Mittwoch, 30. Oktober 2024

Schere, Herz, Papier, Akademie Musiktheater heute (AMH), Drei szenische Miniatur-Musiktheaterstücke, LAB-Frankfurt, Generalprobe, 29.10.2024 (eine Veranstaltung der Deutsche Bank Stiftung)

Teilnehmer der Generalsprobe für Schere Herz Papier
alle Foto: H.boscaiolo

Generalprobe gelungen

Wieder einmal feiern 15 Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rahmen der Nachwuchsförderung der Akademie Musiktheater heute (AMH), gemeinsam mit Mitgliedern der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) und dem Ensemble Modern (EM), den Abschluss ihrer zweijährigen musikalischen, schauspielerischen und dramaturgischen Ausbildung. In diesem Jahr unter dem Motto: Schere Herz Papier. 

Eine Generalprobe zwar, denn der krönende Abschluss mit anschließendem Gala Fest findet heute im LAB-Frankfurt statt, aber dafür ein absolutes Highlight im Voraus, beste Unterhaltung mit kritischem Blick.


Teilnehmer der Generalsprobe für Schere Herz Papier


Ein Mix aus Ernst und Humor

Die von der Deutschen Bank Stiftung gesponserte Akademie existiert schon seit über zwanzig Jahren und bietet jungen Talenten aus den Bereichen Bühnen- und Kostümbild, Dirigieren, Dramaturgie, Komposition, Kulturmanagement, Libretto und Regie die Möglichkeit, Praxis zu sammeln und eine Basis für ihr berufliches Weiterkommen zu schaffen.

In diesem Jahr sind es drei Miniopern mit den Titeln Moira (Schere), Schweig still, mein Stein (Herz) und Sleeping beauty (Papier), drei Musiktheater mit ernstem Hintergrund, aber voller Humor und Ironie. Es geht den Künstlern in diesen Werken grundsätzlich um die Frage von Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und, wie sollte es anders sein, um die Rolle der Frauen in der Post-Postmoderne. Denn in allen drei Aufführungen waren die handelten Personen ausschließlich Frauen.


Teilnehmer der Generalsprobe für Schere Herz Papier,
Ilia Ram
(Dirigent), Mitglieder des EM


Absolut professionell

Alle drei Aufführungen, das sei vorweggenommen, waren bestens choreographiert, dramaturgisch durchdacht, von hoher stimmlicher Qualität (sechs Sopranistinnen), mit guten Texten unterlegt und, last but not least, von großem Einfallsreichtum der Bühnengestaltung und der Kostümauswahl vervollständigt. Kurz: eine Inszenierung von ausgesuchter Professionalität. 

Dazu gehörten verständlicherweise auch die vielgestaltigen Kompositionen, die von insgesamt neun Mitgliedern des Ensemble Modern, wie immer, in bester Manier realisiert wurden.

Kommen wir zu drei Kurzopern bzw. Musiktheatern:


Moira mit Sängerinnen
Ella Gehrmann, Samira Schür, Dasha Timoschenko

Schicksalsgöttinnen in Aufruhr

Zunächst Moira. Drei Nornen, namens Klothó (Ella Gehrmann), Láchesis (Samira Schür) und Atropos (Dasha Timoschenko) ziehen die Lebensfäden der Menschen von Geburt bis zum Tode. Man ist in eine surreale Fabrik versetzt, irgendwo zwischen weißen Wolken versteckt, in der die Lebensfäden produziert, gezogen und geschnitten werden. 

Eine maschinenartige Musik begleitet den Gesang der Nornen. Dann aber wird die Routine unterbrochen. Nichts scheint mehr zu funktionieren. Die Apparatur zerbricht, das kosmische Chaos scheint einzutreten. Die drei Nornen werden mit ihrem eigenen Schicksal konfrontiert und geben schlicht ihre Berufung auf.

Hier geht es um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Die drei verschwinden in einem tiefen Brunnen und erscheinen wie ausgewechselt, mit neuer Zuversicht wieder auf der Bühne.

Spannungsgeladen und vor allem ohne erhobenen Zeigefinger. Ein kurzes Nachdenken darüber, was wäre, wenn die Lebensstränge einmal auseinanderbrächen. Chaos oder Neuanfang?


Schweig still, mein Stein: Emma Ibáňez (liegend)
Melani Marianac, Johanna Münstermann, Dahyeon Kwan  

Das Rauschen der Katastrophe

Das zweite Spiel Schweig still, mein Stein lässt das Herz (Emma Ibáňez, Tanz) zum Mittelpunkt des Lebens werden. Es ist krank, liegt in der Psychiatrie und wird von drei Ärztinnen (Melani Marianac, Johanna Münstermann, Dahyeon Kwon) behandelt. Wilder Tanz einer verzweifelten Herzensseele trifft auf coole Behandlerinnen, die selbst nicht ganz koscher sind.

Das große Ensemble spielt aus dem Off hektische und schrille Töne, unterstützt von dem Gesang der Mezzosopranistin Tanja Elisa Glinsner und Stimmen, die „Freedom“, „Haltung“ oder „Rauschen“ deklamieren. Die Diagnose lautet schlicht: „ ... im Körper hat sich ein nicht enden wollendes Rauschen medialer Berichterstattung über die Katastrophe der Welt festgesetzt.“

Das Herz leidet, erlebbar im ausgesprochen expressiven Tanz, aber die Behandlerinnen können ihren Schmerz nur mit Pillen behandeln (wunderbar demonstriert durch ein Buzzer Kästchen).


Schweig still, mein Stein: Emma Ibáňez (liegend)

Leere, köstlichen Leere

Die Szene dreht sich. Das Herz verlässt das Krankenbett, die drei Ärztinnen besetzen es jetzt. Ein wilder Taumel setzt ein und niemand weiß mehr, wer krank oder gesund ist. 

Die „Steine“, von der Decke hängend, bekommen jetzt ihren Sinn. Sie schweigen mit lautem Schrei. Man ist an das erschreckende Gemälde von Edvard Munch erinnert. Nein, falsch. Alles scheint sich zu lösen. 

Alle vier sind nun kerngesund und singen: „Schlafen sie, sie werden sich wie neu fühlen.“ Und das Herz ergänzt: „Ein Stein fällt von mir ab und hinterlässt Leere, köstliche Leere.“ Friedrich Nietzsche hätte sich an dieser Stelle bestätigt gefühlt.

Ein Stück zwischen Schrei und Leere, zwischen Verzweiflung am Katastrophenrauschen und ungewöhnlichen Heilmethoden voller trockenem Humor. Wie sagte doch Jonas Weber, der für die Regie Verantwortliche: „Es ist spontan, dynamisch, unprätentiös, doof und berührend.“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen.


Sleeping beautySamira Schür

Sarkastische Partylaune

Den Abschluss bildete Sleepy beauty, eine Persiflage auf das berühmt berüchtigte Donaulied, „Einst ging ich am Ufer der Donau und fand ...“, eine Schmonzette, die sich nicht scheut, eine Vergewaltigung schönzureden. Fairerweise muss man aber auch von verschiedenen Versionen des Liedes aus dem späten 18. Jahrhundert sprechen. Auch der freiwillige Beischlaf gehört zum Text dieses Liedes.

Hier gehen drei Sängerinnen (Dahyeon Kwon, Ella Gehrmann, Samira Schür), als bizarre Blumenmädel kostümiert, mit dieser Thematik kritisch zu Werk. Heftig besingen sie mit gespielter, sarkastischer Feierlaune (man bietet Sekt dem Publikum) das auf Volksfesten bekannte Lied und werden mit grotesker Musik zwischen Festzelt und Tanzbar begleitet. 

Perfekte Zwischenspiele des Ensemble machen aus dieser ernsten Thematik ein Tanz im spanischen Flamenco oder Fandango. Der Höhepunkt des Aktes findet auf einer Leiter statt, unter dem Schriftzug: „Komm schlaf mit mir!“


Sleeping beauty: Samira Schür, Ella Gehrmann, Dahyeon Kwon 

Kein Vermiesen der Feierlaune

Großartig allein deshalb, weil man im Unklaren gelassen wird ob Ernst oder Humor. Die Absicht ist dennoch klar: ein Angriff auf das männliche Macho Gehabe mit frauenfeindlichen Sprüchen, wie auch eine ernste Kritik an „sogenannten Archetypen“ patriarchalischer Kulturen.

Sie singen jetzt: Ich wollte mit euch singen, aber jedes Wort schmeckt so schlecht.“ Die gute Stimmung scheint dahin zu sein. Aber wir lassen uns unsere Feierlaune nicht vermiesen.

Ein Bandoneon lässt die geschundene Weiblichkeit wieder zu Atem kommen. Ein dreiviertel Takt setzt ein, das Ensemble bewegt sich über die Bühne und alle zusammen tanzen fröhlich zum Publikum.


Das Ensemble Modern

Lasst das Papier in Ruhe

Neben dem woken Ernst doch viel Humor und Lebensfreude. Ach ja, warum die Metapher Papier? Na ja, es geht hier um einen Text, ein Lied, das auf diversen Seiten von Liederbüchern zu finden ist. Lassen wir aber bitte die Texte, so wie sie sind, und fangen wir bitte nicht an, sie zu verändern. Das wäre reinste Geschichtsklitterung und Vogel-Strauß-Verhalten.


Beste künstlerische Arbeit

Eine wirklich sehr gelungene Generalprobe. Alle Namen dieser Produktionen zu nennen, ist nicht möglich. Dafür aber sei allen versichert, dass sie beste künstlerische Arbeit abgeliefert haben und die 15 Stipendiaten und Stipendiatinnen durchaus, im Sinne der Idee der AMH, eine reelle Chance auf der rauen Künstlerbühne bekommen werden.

Die Premiere und das Fest heute Abend kann nur wärmstens empfohlen werden.




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