Dienstag, 12. November 2024

London Philharmonic Orchestra (LPO) musikalische Leitung Edward Gardner, Klavier: Víkingur Ólafsson, mit dem Klavierkonzert Nr. 1 op.15 von Johannes Brahms und der Eroica op.55 von Ludwig van Beethoven, Alte Oper Frankfurt, 11.11.2024 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)

Das London Philharmonic Orchestra - LPO (Foto: Website)

Auftritt der Sonderklasse

Es ist erst der dritte Auftritt von Víkingur Ólafsson (*1984) in der Frankfurter Alten Oper. Sein Debüt hatte er im Februar 2023 dem Bergen Symphony Orchestra, und das unter der musikalischen Leitung von Edward Gardner (*1974), ein Auftritt der Sonderklasse, zumal sowohl das Orchester als auch Ólafsson mit dem Klavierkonzert a-Moll von Robert Schumann und Petruschka von Igor Strawinsky bleibenden Eindruck hinterlassen hatten.


Große Erwartungshaltung

Zufall oder gewollt? Immerhin hat PRO ARTE, wie so häufig, ein unglaubliches Händchen, die Besten der Besten nach Frankfurt einzuladen. Edward Gardner ist seit 2021 Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra (übrigens ein äußerst beliebter Dauergast in Frankfurt) und tourt aktuell mit dem Ausnahmepianisten durch Europa. Ólafsson hat in der Zwischenzeit schon mit seiner spektakulären Interpretation von Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen (Oktober 2023) Aufsehen erregt, und es konnte absolut kein Zufall sein, dass der große Saal der Alten Oper restlos besetzt war und große Erwartungshaltung im Publikum vorherrschte.


Vikingur Ólafsson (Foto: Website) 

Ein Wagnis

Víkingur Ólafsson und das Orchester hatten dieses Mal das Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 (1859) von Johannes Brahms (1833-1897) mitgebracht, ein Werk mit langer Vorlaufzeit, das, wie es von Brahms selbst heißt, zwar „glücklich zu Ende geführt ward“ (er selbst saß bei der Uraufführung am Flügel), aber „glänzend und entschieden durchfiel“.

Warum das? Die Antwort liegt auf der Hand. Zu lang, zu schwer, zu fremd für die Ohren des Publikums in dieser Zeit. Tatsächlich beträgt die Spieldauer fast 50 Minuten, das Orchester spielt quasi im Gleichklang mit dem Solisten, was damals viele Musiker schlicht überforderte und, last but not least, änderte Brahms vieles an der Struktur des Werkes. 

Dazu gehörten eine ausgedehnte Orchestereinleitung, mehrere kurze Kadenzen im Allegro con brio des ersten Satzes, aber auch im Adagio des zweiten und Rondo Finale im dritten Satz. Nicht zu sprechen von den gewaltigen technischen Anforderungen an Solisten wie Orchester im rhythmischen und dynamischen Zusammenspiel. Wer sollte sich an dieses Mammut Werk wagen?

Vikingur Ólafsson (Foto: Website) 

Alles Musik

Tatsächlich gehört es heute zum Beliebtesten seiner zwei Klavierkonzerte, und das wurde an diesem Abend in der vollbesetzten Alten Oper in überragender Weise bestätigt.

Ólafsson, wie immer in grauem Anzug und Hornbrille, wartete gelassen auf das Ende des über 91 Takte dauernden Maestoso zwischen wilder Aufruhr und feierlichem Ernst. Dann greift er in die Tasten, spielt lyrisch versonnen das erste Thema, nur von leisen Pizzikati begleitet, um dann nach wenigen Takten in das wuchtige Kopfthema einzusteigen. Jeder Ton von ihm ist ein Gedicht, jede Phrase macht Sinn, seine Virtuosität dient ausschließlich der Musik.

Der gesamte Kopfsatz besteht aus einem intensiven Dialog zwischen Solo und Tutti, expressiv, kontrastreich, energetisch. Man versteht sich quasi blind. Die Kadenz gehört zwar in die Reprise, ist aber weniger von technischer Versiertheit geprägt, sondern vielmehr an dem choralartigen liedhaften zweiten Thema orientiert. Der Abschluss, die Coda, wiederum besteht aus gesteigerter Virtuosität und endet in vier gewaltigen Schlussakkorden des Orchesters.


Ein intensives Gebet

Der zweite Satz, ein intensives Adagio in D-Dur erinnert in der Motivik von Richard Wagners Glaubensmotiv aus seinem Parsifal. Brahms selbst hat ihn ebenfalls als solchen verstanden. So schreibt er dazu die Worte: „Benedictus qui venit in nomine domini (gelobt sei der, der im Namen des Herrn kommt). Hier dialogisiert das Klavier mit dem Fagott, den Hörnern, den Kontrabässen und Klarinetten. Ein intensives Gebet von mehr als 15 Minuten Dauer. Bekanntlich hat Brahms diesen Satz später in sein Deutsches Requiem eingebaut.

Vikingur Ólafsson, Edward Gardner, LPO
Foto: Andreas Etter 
Energie pur

Das Rondo des Schlusssatzes ist ein energetisches Feuerwerk, varianten- und facettenreich, von großer Frische und ausgesprochener Raffinesse. Viel Kontrapunkt und Fuge, dazu kraftvolle Bläser Passagen und perfekte dynamische Kontraste. Auch hier eine Kadenz zum Abschluss, kurz und fast ausschließlich aus schwierigsten Doppel- bzw. Vierfach-Trillern bestehend. Fanfarenartig nimmt das Orchester das Rondo Thema wieder auf und lässt in einer kurzen Coda diesen Satz in triumphaler Größe enden.

Sprachlos und intensiv berührt bleibt man zurück. Eine Vorstellung die perfekter kaum sein kann. Víkingur Ólafsson, das LPO und Edward Gardner bilden eine Einheit, die besser kaum sein kann. Alles, aber auch alles ist stimmig. Großes Lob gebührt auch dem Komponisten dieses Ausnahmewerks.


Ein Publikumsliebling?

Zwei Zugaben mussten sein. Ólafsson spielte zwei Suiten von Jean-Philippe Rameau. Einmal absolut virtuos, rasend schnell, aber mit größter Musikalität, und dann majestätisch, wie ein Choral, der von J. S. Bach und auch, so Ólafsson in einer kurzen Anrede zum Publikum, von Gustav Mahler hätte sein können. Zauberhaft wie aus einer Gedichtsammlung von Moliere, Schiller oder Racine. Ólafsson hat seine isländische Distanziertheit abgelegt und zeigt am Flügel wie auch dem Publikum gegenüber Emotion. Sein Ausstrahlung wird immer besser. Er könnte sich Publikumsliebling mausern. Abwarten.


Vikingur Ólafsson, Edward Gardner, LPO
Foto: H.boscaiolo

Seine Bedeutendste

Die „Eroica“: Wie viele Legenden werden um sie gesponnen, welche Ideen werden ihr angedichtet? Sie hatte das LPO als zweites Geschenk in der Tasche.

Beethoven selbst bezeichnete sie schlussendlich als „Heroische Sinfonie“, was wohl am besten den Sinne dieser Komposition beschreibt. Entstanden ist die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55, vor allem bekannt als „Eroica“ (die Heroische) zwischen 1802 und 1804. Ihre Uraufführung fand zunächst privat am 09. Juni 1804 im Wiener Palais des Fürsten Joseph Lobkowitz statt. Die erste öffentliche Aufführung allerdings erst am 07. April im Theater an der Wien, und das mit großem Erfolg.

Unbestritten gehört diese Sinfonie zu Beethovens bedeutendster, wie er 1817 in einem Kommentar selbst feststellte. Und das trifft auf alle vier Sätze zu. Jeder von ihnen ist eine Besonderheit.


Das London Philharmonic Orchestra - LPO (Foto: Benjamin Ealovega)

Dramatische Kurzweil

Sie beginnt gleich mit einem Doppelschlag, der durch Mark und Bein geht. Dann folgt die Dreiklangmelodie, die heute bereits zu einem Ohrwurm geworden ist, und schon zu Beethovens Zeiten übliches Motiv bei Haydn und Mozart war. Es folgt ein extrem langer Kopfsatz von fast 700 Takten, den das gewaltige Orchester bei zwei- bis vierfach besetzten Bläsern, Pauken und großem Streicherapparat mit pointiertem Tempo, perfekter Synkopik, ausgewählter Dynamik und energetischem Schwung kurzweilig vorstellt.


Trauer – Zuversicht

Der folgende Marche Funèbre in c-Moll ist ein Trauermarsch, der angeblich den Toten der Französischen Revolution gewidmet sein soll. Immerhin verweist die Thematik darauf.

Es ist ein Adagio assai in drei Teilen. Gardner wählt hier eher ein Tempo im Andante, was der Interpretation trotz der beabsichtigten Trauer, auch Zuversicht vermittelt. Dazu gehören vor allem die Tripelfuge im Mittelteil in C-Dur, aber auch die Moll und Dur Wechsel, die Trauer und Freude verbreiten. Großartig der fragmentarische Schluss, der alles Leid verklingen lässt.

Noch heute ist dieser Satz gebräuchlich bei offiziellen Toten- und Trauerfeiern.


Edward Gardner (Foto: Benjamin Ealovega)

Duell – Jagdszenen

Das Scherzo, ein Allegro vivace bringt Stimmung und Schwung zurück. Herrliche Pizzikati der Streicher werden von den Bläsern mit einer Es-Dur Melodie, beginnend bei der Oboe, überlagert, um dann vom ganzen Orchester übernommen zu werden. Ein flottes Unterfangen, das seinen ersten Abschluss im Trio findet, ein Hörnerterzett auf Naturhörnern, das an Jagdszenen erinnert. Dreimal wiederholen sich ihre Fanfaren, ehe es zunächst stürmisch, dann tänzerisch im dreiviertel Takt weiter geht, um endlich liedhaft und feierlich in den Ursprungssatz überzugehen. Wieder duellieren sich Streicher und Bläser, um dann fast übergangslos in den Vierten, den Schlusssatz überzuwechseln.


Prachtvoller Schlusssatz

Es ist ein Finale, das der Eroica alle Ehre bereitet. Das Thema war bereits vorher bekannt und wurde als Kontretanz (ein damals beliebter Gruppentanz, eine Art Quadrille) von Beethoven, sowohl in seinen Geschöpfen des Prometheus, als auch in seinen Eroica Variationen (beide von 1802) verwendet.

Hier allerdings erfährt es seine Krönung. Nach einem kurzen Prolog mit Es-Dur Akkorden folgen mehrere Variationen, die sich teilweise an den bereits bestehenden Eroica-Variationen orientieren. Zwischendurch sind Fugato und Kontrapunkt eingebaut, wobei die einzelnen Orchestergruppen absolut gefordert sind. Vor allem die Kontrabässe und die Hörner, wie auch die Flöten haben Schwerstarbeit zu leisten. 

Im poco Andante vor dem Presto scheint man noch einmal Atem zu holen. Ein Choral in As-Dur variiert ein weiteres Mal das Thema, ehe man abrupt, stürmisch und fanfarenfroh in den Schlusswahnsinn eintaucht. Im ursprünglichen Es-Dur endet der Satz, wie auch das sinfonische Meisterwerk prachtvoll, von Hörnern, Trompeten, Posaunen und Pauken dominiert.


Edward Gardner, LPO
Foto: H.boscaiolo

Ein bedeutender Faktor

Es versteht sich von selbst, dass das LPO, 1832 vom legendären Thomas Beecham gegründet, dieses Ausnahmewerk, „unter dem Himmel und Erde erzittern“, in brillanter Manier interpretierten. 

Ein Klangkörper und ein Dirigent, Edward Gardner, die weltweit bekannt, einen bedeutenden Faktor im internationalen Kultur- und Musikleben abbilden. Dem zugerechnet werden muss auch Víkingur Ólafsson, der nach seinen Streams zu urteilen, bereits von jedem achten Menschen dieser Erde zumindest einmal gehört wurde.

Ein denkwürdiger und geistig nachhaltiger Abend.



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