Sonntag, 5. Mai 2024

Internationale Maifestspiele Wiesbaden, 01.05 – 31.05. 2024

Paganini – Der Pakt mit dem Teufel, musikalisches „Kabarett“ mit Chris Pichler, Benjamin Herzl (Geige) und Ingmar Lazar (Klavier). Foyer des Staatstheaters Wiesbaden, 04.05.2024

Chris Pichler (Foto: Website)

Leben und Leiden eines Aus der Zeit Gefallenen

Wer kennt sie nicht, die Geschichten um den berühmt berüchtigten Geigenvirtuosen Niccolò Paganini (1782-1840), das Geigenwunder, bei dessen Auftritten die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen, die Männer fassungslos nach den Gründen seiner Spieltechnik forschten und nur zu dem einen Ergebnis kommen konnten: „Er ist einen Pakt mit dem Teufel eingegangen!“ Reihenweise Gerüchte, aber auch unglaubliche Berichte über sein tatsächliches Leben und Leiden.


 „Die Welt will getäuscht werden“

Wer könnte Paganinis Teufelspakt nicht besser auf die Bühne bringen als Chris Pichler (*1969), die österreichische Allrounderin – Schauspielerin, Texterin, Sprecherin, Kabarettistin, Sängerin, Parodistin und Komödiantin in einer Person. Sie gehört mittlerweile zum Inventar der Wiesbadener Maifestspiele. Man erinnert sich noch lebhaft an ihr kongeniales Rezital im vergangenen Jahr zu Thomas Manns Felix Krull unter dem Titel: „Die Welt will getäuscht werden.“ Ein Vergleich mit Paganini ist hier durchaus berechtigt.

Benjamin Herzl (Foto: Andrej Grilc)

Dieses Mal Niccolò Paganini. Und das mit einem „Paganini“ der Jetztzeit, Benjamin Herzl (*1994), blutjung, im Gegensatz zu seinem Meister attraktiv, und alles andere als exzentrisch. Er betrat die Bühne des brechend vollbesetzten Foyers und spielte aus Guiseppe Tartinis (1692-1770) berühmter Teufelstriller-Sonate (1730) das Eingangs Larghetto. Diese vierteilige Sonate (wir hören sie im weiteren Verlauf der Vorstellung vollständig) ist das Ergebnis eines Traums und – eines Pakts mit dem Teufel. Ein damals kaum zu bewältigendes Violinsolo von „erlesener Schönheit“ (Tartini), das später sogar die Filmwelt eroberte. Nämlich 1946 unter dem Titel „Paganini“ von Bernard Knowles, mit dem Schauspieler Steward Granger als Paganini und Yehudi Menuhin, der die Teufelstriller Sonate spielt.

 

Ein Trio infernale

Geschickt aufgeteilt war dieses „Kabarett“ in sieben Rezitals und neun musikalische Einlagen. An dieser Stelle sei noch der aus Frankreich stammende Pianist Ingmar Lazar (*1993) eingeführt, der zunächst die Rolle des Basso Continuo (Tartinis Allegro Energico sowie das Grave und das Allegro Assai aus der Teufelstriller Sonate) übernahm, dann aber sein Klasse mit Franz Liszts berühmter Campanella Bearbeitung eines Themas von Paganini unter Beweis stellte. Dieses Duo, stellte sich bald heraus, war mindestens so herausragend wie Chris Pichler höchstselbst. Ein Trio infernale im besten Sinne.

Pichler erzählte, deklamierte, spielte, kritisierte, parodierte, politisierte, und lebte förmlich die Person ihres Begehrens.

Ingmar Lazar (Foto: Bechstein Galerie)

56 Jahre Gezerre und Geldmacherei

„Niccolò Paganini ist tot!“ rief sie von der Empore des Rokoko Saals und erzählte, das Publikum einbeziehend, die unglaublichen Vorgänge, die seinen Tod am 27. Mai 1840 in Nizza begleiteten. Die Kirche verweigerte das Begräbnis, sein Leichnam wurde vom damaligen Bürgermeister Gigi Cessone (?) gekidnappt und gegen Bezahlung ausgestellt, seine Überstellung in seine Heimatstadt Genua verhindert, sein Sohn Achille, der Alleinerbe, von der kirchlichen Leitung in Parma bestochen, die Leiche zunächst in ungeweihte Erde vergraben. Das ganze unwürdige Prozedere dauerte 36 Jahre, bis man Paganini in geweihte Erde verbrachte (die Kirche verdiente daran prächtig). Weitere 20 Jahre später, im Jahre 1896, konnten Paganinis Überreste dann endgültig unter Pomp und feierlichen Circumstances ihre letzte Ruhe finden. Man kann heute sein üppiges Grabmal in Parma bewundern.

 

Die Kindheit und Jugend des Außenseiter-Virtuosen

Pichler muss man erleben. Über sie zu schreiben kann nur das Geringste dessen wiedergeben, was sie tatsächlich auf der Bühne vollbringt. So mimt und spielt sie seine Kindheit, den gescheiterten Violinunterricht, seine autodidaktischen Fähigkeiten (sein Vorbild war Guiseppe Tartini), geißelt die Geldgier und Gefühlskälte der Eltern, würdigt die Erfolge in Lucca, ironisiert die Förderung durch die Fürstin Elisa Baciocchi (1777-1820), eine Schwester Napoleons, die ihn vermutlich vernascht, aber während seines Spiels ständig in Ohnmacht fällt (ebenso Pichler, natürlich spielerisch).

Dazwischen musikalische Petitessen, vor allem aus Paganinis 24 Capricci (1733 veröffentlicht), die er zwischen 1802 und 1817 in Gruppen und zu Studienzwecken geschrieben hat: die Nummern 5, 20 und 23. Benjamin Herzl ein Meister seines Fachs, stand in keiner Weise im Schatten Paganinis, allerdings fällt heute niemand mehr in Ohnmacht, oder vermutet einen Pakt mit dem Teufel.

Benjamin Herzl im Foyer des Staatstheaters Wiesbaden
 (Foto: H.boscaiolo)

Trotz Erfolg – Die Gerüchteküche brodelt

Dieses Gerücht allerdings macht Schule. Paganini gerät in Verdacht, einen Mord begangen zu haben (pure Behauptung). Auch soll er junge Mädchen entführt und geschwängert haben. Er gerät mit seinen Eltern in Streit, wegen seines Single Daseins, führt einen siebenjährigen Prozess gegen seinen Vater. Dabei geht es um seinen unehelichen Sohn Achille. Aber auch Positives gibt es zu vermelden: In Livorno bekommt er von einem reichen Adeligen eine Guarneri Geige geschenkt. Seine Erfolge sind grenzenlos. Reich wird er und kann sich im Jahre 1812 sogar die Miete der Mailänder Scala für ein eigenes Konzert leisten.

Aber, seine Gestalt gibt Rätsel auf. Er kränkelt, scheint dürrer als sein Instrument, hustet extrem (vermutlich hat er sich die Syphilis eingefangen) und die Gerüchteküche nimmt parallel dazu ungeahnte Ausmaße an. So vermutet man gar, die Saiten seiner Geige bestünden aus den Gedärmen seiner ermordeten Jungfrauen.

Chris Pichler im Foyer des Staatstheaters Wiesbaden
(Foto: H.boscaiolo)

Schubert wie Paganini

Dazwischen Musik von Franz Liszt (die Campanella) und Franz Schubert. Von ihm das Rondeau brillante h-Moll op.70 D 895 (1826). Ein absoluter Knüller des Programms, denn hier hörte man einen Schubert, der viel Spezielles von Paganini enthielt, höchst virtuos und spektakulär konzipiert. Fünfzehn Minuten romantische Ausnahmekunst auf Geige und Klavier. Ein Duo, das auf allen Ebenen der Technik wie der musikalischen Ausformung bestens harmonierte.

Ingmar Lazar, Benjamin Herzl im Foyer des
Staatstheaters Wiesbaden
 (Foto: H.boscaiolo)

Konzertreisen durch Europa

Höhepunkte der Karriere auch bei Paganini. Ab 1810 bereiste er die halbe europäische Welt. Zunächst seine Heimat von Turin bis Palermo, dann Wien (Schubert hat ihn wohl erlebt und ihn zum Vorbild seines Rondeaus brillante genommen), Prag, Karlsbad, Paris. 73 Auftritte in Deutschland, darunter Frankfurt (dort bezog er eine Wohnung und trat zwischen 1829 und 1831 viel Male auf), Wiesbaden und Darmstadt. Auch Polen, Belgien und England besuchte er. Tourneen waren außerdem geplant für Russland und die USA.

 

Aufstieg und Fall 

Aufstieg und Fall gehören bei Paganini zur Lebenskurve. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere folgt der jähe Fall. Sein Gesundheitszustand (mittlerweile leidet er auch an Kehlkopftuberkulose) lässt ihn als lebende Leiche erscheinen. Seine Statur war eh außergewöhnlich (man unterstellt ihm das erbliche Marfan-Syndrom, eine Bindegewebskrankheit, die zur Überdehnung der Gelenke führt) und seine Konzerte verbreiteten eher Schrecken und Abscheu. So ist Heinrich Heine von „grauenhaftem Mitleid befallen“, als er den „Vampir der Violine“ in Paris erleben musste. Als „Geselle des Satans“ wird er tituliert. Seine Musik sei voller „schmerzlich blutender Töne“. Auch die Frage stellte man sich, ob seine Füße gespalten seien. Paganini spuckt Blut (in Szene gesetzt von Pichler) und findet sich selbst hässlich.

In England kommt es zu beispielloser Raserei. Hier unterstellt man ihm ein weiters Mal die Entführung einer Jungfrau (das dritte Mal in seinem Leben). Das Blatt wendet sich. „Als Künstler ist er für uns tot“, meldet man in den Gazetten. Paganini erkrankt unheilbar. Seinem Sohn Achille krächzt er noch ins Ohr (er kann nicht mehr sprechen) „ich löse mich auf“, um dann das Zeitliche zu segnen.

Ingmar Lazar, Benjamin Herzl, Chris Pichler
im Foyer des Staatstheaters Wiesbaden
(Foto: H.boscaiolo)

Zwischen Äußerlichkeit und Innerlichkeit

Aufstieg und Fall eines Menschen, dem die gesellschaftlichen und körperlichen Umstände einen Streich spielten, der aber mit einem musikalischen Talent beseelt war, das nicht allein die Menschen seiner Zeit bewegte, sondern bis heute seinen, wenn auch zweifelhaften Ruf, fortsetzt. Wer kennt ihn nicht, den Paganini, der mit dem Teufel paktiert.

Ein Cantabile in D-Dur op.17, eine wunderbare Arie für Geige und Klavier (ursprünglich für Gitarre) im Belcanto Stil, versöhnte denn auch mit der Person Paganinis zum Abschluss des mehr als kurzweiligen fast zweieinhalbstündigen musikalischen „Kabaretts“ im Staatstheater Wiesbaden: witzig, politisch und parodistisch. Hier hörte man seine romantische, liebenswürdige, ja menschliche Seite heraus. Ein herrliches Lied, das auch von Gaetano Donizetti (1797-1848) hätte stammen können. 

Ein Nachmittag mit Chris Pichler, Benjamin Herzl und Ingmar Lazar von bester Qualität und ein Highlight der Maifestspiele.

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