Montag, 30. September 2024

2 x Hören / Bartók, Contrasts für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111, Werkstattkonzert mit Carolin (Violine) und Jörg Widmann (Klarinette), Dénes Várjon (Klavier) und Dr. Markus Fein (Moderation), Alte Oper Frankfurt, 29.09.2024

v. l.: N.N., Dénes Várjon, Carolin Widmann, Jörg Widmann, 
Foto: Wonge Bergmann

Kontrastreiche ungarische Folklore

Schon längst gehört 2 x Hören zum etablierten Repertoire des Frankfurter Alte Oper Programms und hat bereits sein festes Publikum erobert. Ein voller Mozartsaal, trotz heftiger Konkurrenz mit den Bamberger Sinfonikern unter Jakub Hrůša, Hilary Hahn (Violine) und Sol Gabetta (Violoncello), erwartete mit Spannung ein weiteres Werkstattkonzert unter der immer wieder mit Überraschungen gespickten Moderation von Dr. Markus Fein.

Dieses Mal hatte er ein ungewöhnliches Trio für Violine, Klarinette und Klavier mitgebracht, nämlich Contrasts (1939/40) von Béla Bartók (1881-1945) und dazu drei Künstler der Extraklasse, nämlich die Geschwister Carolin (*1976) und Jörg Widmann (*1973), beide nicht allein als Instrumentalisten Weltklasse, sowie den ungarischen Pianisten, vielfachen Preisträger und im Rhein Main Gebiet bekannt als Lehrer an der renommierten Kronberg Academy, Dénes Várjon (*1968).


Sprung ins Ungewisse

Ein zwanzig-minütiger Tanz in drei Sätzen durch die ungarische Folklore, stimmte zunächst in die Welt Bartóks ein, eine Welt der inneren und äußeren Kontraste.

Die Komposition entstand nämlich bereits in Budapest auf Anraten seines Freundes und Geigers Joseph Szigeti (1892-1973). Es sollte eine rhapsodische Miniatur in zwei Sätzen im ungarischen Ton werden. Da die Nazi-Schikanen für ihn, als überzeugten Antifaschisten, überhand nahmen, entschied er sich „illusionslos“, wie es heißt, nach Amerika auszuwandern: „Ein Sprung ins Ungewisse aus dem gewusst Unerträglichen“.


v. l.: Carolin Widmann, Dénes Várjon, Dr. Markus Fein, Jörg Widmann, 
Foto: Wonge Bergmann

Extrem kontrastierend

Mit brachte er unter anderem diese Komposition, die allerdings auf Anraten Benny Goodmans (1909-1986), selbst Klarinettist und Leader einer Bigband seines Namens, auf drei Sätze erweitert wurde, sodass sie eine Dauer zwischen 18 und 20 Minuten bekam. Die Ecksätze, Verbunkos (Werbetanz) und Sebes (schneller Tanz) werden durch den Mittelteil Pihenö (Entspannung) klassisch aufgeteilt.

Der erste Eindruck dieser Interpretation war überwältigend. Extrem kontrastierend, wie Goodman sofort feststellte, und damit dem Stück den Namen gab. Erstmals wurde es 1940 mit Goodman an der Klarinette, Szigeti an der Violine und Bartók am Klavier in den New Yorker Columbia Studios uraufgeführt.


Ein virtuoses Gebilde

Ja, es kontrastiert extrem zwischen Geige, Klavier und Klarinette. So ist das Klavier eher perkussiv und rhythmisch orientiert, während die beiden Oberstimmen durch Kantabilität der Klarinette und Akkordgriffe, Arpeggien, Flageolett und Tremoli der Geige gegeneinander laufen. Spannung pur, aber im Mittelteil doch mit einer gewissen Düsterheit behaftet. Zwei Kadenzen von Geige im dritten und Klarinette im ersten Satz machen zudem aus dem Stück ein virtuoses Gebilde, was wohl auch den Interessen von Goodman und Szigeti geschuldet ist.


Werkstatt – lebhaft und chaotisch

Kommen wir zur Besprechung:

Dieses Mal ging es recht lebhaft und ein wenig chaotisch zu. Alle waren so begeistert von dieser Komposition, dass immer wieder neue Ideen durch den Raum schwebten. Mal waren es die komplizierten Rhythmen der ungarischen Folklore, die Dénes Várjon an pianistischen Beispielen demonstrierte.


v. l.: Carolin Widmann, Dénes Várjon, Dr. Markus Fein, Jörg Widmann, 
Foto: Wonge Bergmann


Viel Anekdotisches

Mal die anekdotischen Erzählungen, wie dieses Stück zustande gekommen sein soll. So soll Goodman, der Auftraggeber dieser Komposition, von „magyarisiert jazzoiden Elementen“ fabuliert haben, die in dieser Komposition enthalten seien. Dem ist aber nicht so. Dennoch gehörte es zu seinen Lieblingsstücken außerhalb seines Jazzmetiers. Mal formale Geschichten. So hat Goodman, der ja klassische Klarinette studiert hatte, auch Aufträge an Benjamin Britten und Paul Hindemith, um nur einige zu nennen, vergeben.

Dénes Várjon betonte den Parlando-Charakter dieser Musik. Bartók spreche hier seine ureigene Sprache, die sich auch im Rhythmus widerspiegele.


Psychogramm des 20. Jahrhunderts

Der zweite Satz, Pihenö (Entspannung) im Lento Tempo angegeben, scheint alle drei sehr zu beschäftigen. Jörg Widmann bezeichnet ihn als Psychogramm des 20. Jahrhunderts, eine wahrhaftige Botschaft an die Menschheit, für Freiheit und Frieden zu kämpfen. Carolin Widmann empfindet ihn als Seelenmusik und Dénes Várjon sieht in ihm die Schizophrenie von Heimatlosigkeit und verwundetem Selbst. Er sei eine Nachtmusik mit schwebender Harmonik, komplexen Schichtungen und düsterer Expression.

Es versteht sich, dass immer auch musikalische Beispiele dazu gegeben wurden.


Carolin Widmann, Dénes Várjon, Jörg Widmann
Foto: H.boscaiolo

Persönlichkeit und ureigener Ton

Zur Person Bartóks nimmt man Aussagen seines Freundeskreises auf, die ihn als zart und zerbrechlich, aber mit ausgesprochener Disziplin und wachem Geist beschreiben. Er gleiche, so das Fazit, einem mittelalterlichen asketisch lebenden Mönch.

Es folgen viele Fotos, Notenbeispiele und vor allem kurze Musikeinblendungen auf Leinwand und Audio, um das Kolorit des ungarischen, aber auch slawisch-böhmischen, serbisch-türkischen sowie bulgarisch-arabischen Toncharakters einzufangen. Darunter fallen kurze Ausschnitte aus Ravels Violinsonate Nr. 2 mit Gautier Capuçon und Frank Bradley, sowie aus Strawinskys L´Histoire du Soldat Suite, mit Isabelle van Keulen, Violine, Michael Collins, Klarinette, und Michael McHale, Klavier. Immer geht es um die Ausdeutung der Rhythmen, aber auch um den ureigenen Ton bei Bartók.

Carolin Widmann nennt ihn aufrichtig, die anderen nennen ihn einfach, entspannt, aber voller Noblesse. Einigen kann man sich auf die Bartóksche "Authentizität".


v. l.: Carolin Widmann, Dénes Várjon, Dr. Markus Fein, Jörg Widmann
Foto: H.boscaiolo
auf dem Leinwandfoto: Bartók am Klavier, Szigeti an der Geige und
Goodman an der Klarinette

Überraschung mit Welturaufführung

An dieser Stelle wird der Überraschungsgast angesagt. Es ist der Budapester Folklore Spezialist Tamás Gombai. Ein Virtuose auf seiner Geige und ein Phänomen der ungarischen wie slawischen Rhythmenvielfalt. Er bringt Beispiele aus dem Csardas, spielt den slow und den fast Sebes, zeigt die verschiedenen Bogentechniken, ihre Wellen- und Zirkelbewegungen und natürlich die klanglichen Auswirkungen. Auch die Haltung der Geige an der Brust, am hinteren Hals oder klassisch demonstriert er und zeigt ihre technischen Besonderheiten. 

Schließlich spielt er auf einer Hirtenflöte ein uraltes ungarisches Liedchen mit Gesang und reiht sich ins Trio ein, das gemeinsam mit ihm den ersten Teil des Sebes, quasi im Quartett, neu interpretiert. Auch hier wieder eine „Welturaufführung“. Die aber ist einfach klasse, denn Gombai versteht es prächtig, seine improvisatorischen Fähigkeiten einzubringen. Sogar eine gewaltige Kadenz kann er einbauen, die wirklich alles in den Schatten stellt.


v. l.: Dr. Markus Fein, Carolin Widmann, Tamás Gombai,
Jörg Widmann, Dénes Várjon

Foto: Wonge Bergmann

Original und Sublimation

Zum Abschluss noch einige historischen Fotos mit originalen Feldaufnahmen von 1912, heftig durch Nebengeräusche gestört, aber durchaus hörbar. Notenaufzeichnungen Bartóks mit Hilfe des Phonographs und schließlich ein Duett der beiden Streicher, die die Feldaufnahme in eine „autonome, subtilste Kunstmusik sublimiert“. Perfekt und damit auch der beste Übergang zur zweiten Vorstellung von Contrasts für Klarinette, Geige und Klavier, nach der neuen Edition von Peter Bartók (2002).


Nachhaltig im besten Sinne

Es versteht sich von selbst, dass man jetzt anders hörte, wie auch die drei Akteure anders spielten. Etwas schneller, lockerer, einfacher, mit mehr Noblesse und authentischer.

Wieder einmal eine lehrreiche, mit Rhythmen und Tänzen gespickte Musikwerkstatt und drei, nein vier sehr kompetenten Musikern, Theoretikern und Denkern. Ein Abend mit Nachhaltigkeit im besten Sinne. Dank auch an den wie immer sehr kompetenten Moderator, Dr. Markus Fein

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