Ensemble Modern, zum 85. Geburtstag von Heinz Holliger, 1. Abonnementkonzert in der Alten Oper Frankfurt, 19.10.2024
Ensemble Modern (Foto: Website ensemble-modern) |
Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft
Es ist das nachgeholte Geburtstagskonzert für Heinz Holliger (*1939), der nicht nur am Pult steht, sondern auch eigene Werke zum Besten gibt; sowie Werke seiner Freunde und Weggenossen wie Klaus Huber (1924-2017) und Ernst Alois Zimmermann (1918-1970), als auch Kompositionen seiner musikalischen Zukunft, wie solche von Stefan Wirth (*1975) und Aregnaz Martirosyan (*1993) vorstellt.
Heinz Holliger ist seit gut vierzig Jahren eng verbunden, um nicht zu sagen befreundet mit dem Ensemble Modern, das 2020 sein 40-jähriges Bestehen feierte. Ihm zu Ehren komponierte er ein Geburtstagsständchen, das wegen der Corona-Ereignisse leider lediglich digital zu hören war, heute aber quasi seine analoge Erstaufführung erfuhr. Aber dazu später.
Klaus Huber: Zwei Sätze für sieben Blechbläser (Foto: H.boscaiolo) |
Zeittypischer spröder Klang
Tatsächlich gab es an diesem denkwürdigen Abend zwei deutsche Erstaufführungen, zwei Uraufführungen und darüber hinaus zwei bewegende und für Holligers Kompositionsstil strukturbildende Werkvorstellungen von Klaus Huber und Ernst Alois Zimmermann.
Sieben Blechbläser leiteten mit aufwühlenden Fanfaren den Abend ein. Es waren Zwei Sätze eben für die Sieben - zwei Posaunen, zwei Trompeten, zwei Hörner und eine Tuba - von 1957/58, von Klaus Huber. Ein siebenminütiges, zwischen Zwölftönigkeit, Tonalität und Serialität changierendes, insgesamt doch fast klassisch wirkendes, harmonisches Bravourstückchen, fast liedhaft in A-B-A aufgeteilt und von höchster expressiver Spannung durchzogen.
Huber betrachtete es als seinen "musikalischen Durchbruch" und Holliger schätzte daran vor allem den zeittypischen spröden Klang, von allem Überflüssigen entkernt. Kurz wie das Stück dauerte auch der Beifall.
Aregnaz Martirosyan: Emotional Diversity Foto: H.boscaiolo |
Es folgte von der noch sehr jungen und persönlich anwesenden armenisch stämmigen Komponistin, Aregnaz Martirosyan, Emotional Diversity für Ensemble (2020). Eine deutsche Erstaufführung mit politischer Konnotation. Martirosyan hat den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach im September 2023 zum Anlass genommen, das Material dieses gut zwölfminütigen Werkes bekenntnishaft umzugestalten und, eigenen Aussagen zufolge, zu einem „Statement gegen den Wahnsinn des Krieges“ umzufunktionieren.
Besetzt ist diese Komposition mit neun Solo-Instrumentalisten, darunter fünf Streicher und vier Bläser, wobei das Violoncello und das Horn eine hervorragende Bedeutung erhalten. Sehr emotional wechselt die Stimmung von Wildheit zu folkloristischem Gassenhauer, von Trauer zu überbordender Erregung.
Ironie und Witz konkurrieren mit Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Die Instrumentalisten sind höchst gefordert (virtuose Passagen von Cello, Horn und Violine) bis zum letzten Zupfer des Violoncellos.
Heinz Holliger hat die junge Komponistin 2022 auf dem Composer Seminar der Lucerne Festival Academy kennen- und schätzen gelernt. Seit dieser Zeit arbeiten sie zusammen. Martirosyan ist von ihrer Heimat in die Schweiz gewechselt und wird als großes Talent von Holliger höchstpersönlich gefördert.
Bernd Alois Zimmermann: Omnia Tempus Habent Foto: H.boscaiolo |
Bernd Alois Zimmermann gehörte nicht so recht zur Avantgarde der 1950er Jahre, auch wenn er Nono, Stockhausen, Boulez, um nur einige zu nennen, durchaus schätzte. Zimmermann ging von Anfang an eigene Wege, wobei er sich der Techniken des Serialismus zwar bediente, aber sich in keiner Weise festen Regeln unterwarf.
So ist sein Omnia Tempus Habent (1957, 1958 in Köln uraufgeführt) eher ein Sakralwerk, das sich auf die mittelalterliche Übersetzung des Alten Testaments, die Vulgata (8.-09. Jahrhundert) stützt, konkret auf das 3. Buch der Prediger und deren Verse 1 bis 11. Ein Verskonvolut von ungeheurer Eindringlichkeit.
Ein Zeitdokument von philosophischer Tragkraft, das von seiner Aktualität nicht einen Jota eingebüßt hat. Zimmermann verzweifelte bekanntlich an dieser Welt und beging aus diesem Grund auch Suizid. Zeitlebens war er gläubiger Katholik und bringt diese Haltung gerade in diesem „Oratorium“ (so war es zumindest gedacht) für Solo-Sopran und 17 Solo-Instrumente in genialer Weise zum Ausdruck.
Heinz Holliger, Christina Daletska, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Ein außergewöhnliches Melos
Ein außergewöhnliches Melos bestimmt diese Komposition, von der großartigen Mezzosopranistin, Christina Daletska (*1984), eindrucksvoll vokalisiert, das tief unter die Haut ging. Es sind kontrastierende Gegensatzpaare, die den Text bestimmen, wie beispielsweise: Geboren werden versus Sterben, oder Klagen versus Tanzen etc. Alles hat seine Zeit, eine musikalische und gesangliche Aufforderung, den Krieg in Frieden aufzulösen, Gottes Werk schätzen zu lernen. Aber, so das Fazit: „Nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“
Der Gesang wechselt zwischen Sprechen, Deklamieren und extrem expressiven Gesangpartien, die einen Stimmumfang von gut drei Oktaven erfordern. All das beherrscht Christina Daletska makellos und mit bester Akzentuierung. Die musikalische Begleitung orientiert sich eng am Gesang, mal hart und abweisend, dann wieder melodisch, keck, böse, oder auch versöhnlich. Es pocht und hämmert im Streit ebenso, wie es mit wunderbarem Legato den Frieden begleitet.
Fünfzehn Minuten Spannung pur. Holliger schätzte wohl an Zimmermann seinen musikalischen Nonkonformismus und vor allem seine Fähigkeit, Texte in Musik zu fassen, ein Ansinnen, das ihn ebenfalls intensiv beschäftigt.
Heinz Holliger, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Ein Kabinettstück der Extraklasse
Nach der Pause war das „Geburtstagskind“ (Heinz Holliger ist allerdings am 21. Mai geboren) selbst dran. Als Dirigent hat er bereits beste Arbeit geleistet. Unglaublich seine klare Linienführung und sein konzentrierter, vorausschauender Dialog mit dem Ensemblemitgliedern. Sein kurzes, aber prägnantes Des Knaben Ohrwunder (ein geschütteltes Wunderhorn) für Sopran und Horn (2016/2024) – Wer stellt hier keine Bezüge zu Mahlers Wunderhorn Liedern her? – wurde vom jungen Hornisten, Adrian Mittler (*2000), und natürlich von Christina Daletska interpretiert. Und das mit Bravour.
Drei Minuten lang ein ein Kabinettstückchen der Extraklasse. Beide harmonierten prächtig miteinander. Eine Wort-Sammlung aus des Knaben Wunderhorn, witzig aneinandergereiht mit großem Bogen versehen und abschließend in „Ruhe, Dornenkrone“ und „Abendwunder“ bei dreifachem Pianissimo endend. Eine Uraufführung mit viel Augenzwinkern, der sogleich eine zweite folgte
Des Knaben Ohrwunder: Heinz Holliger, Christina Daletska, Thomas Mittler, Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Vielfalt, Humor, Geist
Nämlich die neue Fassung des Geburtstagsständchens, das Holliger für das 40. Jubiläumsjahr des Ensemble Modern im Jahre 2020 schrieb.
Ensmo ↔Omnes (2024) ist einerseits ein Anagramm für Ensemble Modern und andererseits eine Bezeichnen für die 16 festen Mitglieder. Es beginnt mit einer turbulenten Eröffnungskadenz von den beiden Klavieren und Schlagwerken (dreifach besetzt). Ein vierminütiges Konzentrat aus vielerlei Materialien und Techniken folgt. Witzig und chaotisch zugleich. Zwischendurch summen die Instrumentalisten, dann aber wird es harmonisch.
Eine Es-Dur Passage erinnert vielleicht an die großen Werke Beethovens und endet in einem von einem Glas produzierten C-Dur Klang (?). Kaum zu vernehmen zwar, aber immerhin ein friedliches, harmonisches Finale. Sieben Minuten Heinz Holliger, sieben Minuten musikalische Vielfalt, Humor und Geist.
Mnemosyne: Stefan Wirth, Heinz Holliger, Christina Daletska Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Der harte Kampf der Erinnerung
Den Abschluss durfte seine „liebster Schüler“ bestreiten. Es ist der Komponist, Pianist (schon einmal 2020 in der Alten Oper aufgetreten) und Hochschullehrer, Stefan Wirth (*1975). Ein „Bekenner des Deutschen Idealismus“ und gleichzeitig ein Avantgardist auf der musikalischen Bühne.
Seine deutsche Erstaufführung Mnemosyne (2023) orientiert sich an dem gleichnamigen Gedicht von Friedrich Hölderlin (1770-1843) aus dem Jahre 1803. Ein gewaltiges Werk für 19 Solo-Instrumentalisten und Solo-Sopran.
Das Stück, extra für Christina Daletska geschrieben, lässt den Hölderlin Text, eine tief romantische Ode an die Göttin der Erinnerung (eine der neun Musen), als verzweifelten Kampf um die Freiheit des Gedankens, um das Finden der verschlungenen Wege des Beständigen, des Festzuhaltenden erscheinen.
Von tiefer Trauer zu himmlischen Sphären
Musikalisch eine Sisyphos Arbeit, die der Komponist durch extrem offenen Gesang und vielgestaltige Musik zu lösen versucht. So lässt er das vierteilige Gedicht mit einer deklamatorischen Einleitung beginnen, gefolgt von mehreren musikalischen Intermezzi, düster, drohend, um dann im zweiten Teil: „Wie aber Liebes“ …, lyrisch fortzuschreiten mit Sprecheinlagen der Instrumentalisten.
Ein langes Zwischenspiel leitet den dritten Teil ein. Jetzt löst sich das Ensemble sukzessive auf. Zuerst gehen Oboe, Klarinette, dann folgen die Blechbläser und schließlich die Streicher. Auf der Bühne zurück bleiben lediglich die Perkussionisten, der Kontrabassist, die Tastenspieler und die Cellistin. Dieser Abschnitt endet im Himmelsstreit.
Es dröhnt von der Empore des Mozartsaals, extrem dissonant, die Sängerin kann kaum den Raumklang übertönen, muss sie auch nicht. Die Posaunen von Jericho scheinen den Jüngsten Tag anzukündigen. Der vierte Abschnitt dann ist ein Trauergesang.
Der Tod des Ajax, des Achilleus wie des Patroklos wird beklagt. Alles scheint in Sinnlosigkeit zu versinken. Troia ist gestorben, es lebe das Leben. Die Posaunen werden zu Engelsposaunen, Gong und Tamtam führen mit durchdringendem Klang in die himmlischen Sphären.
Heinz Holliger, Christina Daletska, Stefan Wirth Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Beeindruckende "Geburtstagsfeier"
Eine deutsche Erstaufführung, die herzlichen Beifall erntete. Holliger schätzt an seinem „Zögling“ vor allem den Farbenreichtum, die Fähigkeit der stimmlichen Umsetzung und die stilistische Vielfalt. Allerdings muss man auch hier die fast schon wahnsinnige Leistung der Sängerin, Christina Daletska, hervorheben, die zwischen Alt und Koloratursopran alle Bereiche des Gesangs zu beherrschen scheint.
Ein beeindruckender Abschluss der „Geburtstagsfeier“, sowohl von Heinz Holliger, wie auch (mit vierjähriger Verzögerung) dem Ensemble Modern.
Christina Daletska, neben ihren gesanglichen Qualitäten auch eine ukrainische Kämpferin für den Frieden, bat am Schluss des Konzerts um eine Spende, der auch von vielen Besuchern nachgekommen wurde.
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