37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024
Finale der Cuban-European Youth Academy 2024, musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock, Klavier: Steward Goodyear, Kurhaus Wiesbaden, 11.07.2024
Thomas Hengelbrock, Cuban-European Youth Academy 2024 (Foto: Ansgar Klostermann) |
10 Jahre Transatlantischer Kulturaustausch
Große Begeisterung herrschte im vollbesetzten Kurhaus Wiesbaden bereits beim Einzug der jungen, buntgemischten Orchestermitglieder der Cuban-European Youth Academy 2024 (CuE). Fast 80 junge Musikerinnen und Musiker aus Kuba und verschiedenen europäischen Ländern, die ihr 10-jähriges Jubiläum exklusiv im Rahmen des Rheingau Musik Festivals (RMF) feiern (denn in diesem Jahr gibt es keine Tournee) und das mit ihrem Schöpfer und Gönner, Thomas Hengelbrock (*1958). Er nämlich gründete im Jahre 2014 gemeinsam mit den Balthasar-Neumann-Ensembles (bestehend aus Orchester, Chor und Kammermusikensembles) dieses einmalige Projekt zum Zwecke des transatlantischen Kulturaustauschs und der Jugendförderung zwischen Kuba und Europa.
Unterstützt wird dieses Projekt zudem vom RMF, auf dem in unterschiedlichen Formationen diese Cuban-European Youth Academy seit 2015 regelmäßig auftritt. Mit außergewöhnlichen Programmen und selbstverständlich wechselnden Akteuren.
Statt Uraufführung eine komödiantische Ouvertüre
Der Geschäftsführer des RMF, Marsilius Graf von Ingelheim, wies in einer kurzen Eingangsrede darauf hin, dass dieses Orchester gerade einmal zwei Wochen lang im Wiesbadener Stadtteil Naurod proben konnte und dabei ein Programm von außergewöhnlicher Vielfalt erarbeitete. Leider konnte die geplante Uraufführung der auf dem RMF bereits bekannten Kubanischen Komponistin und Violinistin, Jenny Peňa Campo (*1983), aus unbekannten Grünen nicht stattfinden und wurde, wohl kurzfristig, durch die Ouvertüre zu Shakespeares Komödie „ As you like it“ (Wie es dir gefällt) op. 28 (1876) des amerikanischen Komponisten John Knowles Paine (1839-1906) ersetzt.
Thomas Hengelbrock, Cuban-European Youth Academy 2024 (Foto: Ansgar Klostermann) |
Neue Wege der Musik
Eine gute Wahl. Denn Knowles gehört nicht nur zu den ersten US-Amerikanern, die eine eigenständige Sinfonie produzierten (seine 1. Sinfonie von 1876 gehört zu den Meilensteinen der Entwicklung der amerikanischen Musik), wenngleich noch mit starken Bezügen zu Brahms, Beethoven, Mendelssohn-Bartholdy und Schumann (immerhin studierte der Harvard-Dozent zeitweise in Berlin), sondern er inspirierte auch seine Musikergeneration zu eigenständiger Kompositionsarbeit, fern ab von den europäischen Vorbildern.
Üppig und variantenreich
Die Ouvertüre Wie es euch gefällt ist Paines zweites Orchesterwerk. Ähnlich wie Mendelssohn-Bartholdys Ouvertüre zu seinem Sommernachtstraum ist es kein Werk für eine Bühnenproduktion, sondern vielmehr gedacht als komödiantisches Spiel mit den Geistern aus Shakespeares „Der Sturm“-Novelle und seiner Komödie „A Midsummer Night Dream“.
Ein 12-minütiges Werk, gefällig, mit einführender Klarinettenmelodie im dreiviertel Takt, von einem flotten Allegro in Sonatenform gefolgt, üppig und variantenreich orchestriert, und von einer triumphalen Stretta beendet. Das Orchester sprühte vor Engagement und der Dirigent brauchte wenig Gestus, um die Akteure anzufeuern, denn sie brannten von selbst lichterloh.
Steward Goodyear (Foto: Rob Latour/Shutterstock/) |
Neue – Musik – Geschichte
George Gershwin (1898-1937), der beste Ideenverwerter von Paine, setzte mit seiner jazzigen Rhapsodie in Blue, uraufgeführt im Februar 1924 in New York, unter der kritischen Beobachtung der bekanntesten und besten Komponisten seiner Zeit, darunter Igor Strawinsky, Sergej Rachmaninow, Ernest Bloch und Fritz Kreisler, tatsächlich ganz neue - für die USA, wie den gesamten amerikanischen Kontinent - musikalische Maßstäbe. Der Jazz hielt Einzug in die Konzerthäuser, der Sound der schwarzen Bevölkerung wurde durch Gershwin hoffähig. Seine Musik galt und gilt bis heute als integraler Bestandteil der amerikanischen Musikgeschichte.
Wenig Jazz - viel Mechanik
Am Flügel im Kurhaus Wiesbaden saß der mit allerlei Auszeichnungen geschmückte Amerikaner Steward Goodyear (*1978).
Seine Interpretation, nach einem leider missglückten Klarinettenauftakt, geriet allerdings wenig jazzig, von Blues oder gar Blue Note-Klangfarbe konnte keine Rede sein. Ziemlich fehlerhaft und unsauber zu Anfang, spielte er wie ein Maschine, leblos, mechanisch, dafür ungeheuer schnell. Vieles glich Hammerschlägen auf den Tastatur und etüdenhafter Bewältigung der Partitur.
Das Orchester, das eigentlich auf Swing eingestellt schien, konnte da wenig Abhilfe schaffen, denn die Schnelligkeit des Solisten ließ ihm weder Luft zum Atmen, noch Zeit zum Tanzen. Hengelbrock konnte da leider auch keine Abhilfe schaffen, denn der Pianist spielte ohne Dialog mit dem Dirigenten und ohne Kontakt zum Orchester.
Steward Goodyear (Foto: CBC-Music) |
Kein Blues – kein Swing
Die berühmt berüchtigte Kadenz zum Ende der Rhapsodie gelang ihm zwar akrobatisch und konnte in der abschließenden Coda vom Orchester Tutti noch einmal in zumindest dramatische Bahnen gelenkt werden, aber, und das bleibt festzuhalten: Diese Interpretation hatte wenig mit der Rhapsodie in Blue zu tun. Leider, leider.
Seine Zugabe bestätigte lediglich seinen Hang zum Mechanischen, ja Stählernen. Er bot ein selbst produziertes Potpourri, genannt Panorama, durch die Broadway-Songs der Zwanziger und Dreißiger an, aber dermaßen hart, laut und ohne Seele, dass man alsbald die Ohren dicht machen wollte, was bekanntlich ja nicht möglich ist. Schade, schade! So aber persönlich erlebt und empfunden.
Das Publikum allerdings tobte und war offensichtlich begeistert von dieser Vorstellung. Und wie immer: Es hat wohl recht.
Nationaler amerikanischer Stil - tschechische Musik
Nach einer ausgiebigen Pause dann Antonin Dvořáks (1841-1904) Sinfonie Nr. 9 c-Moll op.95 mit dem Beinamen „Aus der Neuen Welt“ (1893). Bekanntlich hielt sich Dvořák von 1892 bis 1895 in Amerika auf. Er war bereits weltbekannt und sollte mit seinem Aufenthalt an der New Yorker National Conservatory of Music of America die amerikanischen Komponisten inspirieren und der amerikanischen Musik einen nationalen Stil-Charakter und der amerikanischen Folklore einen musikalischen Stand in der ernsten Musik verschaffen.
Heraus kam seine Neunte Sinfonie (zu seinen Lebzeiten noch als 5. Sinfonie bekannt), seine beste und erfolgreichste, aber auch seine böhmischste. Er selbst meint später zu ihr: „Das ist und bleibt immer tschechische Musik.“
Thomas Hengelbrock, Cuban-European Youth Academy 2024 (Foto: Ansgar Klostermann) |
Meistgespielte Sinfonie weltweit
Dennoch kann man sie auch als amerikanischen Sound verstehen, denn Dvořák studierte sorgfältig die indianischen und afroamerikanischen Lieder und Gesänge, baute sie auch teilweise in seine Komposition ein (vor allem im Largo des 2. Satzes und im Scherzo des 3. Satzes), aber der Duktus blieb typisch für die böhmische Folklore und vor allem für den europäischen Musikgeschmack.
Die Neunte, in vier Sätze aufgeteilte Sinfonie (Adagio-Allegro, Largo, Scherzo, Allegro con fuoco) begann ihren Triumphzug seit ihrer Uraufführung und gehört seitdem zum bekanntesten Werk Dvořáks wie auch zur meistgespielten Sinfonie weltweit.
Ekstase – Urgewalt – Innigkeit
Das CuE konnte zunächst die wehmütige Einleitung des Kopfsatzes nicht recht wiedergeben, geriet aber im abrupt einsetzenden Allegro förmlich in Ekstase. Man wollte leben, sich ausleben. Das gelang auf der ganzen Linie und endete mit Urgewalt in der abschließenden Coda. Das Largo des zweiten Satzes, ein bewegender Trauergesang, wurde hauptsächlich von einer Englisch-Hornistin getragen, die ihren Part zwischen Vogelgezwitscher und Totenklage mit romantischer Innigkeit überzeugend interpretierte.
Anregende Mischung aus westöstlichem Diwan
Dann das Scherzo des dritten Satzes. Es soll einen Festtanz der Indianer zur Hochzeit Hiawathas imitieren oder zumindest darstellen. Das folgende Trio allerdings wechselt gleich wieder in tiefe Lyrik im Stile eines Menuetts der alten Welt. Man könnte auch von einer Walzermelodie sprechen. Ein Mix also aus westöstlicher (Amerika-Europa)-Diwan Atmosphäre. Jedenfalls eine anregende Mischung, die allerdings mit der Wiederaufnahme des Hauptthemas des ersten Satzes endet.
Das Finale, ein feuriges Allegro beginnt mit einer Fanfare aus der Neuen Welt. Ein Ruf der Hörner, Posaunen und Trompeten mit Pauken und Becken. Gewaltig, in einem Marschrhythmus. Dann dringt die Sehnsucht nach dem Vaterland durch. Ein Wettstreit der Gefühle durchzieht diesen Satz. Hier werden noch einmal alle Instrumentengruppen gefordert - bis zum triumphalen Höhepunkt. Aber nein. Ein letztes Innehalten und statt eines gewaltigen Schlussakkords halten die Blechbläser den Ton und verklingen langsam.
Thomas Hengelbrock, Cuban-European Youth Academy 2024 (Foto: Ansgar Klostermann) |
Zu viel Zügel – zu wenig Spontaneität
Ein insgesamt gelungener Vortrag des Orchesters, wenngleich Hengelbrock irgendwie die Zügel immer fest in der Hand zu halten schien und das Orchester nicht aus der Haut konnte. Die vielen kleinen Fehler der einzelnen Instrumente, die nicht immer gelungenen Einsätze, vor allem auch die mäßige und gehemmte Dynamik, wiesen darauf hin, dass man noch nicht so recht auf der Höhe der Beherrschung des musikalischen Materials war. Hengelbrock hatte zumindest auch seinen Anteil daran.
Kuba lebt
Man sann auf zwei Zugaben aus der Neuen Welt, oder besser aus der Kubanischen Welt.
Mit Bongo, Woodblock und Snare führte man in den kubanischen Rumba, Salsa, Mambo und Son ein und spielte von Jenny Peňa Campo das Conga aus ihrer Cuban Suite – ein Stück, das bereits 2017 auf dem RMF mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Hier kam die ganze Jugend der Musiker zum Vorschein. Endlich konnte sie frei atmen, ja man könnte es positiv so formulieren: die Musikerinnen und Musiker flippten regelrecht aus. Die Kontrabässe tanzten, die Streicher swingten auf ihren Stühlen und die Bläser schwangen ihre Geräte von rechts nach links. Der einzige, der dabei nicht so recht mitmachen konnte oder wollte, war Hengelbrock. Hier hätte er selbst mal loslassen sollen. Aber das passt wohl nicht zu seinem Charakter und Gestus.
Thomas Hengelbrock, Cuban-European Youth Academy 2024 (Foto: H.boscaiolo) |
Dem Publikum gefiel es. Alles stand, klatschte und johlte begeistert. Ein Abend, der wohl einmalig in die Geschichte des RMF eingehen wird. Denn das Orchester wird sich jetzt schon aufgelöst haben und alle Protagonisten befinden sich möglicherweise bereits auf der Fahrt in ihre Heimatländer. Ein Jubiläum zwar mit Haken und Ösen, dafür aber mit viel Herzblut und jugendlichem Sturm und Drang.
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