hr-Sinfonieorchester mit Sebastian Weigle (Dirigent), Augustin Hadelich (Violine) mit Werken von Richard Strauss und Felix Mendelssohn Bartholdy, Alte Oper Frankfurt, 31.10.2024
hr-Sinfonieorchester (Foto: Website) |
Erfreuliches und weniger erfreuliches
Kein Andrés Orozco-Estrada (er musste krankheitsbedingt absagen), kein Violinkonzert op. 14 von Samuel Barber und keine selten gehörte Ouvertüre aus „Giulio Cesare“ von Mario Castelnuovo-Tedesco. Gerade hier bleiben einige Fragen offen. Dafür ein Sebastian Weigle auf Europatournee mit seinem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra, der kurzfristig für Orozco-Estrada einspringt, aber unter der Voraussetzung einer erheblichen Programmänderung.
Die „Große Reihe“ des hr-Sinfonieorchesters wird jetzt zu einer Gegenüberstellung zweier sinfonischer Dichtungen von Richard Strauss (1864-1949) und einer Konzertouvertüre sowie des Violinkonzerts e-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847).
Gleichzeitig, und das ist erfreulich, gibt der Violinist Augustin Hadelich (*1984) seinen Debütauftritt in der Alten Oper Frankfurt. Dazu aber später.
Sebastian Weigle, hr-Sinfonieorchester Foto: H.boscaiolo |
Episodische Erzählung
Der Einstieg das Abends erfolgte mit Richard Strauss´ Till Eulenspiegels lustige Streiche op.28. (1894/95). Der Zusatz dieser Tondichtung lautet: „nach alter Schelmenweise – Rondoform – großes Orchester“. Ein geniales Werk, das die Streiche des Eulenspiegel in vier Episoden erzählt, oder besser musikalisch, kontrastierend und leitmotivisch entwickelt.
Eine Art Scherzo mit musikalischen Illustrierungen: Sein Ritt durch die keifenden Marktweiber, seine Predigten als verkleideter Mönch, seine misslungenen Annäherungsversuche an ein Mädchen, sein Einschleichen in die Gelehrtenkreise und schließlich sein Gerichtsverfahren mit Todesurteil und Tod am Strang.
Die Till Eulenspiegels sterben nie
Eine Geschichte mit Prolog: „Es war einmal ein Schalknarr“ und Epilog: „sehr lebhaft“. Denn Strauss lässt seine Hörerschaft nicht mit dem Tod des Rebellen gegen des Establishments zurück. Im Epilog, die letzten 22 Takte, lässt Strauss doch noch Versöhnung einkehren. Er selbst gibt dazu zwar keinen Kommentar ab. Aber, da die Till Eulenspiegels nie aussterben, lässt er ihn einfach auferstehen.
Das fulminante Werk endet fröhlich in der Reminiszenz der bekannten Thematik und Motivik des Prologs.
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Alle Streiche des Helden miterlebt
Sebastian Weigle war tatsächlich in seinem Element und verstand es, das Orchester in die wilde, technisch anspruchsvolle und mit solistischen Einlagen von Bläsern und Streichern gespickte Tondichtung mitzunehmen. Ganz in dem Sinne wie es einmal Claude Debussy bei einer Aufführung in Paris als Kritiker feststellte: Das Stück enthält geniale Züge, „vor allem eine außerordentliche Sicherheit in der Orchesterbehandlung und eine unbändige Bewegung, die uns von Anfang bis Ende mitreißt und zwingt, alle Streiche des Helden mitzuerleben“. Das Urteil bezogen auf den damaligen Dirigenten Arthur Nikisch (1855-1922). Aber durchaus auch hier anzuwenden.
Augustin Hadelich (Website) |
Kompromisslos und absolut präzise
Es folgte der Soloauftritt des Violinkünstlers Augustin Hadelich. Weitgereist mit unzähligen Preisen ausgestattet, ist er heuer erstmalig in der Alten Oper Frankfurt zugegen. Und das mit dem wohl meistgespielten Violinkonzert e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Kommen wir gleich zur Sache. Hadelich ist ein Meister auf seiner Giuseppe Guarneri del Gesù Violine von 1744. Sofort übernimmt er das Zepter in überragender Manier, spielt kompromisslos mit absoluter Präzision und hellem Klang. Sein Geigenton vibriert und geht in alle Poren der Haut.
Kommunikation auf Augenhöhe
Das dreisätzige Werk lässt zwischen den Sätzen keine Pause und geht nahtlos ineinander über. Auch verzichtet es auf langatmige Orchesterpassagen, und lässt Soli wie Tutti auf Augenhöhe kommunizieren. Die Kadenz lässt Mendelssohn nicht am Schluss der ersten Satzes zu, sondern verlegt sie auf das Ende der Durchführung. Hier bekommt sie einen inneren Zusammenhang zum musikalischen Geschehen und verliert positiv ihren Ausnahmecharakter.
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Eigenwilliger Charakter
Augustin Hadelich und das hr-Sinfonieorchester dialogisieren in Perfektion, wozu auch der Dirigent seinen wichtigen Beitrag leistet. Allerdings gerät der energetische Überschuss des Solisten im Rondo Schlusssatz außer Kontrolle. In rasendem, aber sicheren Tempo lässt Hadelich das Orchester hinter sich herlaufen, was auch der Dirigent nicht aufhalten kann. Und wenn man glaubt, es gehe nicht schneller, dann wird man in der Schlussstretta eines Besseren belehrt.
Hadelich jagt durch die Coda, als ob der Schwanz hinter ihm herlaufe. Dem Orchester muss man zugute halten, dass es tapfer mithielt und seinen Part beherrschte. Aber die Frage bleibt, warum der Dirigent die Hatz nicht unter Kontrolle brachte.
Dem Publikum gefiel es. Die Zugabe des Genies auf den Saiten bestand aus einem improvisierten Mix aus ungarischen Rhythmen und einem amerikanischen Blue Grass. Augustin Hadelich kann alles auf seiner Geige. Er ist ein perfekter Techniker wie ein perfekter Musiker. Aber er ist auch ein kompromissloser und eigenwilliger Charakter.
Augustin Hadelich, Sebastian Weigle, hr-Sinfonieorchester Foto: H.boscaiolo |
Ouvertüre – Sinfonische Dichtung
Die Ouvertüre zu Shakespeares „ Ein Sommernachtstraum“ op.21 (1826/27) von Felix Mendelssohn Bartholdy leitet die zweite Hälfte des Konzertabends ein. Durchaus verwandt mit der Sinfonischen Dichtung bekommt die Ouvertüre im 19. Jahrhundert den Rang einer eigenen Gattung. Sie wird schlicht zur selbstständigen Konzertouvertüre mit programmatischem Inhalt.
Frisch und witzig
Zunächst für Klavier zu vier Händen gefasst, instrumentierte der 17-jährige Mendelssohn sie auf Anraten seines Freundes Adolf Bernhard Marx (1795-1866) für Orchester, und wird damit zur ersten seiner insgesamt vier Konzertouvertüren. Ihr Programm orientiert sich an Shakespeares gleichnamigen Komödie und erzählt in Sonatenform Episoden daraus. Die Atmosphäre im Elfenwald, das Leben auf dem Hofe des Herzogs Theseus, wie das der Handwerker, allseits bekannt als Rüpeltanz mit angehängtem Eselsruf, und und und.
Ein 12 minütiger Geniestreich in jeder Beziehung. Denn die Komposition fiel in die Zeit der romantischen Verklärung der Werke William Shakespeares in Deutschland, unterstützt durch die Übersetzungen von August Wilhelm Schlegel (1767-1845). Sofort wurde sie zum Publikumsliebling, was sich bis heute fortsetzt.
Mendelssohn erweiterte diese Konzertouvertüre dann zur Schauspielmusik op. 61 mit 12 Teilen von ca. 47 Minuten Dauer, die sich ebenfalls größter Beliebtheit erfreut.
Auch an diesem Abend gehörte der Sommernachtstraum dazu. Frisch und witzig interpretiert, leitete er in die sehr selten gespielte erste Sinfonische Dichtung Macbeth von Richard Strauss über.
Sebastian Weigle (Foto: Website) |
Schwere Geburt
Hier hatte sich das hr-Sinfonieorchester viel vorgenommen. Hat doch dieses Werk eine lange, komplizierte Entstehungszeit hinter sich (1886- 1892), wurde mindestens dreimal umgeschrieben, und gehört nicht unbedingt zu den Meisterwerken des Komponisten. Ist es doch noch stark von seinen Vorgängern Franz Liszt, Franz Schumann wie auch Richard Wagner beeinflusst, aber auch von der dramatischen Textur: Der Tragödie des Macbeth, der schließlich auf dem Schlachtfeld gegen seinen Widersacher Macduff im Zweikampf zu Tode kommt.
Wie diese Tragödie in Musik fassen? Welches Finale, wie die Konflikte und Intrigen verarbeiten? Strauss löst es endgültig in einer insgesamt klassischen Form mit Thema (Macbeth) und Seitenthema (Lady Macbeth), kontrastierenden Abschnitten und Themenergänzungen. Geschickt, aber schwer herauszuhören, unterteilt er das Geschehen in acht Teile, die er mit Tempo- oder Charakterbezeichnungen wie: Allegro un poco maestoso, Presto, molto agitato oder auch belebend versieht.
Sebastian Weigle, hr-Sinfonieorchester Foto: H.boscaiolo |
Weg in die Moderne
Ein musikalisches Auf und Ab. Reich an Dissonanzen und mit großer kontrapunktischer Verve findet das Werk in einem exorbitanten Schlachtgetümmel seinen Höhepunkt. Trommelwirbel und Fanfaren lassen das Finale, ein Allegro, un poco maestoso, dann in einem choralartigen Marche Funèbre enden.
Kein krönender Abschluss des Konzerts zwar, aber dafür ein Beispiel über die Geburt des „neuen Weges“ eines 22-jährigen Fortschrittsdenkers, eines frühen Modernisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Richard Strauss schafft mit dieser eigenwilligen Tondichtung die Voraussetzung für seine kompositorische Entwicklung (siehe seinen geniale Till Eulenspiegel, sein Don Juan oder auch seine Alpensinfonie), die auch für sein Opernschaffen (Elektra, Salome) von großer Bedeutung werden wird.
Keine Zugabe, dafür aber herzlichen Applaus. Ein wenig Enttäuschung bleibt dennoch.
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