37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024
„Messa di Gloria“, Giacomo Puccini (1848-1924) und Requiem op.48, Gabriel Fauré (1845-1924), Kloster Eberbach, 26.07.2024
Staatsphilharmonie Nürnberg, Windsbacher Knabenchor (Foto: Ansgar Klostermann) |
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Beide Komponisten starben im gleichen Jahr, nämlich 1924, beide machten sich einen Namen als gelernte Kirchenmusiker und Orgelinterpreten und dennoch gingen beide gänzlich unterschiedliche Wege in ihrem beruflichen und musikalischen Leben. Während Giacomo Puccini (1848-1924) sehr bald die Oper entdeckte und darin seine Berufung fand, blieb Gabriel Fauré (1845-1924) im Wesentlichen seinem Metier treu und machte Karriere als Organist und Chorleiter. Schließlich erwarb er die Professur am Pariser Konservatorium und wurde im Jahre 1905 ihr Direktor.
Freude, Hoffnung, Triumph?
Interessant zu bemerken, dass dieser außergewöhnliche thematische Abend in der Basilika des Klosters Eberbach nicht allein dem Gedenken dieser beiden Komponisten galt, sondern gleichzeitig die Eröffnungsfeierlichkeiten der 33. Olympischen Sommerspiele in Paris stattfanden. Freude, Hoffnung, Triumph – nein, eher Glaube, Liebe, Hoffnung lagen sozusagen in der Luft der vollbesetzten Basilika.
Etwa 30 Mitglieder der Nürnberger Staatsphilharmonie und 95 Sänger des Windsbacher Knabenchors besetzten die Bühne in der Apsis des Kirchenraums. Dazu gesellten sich die Gesangsolisten Tobias Berndt (Bariton), Florian Sievers (Tenor) sowie Elisabeth Breuer (Sopran). Die musikalische Leitung übernahm der umtriebige Chorleiter, Komponist und Gründer des Calmus Ensembles, Ludwig Böhme.
Staatsphilharmonie Nürnberg, Windsbacher Knabenchor, vorne: Ludwig Böhme (Foto: Ansgar Klostermann) |
Eigentlich hat Puccini seine Messe schlicht „für vierstimmiges Orchester und Chor mit Tenor und Bariton“ genannt. Es sollte seine Diplomarbeit am Musik-Institut Luigi Boccherini in Lucca sein, die aber wegen ihres Melodienreichtums und sinfonischer Form großes Lob erfuhr, im Jahre 1880 erstmals öffentlich aufgeführt werden durfte, aber danach gut 70 Jahre in der Schublade verschwand.
Puccini allerdings benutzte Teile dieser Messe für einige seiner Opern (am bekanntesten wohl das Agnus Dei in seiner Manon Lescaut) und erst nach einer vermeintlichen Wiederentdeckung vom Publizisten und Priester, Dante Del Fiorentino (1889-1969), im Jahre 1951 – er schrieb an einer Biographie über Puccini und glaubte, die Originalpartitur der Messe, die ihn begeisterte, gefunden zu haben. Sie befand sich allerdings im Besitz der Familie Puccinis – wurde sie unter dem Namen Messa di Gloria im Jahre 1952 erstmals wieder in Chicago wie auch in Neapel aufgeführt, und behielt bis heute diese Bezeichnung bei.
Windsbacher Knabenchor, vorne: Staatsphilharmonie Nürnberg, Ludwig Böhme (Foto: Ansgar Klostermann) |
„Eine Oper im Kirchengewand“
Zu recht wie ich meine, denn sie ist zweifelsfrei eine „Oper im Kirchengewand“, wie sie der britische Musikkritiker Mosco Carner (1904-1985) betitelte.
Gleich zu Beginn eröffnet das Kyrie mit einer melodischen Streicherpassage das knapp 45 minütige Werk von insgesamt sechs Abschnitten, entsprechend der liturgischen Abfolge des Gottesdienstes. Hervorzuheben sind dabei das Gloria in excelsis Deo, ein sinfonischer Leckerbissen von mitreißendem Schwung in hellem C-Dur. Dazwischen die Soloeinlage des Tenors Florian Sievers. Eine Danksagung an die Herrlichkeit Gottes. Ein wenig dick aufgetragen zwar, aber in der halligen Basilika ein hymnisches Intermezzo.
Wunderschön die Soprane der Jungen und die Baritone der etwas älteren Semester, die die Schlusssequenz Cum Sancto Spirito bis zum ausgedehnten Amen in Form einer Doppelfuge im Fortissimo und Prestissimo brillant zu Ende bringen.
vorne v. l.: Ludwig Böhme, Tobias Berndt, Florian Sievers, Elisabeth Breuer (Foto: H.boscaiolo) |
Glaube an die eine katholische Kirche
Das folgende Credo wiederum zeigt im Moll-Unisono des vierstimmigen Chores eine gewisse Ernsthaftigkeit, die vom Tenor Solo mit Chorbegleitung a cappella eine neue dramatische Note erfährt und, mit dem Einsatz des Baritons, Tobias Berndt, Crucifixus etiam pro nobis, in neue Gefilde aufsteigt. Dramatik pur möchte man meinen. Ein Opernspiel? Eher ein Mysterienspiel auf der Bühne.
Das abschließende Bekenntnis zur „una sanctam catholicam et apostolica ecclesiam“ lässt noch einmal das bedingungslose Glaubensbekenntnis Puccinis in Form einer rezitativischen Form zum Abschluss kommen.
Kinderlied oder Opernarie
Das dreimalige Sanctus, gefolgt vom Benedictus, geteilt mit Bariton Solo und Chor, sind sehr kurz gehalten, werden dominiert von den hellen Stimmen des Chores (Tenor und Sopran) und der Streicher (erste und zweite Geige), um dann ins Agnus Dei überzugehen.
Ein helles C-Dur lässt eine schlichte Melodie heraushören, die sich langsam steigert, um in eine Art Antiphon überzugehen, ein Wechselgesang von a-Moll nach e-Moll zwischen Chor und den beiden Solisten.
Das abschließende Dona nobis pacem mit pendelnder Begleitung des Orchesters lässt das kaum zweieinhalbminütige „Kinderlied“ langsam und sanft ausklingen.
vorne v. l.: Ludwig Böhme, Tobias Berndt, Florian Sievers, Elisabeth Breuer (Foto: Ansgar Klostermann) |
Zu dick, zu breiig
Das Publikum ist leicht irritiert. Erst als der Dirigent den Stab ablegt, gibt es Beifall, der sich allerdings in Grenzen hält. Ein wunderbares Werk konnte sich leider in der halligen Basilika nicht so recht entfalten. Zu laut, zu undifferenziert, zu wenig abgestimmt. Auch ein Mangel des Dirigats, möchte man meinen.
Viele wichtige Stellen gingen einfach im ewigen Echo der Halle unter oder bildeten einen undurchsichtigen Klangsalat. Dennoch, der Chor war ein Gedicht, seine Stimmen einfach himmlisch. Die beiden Solisten hatten wenig Einsatz, kamen aber in der allgemeinen Lautstärke nicht recht zum Zuge. Vor allem der Tenor Florian Sievers hatte damit so seine Probleme.
Mitte: Tobias Berndt, Staatsphilharmonie Nürnberg, Windsbacher Knabenchor, (Foto: Ansgar Klostermann) |
Die letzte Fassung von 1900
Das sollte sich nach der Pause allerdings grundlegend ändern. Gabriel Faurés Requiem für Chor, Orchester und Orgel, Sopran und Bariton op. 48 (1887/1900) ist bestimmt keine leichte Kost und alles andere als ein sinfonisches, opernaffines Glaubensbekenntnis. Ebenso gehört dieses Werk bereits zu seinen ausgereiften, er war 42 Jahre alt als er es schrieb, obgleich er es mehrere Male umgeschrieben hat. Die ursprüngliche Fassung war lediglich für 30 Sänger und kleines Ensemble geschrieben. Später erweiterte er sukzessive die Besetzungen und Instrumentierungen.
Die heutige in der Basilika aufgeführte Fassung von 1900 war für die Pariser Weltausstellung gedacht und wurde auch zu seinem Begräbnis gespielt. In dieser Fassung sind Blechbläser einbezogen, wie auch das Orchester und der Chor mehr als verdoppelt. Diese Version fand vor mehr als 5.000 Zuschauern statt und soll mit "großer Sympathie aufgenommen" worden sein.
Verzweifeltes Beschwören
Das siebenteilige Werk beginnt mit einer Introduktion und einem Kyrie. Auffallend: Gleich zu Anfang ist die gute Abstimmung von Chor, den Sopranen und Tenören mit dem Orchester, Orgel, Harfe und Bläser herauszuhören. Ein herrliches d-Moll zieht sich im Largo durch den gesamten Eingangsteil und geht nach dem Kyrie eleison quasi unvermittelt ins Offertorium über.
Hier herrschen die tiefen Streicher, die Celli, Bratschen und Kontrabässe vor. Ein verzweifeltes Beschwören, der vom Solo Bariton aufgenommen, in einen dreiviertel Takt wechselt, aber im h-Moll verbleibt. Erst am Schluss wandelt sich Rhythmus und Tonart in H-Dur und endet in einem langgezogenen Amen, von der Orgel majestätisch begleitet.
vorne v. l.: Ludwig Böhme, Tobias Berndt, Florian Sievers, Elisabeth Breuer (Foto: Ansgar Klostermann) |
Glockenhell, engelsgleich, erhaben, mitreißend
Geigen und Harfe untermalen das dreimal ausgerufene Sanctus des dreistimmigen Chores. Klanglich und harmonisch ein Highlight des Requiems. Der finale Ruf Osanna in excelsis mit Hornbegleitung lässt dann die Stimme der Sopranistin, Elisabeth Breuer, erstmals erklingen. Pie Jesu Domine singt sie glockenhell und engelsgleich.
Es ist die Vorstufe zum Agnus Dei und Lux Aeterna. Ein frisches F-Dur mit sechsstimmigem Chor dominiert hier die Szenerie. Eindrucksvoll das abschließende Requiem aeternam dona eis, Domine in luftigem D-Dur mit vollem Chor, Orgel und Posaunen. Erhaben und mitreißend.
Flehender Bittgesang und Erlösung
Das Libera me, auch Responsorium genannt, lässt noch einmal Gott hochleben. Der Bariton leitet mit gutturalem Timbre und von der Orgel unterstützt die Gottesanrufung ein, „da du kommst, die Welt durch Feuer zu richten“ und überlässt dann dem Chor unisono das Dies illa, dies irae. Dramatik pur, aber nur zwei Zeilen lang, um dann ins Libera me, Domine zurückzukehren. Bariton, gemeinsam mit Chor enden im flehenden Bitt-Gesang.
Im Paradisum glänzt noch einmal Chor und Orchester. In engelhaften Höhen besingen die Soprane und Tenöre, begleitet von Flöten, Harfe und flirrenden Geigen, in freundlichem D-Dur die Wonnen des Paradieses. Mit fließenden Arpeggien und tänzerischem Dreiviertel Takt entlässt das Requiem das Publikum mit Wonne und Zuversicht in die einsetzende regnerische Nacht des Klosters.
vorne v. l.: Ludwig Böhme, Elisabeth Breuer, Florian Sievers, Tobias Berndt, (Foto: H.boscaiolo) |
Jugendlicher Elan und paradiesisches Versprechen
Diese Interpretation lässt nichts zu wünschen übrig. Fein abgestimmt zwischen Orchester, Instrumentation und Gesang. Herrliche Dynamik und klangliche wie verbale Transparenz. Alles ohne Makel. Warum nicht schon bei Puccinis Messa di Gloria?
Alles in Allem eine lohnenswerte Veranstaltung mit ausgenommen schönen Werken der Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts. Die Kombination ist zwar verständlich, aber insgesamt konnten die Werke nicht gerade Frohsinn und Heiterkeit erzeugen, wenngleich das Frühwerk Puccinis vor jugendlichem Elan sprühte und das reife Werk Faurés durchaus das Paradies versprach, ohne eine Spur von Qual, Zweifel oder Trauer (Jean Chantavoine).
Kurz: Es war ein gelungener Abend für Liebhaber der Kirchenmusik, der modernen Messen und Requiems, wovon die klassische Musik doch Einiges zu bieten hat.
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