Sonntag, 29. September 2024

Der Prinz von Homburg, Oper in drei Akten von Hans-Werner Henze, nach dem Drama von Heinrich von Kleist, Libretto: Ingeborg Bachmann, Oper Frankfurt, zweite Aufführung am 28.09.2024 (Premiere: 22.09.2024).

Domen Križaj (Prinz von Homburg), Magdalena Hinterdobler
(Natalie, im Hintergrund) 
alle Fotos: Barbara Aumüller

Ein historischer Stoff

Ein historischer Stoff. Das Drama spielt sich eigentlich im Jahre 1675 ab, im Rahmen der Schlacht bei Fehrbellin zwischen den Schweden und den Brandenburgern. Bekanntlich siegten die Brandenburger über die Schweden, ein damals Aufsehen erregender Erfolg, weil die brandenburgische Armee, die noch niemals zuvor allein in eine Schlacht gezogen war, die hervorragende schwedische Truppe aus dem Feld geschlagen hatte und damit ungemein das Selbstbewusstsein Brandenburg-Preußens stärkte. Das zum Umfeld dieses Opernsujets.


Einer, der selbst entscheidet

Prinz von Homburg, der Kurfürst, seine Offiziere sowie seine gesamte Entourage haben historische Bezüge, sind aber hier von einem gänzlich anderen Holz geschnitzt.

Der Prinz Friedrich Artur von Homburg ist die Hauptperson dieses Dramas. Er ist ein Träumer, ein Draufgänger, ein Feigling, ein irgendwie alles. Hans-Werner Henze (1926-2012) selbst bezeichnet ihn im Briefverkehr mit seiner Freundin Ingeborg Bachmann (1926-1973) als modernen Helden, „der erste psychologisch interessante, nicht klassische Typ von Protagonist – einer der selbst entscheidet, ohne Schicksal … von der militärischen Seite zu sprechen ist dadurch vielleicht ganz unnötig, sie ist ja wirklich nur Milieu.“


Domen Križaj, Magdalena Hinterdobler 

Eine Milieustudie

Also alles andere als ein Militärspiel mit Tschingderassabum und nationaler Überhöhung, sondern eher eine Milieustudie, ein familiäres Psychogramm einer hochadeligen, mit viel Macht ausgestatteten Familie aus dem 17. Jahrhundert, verbunden mit einer Thematik, die heute noch genauso aktuell ist, wie zu Zeiten der Entstehungsgeschichte des gleichnamigen Dramas von Heinrich von Kleist (1777-1811) im Jahre 1810.


Freiheit contra herrschende Gesetzgebung

Worum geht es? Es geht genau genommen um individuelle Freiheit contra herrschende Gesetzgebung, um Selbstbestimmung contra Fremdbestimmung. Dies wird in den Personen des Prinzen von Homburg und dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, sowie den Antipoden Prinzessin Natalie von Oranien und der Kurfürstin verdeutlicht, aber auch an den Offizieren, dem Grafen Hohenzollern, dem Feldmarschall Dörfling und dem Obristen Kottwitz hinreichend exemplifiziert.


Yves Saelens (Kurfürst von Brandenburg; sitzend) und Ensemble

Der siegreiche Held – Oder?

Alles beginnt mit einem Traum. Homburg träumt von der Liebe zu Natalie und vom Erfolg in der Schlacht. Er wird belächelt, nicht sonderlich ernst genommen, aber irgendwie auch bewundert. Alles kulminiert in der Schlacht bei Fehrbellin. Der Prinz missachtet den Befehl des Kurfürsten, seines Oheims, und gewinnt dennoch die Schlacht. Er ist der siegreiche Held. 

Doch sein eigenmächtiges Handeln verletzt die Staatsräson. Sein gerade noch aus dem Schlachtgetümmel geretteter Onkel lässt ihn festnehmen und zum Tode verurteilen.


Staatsräson

Es folgt die Auseinandersetzung darüber, inwieweit selbstständiges Denken und Handeln, der unlösbare Widerspruch von Gesetz und individueller Entscheidung, eine Gesellschaft prägen wie auch zerstören kann. 

Diese Frage hatte nicht allein historischen Bezüge, denn es ging zu Kleists Zeiten um die preußische Heeresreform, die eindeutig nationale Züge enthielt und sich am napoleonischen Vorbild orientierte, das heißt, Abkehr vom Söldnerheer hin zum Volksheer, zur nationalbewussten Verteidigungs- wie auch Angriffsidee. Darf man, wenn es um das staatliche Gefüge geht, eigenmächtig handeln, oder gilt die absolute Idee der Staatsräson?


v.l.n.r. im Vordergrund Domen Križaj, Andrew Kim, Božidar Smiljanić (Offiziere),
Magnus Dietrich (Graf Hohenzollern),
Sebastian Geyer (Obrist Kottwitz)

sowie im Hintergrund Ensemble

Begnadigung – Aber wie?

Hier findet dieser Konflikt zwischen den vier Personen statt. Schlussendlich begnadigt der Kurfürst seinen Neffen, aber nur unter der Bedingung, dass er das Urteil als „ungerecht ablehne“. Dies wiederum lehnt Homburg ab, weil er damit vermeintlich seine Selbstbestimmung aufgibt. Lieber geht er in den Tod, als sich auf diese Weise seinem Gebieter Oheim zu unterwerfen.

Das End vom Lied: Man verbindet seine Augen (Justitia lässt grüßen) und führt ihn scheinbar aufs Schafott. Homburg verfällt wieder in die Träumereien zu Anfang des Dramas. Er glaubt sich im Jenseits, begrüßt die Schönheit der Natur und spricht den berühmt berüchtigten Satz: „ In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“


Würde und Freiheit

Vielfach falsch interpretiert, soll dieser Satz lediglich den Wunsch nach Souveränität und Freiheit, nach Würde und Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen. Historisch durchaus nachvollziehbar, ging es doch um diejenige Brandenburgs. In dieser Version ist es allerdings die individuelle Freiheit sowie die unbedingte Liebe zu Natalie. Und sagte nicht der Kurfürst höchstpersönlich, nachdem er den Antwortbrief seines Neffen gelesen hat: „Der wird uns lehren, was Freiheit und Würde sei?“


Ensemble (Schlacht bei Fehrbellin)

Schwerer Stoff – leicht in Szene gesetzt

In diesem Sinne ist dem Team um Jens-Daniel Herzog (Inszenierung), Johannes Schäfer, Wicke Neujoks (Bühne und Kostüme), Joachim Klein (Licht) und Mareike Wink (Dramaturgie) eine ausgezeichnete Interpretation und Realisierung des doch etwas schwer zu vermittelnden Stoffes gelungen.

Trotz karg bestückter Drehbühne, lediglich Stühle und vielen Glaskästen, dafür aber mit perfekten Lichtinstallationen, zum Beispiel beim Schlachtgetümmel, oder bei der offenen Grabszene, wirkten die fließend übergängigen Akte mit zwölf Szenen immer kurzweilig und handlungsfokussiert, wozu auch das wirklich gut durchdachte Kostüm-Mix zwischen militärischer Strenge und modischem Styling gehörte.

Dafür sorgten aber auch die brillanten Intermezzi, die sowohl den Fortgang der Szenen wie auch die Gefühlswelt der betroffenen Personen nachbildete wie auch verstärkte.


v.l.n.r. Annette Schönmüller (Kurfürstin; stehend)
Magdalena Hinterdobler und Domen Križaj 

Die Musik macht´s

An dieser Stelle kommt die Musik ins Spiel. Hier gelingt dem musikalischen Leiter Takeshi Moriuchi eine wirklich überragende Meisterleistung mit seinem gut 30 Musikerinnen und Musiker starken Ensemble, nebst viel Perkussion, Klavier, Harfe und Glockenspiele. Ja die Musik macht´s, möchte man an dieser Stelle rufen. Und so war es auch.

Henze gelingt es, mit seinem eklektizistischen Kompositionsstil zwischen Serialismus, Dodekaphonie, schlichter Tonalität und expressionistischen wie impressionistischen Passagen, die intrinsische Gefühlswelt wie die extrinsische Vernunftswelt in Töne zu fassen und ein durchweg dichtes und stimmiges Wechselspiel von Text und Musik herzustellen, was dem Ensemble bestens von der Hand ging.


Domen Križaj (stehend) und Ensemble

Perfekte Stimmen – schauspielerische Bestleistung

Aber auch die Sängerinnen und Sänger leisteten ihren gewichtigen Beitrag zum Gelingen dieser Aufführung. Allen voran die beiden Hauptprotagonisten, der Bariton Domen Križaj als Prinz von Homburg und die Sopranistin Magdalena Hinterdobler als Prinzessin Natalie. Beide wie geschaffen für diese Rollen, ausgestattet mit perfekten Stimmen und unglaublichen Schauspieltalenten. Sicher lebt und stirbt diese Oper mit diesen beiden, aber auch die Entourage darf nicht unterschlagen werden.

Da wären unter anderem der Graf Hohenzollern, hier vom hervorragenden Tenor Magnus Dietrich verkörpert. Klar, hell und wirklich schön seine Stimme. Dann das Kurfürstenpaar mit dem Tenor Yves Saelens und der Mezzosopranistin Annette Schönmüller. Beide ein Ausbund der Staatsräson, sie ein wenig defätistisch und melancholisch mit entsprechend gebrochener Stimme, er dagegen mit gutmütigem Timbre, hart in der Sache aber, neben seiner Bräsigkeit, auch mit einem Schuss Humor und in der Schlussszene, in Unterhose und ohne Ornat, sogar mit Selbstironie gesegnet.


Dome Križaj, Magnus Dietrich

Ode an die Freiheit mit Augenzwinkern

Auch das Offizierschors, die Hofdamen wie auch der Feldmarschall Dörfling (Iain Mac Neil, Bariton) und der Obrist Kottwitz (Sebastian Geyer, Bariton), waren stimmlich wie schauspielerisch bestens gerüstet und gaben der Oper eine Menge Stoff zum Nachdenken, denn auch sie waren eingebunden in die Dialektik von Individualität und Kollektivität, von Staatsräson und freiem Willen. Ihr Schlusschor, im Glaskasten mit dem Prinzen von Homburg mit verbundenen Augen, war nicht allein eine Augenweide und ein Hörgenuss, sondern auch eine Ode an die Freiheit und Würde mit viel Augenzwinkern.


Domen Križaj (stehend) und Ensemble

Homburg ist liebenswert

Eine Oper, die bei allem Ernst der Thematik auch ein gehöriges Maß an Ironie und Humor mitbrachte. Eine Oper zum Verlieben (die beiden Königskinder, die nicht zusammenkommen konnten, hier aber wohl doch) und eine, die musikalisch einen Komponisten Hans-Werner Henze von bester Qualität vorführte, mit einer Musik, die es schaffte, die Persönlichkeit des Prinzen, so vielgestaltig und widersprüchlich sie auch war, so zu gestalten, dass er „uns (am Ende wirklich) liebenswert vorkommt“ (Henze an Bachmann, März 1960). 

Chapeau an alle Mitwirkenden. Der lang andauernde Beifall war der beste Beweise dafür.


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