Münchner Philharmoniker, musikalische Leitung: Tugan Sokhiev, Klavier: Alexandre Kantorow, Alte Oper Frankfurt, 27.10.2024
Alexandre Kantorow (Foto: Sasha Gusov) |
Geschichten – musikalisch erzählt
Ein Abend voller Geschichten und Erzählungen, ohne Worte versteht sich, dafür aber mit eindrucksvoller Musik. Auf dem Programm standen die Polonaise aus Peter Tschaikowskys Oper Eugen Onegin op. 24 (1879), die 24 Variationen aus Sergej Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43 (1934) sowie die Scheherazade Suite op. 35 (1888) von Nikolai Rimski-Korsakow.
Eine Polonaise als Stimmungsmacher
Die gut einhundert Instrumentalisten der Münchner Philharmoniker verstanden es prächtig, unter der Leitung ihres Tournee-Dirigenten, Tugan Sokhiev (*1977), das Publikum mit der weltberühmten Polonaise aus dem dritten Akt der Oper Eugen Onegin von Peter Tschaikowsky (1840-1893), einzustimmen.
Erinnern wir uns an die Szene, in der Eugen Onegin nach jahrelanger Abstinenz seine Geliebte Tatjana auf einem Gala Ball beim Fürsten Gremin wiederfindet. Beide verlieben sich erneut ineinander, nur, Tatjana ist bereits mit dem Fürsten verheiratet. Die Liebe, wie sie aufflammt, hier in der Polonaise in Musik gefasst, verlöscht gleich wieder und endet in einer Tragödie.
Die Polonaise, ein polnischer Schreittanz, ist ein Meisterwerk von nur wenigen Minuten. Dreiteilig angelegt, mit lyrischem Mittelteil, forderte sie regelrecht zum Tanz durch die Stuhlreihen auf, was natürlich unmöglich war. Dafür hob sie die Stimmung im vollbesetzten Saal der Alten Oper und machte Appetit auf die folgende Rhapsodie, oder besser, den angesagten Pakt mit dem Teufel, dessen ungewissen Ausgang man mit leichtem Gruseln erwartete. Scherz beiseite.
Münchner Philharmoniker (Foto: Judith Buss) |
Der Pakt mit dem Teufel
Sergey Rachmaninow (1873-1943), übrigens ein großer Bewunderer Tschaikowskys, dem er außerdem viel Förderung zu verdanken hatte, schrieb diese 24 Variationen über eine Thema von Paganini op. 43 bereits als erfolgreicher Komponist, Pianist und Millionär in seinem Domizil am Vierwaldstättersee im „Krisenjahr“ 1934.
Die ursprünglichen Capricci für Violine solo (1820) von Niccolò Paganini (1782-1840), auf die er sich bezog, waren bereits schon davor von keinen Geringeren als Robert Schumann, Franz Liszt und Johannes Brahms verarbeitet worden.
Nicht aber mit dem Zusatz des Dies Irae. Bekannt aus der lateinischen Totenmesse und vielfach in liturgischer Musik gebraucht, benutzte Rachmaninow den Tag des Zorns, um seinem Werk ein Programm zu verleihen. Auf die Frage eines Kritikers erinnerte er an die Legende des Paganini, der seine Seele an den Teufel verkaufte, um seine Kunst und sich selbst zu vervollkommnen, und ergänzte: „Alle Variationen mit dem Dies Irae-Thema sind der böse Geist.“ Tatsächlich ist das Werk auch als Ballett erschienen, und das mit großem Erfolg.
Alexandre Kantorow (Foto: Mediathek Elbphilharmonie) |
Rachmaninow – Kantorow
Für Klavier und Orchester ist es allerdings ein Kracher erster Güte, der nur von wenigen Pianisten und Orchestern beherrscht wird. Nicht von ungefähr saß der Komponist bei der Uraufführung in Baltimore am 07. November 1934 höchstselbst am Flügel, unter der kongenialen Leitung des Philadelphia Orchestra durch Leopold Stokowski.
Es sei vorweggenommen. Was Alexandre Kantorow (*1997) und die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Tugan Sokhiev (*1977) in der Alten Oper boten, war erste Sahne.
Teufel contra Humor und Ironie
Kantorow, wie immer mit wirrem Haar, das langsam schütter wird, einer schlecht sitzenden Jacke und Hemd wie Hose in Anthrazit, beginnt gleich mit einem verspielten Staccato, das die Thematik der Variationen einleitet. Eigentlich ein Kampf zwischen Leben und Tod, zwischen gutem und bösem Geist, führt der Pianist zunächst durch das Labyrinth des Ungewissen. Überragende Technik mixt er mit herzerweichender Lyrik, kraftvolle Passagen mit romantischer Verklärung. Es ist ein Spiel mit dem Spiel, das Kantorow zunächst treibt.
Ab der siebenten Variation wird das Dies Irae Motiv eingeführt. Der „böse Geist“ hält Einzug in die rhapsodische Erzählung, wird aber immer wieder durch ironische, humorvolle Beschwichtigungen in seine Schranken verwiesen. Kantorow scheint den Teufel zu foppen, ihm einfach immer wieder den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wunderbar gelingt ihm das in der 18. Variation, in der nicht allein die Tonart in Des-Dur wechselt, sondern sich auch eine zutiefst romantische Gefühlsexplosion vollzieht, eine Melodie, die bereits in diversen Filmmusiken Eingang gefunden hat. Welcher Teufel kann hier noch Paroli bieten.
Alexander Kantorow, Münchner Philharmonie Foto: H.boscaiolo |
Den Teufel hinter die Fichte führen
Kantorow scheut aber nicht das weitere Spiel mit dem Bösen. Die Schluss-Variationen, durchzogen von heftigen Triolenketten und komplizierter Chromatik, bis hin zu unbeschreiblicher Virtuosität, mit ständig sich steigerndem Tempo, finden ihren Höhepunkt in der 22. Variation. Hier ertönt zum letzten Mal das Dies Irae, aber der Tag des Zorns gerät zum Nachteil des Bösen.
Mit jazzigen Anklängen, einer typisch amerikanischen Synkopik, scheint der Protagonist Kantorow noch einmal den Teufel hinter die Fichte zu führen. Bei begleitendem Glockenspiel wird der Kampf zwischen Gut und Böse in biblischer Attitüde ausgefochten, wobei Kantorow eindeutig als Sieger zurückbleibt.
Er besiegt den Teufel, das Böse, durch Charme, Witz, jugendlichen Optimismus und einem gehörigen Maß an Humor, wobei das Orchester seinen entsprechenden Beitrag leistet.
Kantorow intim
Denn das Zusammenspiel zwischen Solo und Tutti war vor allem in den mittleren Variationen zwischen 10. und 17., höchst komplex, erforderte viel Feingefühl und andauernde diffizile Kommunikation. All das erfüllte der Dirigent Tugan Sokhiev mit großer Übersicht.
Alexandre Kantorow gehört, ohne Abstriche, in den Olymp der besten Pianisten auf diesem Globus. Seine Zugabe, eine Eigenimprovisation über den Beatles-Song Yesterday, war von ausgesprochenem virtuosen und expressivem Einfallsreichtum geprägt. Ein sehr intimer Vortrag.
Münchner Philharmonie (Foto: H.boscaiolo) |
Sinfonische Dichtung
Kommen wir zur letzten Geschichte. Scheherazade von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) ist voller Fantastik, märchenhafter Stimmung, arabischem Kolorit und wunderbarer Sinfonik. Kurz eine sinfonische Dichtung.
Rimski-Korsakow war das jüngste Mitglied der Gruppe der Fünf, auch das mächtige Häuflein genannt, und prägte gemeinsam mit Modest Mussorgsky, Alexander Borodin, Mili Balakirew und César Cui die russische Sinfonik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Besonderheit war es, Folklore, Metren Wechsel, Orientalismen und vor allem Geschichten und Märchen in ihre Musikalischen Werke einzubauen. Denken wir an die Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky oder an die Polowetzer Tänze von Alexander Borodin.
Tugan Sokhiev (Foto: Tobias Hase) |
Durch die mythologische arabische Welt
Rimski-Korsakow ging alsbald eigene Wege, lehrte seit 1871 Komposition und Instrumentation am St. Petersburger Konservatorium und war Wegbereiter für Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch, Alexander Skrjabin wie auch Sergej Rachmaninow.
Seine Scheherazade (1888 in St. Petersburg uraufgeführt) beruht auf der Erzählung von Tausendundeine Nacht und enthält eine dem entsprechende Instrumentation mit allein fünf Perkussionisten (damals ein Novum) sowie einen damals sehr beliebten orientalischen Duktus.
Vier Sätze erzählen von Sindbads Seereise, Von der Geschichte des Prinzen Kalender, Vom jungen Prinzen und der Prinzessin sowie von den Festlichkeiten in Bagdad. Eine gut 50 minütige Reise durch die fantastische Welt der arabischen und persischen Literatur, hier ein Ausschnitt aus den Nachtgeschichten der Scheherazade, die damit die Mordgelüste des Königs Schahriyar an seiner untreuen Frau verhindert.
Naoka Aoki (erste Geige), Tugan Sokhiev, Münchner Philharmoniker Foto: H.boscaiolo |
Betörend schöne Soli
Diese Suite, die nach Aussage Rimski-Korsakows keine Programmmusik sein will, führt dennoch durch die mythologische Welt Arabiens mit wunderbaren Violineinlagen, aber auch mit diversen Soli aus den Gruppen der Blech- und Holzbläser, wie auch der Streicher. Ständig wechselnde Stimmungen und Tempi, eine unglaublich rhythmische Vielfalt, sowie dynamische Kontraste charakterisieren diese sinfonische Dichtung.
Perfekt dabei die solistischen Einlagen, allen voran die der Sologeigerin Naoka Aoki, die betörend schön die Übergänge der einzelnen Erzählungen gestaltete. Aber auch die schwierigen metrischen Wechsel wurden ohne Makel gemeistert, wobei das insgesamt doch relative sparsame Dirigat von Tugan Sokhiev manches Mal etwas motivierender hätte sein können. Man konnte sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren, dass das brillante Orchester auch ohne ihn das komplizierte Werk hätte aufführen können.
stehend v. l.: Tugan Sokhiev, Naoka Aoki (erste Geige) Münchner Philharmonie (Foto: H.boscaiolo) |
Störende Klatscheinlagen und Handygeklingel
Der fulminante Schluss, ein Repetitionsgewitter der Streicher wie auch der gesamten Instrumentengruppen, geerdet durch die Perkussionisten mit Tamburin, Militärtrommel, Becken und Pauken, konnte für einige Längen im Mittelteil vollständig entschädigen.
Leider waren die störenden Klatscheinlagen einiger ungeduldiger Hörer im Publikum sowie das mehrmalige Handygeklingel nicht gerade förderlich für den musikalischen Verlauf dieser doch diffizilen Komposition. Schluss gut alles gut.
Die Zugabe, der Marsch aus Tschaikowskys Nussknacker Suite, ein Selbstläufer dieses Orchesters, ließ noch einmal seine Routine wie auch Qualität aufblitzen. Herzlicher Beifall wohl, aber viele verließen doch sehr frühzeitig den großen Saal der Alten Oper Frankfurt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen