Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Leitung: Thomas Guggeis), Anna Kissjudit (Mezzosopran), Frankfurter Kinderchor, Kinderchor des Lessing Gymnasiums, Frankfurter Frauenchor,
1. Montagskonzert 2024/25 mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 3 d-Moll, Alte Oper Frankfurt, 16.09.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)
Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: Jürgen Friedel) |
Sinfonie mit weltanschaulichem Aspekt
Das erste Montagskonzert des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters der Saison 2024/25 bekam durch die Wahl der Sinfonie Nr. 3 d-Moll (1902) von Gustav Mahler (1860-1911) einen nahezu philosophischen, ja weltanschaulichen Aspekt. Hier ging es im wahrsten Sinne um Alles. Um die Sinnfrage schlechthin, oder, wie Mahler selbst zu seiner Verlobten Anna Bahr-Mildenberg sagte: „Meine Symphonie wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat. Die ganze Natur bekommt darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, das man vielleicht im Traume ahnt.“
Die Dritte ist eine Geschichte der Evolution und endet in einer Apotheose der Liebe. Auch hier wieder die Aussage Mahlers an seine Verlobte über den Schlusssatz: „Ungefähr könnte ich den Satz auch nennen 'Was mir Gott erzählt!', und zwar in dem Sinne, als Gott ja nur als 'die Liebe' gefasst werden kann.“
Thomas Guggeis (Foto: Sophia Hegewald) |
Programm der Superlative
Thomas Guggeis und das über 100-köpfige Opern- und Museumsorchester hatten sich da ein Programm der Superlative ausgewählt, denn diese gut 100-minütige Sinfonie fordert alles, aber auch alles von den Instrumentalisten wie auch vom Dirigenten ab: größte Aufmerksamkeit, unglaubliche Technik und vor allem ein Wissen über die musikalischen Absichten des Komponisten.
Denn Mahler hat mit dieser Dritten Sinfonie nicht allein ein monumentales, sechsteiliges, in zwei Abteilungen aufgeteiltes historisches Werk geschaffen, sondern ihm eine logische Handlungsebene per aspera ad astra eingebaut, deren Gedanken zu einer Klimax führen - von der einfachen Natur über die Pflanzen- und Tierwelt zum Menschen, dann zu den Engeln und schließlich zu Gott, als Sinnbild der höchsten Stufe der Liebe. Ein Kraftakt des musikalischen Aufbaus, oder, um wieder Mahler zu zitieren, eine Sinfonie, die „mit allen Mitteln der Technik eine Welt aufbaut“.
Anna Kissjudit (Foto: MWA) |
„Alle Lust will Ewigkeit“
An dieser Stelle sei noch bemerkt, dass Mahler einen Großteil seiner Sinfonien, wie auch die Dritte, in seinem „Komponierhäusl“ in Steinberg am Attersee, unweit von Salzburg, schrieb. Dort konnte er die Natur, die Ruhe und die Erhabenheit der Berge genießen, dort erlebte er die Wechsel der Wetter und Naturereignisse, hier stellten sich ihm die Fragen von Leben und Tod, von Trauer und Lebenslust und der ewigen Suche nach dem Wissen um den Sinne des Daseins. Nicht von ungefähr rekurriert er in seinem vierten Abschnitt auf Nietzsches Zarathustra: „Doch alle Lust will Ewigkeit - will tiefe, tiefe Ewigkeit.“
„Der Sommer marschiert ein“
Aber kommen wir zur musikalischen Interpretation an diesem denkwürdigen Abend im vollbesetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt.
Gleich zu Beginn der alles übergreifende, über allem stehende Eingangssatz. Nicht umsonst wird er mit Erste Abteilung überschrieben und seine Dauer von 35-Minuten könnte ihn als eigenständiges Werk auszeichnen. Kräftig und entschieden sollte er sein. Mahler übertitelte ihn ursprünglich mit: „Pan erwacht. Der Sommer marschiert ein.“
Eben dieses Ansinnen wird durch ein durchdringendes Marschthema von acht Hörnern eingeleitet, das in eigentümlich dissonanten chaotischen Floskeln seinen ersten Abschluss findet. Zwar ist dieser Satz noch weitgehend in Sonatensatzform geschrieben, aber man ist doch eher an Theodor W. Adorno orientiert, der ihn als „antiarchitektonisch“ bezeichnet. Auch von Collage oder gar von Jahrmarktspolyphonie (Nathalie Bauer-Lechner) ist oft die Rede. Sei´s drum.
Anna Kissjudit, Thomas Guggeis, Frankfurter Opern- und Museumsorchester Foto: H.boscaiolo |
Zwischen Gewalt und Trivialitäten
Dieser Einstieg lässt den Sommer marschieren und Pan, hier im Sinne von Weltall oder auch auch als bocksfüßige Waldgottheit gebraucht, sein groteskes Spiel treiben. Die Welt, noch leblose Natur, reine Materie, changiert zwischen Gewalt und Schönheit, zwischen Entropie und Ordnung, zwischen Leichtigkeit und Schwere. Der Sommer, vielleicht der am Attersee, marschiert martialisch voran und endet in einem Jubel und Triumphgeschrei. „Das Leben lebt“, möchte man rufen. Die negativen Kräfte sind in die Enge getrieben. Der Weltenlauf geht seiner Wege und diese Wege sind gepflastert mit „Trivialitäten“ (Mahler) jeglicher Art.
Per aspera ad astra
Lange Pause, wie vorgesehen. Aber bis hierher zeigte dieser Klangkörper bereits beste Qualitäten. Ein Satz voller Spannung, wunderbarer Soloeinlagen von Geige, Oboe, Horn und Posaune, sowie einem sportlich, zielorientierten und ungeheuer motivierenden Dirigat von Thomas Guggeis.
Bildete die erste Abteilung quasi den Überbau der Ganzen ab, so folgte in der zweiten Abteilung, der Unterbau, das Kleine, die Mikroebene, angefangen von der Welt der Pflanzen, über die der Tiere, der Menschen, der Engel, um schließlich in der göttlichen Apotheose wieder auf das Ganze, den Überbau, zurückzukommen.
Anna Kissjudit, Thomas Guggeis, Opern- und Museumsorchester Foto: H.boscaiolo |
Die Welt der Pflanzen, hier an ein Hirtenidyll aus dem Rokoko erinnernd und von einer Oboe angeführt, soll in der Form eines Menuetts ein pastorales Bild erzeugen. Guggeis interpretiert die Komposition aber eher derb und grobkörnig, mit ausgedehnten bis überdehnten Ritardandi und manierierten Rubati. Soll hier vielleicht das dekadente Rokoko zu Grabe getragen werden?
Ähnlich mysteriös geht es im dritten Satz, einem Scherzo, zu, das den Tieren gewidmet ist. Hier herrscht grotesker Humor vor. „Der Kuckuck ist tot“, heißt es im Refrain Ablösung im Sommer aus den Liedern Des Knaben Wunderhorn, und tatsächlich scheint es tragikomisch, skurril und irgendwie abgehoben zuzugehen.
Doch unvermittelt setzt das Posthorn aus dem Off ein. Eine wunderschöne Weise, dem Volkslied Heidschi Bumbeidschi entlehnt. Folklore, die alles Unbill zuzudecken scheint. Aber mitnichten. Der Schlusspunkt des Scherzos lässt förmlich den Tanzboden erzittern. Es ruft und tönt, die Fanfaren schrillen. Das Posthorn wird übertönt von Tamburin und Rutenschlägen. Was will Mahler damit sagen? Ist es die Lebenslust der Tiere, die von fremden Kräften immer wieder unterwandert wird?
Anna Kissjudit (Foto: MWA) |
Wille und Narzissmus
Der Vierte Satz, Es spricht der Mensch, hat es in sich. In einem Misterioso lässt Mahler einen Text aus Friedrich Nietzsches Zarathustra rezitieren. Die Mezzosopranistin Anna Kissjudit (*1996) kommt jetzt zu ihrem Einsatz. Sie singt in einem fast schon mysteriösen Timbre, aber mit klarer, akzentuierter Stimme „Oh Mensch! Gieb Acht!“ Begleitet wird sie von Hörnern und Violoncelli - nachdenklich und von tiefer Ehrfurcht beseelt.
Dieser Abschnitt geht ins Mark und Bein. Ihr gesangliches Schlussplädoyer: „Doch alle Lust will Ewigkeit -, - will tiefe, tiefe Ewigkeit!“, lässt keinen Zweifel an der Unmöglichkeit dieses Ansinnens aufkommen.
Anna Kissjudit lässt die traumgeschwängerte Spätromantik Nietzsches mit all ihren Widersprüchlichkeiten wieder aufleben und tief in die doch stark narzisstisch geprägte Gegenwart blicken.
Plötzlicher Abbruch
Ohne Pause setzen die beiden Chöre das Geschehen fort. Sie stehen sich quasi in Doppelchormanier auf den seitlichen Emporen der Bühne gegenüber, es sind der Kinderchor Frankfurt und des Lessing Gymnasium Frankfurt (Leitung: Sabine Mittenhuber) und der Frankfurter Frauenchor (Leitung: Evelyn Ruf und Salome Niedecken).
Zunächst singen sie aus „Des Knaben Wunderhorn“ Es sungen drei Engel, einen Beichttext des Sünders Petrus, mit der Schlusssentenz: „Liebe nur Gott in alle Zeit, so wirst du erlangen die himmlische Freud“, sodann eine kontrastierende Kinderweise Bimm-Bamm. Ein humoresker Zug, der sich langsam in einer choralartigen Mischung aus Beidem zuspitzt, aber zu keiner wirklichen Lösung findet.
Der Satz endet zwar in lyrischer Form, gestützt von Harfe, Triangel und Klangstäben, aber ein kaltes Bimm lässt diese Passage plötzlich abbrechen.
v. l. vorne : Sabine Mittenhuber, Evelyn Ruf, Anna Kissjudit, Thomas Guggeis (Foto: H.boscaiolo) |
Himmlischer Durchbruch der Trinität
Dann der sechste, der Schlusssatz, Was mir die Liebe erzählt, hier mit Langsam, Ruhevoll und Erhaben bezeichnet. Ein ergreifendes Adagio, ein Liebesthema, das sich langsam aber stetig auf die Apotheose zubewegt. Instrumentale Seufzer und Flageoletts lassen einen Wagnerschen Sphärenzustand aufkommen (man sei hier an dessen Lohengrin-Ouvertüre erinnert). Die Hörner rufen wie zum Gebet.
Englisch Horn, Posaunen und Trompeten scheinen dennoch andere Wege gehen zu wollen. Dissonanzen und Septen unterbrechen das harmonische Bild, eine Adornosche „Einsturzpartie“ droht. Die Hornthematik des ersten Satzes, oder besser der ersten Abteilung, wird wieder reaktiviert und mischt sich ausnehmend schön mit dem ursprünglichen Liebesthema.
Flötentöne leiten dann die Coda ein. Eine jubelnde Apotheose, eine Hymne an die Göttlichkeit, welche auch immer, ein himmlischer Durchbruch der Dreieinigkeit: Dreimal schlagen die sechs Pauken und die Klangstäbe, dreimal wiederholen sie diesen Vorgang. Ein Ende wie der leibhaftige Jüngste Tag, ein Tag der reinigenden Liebe.
v. l. vorne : Sabine Mittenhuber, Evelyn Ruf, Anna Kissjudit, Thomas Guggeis (Foto: H.boscaiolo) |
Klangliche und dynamische Meisterleitung
Dem Opern- und Museumsorchester gebührt größtes Lob in allen Bereichen. Vor allem die Bleche, Hörner und Holzbläser haben sich in die Weltklasse eingespielt. Aber auch die Streicher, Perkussionisten und Harfenisten zeigten sich im besten Kleid. Allen voran Thomas Guggeis, der mittlerweile als gerade einmal 31-jähriger, nahezu alle großen Bühnen betreten hat und das zu Recht. Sein bestechendes Dirigat motivierte dieses gewaltige Orchester zu Glanz- und Höchstleistungen. Vor allem klanglich und dynamisch ein Hörgenuss, was das Orchester durchaus mit den ganz Großen der Welt vergleichen lässt.
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