Dienstag, 2. Juli 2024

Frankfurter Opern- und Museumsorchester, musikalische Leitung: Kristiina Poska, am Flügel Simon Trpčeski, Alte Oper Frankfurt, 01.07.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museums-Gesellschaft e.V.)

Opern- und Museumsorchester Frankfurt (Foto: Website)

Aufsehenerregend

Es sollte das letzte Montagskonzert in dieser Saison sein und gleichzeitig eines der aufsehenerregendsten. Nicht allein das Programm mit Werken von Erkki-Sven Tüür (*1959), Sergej Rachmaninow (1873-1943) und Peter Tschaikowsky (1840-1893) versprach es, sondern auch die Akteure auf der Bühne mit der Dirigentin Kristiina Poska (*1978) und dem Pianisten Simon Trpčeski (*1979) am Flügel.


Kristiina Poska (Foto: Kampo Kikkas)
 

Spannungsgeladener Steigerungslauf

Bereits das Hors d´oeuvre mit Erkki-Sven Tüürs (*1959) Phantasma (2018), einem dreizehn minütigen Orchesterwerk von faszinierender Dramaturgie, ließ die Qualitäten des gut 80-köpfigen Orchesters mit seiner sportlichen estnischen Dirigentin Kristiina Poska (*1978) in elegantem schwarzen Damenfrack aufblitzen.

Ein energetisches kraftvolles Feuerwerk, ein spannungsgeladener Steigerungslauf - um in Zeiten der aktuellen internationalen Sportereignisse entsprechende Wortvergleiche zu gebrauchen - mit fulminantem Fanfaren-Triumph als Höhepunkt. Aber nein. Tatsächlich besinnt man sich zu einem entspannenden Auslaufen. Die Streicher „schleifen“ wieder leicht über die Saiten, das Kontrafagott und Klavier verbleiben in tiefstem noch hörbaren Ton, und alles fällt sukzessive in einen visionären Traumzustand beziehungsweise in völlige Entspannung.

Ist es Sinnestäuschung, Halluzination? Fragen wir den Komponisten, was seine musikalische Mission ist: „Eines meiner Ziele ist es, eine kreative Energie des Zuhörers zu erreichen …“, meint er zu Phantasma. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Vor allem für das Hauptgericht, den Wettkampf, war eine blendende Vorbereitung geschaffen.


Simon Trpčeski (Foto: Hall of Fame)

Sehr früh schon viel Charakter

Sergej Rachmaninows erstes Klavierkonzert fis-Moll op.1 (1891) stand auf dem Plan. Ein Werk aus seinen Studentenjahren im Moskauer Konservatorium, dessen erster Satz als Konzertexamen, im März 1892, großen Zuspruch bei der Prüfungskommission fand (1917 und 1919 hat er es bekanntlich noch einmal überarbeitet, aber nicht gänzlich verändert). Zwar eng angelehnt an seine Vorbilder Ludwig van Beethoven, Robert Schumann sowie vor allem Edward Grieg, enthielt es doch bereits einen eigenen kompositorischen Charakter und etliche Innovationen, die weit über die spätromantischen Gepflogenheiten hinausreichten. So seine an Paganini und Liszt erinnernden virtuosen Einlagen und Formabweichungen, wie auch die Grenzbereiche der Tonalität überschreitenden Passagen, vor allem im letzten Satz dieses Werks.


Bestbesetzung

Solist am Flügel war der erstmals in Frankfurt auftretende und auch erstmals mit dem Opern- und Museumsorchester gemeinsam musizierende mazedonische Pianist, Simon Trpčeski, ein Mittvierziger in konservativ-anthrazitfarbenem Anzug mit weißer Fliege, der sich alsbald als absolute Bestbesetzung für dieses doch sehr jugendliche, rebellische und fast schon avantgardistische Werk entpuppte.


Simon Trpčeski (Foto: B.-Ealovega)

Entertainer-Qualitäten

Bereits seine Eingangskadenz: ein Gedicht an Leichtigkeit, Farbigkeit und Brillanz. Sein Zusammenspiel mit der Dirigentin und dem Orchester hatte Entertainer-Qualitäten. Er spielte nicht allein, sondern kommunizierte durch körperlicher Gestik mit nahezu allen Instrumentengruppen. Dabei spielte er höchst konzentriert, und - wieder einmal in der Sportlersprache - mit dem Steady state eines Marathonläufers auf Weltklasse-Niveau. 

Jeder der drei Sätze, Vivace, Andante, Allegro Vivace: ein farbig, virtuoses, abwechslungsreiches Spiel im besten Sinne. Von einfühlender Elegie voll russischer Seele im sehr langsam interpretierten Andante des zweiten Satzes, über emotionale, expressiv-romantische Passagen im ersten Satz, bis zu heiter-fröhlichem chaotischen „Ausflippen“ im dritten Finalsatz, alles ist bei ihm gekonnt, makellos in der Technik und ausdrucksstark in der Ausführung. 

Ja der dritte Satz. Er ist ein Ausbund der Abkehr von der Tonalität. Hier experimentiert der Komponist bereits mit der Moderne. Polyrhythmen und frei tonale Passagen dominieren ihn und treiben die Virtuosität des Solisten bis an die Grenzen des Machbaren. Dennoch, Simon Trpčeski, meistert es ohne sichtbare Anstrengung und mit ausgesprochener Freude an dieser Musik.


Simon Trpčeski und Kristiina Poska, Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)

Balkan Sound mit Mazurka

Großer Beifall und eine Zugabe von einer gewissen Einmaligkeit. Jetzt zeigt Trpčeski erneut seine Entertainment-Qualitäten in bestem Sinne. In einem Mix aus Deutsch und Englisch beschreibt er die rhythmische Vielfalt der mazedonischen Volksmusik und spielt beispielhaft einen polyrhythmischen Knüller, der den Sound der ethnischen Vielfalt des Balkans lebendigst vorführte. Auch das mit einer frappanten Leichtigkeit, was nur Staunen zurückließ.

Dann aber spielte er noch mit zwei wunderbaren Musikern des Orchesters, Dimiter Ivanov (erste Geige) und Mikhail Nemtsov (erster Cellist), eine Mazurka aus Tschaikowskys Hand. Ein Abschluss nach Maß. Alle drei sind Meister ihres Fachs, aber auch musikalisch war dies eine Ode an die neun Musen.

Erholung tat Not, nach dieser geballten Performance der Superlative. Mit Tschaikowskys Vierter Sinfonie f-Moll op.36 (1877) sollte der denkwürdige Abend einen weiteren Höhepunkt erleben.


Dimiter Ivanov, Simon Trpčeski und Mikhail Nemtsov,  
Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)


Seelische Zerrüttung

Vorweg sei vermerkt, das Tschaikowsky dieses Werk parallel zu einer Oper Eugen Onegin schrieb, vieles davon auch in dieser Sinfonie seinen Niederschlag findet, und dass er sie in einem Zustand tiefster Verzweiflung komponierte. Seine unglückliche Ehe scheitert wie seine homosexuelle Liebe zu Josef Kotek. Einziger Lichtblick schien seine Gönnerin und Verehrerin Nadeschda von Meck zu sein, eine reine Brieffreundschaft der gegenseitigen Achtung und vor allem der finanziellen Absicherung des Meisters.


Kristiina PoskaOpern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)


Schicksalssinfonie

Diese Sinfonie ist das Produkt dieses Konflikts und könnte auch als Schicksalssinfonie herhalten, denn Tschaikowsky selbst bezeichnet sie, intern zwar, folgendermaßen: „Das ist das Schicksal“ … man muss es „hoffnungslos ertragen“.

In vier Sätzen geht das Fatum der Unausweichlichkeit des Willens der höheren Mächte um. Zerrissenheit, Fatalismus, Leid und Zuversicht bestimmen die einzelnen Passagen. Allen voran der erste Satz, das Andante sostenuto, mit seiner vorherrschenden Schicksalsmotivik und der kurzen Teile im Walzerrhythmus, ganz Eugen Onegin, allerdings kontrapunktisch angelegt und im stampfenden Marsch und wieder eintretenden Schicksalsmotiv endend. Ein unvollendeter Sonatensatz mit Zusatzbezeichnung moderato con anima (gemäßigt mit viel Herz), der sehr viel vom Seelenzustand des Komponisten erzählt.


Hoch - tief - hoch

Noch eingehender der zweite Satz, ein Andantino in modo di canzona. Ein verträumter, weltabgewandter, tief melancholischer Abschnitt, variativ aufgebaut, von melodischer Schönheit zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Das Scherzo des dritten Satzes dagegen strotzt nur so vor Lebendigkeit und Zuversicht. Eine Pizzikato-Polka der Streicher, wie in einem Wellengang, wird durch ein Trio der Holzbläser unterbrochen. Ein Tanz auf dem Volksfest. Skurril zwar, aber von wilder Lebensfreude, der abrupt in den Schlusssatz, dem Finale, Allegro con fuoco überleitet.


Dem Schicksal ein Schnippchen schlagen

Hier herrscht tatsächlich Volksfeststimmung pur. Man hört Mili Balakirews russisches Flair heraus, wie auch das Ukrainische Volkslied „Im Felde stand eine Birke“. Tschaikowskys Bezüge zu dem russischen „mächtigen Häuflein“, darunter auch Modest Mussorgsky und Nikolai Rimski-Korsakow sind unverkennbar existent in diesem Finale. Sicher schwebt über allem das Menetekel des Schicksalhaften. Aber er versteht es gleichermaßen, zumindest musikalisch, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und das Leben zu genießen. Nicht von ungefähr schreibt er: „Freue dich an der Freude anderer – und das Leben ist doch zu ertragen.“  


Kristiina PoskaOpern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)

Fröhliche Sommerpause

Immerhin ein Lichtblick, der musikalisch und interpretatorisch vom Opern- und Museumsorchester unter der unaufgeregten, aber sehr differenziert wirkenden Dirigentin, Kristiina Poska, zu einem aufregenden und wirklich beeindruckenden Sinfonie-Erlebnis avancierte. 

Ein Charmeur und Entertainer der Spitzenklasse am Flügel, Simon Trpčeski, ein wunderbar energetisch aufgeladenes Opern- und Museumsorchester Frankfurt unter der souveränen Leitung von Kristiina Poska – was will man mehr. Der beste Einstieg in den Hoch-Sommer 2024.



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