestellt.
Hier wechseln 3/4, 6/8, 4/4 und 2/4 Takt ständig miteinander ab und bilden komplexe Rhythmen. Herrliche Phrasierungen des Orchesters unter der dirigistisch-konservativen, aber sehr effektiven Leitung von Fabio Luisi, lassen das immer wieder kehrende Schicksalsmotiv wie zu einer Farce werden, gemäß dem Motto: Was geht es mich an?!
Ein Lichtstrahl?
Bereits der zweite Satz, ein Andante cantabile, scheint einen Lichtstrahl zu werfen. Der Wechsel von e-Moll in G-Dur und die Dominanz von Posaunen, Tuba, Pauken und Trompeten, strahlen pure Hoffnung aus, die aber im abschließenden traurigen Klarinettensolo wieder infrage gestellt wird.
Der dritte Satz, mit Valse – Allegro moderato bezeichnet, besteht aus einem schrägen Walzer-Schritt, vom DSO eher unprätentiös, ohne Verve und Walzerleichtigkeit interpretiert.
Rausch der Schicksalsvergessenheit
Dann das Finale mit ausladendem Maestoso. Hier beginnt das Orchester mit angezogener Handbremse. Dem geforderten Vivace (Lebendig, ausgelassen) scheint man zu misstrauen. Dennoch steigert man sich sukzessive in einen Rausch der Schicksalsvergessenheit. Es stellt sich musikalisch zunehmend die Frage, ob das Schicksal den Menschen, oder der Mensch das Schicksal besiegt.
Das Schicksalsmotiv im martialischen Marschtempo, dick aufgetragen durch Hörner, Posaunen, Trompeten, Tuba und Pauken, scheint irgendwie dann doch die Frage im Sinne des proaktiven Menschen beantwortet zu haben. Aber mit welchen Folgen?
Dallas Symphony Orchestra (Foto: H.boscaiolo) |
Dualität zwischen Trost und Lichtstrahl
Hier scheiden sich die Geister, wie auch die der Musikkritiker und Wissenschaftler. Selbst der Komponist höchstpersönlich hat dieses Dilemma wohl durchschaut, wenn er sein eigens Werk als „misslungen“ bezeichnet.
Insgesamt brilliert allerdings dieses Werk durch die in allen Sätzen angesprochene und ausgearbeitete und entwickelte Leitmotivik (Wagner hätte seine Freude daran gehabt), wirkt aber auch in vielen Partien resignativ und hoffnungslos.
Das DSO verkörperte die Dualität zwischen Trost und Lichtstrahl genial, wenn auch nicht in allen Bereichen überzeugend. Zu nennen wären hier der dritte Satz, der Walzer-Part sowie der Anfang des Finale.
Fabio Luisi und das DSO (Foto: H.boscaiolo) |
Alle Qualitäten bis an die Grenze ausgelotet
Selbstverständlich
musste ein Zugabe sein, und die war spektakulär, nämlich die
Ouvertüre aus Michail Glinkas (1804-1857) Oper Ruslan und
Ljudmila (1842). Ein Hammerstück von gut sechs Minuten, das alle
technischen und musikalischen Qualitäten der Instrumentalisten bis
an die Grenzen auslotet. Hier in rasendem Tempo vorgetragen, wie ein
Befreiungsschlag aus dem anspruchsvollen Programm des Abends.
Großer Beifall und Auf-ein-herzliches-Wiedersehen, denn das Orchester war wohl erstmals in Frankfurt zu Gast.
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