Le Grand Macabre, Oper in zwei Akten von György Ligeti (1923-2006), Libretto Michael Meschke nach La balade du Grand Macabre von Michel de Ghelderode, Staatstheater Wiesbaden, 05.10. 2024 (Premiere: 28.09.)
Seth Carico (Nekrotzar) alle Fotos: Sandra Then |
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
Le Grand Macabre (1978 uraufgeführt in Stockholm, 1996 überarbeitet, und in dieser Fassung auf die Bühne gebracht) ist ein Spiegelbild der heutigen Welt. Von Kriegen, Totalitarismen aller Art und globalen Klimadesastern geplagt, scheint die biblische Offenbarung der sieben Plagen, die das Weltende vorbereiten näher zu rücken. Wie gelegen erscheint da doch der sogenannte Antichrist auf der Weltbühne, hier als Nekrotzar, der Fürst der Toten betitelt, der die baldige Vernichtung des wunderbaren Erdenreichs verkündet. Hier ist es das Breughelland, ein fiktives, ländliches, gut funktionierendes Gemeinwesen, in dem man leben und leben lässt. Der berühmte Maler Pieter Breughel (1525?-1569) lässt grüßen.
liegend: Seth Carico, kniend: Cornel Frey (Piet vom Fass, stehend: Sion Goronwy (Astradamors) |
Gegen jegliche Ideologie gerichtet
Was trieb György Ligeti (1923-2006) zu diesem besonderen Opernsujet? Na ja, im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts herrschten weltweit ähnliche Verhältnisse vor wie heute. Die beiden Supermächte Sowjetrussland und die USA, mit Atomwaffen bis zum Hals bewaffnet, beherrschten die Welt und führten über Jahrzehnte einen Kalten Krieg gegeneinander. Die Menschheit lebte in ständiger Kriegsangst (der Zweite Weltkrieg saß noch tief in den Knochen), und der Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus (heute links gegen rechts) baute in den Köpfen der Menschen täglich neue Brandmauern.
Ligeti, selbst Opfer von politischer Verfolgung in seiner Heimat Ungarn, lebte seit 1956 im Westen, wo er Freiheit und Toleranz erwartete, musste aber als kritischer Komponist feststellen, dass auch hier, im sogenannten Westen, nur mit Wasser gekocht wird.
So erklärt sich auch seine Überarbeitung der Oper. Ligeti war insofern ein entschiedener Gegner von Ideologien, sowohl rechter wie linker, als auch religiöser. Und das drückt sich eklatant auch in dieser Oper, seiner einzigen übrigens, aus.
Angst vor dem Tod – Angst vor dem Leben
Ligetis Werk vom Ende der Welt – das Libretto von Michael Meschke (*1931) orientiert sich im Wesentlichen auf das gleichnamige Buch La balade de Grande Macabre (1930) von Michel Ghelderode (1898-1962) – besticht durch Derbheit, Albernheit, Slapstick Szenen und Kabarett. Ligeti schreibt dazu: „Es ist die Angst vor dem Tod, die Apotheose der Angst und das Überwinden der Angst durch Komik, durch Humor, durch Groteske.“ Wie könnte man es besser pointieren.
Galina Benevich (Fürst Go Go) und Chor des Hess. Staatstheaters Wiesbaden |
Oper kritisch gesehen
Dazu kommt noch das übergroße Orchester mit multiplem Schlagwerk von Hupen, Pfeifen, Türklingeln, Weckern bis Holzblöcken, von Hämmern geschlagen, um nur einige zu nennen, einer Musik, die keinen Halt vor Zitaten macht, zwischen Beethovens Eroica, Mozarts Kleiner Nachtmusik oder einem lateinamerikanischen Cha-Cha-Cha changiert, Clusterbildungen und Flächenklängen, Sprechmelodien sowie allerlei Rhythmische Phrasen, die seinem Kompositionsstil entsprechen eingeschlossen.
Ein musikalisches, gesangliches wie Handlungs-Sammelsurium, das durchaus die Frage nach der Art dieser Oper aufwirft. Ist sie noch Oper? Oder vielleicht eher ein surreales Musiktheater, oder, wie oft auch behauptet, eine Anti-Anti Oper? Diese Bezeichnung klingt allerdings wie eine doppelte Verneinung, linguistisch also eine Bejahung. Bleiben wir dabei: Le Grand Macabre ist eine Oper, Punkt. Allerdings mit äußerst kritischen Zügen zu ihrem realen Betrieb, was auch heute noch zutreffend ist.
Inna Fedorii (Amando), Fleuranne Brockway (Amando) |
Fünf Paare – fünf Handlungsebenen
Nekrotzar (Seth Carico, Bariton) ist in der Version von Wiesbaden, zwar Fürst der Toten, aber in der Regieführung von Pinar Karabulut, „eine Metapher fürs Leben“, einer, der sich einen „Lebenstraum erfüllen“ möchte, nämlich „die Welt untergehen zu lassen“. Fragen offen. Sein sklavischer Adlatus wird Piet vom Fass (Cornel Frey, Tenor), ein notorischer Säufer, der nichts weiter möchte, als das, aber dem Charisma des Welt-Zerstörers verfällt, solange er ihm das Saufen nicht verbietet.
Amando (Fleuranne Brockway, Mezzo) und Amanda (Inna Fedorii, Sopran) kreieren ein Liebespaar, das nichts als Liebe möchte und sich einen Kehricht über das Ende der Welt kümmert.
Dann sind da noch Astradamors (Sion Goronwy, hier Bassbariton) und seine ungeliebte Frau Mescalina (Ariana Lucas, hier Alt), eine Sadomaso-Beziehung mit Himmelblick (er entdeckt den vermeintlich tödlichen Kometen), Fürst Go Go (Galina Benevich, hier ein Sopran) und seine Helfershelfer, allen voran der Geheimdienstchef Gepopo (Josefine Mindus, Koloratursopran, sie spielt und singt auch noch die Rolle der Venus) und seine Minister (Sascha Zarrabi, Tenor, Hovhannes Karapetyan, Bariton), sowie drei Nebengestalten des Hofstaats Ruffiak (Wooseok Shim, Bariton), Schobiak (James Young, Bariton) und Schabernack (Fabian-Jakob Balkhausen, Bariton). Ihre, des Hofstaats Aufgabe ist es, das Volk auf das Ende der Welt einzustimmen, aber vorher noch die Steuern einzutreiben: Fünf Paare fünf Handlungsebenen.
Das Ende der Geschichte: Der Komet verschont Breughelland, Nekrotzar hat verloren und verschwindet von der Bildfläche, die ganze Offenbarung des Untergangs war ein Fake und Breughelland (alle genannten Akteure und der Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, der nahezu ausschließlich aus dem Off singt) vergnügt sich beim Fressen und Saufen.
v. l.: Cornel Frey, Sion Goronwy, Fabian-Jakob Balkhausen, James Young Wooseok Shim, Seth Carico, liegend: Ariana Lucas |
Die Bühne als Geburtsort des Unheils
Was aber macht die Regie des Wiesbadener Staatstheaters daraus?
Im Großen und Ganzen hält man sich an Text und Fortgang der Vorlage von 1996. Die Bühne (Jo Schramm) besteht aus einer Weltscheibe – ein beabsichtigter Marktplatz oder Zirkus ist nicht zu erkennen – über dem Orchestergraben angelegt. Im Hintergrund der Bühne sitzt das riesige Orchester mit seiner außergewöhnlichen Apparatur. Eine an sich sehr gute Idee, aber zum Nachteil der Bühne.
Dann dominiert eine Art Trichter Konstruktion von der Decke, offiziell beschrieben als Geburtskanal (Nekrotzar erscheint, durch diesen Trichter krabbelnd, auf der Bühne), als Teleskop (Astradamors erkennt durch ihn sehend den gefährlichen Kometen) sowie als eine Art Space Shuttle und letztlich auch als Medium der Weltzerstörung, wenn der Mond?, die Sonne? oder der Komet? in den Trichter gezogen, und von Nekrotzar zu einem Plastikhaufen zerknüllt wird.
Märchenspiel und eklatanter Fauxpas
Die Kostüme (Teresa Vergho) sind der Märchenwelt entnommen und schwer einzuordnen. Mal Tier, Mickey Mouse, mal Clownsaccessoires mit asiatischen Bezügen. Der Chor (Albert Horne), sonst das Aushängeschild des Theaters, sang vorwiegend aus dem Off und betrat nur zweimal kurz die Bühne, mit Masken aus der Filmindustrie, wie Batman oder Superman, und grauer Einheits-Arbeitsmontur. Er reduzierte sich auf einen Nebenschauplatz - ohne Wirkung. Ein schwerer Fauxpas für diese Oper.
Die Lichteffekte (Oliver Porst), die sich auf die handelnden Personen konzentrierten, waren durchaus angebracht, spielte sich doch Alles auf dem doch vergleichbar engen Kreis ab. Direkt vor dem Publikum.
Seth Carico, Cornel Frey, Fleuranne Brockway, Inna Fedorii |
„Geschlechterzuschreibungen abschaffen“
Pinar Karabulut, verantwortlich für diese Inszenierung, möchte, so ihre Aussage, die „Geschlechterzuschreibungen abschaffen“. Deshalb wird unter anderem aus dem Fürsten Go Go eine Frau, aus Mescalina, eigentlich ihrem Mann unterworfen, eine selbstbewusste Sadomaso-Nymphe mit Mäuseohren, und aus dem Liebespaar Amando und Amanda ein irgendwie geschmackloses überdimensioniertes Bonbon-Girliepaar. Allerdings mit sehr guten Stimmen.
Es stellt sich die Frage, was die Absicht der Geschlechter Nivellierung bewirken soll, wenn doch gerade die Kunst vom Yin und Yang lebt, von den Geschlechterunterschieden und von den exzentrischen weiblichen und männlichen Charakteren? Hier trug diese genderorientierte Neutralisierung eher dazu bei, die Langeweile durch Vertauschung und Gleichsetzung der Geschlechter und Charaktere geradezu herauszufordern.
alle Akteure: in der Mitte: Seth Carico (Totenkostüm), links daneben: Leo McFall (GMD) Foto: H.boscaiolo |
Der Handlungsablauf litt auch wegen der kleinen Bühne (zugunsten des Orchesters) und geriet daher eher zu einer oratorischen bzw. szenischen Darstellung. Die einzelnen Paare traten immer solistisch auf, sehr buntig zwar, aber statisch und Nummern bedingt, wobei man bald den Überblick verlor und abschaltete.
Der vorgesehene dramatische Spannungsaufbau bis zum erwarteten Weltuntergang kam dabei nicht auf. Da die Oper zudem in englischer Fassung gesungen wurde (Ligeti und sein Librettist hatten sie allerdings auf Deutsch vorgesehen), musste man sich weitgehend den Fortgang erlesen, zumal sich auf der Bühne außer viel Gestik, etwas Tanz, einige Slapsticks und Farbenvielfalt, wenig tat. Die Struktur des Ganzen konnte so allerdings nie wirklich erfasst werden.
Transdisziplinär oder Wokeness?
Karabulut will den „Abend“, nach eigener Aussage, „transdisziplinär gestalten“ (was auch immer das bedeutet) und „nicht gegen die Oper arbeiten“.
Leider, oder vielleicht sollte man von Glück sagen, gelang ihr das mit dieser Inszenierung in keiner Weise. Ihre bemühte Wokeness wurde dem Werk nur unzureichend gerecht und schadete eher als dass es nützte.
Das Finale wurde so zu einer wirklichen Katastrophe, wenn man weiß, dass das Volk (wo war es geblieben?) und die Protagonisten sich ans Publikum wenden, und ein optimistisches „Fürchtet Euch nicht!“ intonieren. Alles das fehlte gänzlich. Statt dessen treiben Amando und Amanda ein etwas bemühtes Liebesspiel (wo ist der Sarg?) und träumen von der sexuellen Ekstase.
Der Chor des Hess. Staatstheaters Wiesbaden Foto: H.boscaiolo |
Die Sängerinnen und Sänger
Hervorzuheben sind die brillant singende Josefine Mindus als Venus und Gepopo Chef, ihre Koloraturen gelangen präzise und sternenklar sowie das Liebespaar, Inna Fedorii und Fleuranne Brockway; wenn auch geschmacklos überzogen, versprühten sie doch mit ihren wirklich ausgenommen schönen Arien eine Menge Puccini Flair .
Seth Carico spielte seine Rolle überzeugend, wechselte häufig sein Outfit, was auch stimmliche Auswirkungen zeigte: Mal frech, übergriffig, mal überzeugt und drohend, dann wieder verzweifelt depressiv. Sein Bariton hatte einen großen Stimmumfang und reichte bis zum hohen Tenor und zum Bassbariton. Er, ein Kernelement der Aufführung.
Ebenso Cornel Frey als Piet vom Fass. Der ewig Betrunkene glänzte durch ständige Hickse und sehr guter glasklarer Stimme, bis in die höchsten Höhen. Auch sein Timbre gefiel durchaus und passte zu seinem devoten und lukullisch-konsumistischen Charakter.
Alle anderen Akteure waren gutes Mittelmaß und beherrschten ihre Rollen, ohne allerdings, wie vom skurrilen Astradamors alias Sion Goronway und Mescalina Ariana Lucas zu erwarten gewesen wäre, zu glänzen. Ihre Stimmen waren einfach in jeder Hinsicht beschränkt.
Galina Benevich, die den männlichen Fürsten mimte, hatte zwar einen soliden Sopran, wurde in Kostüm und Schauspiel dieser Rolle allerdings nicht gerecht. Klein und unscheinbar brauchte man seine Zeit, um sie überhaupt als Fürst (in) erkennen zu können.
Dezenter Hintergrund – ein Klangteppich
Dezent und ohne Auffälligkeiten agierte dagegen das Orchester. Unter der sehr umsichtigen Leitung vom brandneuen GMD, Leo McFall, gab der Orchesterapparat dem Geschehen einen würzigen Hintergrund, ohne allerdings den musikalischen Besonderheiten wie Hupen, Donnern, Schlagen, Kuckucksrufe und Wecker klingeln etc. besonderen Ausdruck zu verleihen. Augenscheinlich ging es dem Dirigenten darum, die Sänger und Handlung in den Vordergrund zu heben und die Musik als Klangteppich im Hintergrund zu halten.
Eigentlich lobenswert, aber speziell für diese Oper vielleicht nicht angebracht, denn sie lebt und stirbt förmlich über die musikalische Gestaltung mit unzähligen Zitaten, absolutem Ideenreichtum und witzigen Intermezzi.
Schlussapplaus (Foto: H.boscaiolo) |
Kein Meisterwerk der Inszenierung
Zusammenfassend kann man sagen, diese Inszenierung ist kein Meisterwerk. Eher als Versuch zu bewerten, ein wunderbares Libretto und eine ebensolche Musik in der Ideologie der Wokeness umzuinterpretieren und, im wahrsten Sinne, somit der Kunst die Mittel der Kontraste, Widersprüche, Exzentrik und Geschlechterkämpfe zu berauben.
Das Mittel der Nivellierung, der Geschlechterangleichung und "transdisziplinären Gestaltung" (früher hieß das mal in der Wissenschaft multidisziplinär, worunter man die Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Bereiche verstand), dient letztlich nicht der Lebendigkeit der Kunst, sondern ist eher als ihr Sargnagel zu begreifen. Wokeness und Gendern hat in der Kunst nichts zu suchen! Jedenfalls nicht in einer Oper wie Ligetis Le Grand Macabre.
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