Christian Zacharias, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 22.09.2024
Christian Zacharias (Foto: Klaus Rudolph) |
Abschiedstournee
Rund 50 Konzerte in 40 Jahren hat Christian Zacharias (*1950) allein in Frankfurt gegeben. Erstmals saß er 1982, kurz nach der Einweihung der Alten Oper Frankfurt, am Flügel auf der Bühne des Großen Saals, gemeinsam mit dem Opern-und Museumsorchesters unter Michael Gielen. Jetzt, so meint er, müsse ein Schlussstrich gezogen werden. Das Rezital im Mozart Saal wird sein letztes sein. Es gehört zu seiner umfangreichen Abschiedstournee 2024/25.
Ein gigantisches Programm
Christian Zacharias, der sich seit vielen Jahren mehr auf das Dirigieren konzentriert und nur noch selten pianistisch auftritt, hatte ein gigantisches Programm im Köcher, Klavierstücke und -werke aus nahezu drei Jahrhunderten, von François Couperin, über Domenico Scarlatti, Joseph Haydn, Franz Schubert bis zu Francis Poulenc. Noch einmal plauderte er förmlich aus dem Nähkästchen, musikalisch versteht sich, und demonstrierte sein ungeheuer ausgedehntes Repertoire, ohne Notenvorlage. Allein 12 Kompositionen im Hauptprogramm und dazu noch zwei Zugaben
Christian Zacharias (Foto: Mittelbayerische Zeitung) |
Zwischen Klassik . . .
Gleich los ging es mit Joseph Haydns (1732-1809) Klaviersonaten G-Dur Hob XVI: 39 und C-Dur Hob XVI: 48 von 1780 und 1789, sowie den Moments musicaux D 780 (1828) von Franz Schubert (1797-1828).
Haydn schrieb zeitlebens zwischen 50 und 60 Sonaten für Klavier (man weiß es nicht so genau). Diese beiden gehören zu den ausgefalleneren. Kurz und bündig sind sie, kaum mehr als von 12 Minuten Dauer, wenn man nicht allen Wiederholungen nachkommt und außerdem fordern sie ausgefeilte Technik und klavieristische Finesse.
Vor allem die zweisätzige C-Dur Sonate von 1789 gehört zu seinen enigmatischsten. Die Sonatenform kann man hier getrost vergessen, besteht das ungewöhnliche Andante con espressione des ersten Satzes doch hauptsächlich aus virtuosen Schnörkeln, verwirrenden Variationen und ständigem Changieren zwischen Dur und Moll. Auch der kontrastierende Wechsel von Forte und Piano ist charakteristisch für diesen Satz. Mozart und Beethoven haben hier sehr viel Fantastische übernehmen und kopieren können. Das Presto des Schlusssatzes wiederum ist, typisch Haydn, heiter, quirlig und von köstlichem Humor.
Zacharias spielte sicher und schnörkellos, aber mit etwas schwerer Hand (das Presto klang ein wenig undeutlich mit zu viel Pedal) und doch insgesamt zu mechanisch und wenig Elan, wenngleich seine Rubati und Fermaten immer Sinn machten und die Interpretation alles in allem sehr durchdacht wirkte.
. . . und Romantik
Die Schubertschen Moments allerdings gelangen ihm ausgezeichnet. Hier verstand er es, die Charakterzüge der sechs Piecen deutlich hervorzuheben. Herausragend das dritte Stück, ein leichtes tänzerisches Moderato sowie das an Johann Sebastian Bachs Präludien erinnerndes vierte Stück. Ein in moderatem Tempo vorgetragenes Kleinod von besonderer Eindrücklichkeit.
Zacharias verdeutlichte gerade hier sein tiefes Verständnis für die Romantik, die ja die Innerlichkeit und das individuelle Befinden zum Leitmotiv ihrer musikalischen Expression gemacht hat.
Christian Zacharias (Foto: H.boscaiolo) |
Viel stilistische Ähnlichkeiten
Nach der Pause folgten neun kurze, aber doch prägnante Werke von drei Komponisten, zwischen denen mehrere musikalische Epochen liegen, nämlich François Couperin (1668-1733), Domenico Scarlatti (1685-1757) und Francis Poulenc (1899-1963). Man sollte vermuten, dass hier Stilunterschiede von enormen Ausmaßen vorherrschten. Aber mitnichten.
Beabsichtigt war, alle Stücke ohne Pause durchzuspielen. Das gelang leider nicht, wäre aber durchaus möglich, ja vielleicht sogar sinnvoll gewesen, denn alle diese Werke hatten ein verwandtschaftlichen Bezug. Es waren Suiten, Intermezzi, Galanterien, Tänze oder gar freche, provokante Lieder.
Galantes fürs Divertimento
Gleich zu Beginn,
aus Couperins zweitem Buch (er verfasste zwischen 1717 und 1730
allein vier davon), das aus 31 gesammelten Stücken besteht und in 12
Nummern (Ordres) unterteilt ist, ein Rondo, genannt Les
Moissoneurs. Von bukolisch und fröhlicher Atmosphäre sollte es
sein, so der
Komponist, ein galanter Reihentanz für das
Amüsement des Hochadels.
Gleich darauf, man merkte es kaum, die Trois Mouvements Perpetuels (1918) von dem noch sehr jungen Francis Poulenc. Diese drei spöttischen Liedchen erinnern an Eric Saties minimalistisch-klassizistischen Gymnopédies von 1888, changieren zwischen ausgewogen, gemäßigt und alarmistisch, ein bisschen Filmmusik, aber auch gegen den gesellschaftlichen Strich gezogen, aufrührerisch und nonkonformistisch.
Dennoch hätte man, ohne Kenntnis der beiden Kompositionen, den Unterschied der Stile kaum heraushören können, was auch für die folgenden zutraf. Ein zweites Stück aus Couperins Second Livre, Les Charmes genannt, eigentlich für Laute gedacht und in gebundener Form zu spielen, ähnelte doch sehr dem ersten, Les Moissoneurs, galt doch auch jenes dem Divertimento.
Christian Zacharias (Foto: H.boscaiolo) |
Poulencs folgende Kompositionen sind in den späten 1950er Jahren erschienen, kurz vor seinem Tode im Jahre 1963. Hier sind bereits schwere Schicksalsschläge vorausgegangen, was sich auch in diesen Stücken widerspiegelt.
Zacharias spielte aus den insgesamt 15 Improvisationen die 13. (1958) und 15. (1959). Dazwischen schob er Domenico Scarlattis c-Moll Sonate K 158 (vermutlich vor 1752) ein.
Auch hier frappante Ähnlichkeiten. Sehr figurativ, arpeggierend und von ernstem Charakter. Scarlattis Fandango ist zwar tänzerisch im drei achtel Takt gehalten, aber durchaus mit ernster Attitüde versehen und im getragenen Andante gehalten. Auch Poulenc, seiner Endlichkeit bewusst, lässt in seiner 15. Improvisation eine Hommage an seine verehrte Edith Piaf anklingen, irgendwie eine Schicksalsgefährtin von ihm, die ausgerechnet im gleichen Jahr stirbt, wie er, nämlich 1963.
Christian Zacharias (Foto: Stu Rosner) |
Abschiedsschmerz
Mit Couperins Les Baricades Mistérieuses (aus dem zweiten Buch) wird der Schluss des Programms eingeläutet. Ein Lied von „unendlichem Charme und Traurigkeit“, wie es in der Spielangabe heißt. Dazu passen das Intermezzo Nr. 2 (1934) und Melancholie (1940) von Poulenc. Beide von großer Wehmut und Nostalgie. Man hört, so man möchte, die Group des Six, vor allem Darius Milhaud und Arthur Honegger sowie wiederholt Eric Satie heraus.
Mit Melancholie setzte Zacharias wohl bewusst ein Zeichen für seinen Abschiedsschmerz. Dieses Stück ist während der Besetzung Frankreichs durch die Nazis entstanden und enthält quasi das gesammelte Wissen des Komponisten bezogen auf seine Vorgänger wie Johannes Brahms, Maurice Ravel, Claude Debussy und Emmanuel Chabrier, wie auch seine Zeitgenossen, vor allem der Les Six, Georges Auric, Louis Durey, Jermaine Tailleferre, Arthur Honegger und Darius Milhaud.
Christian Zacharias (Foto: H.boscaiolo) |
Zacharias geht – sein Fußabdruck bleibt
Zacharias, der mit großer Gelassenheit, Klarheit, aber leider auch mit wenig Elan und zu viel Coolness spielte, bekam stehende Ovationen, und ließ sich zu zwei Zugaben überreden. Einmal aus der Sonatine Nr. 2 von Maurice Ravel Mouvement de Menuett und Les Tours de passe - passe von Francois Couperin.
Die Programmgestaltung, ausladend und in vielen Bereichen von ähnlicher Struktur, das sei noch bemerkt, war dramaturgisch vielleicht nicht die allerbeste Entscheidung. Allerdings verständlich dahingehend, dass Zacharias noch einmal das gewaltige Repertoire seines Könnens ausbreiten wollte, und das ohne eine Notenvorlage. Chapeau. Was heute noch kaum jemandem in dieser Vielfalt gelingt.
Christian Zacharias geht in den wohlverdienten Ruhestand. Mit unzähligen Auszeichnungen und Ehren versehen macht er Platz für die neue Generation an Pianisten, die durchaus seinen Fußabdruck zu erweitern bereit sind.
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