37. Rheingau Musik Festival vom 22.06 bis zum 07.09.2024
Anne-Sophie Mutter (Violine) und das Pittsburgh Symphony Orchestra (Leitung: Manfred Honeck), Kurhaus Wiesbaden, 06.09.2024
Anne-Sophie Mutter und das Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) Foto: Ansgar Klostermann |
Qualitativ und musikalisch kaum zu toppen
Ein gewaltiges, exorbitantes Finale des diesjährigen Rheingau Musik Festivals (RMF) sollte es zumindest im vollbesetzten Kurhaus in Wiesbaden werden (bekanntlich steht ja noch das Abschlusskonzert im Kloster Eberbach mit Bruckners 3. Sinfonie und dem Gustav Mahler Jugendorchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher bevor). Ein in der der Qualität und Musikalität wohl kaum noch zu toppen Ereignis.
Anne-Sophie Mutter, Manfred Honeck und das PSO Foto: Ansgar Klostermann |
Fanfare für Orchester
Gleich zu Beginn,
quasi zum Warm machen, stimmte das gut 90-köpfige Pittsburgh
Symphonie
Orchestra (PSO) das Publikum mit John
Adams (*1947) Short ride in a Fast Machine (1986) ein.
Ein gut vierminütiger Aufreger in minimalistischem Stil. Ganz amerikanisch. Eine Art Steigerungslauf, dessen Rhythmus durchweg von einem Holzblockpochen bestimmt wird. Ein Puls, der zunächst von den Blechen, dann von den Holzbläsern und schließlich von den Streichern in komplexen Verschiebungen und rhythmischen Variablen und wachsender Lautstärke bis hin zu den abschließenden Fanfaren fortgesetzt wird. Die amerikanische Minimailistengarde lässt grüßen, angefangen bei Terry Riley, La Monte Young und fortgesetzt bei Philip Glass oder Steve Reich. Aber auch Aaron Copland und Charles Ives sind vor allem bei den Fanfaren herauszuhören.
Ausgerechnet das PSO brachte das Werk 1986 zur Uraufführung und es gehört tatsächlich zu den 25 am häufigsten gespielten Werken dieses Genres, was wohl dem triumphalen Fanfarenspiel der Trompeten Posaunen, Hörnern und Tuben zu verdanken ist. Nicht von ungefähr wird es auch Fanfare für Orchester genannt.
Anne-Sophie Mutter, Manfred Honeck und das PSO Foto: Ansgar Klostermann |
Dominanz auf der Bühne
Dann kommt sie, Anne-Sophie Mutter, in anthrazitgrau-glitzernder Robe, sehr charmant, und beginnt nach kurzem Blickkontakt zu Manfred Honeck nach knappen zwei Takten des Orchester-Tutti mit dem ersten Satz (Allegro molto appassionato) des Violinkonzerts e-Moll op. 64 (1844) von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847).
Gleich geht sie hohes Tempo, brilliert durch ihren wohl auf der Welt einmaligen Strich und nimmt sofort das Zepter des Geschehens auf der Bühne in ihre Hand.
Hier sei vorweggenommen, dass Anne-Sophie Mutter, eine ganz eigene Interpretation des Violinkonzerts bevorzugt. Sie liebt die extremen Rubati sowie gleichermaßen die starken dynamischen Wechsel. Das ist für jedes Orchester, gleich welcher Klasse, eine Sisyphusarbeit, aber auch für den Dirigenten. Mal drosselt sie das Tempo vom Allegro zum fast manierierten Adagio, dann wieder hat sie vor allem in den virtuosen Passagen kein Problem, regelrecht dem Orchester davonzulaufen. Ja man wird den Eindruck nicht los, es hechelt ihr hinterher. Aber das nur nebenbei.
Anne-Sophie Mutter, Manfred Honeck und das PSO Foto: Ansgar Klostermann |
Mit ihrer Geige ist alles möglich
Denn Anne-Sophie Mutter steht über den Dingen. Ihr Ton ist so einmalig wie ihre Präsenz. Der zweite Satz, ein Andante, ein lyrisches Gedicht, voller Sehnsucht und Friedfertigkeit, ist wohl das Beste, was der Schreiber dieser Zeilen jemals gehört hat.
Anne-Sophie Mutter glänzt gerade hier durch wunderschöne transparente Triolenbegleitung der melodischen Linie, spielt in beseeltem Pianissimo und beweist, dass mit ihr auf dieser Elimiani Violine von 1703 alles möglich ist.
Im Schlusssatz macht sie aus dem Allegro molto vivace leider ein Prestissimo. So schnell, dass selbst der Dirigent nicht mehr mit kommt. Dennoch versteht sie brillant, immer wieder den Kontakt zum Orchester und zu ihrem Freund Manfred Honeck zu halten. Glücklicherweise machen das die Wechsel der Themen möglich.
Dass sie in der Coda noch einmal zu einer Stretta findet, ist schon irgendwie phänomenal, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Vivace der Interpretation besser getan hätte.
Anne-Sophie Mutter, Manfred Honeck und das PSO Foto: H.boscaiolo |
Gesellschaftliche Verantwortung
Anne-Sophie Mutter ist ohne Zweifel eine Ausnahmevirtuosin. Wie oft sie das Violinkonzert in ihrem Leben gespielt haben mag, bewegt sich vermutlich in hohem dreistelligen Bereich. Man spürt einfach ihre Ungeduld, wenn sie sich in das doch sehr innovative, höchst virtuose und romantisch lyrische Werk begibt. Denn sie kann Adagio, sie kann dreifaches, ja vierfaches Piano, sie kann einfach alles auf ihrem Instrument. Es ist wohl als Kopfsache zu bewerten, warum sie ausgerechnet dieses Werk so furios angeht und auch beendet.
Fast wäre sie endgültig von der Bühne verschwunden, das frenetisch klatschende Publikum will schon enttäuscht in die Pause gehen, da kommt sie wieder. Sie erinnert in kurzen Worten an den Beginn des 2. Weltkriegs vor genau 85 Jahren und daran, dass wir dieses Konzert erleben, während auf der Welt mehr als 200 Kriege menschliches Leben vernichten.
Im Gedenken daran spielt sie die Leitmelodie aus Steven Spielbergs Schindlers Liste von John Williams. Jeglicher Kommentar erübrigt sich hier. Anne-Sophie Mutter, Manfred Honeck und das PSO boten musikalische Aufklärung, die wieder bitter nötig ist.
Manfred Honeck (Foto: Ansgar Klostermann) |
Langer Vorlauf der Moderne
Gustav Mahlers (1860-1911) Sinfonie Nr. 1 D-Dur genannt auch „Titan“ (1896), hatte, wie die ersten Sinfonien vieler seiner Zeitgenossen, eine relative lange Vorlaufzeit, ehe sie zur jetzigen und endgültigen Fassung geriet. So reichten die Vorarbeiten bis ins Jahr 1884 zurück.
Mahler entnahm einige Lieder aus seinem Zyklus Lieder eines fahrenden Gesellen, gab der zunächst fünfsätzigen Sinfonie, in Anlehnung an Jean Pauls gleichnamigen Roman, den Titel Titan, um den Charakter einer Sinfonischen Dichtung zu betonen, strich nach der ersten Aufführung im Jahre 1889 in Budapest, den sog. Blumine-Satz (er wird heute noch als einzelnes Werk aufgeführt), überarbeitete das Werk noch einmal gründlich, ehe es dann in endgültiger Fassung 1896 in Berlin seine Uraufführung erfuhr.
Zwölf Jahre, die eine Sinfonie entstehen ließen, ohne die die Sinfonik des 20. Jahrhunderts undenkbar wäre. Nicht von ungefähr hat die Zweite Wiener Schule unter Schönberg, Berg, und Webern Mahler zum expliziten Vorbild genommen. Theodor W. Adorno gar reihte Mahler in die Phalanx der fortschrittlichen Moderne ein, als „Ausbrecher aus der bürgerlichen Musikkultur“.
Manfred Honeck (Foto: Ansgar Klostermann) |
Hier ist alles anders
Ja, in der ersten Sinfonie scheint alles anders zu sein. Sonatenhauptsatz, ja und nein, typische Sinfonik, ja und nein, neuartige Orchesterbesetzung, ja und nein. Diese Sinfonie bricht mit allen Konventionen, ohne die Tradition zu negieren, baut sie doch Lieder, Ländler, Gassenhauer, Klezmer, Folklore und Volksmusik im scheinbar wilden Durcheinander zusammen.
Auch die Satzbezeichnungen ändern sich. So lautet der erste Satz „langsam, schleppend. Wie ein Naturlaut – im Anfang sehr gemächlich“, was allerdings nur den ersten Teil des Satzes betrifft.
Ja er schleppt sich zunächst dahin mit Vogelstimmen, lang andauernden Bordun-tönen der Kontrabässe und Quart-fällen der Holzbläser, wie von Kuckucken. Aber plötzlich ein Weckruf der Blechbläser, eine Jagdfanfare, ein Marsch, dann wieder ein herrliches Lied: „Ging heut´ morgen übers Feld“ (aus Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen). Das eigentliche Hauptthema dieses Eingangssatzes. Der Satz endet mit einem gewaltigen triumphalen Tutti. Ein Durchbruch in den Tag, wie er eindrucksvoller kaum sein kann.
Das PSO mit Manfred Honeck Foto: Ansgar Klostermann |
Meister der Motivationskunst
Honeck dirigierte übrigens ohne Partitur. Mit großer Verve und intimer Kenntnis der Notatur. Er ist ein Meister der Vorausschau und der Motivationskunst. Der zweite Satz „kräftig bewegt, doch nicht zu schnell“ ist im klassischen Sinne ein Scherzo. Dominiert wir er von einem derben Ländler, der der österreichischen Volksmusik entlehnt ist. Das Trio wiederum verarbeitet ausgesprochen lyrisches Material, zart und atmosphärisch geht es hier zu, ehe dann wieder der Ländler das Geschehen bestimmt.
Ein Wirrwarr der Melodien
Der Dritte Satz, der feierlich und gemessen gestaltet werden soll, enthält das bekannt Bruder-Jakob-Lied. Allerdings vermittelt Mahler durch die Mollversion dem weltweit bekannten Kinderlied den Charakter eines Trauermarsches. Ein Kanon, der von den Kontrabässen ausgeht, sich über die Celli, Fagotte und Posaunen ausbreitet und schließlich von den Streichern fortgesetzt wird.
Aber es bleibt nicht dabei. Unvermittelt wird der Hörer mit einer fröhlichen Klezmer Musik konfrontiert, dem wiederum das „Gesellenlied“: „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz" folgt. Den Schluss lässt Mahler mit allen drei Themen verschmelzen, ein herrliches Wirrwarr der Melodien.
Das PSO mit Manfred Honeck Foto: H.boscaiolo |
Bis zur Apotheose
Unfassbar stürmisch beginnt der Finalsatz. Honeck lässt die Wände des Kurhauses wackeln. Das dauert nur wenige Minuten, ehe sich die Geister wieder beruhigen. Jetzt wird man im Pianissimo mit einer betörend einfachen Melodie konfrontiert. Hatte hier Anton Bruckner, sein Lehrer, die Hände im Spiel?
Ein dynamisches Wechselspiel soll langsam aber stetig die Apotheose einleiten. Man steigert sich sukzessive bis zum absoluten Durchbruch, dabei rekurriert Mahler auf die Thematik des ersten Satzes, die abfallenden Quarten kommen wieder, wieder „singt“ man „Ging heut´ morgen übers Feld“, wieder die marschartige Fanfareneinlage. Mahler ist hier, trotz strenger Orientierung an den Sonatensatz, ein wirklich revolutionäres Finale gelungen. Das gesamte viersätzige Werk wird noch einmal zusammengefasst, alle Sätze bekommen eine wohl durchdachten Replik, alles wird genial in einer schier unerreichbaren Apotheose gebündelt.
Im besten Sinne ein nachhaltiger Abschluss
Eine perfekt gelungene Interpretation, die sicher auch Gustav Mahlers Kompliment erfahren hätte. Er war bekannt dafür, sehr streng mit sich und denjenigen, die seine Musik spielten, umzugehen.
Zugaben mussten natürlich sein: Einmal aus Edvard Griegs Peer Gynt Suite die Morgenstimmung und dann ein kurzes, knackiges Medley aus der Johann Strauß Atmosphäre Wiens im 19. Jahrhundert.
Ein tolles Konzert. Ein würdiger und im besten Sinne nachhaltiger Abschluss des auch in diesem Jahr in jeder Beziehung erfolgreichen RMF. Dank an dieser Stelle an alle, die das abwechslungsreiche Event ermöglicht haben.
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