Requiem für einen Jungen Dichter (1967-1969) von Bernd Alois Zimmermann und Rothko Chapel (1971) von Morton Feldman, Szenische Erstaufführung, Staatstheater Darmstadt, 02.10.2024 (Premiere)
Opernchor (Foto: Martin Sigmund) |
Es geht um Leben und Tod
Zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein können, werden an diesem Doppelabend szenisch zusammengefügt, um sie, wie es im Programm heißt, „auf ihre Relevanz hier und heute zu überprüfen“.
Tatsächlich geht es in beiden Werken um Leben und Tod, zumal die Hauptprotagonisten der textlichen und inhaltlichen Vorlage allesamt Suizid begehen.
Es sind die russischen Dichter und Avantgardisten Sergej Jessenin (1895-1925), Wladimir Majakowski (1893-1930), der österreichische Schriftsteller Konrad Bayer (1932-1964) sowie Mark Rothko (1903-1970) und last but not least der Komponist des „Requiems“ selber, Bernd Alois Zimmermann (1918-1970).
Verzweifelt pessimistisch
Das Requiem, um es vorweg zu sagen, ist ein verzweifelt pessimistisches, sehr komplexes, aber irgendwie auch wahres Stück, wogegen Rothko Chapel eher den meditativen Geist anspricht. Es ist von tiefer Innerlichkeit, ja Zerbrechlichkeit, und lässt den Hörer, so man möchte, tief in sich selbst schauen. In diesem Kontrast scheinen sich beide Werke zu treffen, wenngleich das sehr hoch angesetzte Ziel der Darmstädter Inszenierung irgendwie doch mit einigen Fragezeichen zu versehen ist.
Opernchor (Foto: Martin Sigmund) |
Musikalisch künstlerische Anklage
Gehen wir ins Detail:
Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter ist in mehreren Lebensabschnitten des außergewöhnlichen Komponisten entstanden. Erste Ideen dazu hatte er 1955, weitere 1960 und zwischen 1967 und 1969 fügte er alle Ideen und Vorarbeiten zu diesem gut einstündigen Oratorium, oder einer Kantate, oder einem Hörspiel oder gar einer Szenischen Aufführung zusammen.
Zeitlebens verband Zimmermann seine Musik mit dem gesellschaftlichen Leben. L´art pour L´art, die Kunst für die Kunst, war ihm fremd. Ebenfalls aber auch die rein politische Aussage seines Schaffens. Großes Aufsehen erregte er mit Die Soldaten (1965), eine gewaltige „Oper als totales Theater“ über eine gleichnamige Gruselkomödie von Jakob Michael Heinrich Lenz (1751-1792). Scheinbar hochpolitisch, aber im eigentlichen Sinne eine musikalisch-künstlerische Anklage auf die Zustände einer von ihm persönlich erlebten Gesellschaft.
Opernchor (Foto: Martin Sigmund) |
Ein sehr persönliches Werk
So auch im Requiem. Dazu der Komponist: „Es handelt sich bei dem Werk nicht um eine wie auch immer geartete politische Veranstaltung, sondern es ist ein echtes Requiem … insgesamt kommt es mir bei diesem Werk darauf an, einen gewissermaßen globalen-linguistischen Überblick über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren zu geben …“
„Das Requiem ist gewissermaßen die musikalische Begleitung des letzten Aktes eines Menschen auf dieser Welt“, so beurteilte im Jahre 1995 Michael Gielen (1927-2018) dieses Werk, und meinte damit den ganz persönlichen Werdegang des Menschen Bernd Alois Zimmermann.
Zutiefst verstörend
Zimmermann benutzte hier all sein philosophisches, literarisches Wissen und seine Kenntnis der collagierten Kompositionstechnik, die Elemente von Renaissance, Barock, Klassik und zeitgenössischem Stil, ebenso verwendet, wie Elektronik, Tonbandaufnahmen, Videoeinspielungen, kurz: das gesamte Repertoire der Ausdrucksmöglichkeiten für seine Musik.
Hier sind es neben einer zutiefst verstörenden Musik, die oft ans Bruitistische grenzt, Texte der genannten drei Protagonisten, wie auch Aussagen von Ludwig Wittgenstein, Papst Johannes XXIII., James Joyce, Alexander Dubček, oder auch Albert Camus, die von Sprechern verlesen werden. Dann Reden und Aussagen von Hitler, Goebbels, Chamberlain, Churchill und Mao Zedong.
Ebenso hört man vom Band Musikzitate und Fragmente aus Wagners Tristan, Milhauds La Création du Monde, Messiaens L´Áscension oder Hey Jude von den Beatles. Im Schlussabschnitt, dem Dona Nobis Pacem, hört man gar fragmentarisch Beethovens Neunte und seine Missa Solemnis bei Stimmenübertragungen von Rippentrop, Goebbels und Stalin.
Zwischen düster und buntig
Das Regie Team um Karsten Wiegand hatte sich eine große Aufgabe vorgenommen. Szenisch versuchte man über die clownesken Kostüme der gut 100 überwiegend jugendlichen Sängerinnen und Sänger, ein buntes Bild des Lebens, kontrastierend zur düsteren Thematik, herzustellen (Judith Adam, Kostüme).
Die drei Chöre (Konzertchor Darmstadt, Opernchor Darmstadt und Symphonischer Chor Bamberg) leisteten Schwerstarbeit zwischen Lamento und Hilfeschrei (Karsten Januschke, musikalische Leitung, Wolfgang Seeliger, Konzertchor, Alice Meregaglia, Opernchor, Tristan Meister, Mikko Sideroff, Symphonischer Chor Bamberg). Wut und Schock dominierten. Von Gebet und Hoffnung konnte keine Rede sein. Schöne Stimmen hatten sie alle drei und trugen eine Menge zum Gelingen dieses Unternehmens bei.
Opernchor, Mitte: Tomas Möwes (Sprecher und Sänger), hängend: Luciano Baptiste (Foto: Martin Sigmund) |
Die beiden Solisten, Anja Petersen (Sopran) und David Pichlmaier (Bariton) gestalteten vor allem die Elegia und das Lamento, ein hoch komplexer Gesang mit extremen Intervallen und gewaltigen Stimmumfängen. Dazu ein visuelles Verwandlungsspiel, mysterious lynx, auf zwei Videoleinwänden, magische Tierverwandlungen, aber auch Gestaltwechsel mit Romeo und Julia, Dionysos paintings, Venus in a style of Botticelli, Zentaur, oder auch Jesus am Kreuz. Viel Brimborium, aber immerhin eine visuelle Ablenkung. Nicht zu vergessen die parallel dazu einsetzende Jazz-Combo (bestehend aus Mitgliedern der Staatsorchesters Darmstadt) und der hängende tote Dichter (Luciano Baptiste), und einer der Sprecher, Thomas Möwes.
Viel Überfrachtungen
Das Wehklagen wie das Dona Nobis Pacem waren gespickt mit Videos aus der 1968er Bewegung, darunter amerikanische Studentendemos mit Polizeieinsatz, Martin Luther King, aber auch Schwulen- und Trans-Demos oder Drag-Queens-Aufzüge, wie Maidan und der Fall der Mauer 1989 durften nicht fehlen. Möglicherweise ein Versuch, Zimmermann auf die heutige Zeit zu übertragen. Vermutlich hätte der Komponist ganz andere Bilder, beispielsweise die Corona-Demos oder die Spaziergänge mit den brutalen Polizeieinsätzen der 2020er und 2021er Jahre, ausgewählt. Nun denn: Leider wurde hier die Wehklage wie das Dona Nobis Pacem doch arg visuell überfrachtet.
Videowand mit Chormitgliedern (Foto: Martin Sigmund) |
Ein Fazit der Verzweiflung
In Dona Nobis Pacem, eigentlich an Beethovens Missa Solemnis erinnernd, wurde das Requiem durch extreme Lautstärke aus den Boxen (hier gibt es leider arge Mängel zu verzeichnen) eher zu einem Hilferuf der verlorenen Seelen. Der finale Text von Konrad Bayer tat sein Übriges. „Wie jeder weiß“, aus seinem Sechsten Sinn ist ein Fazit der Verzweiflung, denn „jeder sollte es wissen (hier geht es um die Atombombe), aber keiner will es wahrhaben“. Das in einer fünffachen kanonischen Ausführung.
Die Kugel ist geschlossen
Mit diesem fast zeitlosen, leider wenig verständlichen Text, endet die Totenmesse. Zimmermanns Kugel-Philosophie hat sich geschlossen. Sieben Monate nach Beendigung des Auftragswerks und der Uraufführung in der Tonhalle Düsseldorf beendet Bernd Alois Zimmermann durch Freitod sein Leben.
Zeit bleibt stehen - Raum öffnet sich
Die Pauken, Trommeln, Bläser und Streicher (immerhin sollten es an die 100 sein) verstummen, und nach einer Atempause von wenigen Minuten beginnt Rothko Chapel vom oberen Rang des Großen Saals.
Rothko Chapel ist ein in vier Abschnitte aufgeteiltes etwa 25-minütiges Werk, das die de Menil Foundation in Houston Texas 1971 für die Einweihung einer interreligiösen Kapelle, in Memoriam an ihren Freund Mark Rothko, an Morton Feldman vergeben hatte.
Opernchor (Martin Sigmund) |
Raummusik
Morton Feldman (1926-1987), übrigens gern gesehener Gast auf den Darmstädter Ferienkursen, ist bekannt für seinen minimalistischen Stil, der bestens zu den Werken Rothkos passt. Er war ein begeisterter Anhänger und Bewunderer der zeitgenössischen abstrakten Malerei und befreundet mit Jackson Pollock, Robert Rauschenberg, Franz Kline, und selbstverständlich auch mit Mark Rothko.
Zu seiner Komposition meinte er: „Meine Auswahl der Instrumente … wurde in hohem Maße bestimmt durch den Raum der Kapelle, aber auch durch die Bilder (14 an der Zahl). Sie (die Musik) sollte den gesamten achteckigen Raum durchdringen und nicht aus einer bestimmten Distanz gehört werden.“
Feldman wählte Viola (Klaus Jürgen Opitz), Celesta (Nicolas Kierdorf) und Perkussion (Schlagwerk, darunter Vibraphon, Gong und Röhrenflocken, bedient von Frank Assmann, Tobias Hegele und Jürgen Jäger ) sowie Chor (Staatstheater Darmstadt), Solo Sopran und Solo Alt, hier gesungen von Aki Hashimoto (Sopran) und Aviva Piniane (Alt). Auch in dieser Interpretation hatte die musikalische Leitung Karsten Januschke inne.
Makellos mit diffiziler Dynamik
Die Musik kam aus dem oberen Rang, makellos in Timbre, Klang und vor allem in Rhythmik (das Stück wechselt permanent die Taktfolge) und diffiziler Dynamik. Die vier etwa gleichlangen Teile nennt Feldman „eine recht lange deklamatorische Eröffnung“, wo Viola und Celesta dominieren, dann „ein eher gleichbleibender abstrakter Teil für Chor und Röhrenglocken". Der Höhepunkt besteht aus dem „motivischen Zwischenspiel für Sopran, Viola und Pauken“, wo ebenfalls die Altstimme zum Einsatz kommt. Beide Protagonistinnen singen göttlich schön mit leisem, engelhaften Ton.
Schließlich „ein lyrisches Ende für Viola mit Vibraphon Begleitung, und später in einem Collageneffekt einsetzenden Chor“. Ein Kinderwiegenlied, einfachst gesetzt, und doch mit größter Wirkung. Auch der Chor zeichnet sich durch gute Stimmen und klanglichem piano aus.
(K)Ein meditativer Zustand
Was hier szenisch sein soll, konzentriert sich auf einen beleuchteten Rahmen mit schwarzem Inhalt über der Bühne. Auch der Saal ist vollständig verdunkelt. Die Absicht ist einfach und doch philosophisch illusionär. Man wünscht sich den Zuhörer in einen meditativen Zustand versetzt. Eigentlich nicht die Absicht des Erfinders dieser Musik.
Klänge stehen für sich
Rothkos Gemälde changieren zwischen Poly- und Monochromie. Ein Stil, der in den 1970ern höchst modern war und heute viel Büroräume und Foyers füllt. Eigentlicher Sinn war und ist dabei das L´art pour L'art Prinzip. Reduktion des Materials und im weitesten Sinne Schopenhauersches Nicht-Wollen. Auch das ist bei Feldman Prinzip. Kein spezielles Gefühl bestimmt seine Musik, sondern eher das Füllen von Zeit und Raum mit Klängen, die für sich stehen, wie Skulpturen (oder Gemälde), „ohne auf Etwas zu verweisen, oder etwas anderes abzubilden als sich selbst“.
Videowand mit Chormitgliedern (Foto: H.boscaiolo) |
Unzureichend organisiertes Chaos
Ein höchst interessanter Aspekt, der aber kaum mit der Intension Bernd Alois Zimmermanns übereinstimmt.
Dennoch muss man sagen: Das Experiment hat sich gelohnt, selbst wenn Vieles noch nicht stimmig ist. So die Technik - Die Stimmen aus den Lautsprecherboxen waren oft zu laut, man hörte die Musik und die Geräusche aus dem Orchestergraben schlecht bis gar nicht. Dann die Textlastigkeit: Sie ist eh ein Problem des Requiems. Hier versuchte man zwar zu Anfang, durch Wortfetzen, die wie ein Regenguss von der Decke der Bühne fielen, die Inhalte „aufzufangen“ (eine gute Idee) konnte das aber in den folgenden Abschnitten nicht weiter einhalten.
Vor allem bei Majakowskis und Jessenins langen, auf russisch gehaltenen Gedichten, geriet das Ganze irgendwie ins Chaotische. Man hörte lediglich nur noch Gebrummel (wie gesagt die Lautsprecherboxen), konzentrierte sich alternativ auf die bunte Bühne, worunter allerdings der musikalische Flow litt.
Die vielen IT-Versuche und Bühnenwechsel, wozu möglicherweise auch der Hologramm-Foxtrott mit Blues-Einlage der Jazz-Combo im Tratto-Abschnitt gehörte (Roman Kuskowski, Martin Kadel), ließen das eh extrem dichte Gesamtwerk noch weiter ausufern. Die sogenannten historischen Collagen (Gabriel Sahm) zählten ebenfalls dazu und litten ein wenig durch ihre nicht immer glückliche Auswahl.
Zwei unterschiedliche Sichtweisen
Ein Szenische Erstaufführung zweier kontrastierender Werke, die gerade in ihrer extremen Unterschiedlichkeit den Abend doch friedlich und hoffnungsfroh enden ließen.
Das allerdings lag im Wesentlichen am Ausklang mit Rothko Chapel von Morton Feldman, wo so ziemlich alles zusammenpasste. Bernd Alois Zimmermanns Requiem, ein sehr selten aufgeführtes, weil kaum realisierbares Monsterwerk ist eine Mammutaufgabe für jedes Opernteam auf diesem Globus.
Chor- und Musikermitglieder beim Schlussapplaus (H.boscaiolo) |
Mit Haken und Ösen
Ein Kritiker soll einmal zu diesem Werk sinngemäß gesagt haben: Eine demütigende Polyphonie der Missetaten des 20. Jahrhunderts – fesselnd, kompromisslos und für unser Verständnis der ernsten Musik der 1960er Jahre ebenso wichtig wie die Beatles für die Popkultur dieses Jahrzehnts.“ Mit ein wenig Fantasie könnte man Feldman ergänzen, ein US-Amerikaner der Neuen Welt, der ebenfalls die Musik des 20. Jahrhunderts neben seinen Zeitgenossen John Cage, La Monte Young oder auch Terry Riley mitprägte - Nur eben aus deren Sicht.
In dieser szenischen Erstaufführung allerdings hatte der Versuch noch Haken und Ösen.
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