37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024
Anastasia Kobekina (Violoncello) und die Tschechische Philharmonie (Leitung: Jakub Hrůša), Kurhaus Wiesbaden, 25.08.2024
Anastasia Kobekina, Mitglieder der Tschechischen Philharmonie Foto: Ansgar Klostermann |
Eine kommunikative Fokuskünstlerin
Es war der fünfte und letzte Auftritt der Fokuskünstlerin Anastasia Kobekina (*1995) auf dem diesjährigen RMF im vollbesetzten Kurhaus Wiesbaden. Ein Auftritt, auf dem sie noch einmal, gemeinsam mit der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Jakub Hrůša, die gesamte Palette ihres Könnens, musikalisch, technisch, emotional und vor allem kommunikativ vorstellen konnte. Und das mit Antonin Dvořáks (1841-1904) einzigem, aber dafür klang-mächtigsten Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op.104 (1895).
Sein klang-mächtigstes Konzert
Bekanntlich hatte es Dvořák bereits fast fertig in der Tasche, als er New York, trotz Vertragsverlängerung als Direktor des National Conservatory, Hals über Kopf verließ. Man spricht von Heimweh und von berechtigter Sorge um die Daheimgebliebenen (tatsächlich erkrankte seine geliebte Schwägerin Josefina Čermáková schwer und verstirbt vor seiner Rückkehr), was ihn zu dieser überstürzten Entscheidung trieb. Zurück in seiner Heimat reagierte er mit einer gründlichen Überarbeitung vor allem des Schlusssatzes, den er seiner verstorbenen Schwägerin widmete.
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Anastasia Kobekina, in elegantem roten Hosenkleid, verkörpert im wahrsten Sinne die Dramatik und Leidenschaft des Werks. Gemeinsam mit dem mittelgroßen Orchester (ca 70 Musikerinnen und Musiker) erzählt sie Geschichten und kommuniziert über ihr Instrument (übrigens ein Stradivari aus dem Jahre 1698) mit dem Publikum durch ausgefeilte Virtuosität, herrliche Melodik, rhythmisches Temperament und nicht zuletzt durch elegante Gestik (Blickkontakt und ausholende Bewegungen).
Dazu das Orchester. Durchaus gleichberechtigt und mit gnadenlosem Selbstbewusstsein. Ein Dialog auf gleicher Stufe, Tutti kontra Solo. Immer aber, ohne den anderen unterzubuttern. Kobekina hat einen Strich, der die gesamte Halle erfüllt. Sie braucht sich in keiner Phase zu verstecken, obwohl das Orchester, so hat es Dvořák auch vorgesehen, durchaus der dominante Gegenpart verkörpert.
Anastasia Kobekina, Jakub Hrůša, Mitglieder der Tschechischen Philharmonie Foto: Ansgar Klostermann |
Gleich zu Beginn des Allegro´s spielt das Orchester zunächst Thema und Seitenthema vollständig aus, bevor, nach einer gefühlten Ewigkeit, das Cello einsetzt. Dann aber mit Verve und wunderbarer Melodieführung. Ab da folgt ein Dialog auf Augenhöhe entlang der Durchführung und Reprise, bis am Schluss wieder das Orchester übernimmt - während das Cello beiseite gelegt ist - und eine fulminante Coda inszeniert.
Ganz anders im Adagio des zweiten Satzes. Hier dominiert zumindest zeitweise das Cello mit Dvořáks Liederzyklus op. 82 „Lass mich allein“. Eine Hommage an seine verstorbene Schwägerin. Kobekina hat sich hier ganz in die Seele des Komponisten hineingedacht. Tiefe Trauer, aber auch Zuversicht und Hoffnung vermitteln sich in den Dialogen mit den Posaunen, Trompeten und Querflöten. Ein wunderbarer Liederkreis, eine Pastorale im besten Sinne.
Anastasia Kobekina, Mitglieder der Tschechischen Philharmonie Foto: Ansgar Klostermann |
Ein fantastischer triumphaler Abgesang beendet ein wirklich beeindruckendes Opus 104. Nicht zuletzt aufgrund der wunderbaren Stimmigkeit zwischen Solistin und Orchester und vor allem auch durch das bewegende, intelligente Dirigat von Jakub Hrůša, ein Meister seines Faches.
Anastasia Kobekina, Jakub Hrůša, Mitglieder der Tschechischen Philharmonie Foto: Ansgar Klostermann |
Nicht zu vergessen die bewegende Danksagung der wirklich sympathischen Anastasia Kobekina an das Publikum und die Organisatoren des RMF. Ihre Zugabe war ein russisches Tänzchen aus den Händen ihres Vaters (er ist Komponist), das sie mit Eleganz und großer Begeisterung gemeinsam mit dem Perkussionisten aus dem Orchester, Pavel Polivka, (hier auf dem Tambourin) vortrug.
Tschechische Philharmonie Foto: H.boscaiolo |
Kommen wir zum zweiten Teil des Abends, der ganz der Musik Antonin Dvořáks gewidmet war. Immerhin ist heuer der 120. Todestag des Böhmischen Meisters und das RMF hat ihm nicht weniger als 10 Konzerte gewidmet.
Auf dem Programm standen drei Ouvertüren, die Dvořák noch kurz vor seiner dreijährigen USA-Reise beendet hatte. Das war im Jahre 1892. Es sollte sein op. 91 sein und unter dem Arbeitstitel Natur – Leben – Liebe veröffentlicht werden. Zu den drei Ouvertüren machte er es wohl aus kommerziellen Gründen und damit auch zu drei unterschiedlichen Opus Nummern, op.91, 92, 93. Jetzt nannte er sie In der Natur, Karneval und Othello.
Jakub Hrůša, Tschechische Philharmonie Foto: H.boscaiolo |
Eigentlich bedauerlich, denn die drei Stücke werden seitdem nahezu nie gemeinsam aufgeführt. Lediglich das zweite Stück, Karneval, hat die Bühnen erobert. Das aber zu unrecht, denn alle drei „Ouvertüren“ sind eine Einheit und erzählen nicht allein eine Geschichte, sondern zählen zu den experimentellsten und innovativsten Werken des Komponisten. Sie liegen zwischen sinfonischer Dichtung und Programmmusik.
Außerdem sind sie von großer Bedeutung für die Formentwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts und beziehen sich unverblümt auf Edvard Grieg, Franz Liszt, Hector Berlioz, wie auf Richard Wagner oder auch Giuseppe Verdi. Alles Zeitgenossen, die ebenfalls neue musikalische Wege einschlugen.
Hymne an die Natur
Gleich zu Beginn das Leitmotiv aus In der Natur. Stark an Edvard Griegs Morgenstimmung aus seiner Peer Gynt Suite erinnernd. Dieses Motiv findet sich in allen Ouvertüren wieder, mal in abgeänderter, entwickelter Form, mal in Umkehrung, mal in purer Wiederholung. Eine großartige Hymne an die Natur mit Vogelgezwitscher und pastoralen Effekten. Immer alles zwischen Schlichtheit und Erhabenheit.
Das große Orchester, jetzt über 90 Instrumentalisten, schafft einen Sound, der alles bisher Gehörte in den Schatten stellt. Satt und transparent zugleich, ein Klangensemble einer 129-jährigen Tradition der tschechischen Musikkultur, das wohl einmalig auf dieser Welt zu nennen ist.
Das Leben pur
Dann der Karneval. Hier findet kein närrisches Getümmel statt, sondern es geht um einen Menschen, der sich in das bunte Treiben des Lebens stürzt. Ganz im Sinne eines Giuseppe Verdi, der den Falstaff in seiner gleichnamigen Oper ausrufen lässt: „Alles ist Spaß auf Erden“ (Tutto nel mondo è burla). Sehr eingängig, aber immer wieder vom Leitmotiv der Natur eingeholt. Ein unglaublich energetischer Schluss leitet dann zum Othello, der letzten der drei Ouvertüren, über.
Jakub Hrůša, Tschechische Philharmonie Foto: H.boscaiolo |
Otello, die Oper von Giuseppe Verdi, beschreibt die Tragödie zwischen Othello (Shakespeares Schreibweise) und Desdemona. Othello ermordet seine Geliebte, Desdemona, und ersticht sich, nachdem er die Intrige Jagos erkannt hat, selbst.
In diesem Werk bezieht sich Dvořák auf dieses Drama. Nicht von Ungefähr behauptet sein größter Kritiker Eduard Hanslick seinerzeit: Dvořák habe hier eine Maske auf, die bald an Liszt und bald an Wagner erinnert. Tatsächlich scheint er sich an Liszts sinfonischen Dichtungen und an Wagners Musikdramen zu orientieren. Das wird unter anderem an vielen Effekten deutlich, wie dem Einsatz der Harfen, der ausgedehnten Perkussion (allein vier Perkussionisten), der intensiven Hand-Beckeneinsätze, und vor allem der extensiven Blechbläser Einlagen.
Alles in allem ein Extrem zwischen choralartiger Melodik, kontrastreichen Blöcken und den Charakteren Othello und Desdemona: Zwischen „Sie umarmen einander in seliger Wonne“ und "Othello ermordet sie in toller Wut“ sowie dem stürmischen Schluss der Trilogie - stark an die Walküre II. Aufzug erinnernd -, der den Selbstmord Othellos begleitet. Ein großartiger dritter Teil des Ouvertüren-Trios.
Ein innovativer Dreiteiler
Tatsächlich ein gewaltiger Dreiteiler, der wohl mit das Innovativste und musikalisch Fortschrittlichste am Ende des 19. Jahrhunderts aus der Hand Antonin Dvořáks vorstellt. Dazu ein Orchester der Ausnahmekategorie mit einem Dirigenten Jakub Hrůša, der diesem phänomenalen Orchesterapparat eine Seele der Lebendigkeit und Strahlkraft einhaucht, die seinesgleichen sucht.
Jakub Hrůša, Tschechische Philharmonie Foto: Ansgar Klostermann |
Das Publikum tobte, zu Recht, und verlangte natürlich eine Zugabe. Es waren gleich zwei aus der Reihe der Slawischen Tänze für Orchester op. 46 Nr. 1 und op. 72. Nr. 7. Welche Lebensfreude und Energie dieses Orchester ausstrahlt ist nicht in Worte zu fassen. Man muss es erlebt haben. Denn hier reihte sich Feuerwerk an Feuerwerk.
Und Hrůša? Er entzündete jeden einzelnen Feuerwerkskörper und das mit sportlicher Höchstleitung: Schnell, präzise und effektiv. Musikalisch ein Hörgenuss und eine Demonstration böhmischen Humors.
Auch Hrůša dankte dem Publikum und der Organisation des RMF, verschenkte seine Rheingauer-Weinflaschen seinem ersten Geiger und der ersten Bratschistin. Drückte allerlei Hände seiner Orchestermitglieder und meinte schmunzelnd, etwas keck zum Publikum: „Wir könnten noch weitere Zugaben anbieten, aber dann würden Sie vermutlich einschlafen.“ Gesagt und winkender Abgang.
Wie antwortete doch Anastasia Kobekina auf die Frage, wann ein Konzert für sie als Erfolg gelte: „Wenn das Publikum sich hat berühren lassen“. So war es.
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