Alexander Gadjiev, Klavierrezital Alte Oper Frankfurt, 30.10.2024
Alexander Gadjiev (Foto: Andrej Grilc) |
Ein eigener Charakter
Es ist sein Debüt in Frankfurt und überhaupt im Rhein Main Gebiet. Alexander Gadjiev (*1994), geboren in Slowenien, an der Grenze zu Italien, hat überall überzeugt. Seine Lobeshymnen reichen von „toll“, über „revolutionär und frisch“ bis zu „atemberaubend“. Seine Interpretationen sind sehr speziell und lassen einen eigenen Charakter erkennen, der nicht immer gefallen muss.
Nach Frankfurt brachte er ein sehr differenziertes und, vor allem im ersten Teil seines Rezitals, sehr gut austariertes Programm mit.
Minimalistische Etüden
Unprätentiös tritt er auf die Bühne des vollbesetzten Mozart Saals der Alten Oper Frankfurt, bemerkenswert die vielen jungen Leute unter dem Publikum, ordnet seine Noten bzw. sein Tablet und beginnt mit György Ligetis Musica Ricercata Nr. 1 und 2 (1953/1969 Uraufführung im schwedischen Sundsvall). Ein elfteiliger Klavierzyklus (entsprechend der elf Tasten einer Oktave), in der in jeder Etüde eine Taste mehr verarbeitet wird.
Spannungsgeladen und expressiv gelingt dem Pianisten langsam die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Übergangslos wechselt er dann zur sehr selten gespielten Fantasia On An Ostinato (1985) des in Europa relativ unbekannten Pulitzerpreisträgers John Corigliano (*1938). Dessen Oeuvre ist zwar beachtlich (weit über 100 Werke), steht aber im Schatten seiner Minimal Konkurrenten oder auch Freunde, wie Steve Reich, Philip Glass, oder auch Terry Riley.
Alexander Gadjiev (Foto: Andrej Grilc) |
Zwischen Trauer und Aufmüpfigkeit
Sein 12 minütiges Werk basiert auf Beethovens Allegretto, dem 2. Satz seiner 7. Sinfonie, eine repetitive Motivfolge in lang-kurz-kurz-lang-lang. Ein interessantes Experiment, das die spezielle Thematik aus Beethovens Trauermarsch in die bekannten metrischen und ostinaten minimalistischen Patterns zu transformieren versucht. Dabei überlässt der Komponist dem Interpreten eine improvisatorische Offenheit, die verschiedene Tempi und Erweiterungen wie Kürzungen zulassen.
Gadjiev lässt hier bereits seinen kraftvollen, manches Mal schmetternden Anschlag erkennen, aber auch seine repetitiven und rhythmischen Qualitäten. Auch das folgende Stück, eine Transkription von Franz Liszt (1811-1886) über dasselbe Thema aus Beethovens Siebenter unter dem Titel Allegretto aus der Sinfonie Nr. 7 A-Dur op.92 (1837), gehört in diese Kategorie.
Alexander Gadjiev spielt hier äußerst kontrastbetont, orchestral mit majestätischer Attitüde. Sehr getragen, wobei sich Lyrik und Trauer abwechseln.
Gefühlsausbrüche
Jetzt ohne Noten und Tablet wechselt er zu den Lisztschen Funérailles (1849). Ein Trauermarsch des Widerstands, ein heftiger Marche Funèbre, den Toten des Revolutionsjahrs 1849 gewidmet, speziell seinem Freund Felix von Lichnowsky. Nicht von ungefähr reiht Liszt diese Anklage im Jahre 1853 in seine Sammlung Harmonies poétiques er religieuses ein. Ein Gebet, das im Mittelteil zu einer Polonaise à la Chopin wird, um dann wieder in tiefer Depression fortgesetzt zu werden.
Gadjiev lässt in dieser Komposition seiner Wut vollen Lauf. Er hämmert und fährt wie eine Walze über die Tastatur, wütend und widerständig. Sein dreifach Forte lässt die Wände des Mozart Saals wackeln. Nach einem schüchternen Applaus leitet er den Schluss des ersten Teils mit drei Etüden von Alexander Skrjabin (1872-1915) ein.
Alexander Gadjiev (Foto: Konzertsaal Warschau 2021) |
Verdonnerte Etüden
Aus dem reichen Repertoire seiner Etüden (insgesamt 21) die dis-Moll op.8 Nr. 12 (1895), die cis-Moll op.42 Nr. 5 (1903) sowie die G-Dur op.65 Nr. 3 (1912). Viel Chopin in der ersten, dafür ausgesuchte Polyrhythmik in der zweiten und in der letzten frei tonale und impressionistische Elemente im Wechsel mit komplexen Quintintervall-Skalen. Die Etüden sind im wesentlichen eine Referenz an Frédéric Chopin, zeichnen sich durch Sinnlichkeit, Farbenreichtum und Transparenz aus. Man kann sie aber auch „verdonnern“, wie es in einer Analyse dieser Etüden heißt. Und das muss man dem junge Solisten kritisch entgegenhalten. Zu donnernd, maschinenhaft, klangarm und weitestgehend in einem undifferenzierten Rauschen (ver)spielt er sie.
Merkwürdige Sammlung – brillant vorgetragen
Nach der Pause erwartete man mit großem Interesse, wie er die Auswahl der 24 Préludes op. 28 (1839) von Frédéric Chopin (1810-1849) vorstellen werde. Sechs an der Zahl, darunter die schwierigsten und diffizilsten, wie die 22 in g-Moll, die 10 in cis-Moll, oder auch die 2 in a-Moll, ein Lento von größter Ausdruckskraft. Hier brillierte er ohne Makel, zeigte das gesamte Repertoire seiner Musikalität und der tiefen Auseinandersetzung mit dieser doch „merkwürdigen Sammlung“ eines „großen Dichtergeistes“. Die Préludes sind ohne Frage das Aushängeschild eines jeden Pianisten, der in der Weltklasse mitspielen möchte.
Alexander Gadjiev (Foto: H.boscaiolo) |
Satanische Berührung
Skrjabins Sonate Nr. 9 op. 68, die von ihm angeblich selbst so bezeichnete „Schwarze Messe“, ist die vorletzte seiner insgesamt 10 Sonaten und soll den Gegensatz zu seiner Siebenten, die als „Weiße Messe“ bezeichnet wird, herstellen. Dazu Skrjabin: „In der neunten Sonate bin ich tiefer als jemals zuvor in Berührung mit dem Satanischen gekommen.“
Einsätzig ist sie geschrieben mit Spielanweisungen wie „geheimnisvoll murmelnd“, „aufkeimende Sehnsucht“, oder „mit immer zärtlicher und vergifteter Süße“.
All das ist bei Gadjievs Interpretation nur ansatzweise herauszuhören. Seine extreme Lautstärke und seine überbordende Spielkraft bzw. Spiellust lassen einen transparenten, ja geheimnisvollen, sehnsüchtigen oder gar süßen Duktus kaum zu, was wohl auch seinem Naturell entspricht.
Beethovens Erkennungsmerkmal
Ludwig van Beethovens (1770-1827) 15 Variationen mit Fuge, genannt auch Eroica Variationen (1802), gehören thematisch zum Erkennungsmerkmal des Sturm und Drangvollen. Am bekanntesten im Finalsatz seiner 3. Sinfonie (1806), ist das Thema bereits in seinen Geschöpfen des Prometheus und in seinen Contretänzen (beide 1801) verarbeitet.
Die sogenannten 15 Variationen (oder sind es vielleicht auch 30, wie Beethoven behauptet) strotzen nur so vor dynamischer Spannung. Es beginnt mit einem gewaltigen Es-Dur Akkord, um dann die Introduzione im piano fortzusetzen. Die ersten Variationen beginnen zwei-, drei- und vierstimmig, um dann den klassischen Reigen zwischen Schnell und langsam, Moll und Dur, Virtuosität und Liedhaftigkeit, Choral, Homophonie und Polyphonie fortzusetzen.
Orchestrale Apotheose
Die dreistimmige Schlussfuge bildet den Höhepunkt des Konvolutes. Eine anspruchsvolle, mit technischen Höchstschwierigkeiten gespickte Reminiszenz auf das Vorhergegangene in kontrapunktischer Manier, um dann in einer kraftvollen orchestralen Apotheose zu finalisieren.
Hier ist Gadjiev in seinem Element. Ein wilder, emotionaler mal ausrastender Beethoven, der von ihm immer wieder durch den sich über alle Variationen ziehende Dreitonruf bei extremem Rallentando in seine Schranken verwiesen wird. Hier passte alles.
Alexander Gadjiev (Foto: H.boscaiolo) |
Ein gelungenes Debüt – kritisch betrachtet
Gern war Alexander Gadjiev bereit für Zugaben. Aber auch hier zwei Gesichter des wirklich hoch talentierten Künstlers. Zwei herrlichen Mazurkas aus Schumanns Hand folgte die Polonaise As-Dur op. 53 von Frédéric Chopin. Aus welchen Gründen auch immer hetzte er durch diesen wohl schwierigsten Tanz aus der Feder des Komponisten. Fehlerhaft und unkonzentriert war er nah dran, sein in zwei Stunden aufgebautes Renommee auf Spiel zu setzen. Seine Jugend und seine pianistischen Qualitäten unbestritten, würde man manches Mal doch mehr Disziplin und mehr Glanz im Ton wünschen. Dennoch ein gelungenes Debüt eines hochtalentierten Pianisten. Man wünscht sich sein Wiederkommen.
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