Freitag, 2. August 2024

37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024

SamBach: "Bach meets Samba", Orquestra Johann Sebastian Rio und Linus Roth (Violine), Kloster Eberbach, 01.08.2024


Orquestra Johann Sebastian Rio,
vorne Mitte: Linus Roth
(Foto: Ansgar Klostermann)

Eine Contradictio in adjecto 

Das Wetter machte mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Das erhoffte Sambafest, ursprünglich für den Kreuzgang des Kloster Eberbach unter freiem Himmel gedacht, musste wegen Blitzgefahr in die Basilika verlegt werden, was nicht nur viel Sitzplatz-Verwirrung stiftete, sondern auch das Klima einer Tanz-Session, das das Konzert durchaus beabsichtigte, erheblich beeinflusste. Sakraler Samba oder kirchlicher Bossa Nova, das ist eine Contradictio in adjecto.

    

Lebensfroh und unterhaltend

Mit erheblicher Verspätung füllte sich die Bühne der Basilika mit 15 Instrumentalisten, alles Streicher mit Ausnahme des Cembalisten.

Linus Roth (*1977) eröffnete das Abendprogramm mit Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Violinkonzert E-Dur, BWV 1042. Es ist das erste von insgesamt Zweien, das er während seiner Anstellung als Hofkapellmeister beim Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen (1717-1723) schrieb. Man schätzt seine Entstehung allgemein um das Jahr 1719.

Bach stand zu dieser Zeit voll auf Vivaldi. Dessen lebensfroher, unterhaltender Stil wurde über die Grenzen Venedig hinaus bewundert und von Bach in dieses kompakte Werk eingearbeitet. So ist man nicht selten an die Dramatik der Vier-Jahreszeiten erinnert. Auch verwundert der ariose Anteil vor allem im einführenden Allegro-Satz: Eine Da-Capo-Arie von außerordentlicher Eindringlichkeit. Gespickt mit figurativen Soloeinlagen ist es darüber hinaus bestens geeignet, die Virtuosität des Violinisten zu testen und dem Werk die nötige Würze zu verpassen.


Orquestra Johann Sebastian Rio,
vorne Mitte: Linus Roth
(Foto: Ansgar Klostermann)

Höchste Violinkunst

Die Dreiteiligkeit, Allegro, Adagio und Allegro assai, wies bereits den Weg zur modernen Konzertform und nicht von ungefähr ist dieses Violinkonzert noch heute eine beliebter Einstieg für junge Interpreten in die Welt der höchsten Violinkunst.

Nun ist Linus Roth bereits ein gestandener Geiger (er spielt übrigens auf einer Stradivari namens „Dancla“ von 1703) und seit 2012 auch Professor für Violine an der Musik-Uni Augsburg. Auch besitzt er bereits zwei ECHO-Preise (2006 und 2017) und hat sich einen Namen als Mitbegründer der International Weinberg Society gemacht.


Liebe auf den ersten Ton“

Die Geschichte mit dem Brasilianischen Orquestra Johann Sebastian Rio (2016 gegründet) dagegen ist eine ganz besondere. Eigenen Aussagen zufolge hat er dieses Orchester durch Zufall im Jahre 2017 kennengelernt. Es sei „Liebe auf den ersten Ton“ gewesen, schwelgt er bei der Vorstellung der einzelnen Mitglieder des Ensembles. Die Kombination von Bach und Samba, eine Herausforderung par excellence.

Tatsächlich gäbe es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem brasilianischen Samba, Bossa Nova oder dem Choro mit dem Bachschen Kontrapunkt und dessen musikalischem Strukturaufbau. So hebt er den Arrangeur des Ensembles, Ivan Zandonade, einer der Bratschisten, hervor, der sämtliche Samba-, Choro-, Bossa Nova- oder auch populärmusikalische-Songs für dieses Orchester in Anlehnungen an Bachs Kompositionstechnik aufbereitet hat.

Orquestra Johann Sebastian Rio,
vorne Mitte: Linus Roth, li.: Filipo Prazeres
(Foto: Ansgar Klostermann)

Viel Routine – wenig brasilianisch

Kommen wir aber zu Interpretation des Violinkonzerts. Leider hatte man den Eindruck, dass hier viel Routine im Spiel war. Manches, nein, Vieles geriet zu schnell, zu ausdrucksarm und vor allem zu mechanisch. Das Ensemble wurde regelrecht überrascht von dem Tempo, das Linus Roth von Anfang an anschlug, dabei selbst ins Hudeln geriet, weil die komplexen Trillerpassagen die selbstgewählte Hatz nicht hergaben. Erst beim Adagio, eine Siciliana, kam man zur Ruhe und das Werk begann zumindest für Augenblicke zu leben. Das abschließende Rondeau, ein französisches Passpied, ließ das Ensemble aber wieder in die alte Leier verfallen: Schnell und maschinenhaft, so gar nicht brasilianisch. Dem Publikum allerdings gefiel es. Frenetischer Beifall. Für den Kenner und Liebhaber des Violinkonzerts blieb leider ein etwas fader Beigeschmack.


Samba– ein Zeitgeist

Die Vorstellung des ersten Geigers und Stimmführers, Filipe Prazeres, nebenbei Chef der Oper Sao Paulo, des Schlagzeugers, Hébert Freitage (Schreibweise unklar) sowie des Gitarristen, Lula Washington, verband Linus Roth mit einer kurzen Erläuterung zur Idee des Samba. Er sei eine Ode an die Freundschaft und Freiheit. Er kreiere einen interkulturellen Dialog der Nationen. Ganz im gegenwärtigen Zeitgeist.

 

Orquestra Johann Sebastian Rio,
 Mitte mit dem Rücken zum Publikum: Filipo Prazeres
(Foto: H.boscaiolo)


Der brasilianische Choro

Mit Heitor Villa-Lobos (1887-1959) folgte tatsächlich ein begeisterter Bach Bewunderer aus Rio de Janeiro. Komponist, Cellist, Gitarrist und Dirigent in einer Person entwickelte er den brasilianischen Choro zur Meisterschaft und zu internationaler Bekanntheit. 

Der Choro, ein Mix aus afrobrasilianischen, Fado-portugiesischen und westeuropäischen Tänzen, bestehend aus einer festgelegten dreiteiligen Form mit Improvisation im Mittelteil und ansonsten typischer Melodieführung, bestimmte die brasilianische Folklore bis Mitte der 1920er Jahre. 

Hier präsentierte das Orchester zwei bekannte Stücke aus dieser Zeit von Villa-Lobes, Villa Cantilena und Melodia Sentimental sowie von Zequinha de Abreu (1880-1935) das 1917 entstandene Bravourstück Tico-tico no Fubá. 


Orquestra Johann Sebastian Rio,
vorne Mitte: Linus Roth, dritter v. li.: Filipo Prazeres
(Foto: H.boscaiolo)

Viel Jetlag und Nervosität

Leider auch hier zu wenig Herzblut und zu viel Technik. Sehr schnell alles und man wurde den Eindruck nicht los, dass sehr viel Nervosität mitspielte. Immerhin hatte das Orchester erst wenige Stunden vor ihrem Aufritt auf dem RMF, Deutschland erreicht und der Jetlag lag ihnen vermutlich noch in den Knochen.

Der erste Teil des Konzertabends endete mit drei Bossa Nova Songs von António Carlos Jobim (1927-1994). Dazu sollte man wissen, dass sich aus dem Choro Mitte der 1920er Jahre der Samba und erst seit den 1950er Jahren der Bossa Nova herausschälte. 

Er ist etwas langsamer im Tempo, die Gitarre spielt eine dominantere Rolle, und, das ist wichtig, er lässt sich wunderbar singen. Größen wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald oder auch Nat King Cole liebten das spezielle Charisma der Songs. Hier waren es Desafinado, Garota de Ipanella und Samba de uma Nota Só.


Orquestra Johann Sebastian Rio,
vorne Mitte: Linus Roth (Verbeugung),
dritter v. li.: Filipo Prazeres (
Foto: H.boscaiolo)

Kaleidoskop der brasilianischen Musikkultur

Nach der Pause ging es quer durch die Samba, Bossa Nova, Samba Cançáo, Choro, Samba-Rock wie auch Samba-Pop Geschichte. Von Marcos Valle (*1943) mit Samba de Veráo bis Jorge Ben Jor (*1939) mit Mas que nada.

Ein Kaleidoskop der brasilianischen Musikkultur des 20. Jahrhunderts. Höhepunkt natürlich von Ary Barroso (1903-1964) Aquarela do Brasil, ein Ohrwurm aus den frühen 1940er Jahren. Die Verwendung dieses Songs für den Donald-Duck-Film Saludos Amigos soll ein weltweites Samba Fieber ausgelöst haben. Sambaschulen schossen wie Pilze aus der Erde und Hollywood hatte ebenfalls Geschmack daran gefunden und ihre Soundtracks mit Samba aufgefüllt. Tatsächlich erinnert doch Vieles an Filmmusik. So auch Brasil Pandeiro (1940) von Assis Valentes (1911-1958). Eine Art Bolero mit Jazzeinlagen, dazu Pfeifen und Cuica-Töne einer Reibetrommel, hier gekonnt fabriziert von der Gitarre. Sehr witzig, schräg, aber irgendwie auch mit angezogener Handbremse.


Orquestra Johann Sebastian Rio, vorne Mitte: Linus Roth
Foto: H.boscaiolo

Begeisterungsstürme und zwei Zugaben

Das Publikum was begeistert: Lautstarkes Johlen nach jedem Song, allerdings alles wie festgewurzelt von den Stühlen. Erst das Finale ließ alle aufspringen, von allen Fesseln erlöst. Man schrie sich förmlich die Seele aus dem Leib.

Zwei Zugaben sollten es, trotz fortgeschrittener Zeit, denn doch sein.

Einmal Um a zero, ein Stück des brasilianische Komponisten, Saxophonisten und Sänger, Pixinguinha (1897-1973). Eine virtuose Referenz, um noch einmal sein gesamten Können zu demonstrieren, was auch hervorragend gelang und, da wohl das Orchester nichts weiter anzubieten hatte noch einmal Aquarela do Brasil. Dieses Mal allerdings entschieden besser und ausgelassener. Jetzt kam das Orchester so richtig in Schwung. Man schunkelte und tanzte, zumindest mit den Oberkörpern, so, als ob sich der Jetlag, oder was auch immer sonst noch, sich entscheidend löste.


Orquestra Johann Sebastian Rio, vorne Mitte: Linus Roth
Foto: H.boscaiolo

Kein SamBach eher Bach-und-Samba

Tipp an dieser Stelle für weitere Aufführungen. Besser wäre es allemal, wenn die Musikerinnen und Musiker stehen würden. Das passte sowohl für den Bach wie auch für die diversen Samba-Nummern.

Alles in allem nicht durchweg überzeugend, zumal die Verbindung zwischen Bach und Samba sukzessive verloren ging. Genau genommen nur bei Villa-Lobos nachzuvollziehen war. 

Kein SamBach sondern lediglich ein Bach mit angehängtem Samba. Auch hätte das Konzert besser in den Wiesbadener-Kurpark gepasst. Das Publikum brauchte Samba-Bewegung und vor allem irgendwie Druckausgleich. In der Basilika war es fast schmerzlich zu erleben.  

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