Mittwoch, 13. November 2024

Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko, 5. Sinfonie in 5 B-Dur (WAB 105) von Anton Bruckner, Alte Oper Frankfurt, 12.11.202

Berliner Philharmoniker (Foto: c-starke)

Werk eines Einsamen“

Ein ausverkaufter Großer Saal der Alten Oper Frankfurt. Wann hat es das in letzter Zeit gegeben? Und ausgerechnet bei Anton Bruckners (1824-1896) 5. Sinfonie B-Dur WAB 105 (1878/1894), einem gewaltigen Monolith, einem „Werk eines Einsamen“, eines sehr gläubigen Menschen, der zeitlebens an mangelnder Anerkennung litt und gerade mit dieser Komposition von gewaltigen Ausmaßen (gut 80 Minuten Dauer) seinen Durchbruch erreichen wollte?


Erfolg – Misserfolg

Selbst Bruckner war sich unsicher ob dieses erwünschten Erfolges, zumal seine Dritte 1877 durchgefallen war und seine Zweite und Vierte ebenfalls nur mäßigen Erfolg aufwiesen. Dreimal korrigierte er die 1878 endgültig fertiggestellte Partitur, ließ sie allerdings mutlos sechzehn Jahre liegen, ehe sie, zunächst stark geglättet von seinem Freund Franz Schalk (er kürzte unter anderem das Scherzo und strich die Doppelfuge mit mehr als 120 Takten aus dem Finalsatz), am 04. April 1894 in Graz zur Uraufführung kam und gleich von Erfolg gekrönt wurde.


Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker 
(Foto: Stephan Rabold)

Die Fantastische“ – selten aufgeführt

Bruckner allerdings war zu dieser Zeit bereits schwer erkrankt und konnte nicht persönlich seine Genugtuung erleben. Erst im Jahre 1935, nach heftiger Kritik an diesen Kürzungen, kam die Urfassung in München zur Aufführung und soll große Begeisterung ausgelöst haben.

Dennoch, bis heute kommt seine Fünfte, obwohl von der Nachwelt oft mit den Beinamen „Glaubenssinfonie“, oder „Die Katholische“, und von Bruckner mit „Die Fantastische“ wie „kontrapunktisches Meisterstück“ versehen, nur selten in die Konzerthäuser.


Kirill Petrenko (Foto: Monika Rittershaus)

Musikalische Welt Bruckners

Vielleicht ist das einer der Gründe des gewaltig großen Interesses. Diese Sinfonie – und sie ist zweifellos eine – von den renommierten Berliner Philharmonikern unter der musikalischen Leitung ihres Chefs Kirill Petrenko (*1972), zu erleben, sollte zumindest ein zweiter Hauptgrund sein, unbedingt an diesem musikalischen Erlebnis teilzuhaben.

Gut einhundert Instrumentalisten bevölkerten die große Bühne des großen Saals der Alten Oper und zogen gleich mit der sehr langsamen Introduktion das Publikum in ihren Bann. Ein Streicherchoral wie ein Gebet führt in die musikalische Welt Bruckners ein. Dann bricht der Klangrausch abrupt ab und mündet in das fanfarenhafte Hauptthema. Motiv reiht sich an Motiv und türmt sich in dissonanten Schichtungen auf. Alles erscheint fragmentarisch, irgendwie hingeworfen und nicht weiter ausgearbeitet. Einem Soggetto des knappen Einfalls ähnlich, wie aus vergangenen, vorbarocken Zeiten.


Ein Puzzlespiel

Petrenko wirkt hier wie ein Dompteur, der die gefährliche Meute im Griff halten möchte, ja muss. Das gelingt ihm perfekt durch ausgefeilte Dynamik zwischen pianissimo und dreifach forte und unzähligen Zwischennuancen. Überhaupt erscheint der erste Satz, changierend zwischen Adagio und Allegro wie ein Puzzlespiel, das erst noch vervollständigt werden muss. Zwar spannungsgeladen, aber mit offenen Fragen, dem Suchen nach der Komplettierung des Gemäldes.


Berliner Philharmoniker (Foto: H.boscaiolo)

Viele Fragen offen

Bekanntlich hat Bruckner den zweiten Satz, das sehr langsam zu spielende Adagio, vor dem ersten geschrieben. Man behauptet sogar, dass, wer den zweiten Satz nicht gehört hat, die anderen nicht verstehen könne. Er, vor allem, sei die Seele der Sinfonie, hier habe der Komponist in seinem bevorzugten d-Moll, mit weitschweifigen Melodien, klagenden Oboen- und Hörner Passagen sowie pastoraler Hirtenmusik, die an Wagners Tristan erinnert, seine gesamte Stimmungslage hineinprojiziert. 

Ein ausgedehnter Satz – hier eher im wohltuenden Andante Tempo interpretiert –, in Liedform und kontrapunktischer Raffinesse geschrieben, der allerdings mit abschließenden Holzbläser-Rufen im Pianissimo ebenfalls viele Fragen offen lässt.


Sehr langatmig

Das Scherzo setzt thematisch an der Melodielinie der Introduktion an, entwickelt sich aber alsbald zu einem echten Wiener Heurigen-Gassenhauer. Sehr tänzerisch und frisch vom riesen Orchesterapparat bewältigt. Die folgenden Trios, sie wiederholen sich mehrmals, bewegen sich im Marsch Rhythmus und wechseln in einer Art Schleife ständig mit dem Grundthema. Ein heiterer Abschnitt dieses Monoliths, aber doch sehr langatmig. 

Die ständigen Wiederholungen lassen unvermittelt Vergleiche an die Minimal-Musik der 1980er Jahre aufkommen: Das fast schon ständige Immer-gleiche bis zum Trancezustand. Schwierig, in diesem ausgedehnten Satz die Spannungslinie aufrechtzuerhalten. Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker taten ihr bestes.


Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker
(Foto: Stephan Rabold)

Sakraler Weltenbau

Das Finale, eine Mischung aus Adagio und Allegro, wie im ersten Satz, sollte diesen bis dahin doch unvollendeten Weltenbau, wie es im Programm treffend heißt, erfolgreich abschließen. In Reminiszenz zum ersten und zweiten Satz, allerdings stark verkürzt, glänzt hier der Komponist durch zwei ausgefeilte Fugen (vierstimmig, und Doppelfuge) und einer Kontrapunktik, die an die Bachschen Werke erinnert. 

Durch plagale, unvollendete Kadenzen und choralartige Blechbläser Einlagen bekommt dieser Schluss einen absolut sakralen Charakter. Alles wirkt wie eine gesungene Kantate. Kraftvoll, kunstreich und doch irgendwie auch das Puzzlespiel komplementierend.

Man sieht im geistigen Auge den Komponisten an seiner geliebten Orgel sitzen (bekanntlich war er als Organist einer der Besten seiner Zeit), alle Register ziehen, die Akustik der Kirchenhalle genießen und die Weltschöpfung Gottes lobpreisen. Mit einem mächtigen Donnerschlag der Pauken endet das in knapp 75-Minuten bewältigte Monument in einer Apotheose, die auch den letzten Besucher der Alten Oper, wenn nicht gar überzeugt, doch zumindest bewegt hat.

Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker 
(Foto: Stephan Rabold)

Perfekt, aber gewöhnungsbedürftig

Die perfekt aufspielende Berliner Philharmonie mit einem höchst engagierten und motivierenden Dirigenten Kirill Petrenko schafften eine Interpretation des doch gewöhnungsbedürftigen Werkes, die seinesgleichen sucht. Freundlicher Applaus, mehr war allerdings nicht drin.



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