Dienstag, 24. September 2024

Herbstkonzerte des IEMA-Ensemble, Naxoshalle Frankfurt, 23.09.2024

Gruppe 2023/24 der IEMA (Foto: Wonge Bergmann)

Krönender Abschluss der Herbstkonzerte

Es war das dritte und letzte der Herbstkonzerte der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) in der sehr gut besetzten historischen Naxoshalle Frankfurt. Tolle Atmosphäre bei ansonsten regnerischem Herbstwetter und fünf Kompositionen im Angebot, die alle von eigenem Charakter und besonderer musikalischer Ausdruckskraft zeugten.


Die Akteure von junkyard piece III (Foto: H.boscaiolo)

Musique concrète des 21. Jahrhunderts

Gleich zu Beginn vom Brasilianer Ricardo Eizirik (*1985, im Programm ist sein Geburtsdatum fälschlicherweise mit 1992 angegeben) junkyard piece III, ein in progress befindlicher Zyklus aus dem Jahre 2020 für mindestens acht Instrumente (hier sind es 10), worin Alltagsgeräusche wie Rolltreppen, Fahrstühle oder auch Flugzeuggetöse musikalisch mit herkömmlichen klassischen Instrumenten „kollidieren“. Eine musique concrète a la Pierre Schaeffer oder auch Pierre Henry aus den späten 1940ern.

Spannungsgeladen mit zusätzlich viel Müll-, Glasbruch- und Gerümpel-Geräuschen. Dazu folgten die Akteure einem fast schon militärischen Bewegungsmuster, so wie am Fließband einer Modern Times Szene aus Charly Chaplins gleichnamigen Film von 1936.

Ja, irgendwie vintage und doch auch super zeitgemäß, denn offensichtlich geht es dem Komponisten um das Gruppenverhalten der Menschen im Alltag der Mega-Städte des 21. Jahrhunderts.


Die Akteure von Musica Spolia (Foto: H.boscaiolo)

Neo-Impressionismus

Bester Einstieg für das Quartett für Klavier, Schlagzeug, Querflöte und Violine von der US-Amerikanerin Katherine Balch (*1991).

Ihre nur sechs Minuten dauernde Miniatur nennt sie Musica Spolia (2021). Spolia kommt aus dem lateinischen und bedeutet Beute, heute aber wird der Begriff überwiegend für integrierte Fragmente in Bauwerken gebraucht. Sie finden sich vor allem in historischen Stätten und Ortschaften. Konkret greift die Komponistin auf die Stadt Rom zurück, in der sie wohl längere Zeit lebte.

Sie liebt, eigenen Aussagen zufolge, die „Magie des Alltags“ und beschreibt in diesem Piece musikalisch ihre Eindrücke beim Spaziergang durch die antiken Straßen Roms, wo „willkürlich und manchmal auch chaotisch … Statuen und reich verzierte Skulpturen die antiken Monumente“ zieren. „Diese gefundenen wiederverwendeten oder gestohlenen Objekte und ihre deplatzierte aufgestörte Energie“ sei der Kern dieser Musik.

Eine neo-impressionistisch anmutende, vorwiegend im Piano sich bewegende und rhythmisch hoch komplexe Komposition, die sogar einen Dirigenten benötigte. Hierbei stachen vor allem die Pianistin Shan-Chi Hsu sowie der Perkussionist Grzegorz Chwalinski hervor, die feinsinnig und virtuos den kurzen Spaziergang belebten.


Die Akteure von Which It Is (Foto: H.boscaiolo)

Sieben Minuten Power

Which It Is (2021) für Flöte, Klarinette, Horn, Posaune, Klavier, Perkussion, E-Gitarre, Violoncello und Kontrabass vom US-Amerikaner Fred Frith (*1949) hat in 2023 bereits das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt mit großem Erfolg aufgeführt (siehe meinen Artikel vom 05.06.23).

Frith ist bekannt als Grenzgänger zwischen Rock-, Folk-, Country und exzentrischer klassischer Moderne. Diese, im Rondo angelegte Sieben-Minuten-Power zwischen Blue Notes, variativen Ausbrüchen, synkopischen Finessen und tänzerischen Spaßeinlagen, hat er aus seinem 1979 entstandenen Gravity-Material (Name der Schallplatte) neu arrangiert und sozusagen zeitgemäß mit technischem Inhalt gefüllt. Frith dazu: „Es gibt also komplizierte melodische Variationen und additive Rhythmen, und die Struktur ist gewissermaßen zellulär, mit verschiedenen Blöcken von Material, die in verschiedenen Formen wiederkehren, immer untermauert von einem klaren stetigen Beat.“

Ein schwieriges Unterfangen für die Akteure, dennoch hatten sie Spaß und meisterten das mit Hard-Rock Beats unterlegte Rondo mit Bravour. Auch hier sind neben dem exzellenten Perkussionisten sowie der Pianistin noch der Cellist Uschik Choi und der Klarinettist Pablo Piňeiro Mundin hervorzuheben.


Die Akteure von Disfix (Foto: H.boscaiolo)

Kräftemessen

Nach der Pause überraschte zunächst das Free-Style Trio Disfix (2008/09) vom US-Amerikaner Timothy McCormack (*1984). Ein elf-minütiges Kräftespiel zwischen Piccolo-Trompete (Jinhyoung Kim), Bassklarinette (Pablo Piňeiro Mundin) und Posaune (Noah Perkins). Man war zunächst an die Jazz Szene der 1970er Jahre erinnert, an John Coltrane, Archie Shepp oder gar an Albert Mangelsdorff. Hier aber ging es um verschiedene Ebenen der Kommunikation, Kraftzentren der Empfindsamkeit, der Konfrontation, der Konstruktion und Destruktion. Alles konzentriert auf wenige Szenarien, aber mit großer Empathie von den dreien gemeistert. Spannungsgeladen von Anfang bis Ende.


Ein bisschen Linksradikales Blasorchester

Zum abschließenden Höhepunkt bekam das Publikum von Heiner Goebbels (*1952) Red Run (1988/1991) für Kammerensemble zu hören.

1988 wurde es zunächst als Ballettmusik für die Tanzkompanie William Forsythe mit elf Song für elf Instrumente konzipiert. Im Jahre 1991 reduzierte Goebbels die Songs auf neun, behielt aber die elf Instrumente bei. Diese überarbeitete Version mit Sampler und viel Jazzeinlagen bekam das Publikum geboten.

Heiner Goebbels, gerade einmal wenige Jahre entfernt von seinem Engagement beim Frankfurter Linksradikalen Blasorchester, das 1988 seinen Geist aufgab, hat in diesem Werk noch ein Menge davon versteckt. Nicht, dass ihm die Verarbeitung des musikalischen Materials vorschwebt, nein, ihn reizen „Fundstücke aus der musikalischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit". Der Sampler kommt ihm dabei gerade zupass. Er nämlich sammelt Material, um es dann entweder zu imitieren, oder in einem anderen Kontext zu etwas Neuem zu montieren. Red Run changiert demzufolge zwischen Jazz, Tanz, ariosen und elegischen Passagen und ist gespickt mit solistischen Einlagen von Geige (ungarisch), Trompete, Posaune und Violoncello.


Die Akteure von Red Run (Foto: H.boscaiolo)

Der Run ist das Ziel

Die einzelnen Songs sind nicht zu erkennen, aber dafür die unterschiedlichen Stimmungen zu spüren. So sind die letzten sechs bis sieben Minuten von einem langatmigen Bordun von E-Gitarre, Marimba und Sample durchzogen, auf dessen Überbau sich die einzelnen Instrumentengruppen mit Glissandi und virtuosen Ausflügen austoben.

Ein Seufzermotiv, düster und irgendwie bedrohlich, beendet das 18-minütige Werk. Noch einmal scheint das Cello in mikrotonalem Höhenflügen Widerstand zu leisten, fällt aber alsbald ab und endet im Pianissimo, leise und irgendwie unfertig. Ein Run ohne Ziel! Oder ist allein der Weg das Ziel? Der in der Halle anwesende Heiner Goebbels jedenfalls hatte offensichtlich seine Freude an dieser Interpretation.


Alle Akteure des IEMA- Ensembles am Konzertabend 
(Foto: H.boscaiolo)

Toi, toi, toi für die Zukunft

Ein herrlicher Abschluss der Herbstkonzerte der IEMA, wunderbar Musikerinnen und Musiker, denen man sämtlich eine erfolgreiche Zukunft wünscht. Ihr Studienjahr in der Ausbildungsstätte des Ensemble Modern ist nun beendet und sie müssen sich in der harten musikalischen Realität bewähren. Toi, toi, toi!!


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