37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024
Percussion Night: A Tribute to Philip Glass, mit Alexej Gerassimez und Ensemble Kurhaus Wiesbaden, 09.08.2024
Percussion Night: A Tribute to Philip Glass, Sergej Gerassimez Foto: arsmondo |
Ein Stillleben der besonderen Art
Allein die optische Erscheinung der Bühne des Kurhauses Wiesbaden ist schon ein Erlebnis für sich. Man fasst es kaum, wie viele Schlagwerke existieren und vor allem wie elegant und formschön sie sind. Da geben sich Idiophone, sog. Selbstklinger, wie Glocken, Vibraphone, Xylophone, Marimbas, Schüttelrohre oder auch Steeldrums, mit sog. Fellklingern, Membranophone, wie Bongos, Djembe, Trommeln und Snares, ein illustres Stelldichein und bilden ein Panoptikum der Schlaginstrumentation ab, das fast schon wie ein wunderbares Stillleben wirkt.
Licht und Dunkel
Dann verdunkelt sich der leider nicht voll besetzte Saal und vier Schattengestalten betreten die Bühne. Eine Lichtanlage reagiert auf die rhythmische Vorgabe des Quartetts. Ein Schlag auf ein Klangtablett und eine Lampe erleuchtet; mehrere Schläge, und entsprechend viele Lampen leuchten auf. Ein Wechselspiel von Licht und Dunkel, von Rhythmus und visuellen Eindrücken, ein komplexes System von Akustik und Optik erfüllt den Raum und lässt tatsächlich an ein klassisches Nocturne (so nennt sich übrigens das Stück von Mátyás Wettl, das der 1987 in Budapest geborene im Jahre 2017 komponierte) erinnern. Ein Einstieg, der die Besonderheit dieses Abends schon im Prolog erkennen lässt.
Denn - Es wird kein Spektakel geboten, sondern eher ein Musiktheater, ja, man ist fast geneigt von einer Oper zu sprechen, zwar ohne Gesang, aber dafür von dramatischer Handlung und wunderbarer arios-perkussiv-musikalischer Begleitung.
v. l.: Emil Kuyumcuyan, Sergey Mikhaylenko, Simon Klavžar, Sergej Gerassimez, Foto: Ansgar Klostermann |
Der Reiz des Minimalismus
Alexej Gerassimez (*1987) und seine drei Mitstreiter, Sergey Mikhaylenko, Emil Kuyumcuyan und Simon Klavžar haben sich ein Programm um Philip Glass (* 1937) ausgedacht, einem der bekanntesten Minimalisten auf diesem Globus, einer der mit seinen drei Opern um Einstein, Mahatma Gandhi und Echnaton vor allem in den 1980er Jahren Furore machte, und über den indischen Sitar Meister Ravi Shankar und die einflussreiche Nadja Boulanger wichtige Impulse der Polyrhythmik aber auch der klassischen Idioms aufgesaugt und in minimalistische Bahnen gelenkt hat. Dabei hat er neue Formmuster, ja Klangwelten eröffnet, die zu einer neuen musikalischen Gattung führte und bis heute ihren Reiz beibehalten konnte.
Ein Mix aus Glass und Gerassimez
Gerassimez ist, wie er selbst sagt, ein großer Bewunderer von Glass und hat seine eigenen Kompositionen an dessen eigenwilligem Stil orientiert. In diesem Sinne hat er das Programm mit drei großen Werken von Phil Glass: seine Glassworks (1982), seinem Filmtrack zu Mishima: A Life in four Chapters (1985) sowie seinem Zyklus Águas da Amazȏnia (1995) und eigenen Kompositionen gemixt, die zwischen 2009 und 2023 entstanden sind. Dazu gehören Eravie für Marimba solo von 2009, Asventuras für kleine Trommel von 2012 sowie fünf Werke aus der Suite of Elements, ein work in progress, das Wasser, Holz, Stein, Metall und Fell zum Klingen bringt.
v. l.: Simon Klavžar, Emil Kuyumcuyan, Sergej Gerassimez, Sergey Mikhaylenko Foto: Ansgar Klostermann |
Komplexe Polytonalität und Polyrhythmik
Ergänzt wird die Dramaturgie noch durch das Hallelujah (1996) von John Adams (*1947). Ein amerikanischer Minimalist, der durchaus mit Phil Glass, Steve Reich und Terry Riley, die Gründerväter dieser Gattung, verglichen werden kann. Adams ist unter anderem ein sehr fleißiger Opernkomponist und hat bereits mit seiner ersten Oper Nixon in China (1987) großes Aufsehen erregt und Weltberühmtheit erlangt. Auch verbindet er seine Werke in der Regel mit zeitgeschichtlichen Ereignissen.
Berühmt dafür sind seine Opern Doctor Atomic (2005), ein Charakterbild von Robert Oppenheimer, oder auch Girls of the Golden West (2017), eine Geschichte über den kalifornischen Goldrausch.
Hallelujah ist eigentlich für zwei Klaviere geschrieben und nimmt Bezug auf eine Raststätte für Lastwagenfahrer an der State Route 70 im Grenzbereich von Kalifornien und Nevada. Hier in der Quartettversion auf zwei Marimbas und von außerordentlicher Komplexität in Rhythmus und Tonartenwechsel, wobei der Gebrauch von Notenmaterial durchaus angesagt ist.
Sein Leben sind Alltagsklänge
Kommen wir zum Programm im Detail:
18 Stücke hatte die Gruppe ausgewählt, die nahtlos ineinander übergingen. Mal Glass, mal Gerassimez und kurz vor dem Finale der Einschub von John Adams´ Hallelujah.
Nach dem Prolog folgte, das sei an dieser Stelle bemerkt, die Vorstellung der einzelnen Künstler und Gerassimez erzählte ein wenig über sich und seinen Weg zum Ausnahme Perkussionisten.
Er erläuterte seine akustischen Erfahrungen in der Welt des Kindes und Erwachsenen. So ließ er das Klicken mehrerer Ampeln der Verkehrsinsel auf seinem Essener Schulweg, aufgenommen mit seinem Smartphone, hören, ebenso den Zeitschalter an einer Wärmelampe in Tokio und nicht zuletzt das Druckergeräusch bei der Vervielfältigung seiner Papiere. Sein Leben bestehe aus den Alltagsklängen, die uns umgeben und vor allem im Nachspielen und Imitieren. Zum Ärger seiner Frau könne er sich auch am Tisch kaum zurückhalten und müsse jeden Gegenstand zum klingen bringen. Wie auch die Flasche.
Er hält sie in der Hand und begeistert gleich mit Soul of Bottle, eine Eigenproduktion von außerordentlicher Vielfalt und künstlerischer Kreativität und Musikalität
v. l.: Emil Kuyumcuyan, Sergej Gerassimez, Sergey Mikhaylenko, Simon Klavžar, Foto: Ansgar Klostermann |
Die Flaschenpost der Dramaturgie
Eine Flasche wird in seinen Händen zur Flaschenpost für die kommenden Stücke. Zunächst die vier Flüsse aus Glass´ Águas de Amazȏnia und solistische Intermezzi von Sergej Gerassimez. Ein Spiel mit Marimba, Glockenspiel, Snare und Synthesizer (als Basso Continuo Ersatz für die Ensemblestücke von Glass), liedhaften und choralen Abschnitten, wie auch großen Landschaftsbildern aus dem Amazonasgebiet voller herrlicher klassisch-romantischer Patterns.
Einfach nur hinreißend schön. Nie laut, aber unendlich differenziert und dramaturgisch verarbeitet. Eine Erzählung aus der Tiefe und Bedeutung der Natur, für das Leben schlechthin.
v. l.: Emil Kuyumcuyan, Simon Klavžar, Sergej Gerassimez, Sergey Mikhaylenko Foto: Ansgar Klostermann |
Nach der Pause beginnt das Quartett mit einer Wassermusik ohnegleichen. Vier große Glasschalen lassen in gedämpftem blauen Licht das Meer, die Flüsse, das Wetter, Regen, Hagel und Stürme vorbeiziehen. Ein erstes Werk aus Gerassimez´ work in progress Suite of Elements.
Der folgende "Akt" besteht aus Glassworks (1982) und Mishima (1985) von Philip Glass gemixt mit der Suite of Elements von Sergej Gerassimez. Dazu muss man wissen, dass Glassworks als eine Art Popmusik gedacht ist, die man sozusagen beim Bummeln durch die Stadt oder Wandern durch Wald, Feld und Flur über Kopfhörer genießen soll, während der sechssätzige Soundtrack zu Mishima die außergewöhnliche Lebensgeschichte des japanischen Autors Xukio Mishima begleitet, von seiner Geburt bis zum tragischen Tod. Hier werden der erste 1957 - Award Montage und der letzte Closing vorgestellt, zwei Arrangements, die sozusagen den zweiten Akt des Konzerts umklammern - als erstes und als finales Stück.
Percussion Night: v. l.: Sergej Gerassimez, Emil Kuyumcuyan, Sergey Mikhaylenko, Simon Klavžar Foto: H.boscaiolo |
Dazwischen noch die Elemente der Natur, Holz, Stein, Metall und Fell, und, wie gesagt, das Hallelujah von John Adams. Eine Dramaturgie, die kaum zu überbieten ist. Leben, Naturelemente und die Lobpreisung des Seins, alles komprimiert auf das Stillleben der Schlagwerke. Allein das Elemente-Spiel auf Fell, hier auf den "Fellklingern" wie Djembe, Bongos, Snare und Trommel, war eine Ode an das Leben schlechthin, ein Battle des Lebens, eine Freude am Dasein. Ein Ausraster der Energie mit menschlichem Lust- und Kampfgeheul.
Selbstfindung und meditativer Ausklang
Die abschließende Epilog, das Closing von Phil Glass, dagegen ein Weg in die Innerlichkeit, in die Selbstfindung und den meditativen Ausklang.
Die leisen Töne verschwanden im All, im Kosmos des Kurhauses. Gefühlte minutenlange Stille nach dem letzten Klang. Dann rauschender Beifall und natürlich mit einer Zugabe belohnt.
Percussion Night: v. l.: Simon Klavžar, Emil Kuyumcuyan, Sergej Gerassimez, Sergey Mikhaylenko Foto: H.boscaiolo |
Spaß muss sein
Ein performatives Klatsch- und Stampf-Quartett. Nicht allein von größter Virtuosität, sondern vor allem von ausgelassener Freude an der Sache geprägt. Die Vier ließen damit noch einmal den Saal brodeln, wenngleich das Konzertformat eines der besten perkussiven Formate in Bereich der Perkussionskonzerte sein dürfte. A Tribute to Philip Glass ist mehr als eine Huldigung an den Meister. Es ist ein dramatischer Dialog, ein Musiktheater zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Jugend und Alter. Alle vier Künstler repräsentieren die Zukunft und lassen das Feuer der Tradition brennen.
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