Montag, 20. Mai 2024

Internationale Maifestspiele Wiesbaden, 01. – 31.05.2024

Warschau – New York – Tel Aviv, eine musikalische Revue der jüdischen Diaspora, Staatstheater Wiesbaden, 19.05.2024

v. l.: Boaz Krauzer, Johannes Strasser, Dalia Schaechter,
Kurt Fuhrmann, Andy Miles

Foto: Hyou Vierts


Eine Wilde Revue

Eine wilde Revue sollte es werden. Vier Musiker und eine Sängerin mischten den kleinen vollbesetzten Saal des Staatstheaters Wiesbaden auf und boten für zwei Stunden ein Medley aus Broadway, Glamour, Jiddischen Liedern, ernsten Gesängen und weniger ernstem Klezmer.


Durch Freuden und Leiden der jüdischen Diaspora

Boaz Krauzer am Piano und als Sänger, Andy Miles an Saxophon und Klarinette, Johannes Esser am Kontrabass und Kurt Fuhrmann am Schlagzeug. Dalia Schaechter sollte allerdings das Sahnehäubchen dieser illustren Gesellschaft abgeben. Sie, die 1967 in Israel geborene, und seit 1995 in Köln lebende Opern- und Chanson-Sängerin, war die eigentliche Programmgestalterin dieses Abends. Mit 20 Nummern von bekannten Broadway Größen wie Irving Berlin (1888-1989), George Gershwin (1898-1937), Mordechai Gebirtig (1877-1942) sowie Mordechai Zeira (1905-1968), aber auch von Judy Garland und Aaron Zeitlin führte und sang sie in wunderbarem Mezzo-Timbre durch die Freuden und Leiden der jüdischen Diaspora, zwischen Warschau, New York und Tel Aviv.


v. l.: Boaz Krauzer, Johannes Esser, Dalia Schaechter
(Foto: Hyou Vierts)

Donna, Donna

Gleich zu Beginn mit Donna, Donna von Aaron Zeitlin aus den 1940ern. Ein Ohrwurm, den schon Joan Baez und Donovan in den 1960ern zu Evergreens erhoben haben. Alles auf jiddisch, über ein Kälbchen, das man zur Schlachtbank führt.

Dann bereits ein Hit von Irving Berlin, Heaven, I mean Heaven, besser bekannt als Cheek to Cheek aus dem Jahre 1934/35. Hier bereits konnten sich die Instrumentalisten mit ersten Improvisationen hervorzutun. Auch Dalia Schaechter sang in höchsten Falsetttönen. Einfach nur klasse.


Dalia Schaechter (Foto: Hyou Vierts)

Layla, Layla

Gleich darauf wurde es ernst mit Mordechai Zeiras berühmter Layla, Layla. Eine Hommage an Tel Aviv mit seinen weißen Jugendstil-Fassaden und einladenden Cafés. Ein Lied über das Weggehen dreier Männer, die nicht wieder kommen. Auf Hebräisch mit großer Empathie gesungen. Still in der Nacht folgte, ein Marsch in jiddischer Sprache, eine Anklage auf den Krieg: gezielt-geschossen-getroffen, mit leiderfüllter Klarinette.


Dalia Schaechter (Foto: Hyou Vierts)

Clap Yo´Hands

Mit Clap Yo´Hands von George Gershwin, ein Song aus dem Jahre 1926, eine Halleluja auf das Jubiläum - welches auch immer. Jedenfalls ein Song mit Lust und Laune und zum Mitklatschen. Die folgenden Lieder sind von Zeira und Gebirtig um die 1950er Jahre. Sehr im Crossover mit arabischen und orientalischen Rhythmen und Tonfolgen. Alles wieder auf hebräisch gesungen und von einer Kalebasse rhythmisch unterfüttert.

Irving Berlin, selbst russischer Herkunft und jüdischer Abstammung, beherrschte ein Großteil der Broadway-Music des Abends. Darunter You can have him von 1949 aus dem Musical Miss Liberty, und Sitting in the Sun von 1953, vielfach arrangiert und von Louis Armstrong weltberühmt gemacht.

Mit einem Medley (arrangiert von Boaz Krauzer), einem Duett zwischen Dalia Schaechter und Boaz Krauzer, tiefer Bass contra höchste Höhen, ein Lied gegen den Wind, in jiddischer Sprache und mit viel Improvisation auf dem Saxophon und dem Kontrabass, ging es in die wohlverdiente Pause - vor allem für die gewaltig geforderte Sängerin.


Boaz Krauzer (Foto: Hyou Vierts)

In Memoriam

Der zweite Teil beginnt gleich mit einem Frühlingslied von Mordechai Zeira im galoppierenden Rhythmus, denn die Zeit ist knapp und damit auch das Glück.

Ganz in eigener Sache trägt Krauzer ein eigens für die Ereignisse vom 07. Oktober 2023 komponiertes Lied vor. Mit rauer Stimme und in hebräischer Sprache. Man versteht leider nichts. Aber seiner Gestik und pianistischen, fast grob zu nennenden Begleitung nach, ließ es tief in sein verletztes und erschüttertes Innerstes blicken.


Zwei Rosen

Es folgt von Irving Berlin der Heat Wave Song aus dem Jahre 1933, aus dem Musical As thausends Cheer. Ein starker Vortrag, sehr tänzerisch mit viel Hüftschwung. Dann zurück zum Ernst mit Mordechai Zeiras Zwei Rosen. Eine Liebe, die leider kein Happy End erfährt. Denn eine der Rosen wird gepflückt und die andere trauert ihr Leben lang um sie

Nach zwei zutiefst elegischen Liedern, ein Wiegenlied von Mordechai Gebirtig und ein trauriger Blues im Duett Gesang von Bass und Mezzo, kommt wieder Leben in die Bude.


v. l.: Boaz Krauzer, Johannes Esser, Dalia Schaechter,
Kurt Fuhrmann, Andy Miles

Foto: H.boscaiolo

S´brennt

Zunächst s´brennt, ein Song im Klezmer Sound von Gebirtig aus dem Jahre 1942, hier anklagend und wütend, dann ein echter Klezmer Mir gehört die ganze Welt. Ein Ragtime mit flotten rhythmischen Wechseln und sehr überzeugendem Vortrag der Sängerin.

Den Abschluss bildete der New Yorker Broadway mit Gershwins Someone to watch over me von 1926 (?) und Berlins The Song is ended (1917).


Aneinanderreihung von Liedern und Songs

Tatsächlich ein wilder Revue-Abend. Leider wurden die Songs nur unzureichend angesagt, viel auf hebräisch und jiddisch gesungen, was einige Erklärungen und Erläuterung gebraucht hätte. Auch schienen die 20 Songs, Lieder und Couplets nicht wirklich sortiert zu sein. Ein Handlungsprozess oder gar eine narrative Linie waren jedenfalls nicht zu erkennen.


v. l.: Boaz Krauzer, Dalia Schaechter, Johannes Esser,
Kurt Fuhrmann, Andy Miles

Foto: H.boscaiolo

Auf der Bühne beste Harmonie

Dennoch war es eine Lust, dem Quintett zuzuschauen und zuzuhören. Alle sind ausgemachte Spezialisten, die entweder im WDR-Orchester Köln spielen, wie Andy Miles und Johannes Esser, oder an der Musik-Hochschule in Köln unterrichten, wie Kurt Fuhrmann. Dalia Schaechter kommt bekanntlich von der Opernbühne. Ihr Mezzosopran ist nicht allein von großem Umfang und heller Strahlkraft, sondern sie zeichnet sich ebenfalls als Person durch ausdrucksstarke Gestik und sprachliche Variabilität aus. Sie sang allein in vier Sprachen, und alle davon beherrschte sie perfekt. Sie war schlichtweg der Hingucker auf der Bühne.

Nicht zuletzt der Pianist Boaz Krauzer. Er lebt in Tel Aviv, ist Arrangeur und Komponist, und in seiner Heimat Israel wohl ziemlich bekannt. Hier weniger. Sein Spiel ist rau und sehr akzentuiert, ja perkussiv. Sein Gesang, ein tiefer Bass, passt bestens in das Genre von Broadway, Couplet und Klezmer. Wunderbar seine Duette mit Dalia Schaechter, mit der er sich augenscheinlich auch neben der Bühne blendend versteht. Ein Quintett also, das unterschiedlicher kaum sein kann, dafür aber auf der Bühne bestens harmoniert. 


v. l.: Boaz Krauzer, Dalia Schaechter, Johannes Esser,
Kurt Fuhrmann, Andy Miles

Foto: H.boscaiolo

Ja, der Regenbogen

Der frenetische Beifall machte noch ein Zugabe nötig. Someway over the Rainbow sollte es sein. Ein Song von Harold Arlen und E. Y. Harburg, den Judy Garland 1939 im Film Der Zauberer von Oz weltberühmt machte. Zeitlos und noch heute gefühlt, als ob er erst gestern komponiert worden sei. Nebenbei bemerkt hat Irving Berlin den Dauerbrenner in White Christmas verarbeitet und ihn im 2. Weltkrieg zum Symbol der amerikanischen Truppen in Europa gemacht.

Alles in allem ein lohnender und unterhaltsamer Streifzug durch die jüdische Diaspora.









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