Montag, 18. November 2024

Ensemble Modern, musikalische Leitung: Vimbayi Kaziboni, Violine: Jagdish Mistry, mit Werken von Mirela Ivičević, Jeffrey Mumford und Georg Friedrich Haas, Alte Oper Frankfurt, 17.11.2024

Hohe Ansprüche – Viele Fragezeichen

Ein Abonnementkonzert des Ensemble Modern (EM) mit hohen Ansprüchen der Komponisten und vielen Fragezeichen beim Publikum. 


Ensemble Modern (Foto: Website, Mitgliederportrait)

Stürmische Energien

Gehen wir gleich in medias res. Die noch relativ junge Kroatin und in Wien lebende Mirela Ivičević (*1980) stellte ihr 2022 fertiggestelltes und vom Ensemble Modern im selben Jahr auf den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführtes Werk Leviathan (2022) vor.

Sie bezeichnet sich als politische Künstlerin. Als Augenzeugin der Jugoslawien Konflikte in den 1990er Jahren und aufgewachsen in einer multiethnischen Familie sucht sie in der Musik nach Klängen, die diese konfliktbelasteten Umstände zum Ausdruck bringen können: „Jedenfalls interessiert es mich“, schreibt sie, „nach dem zu suchen, was unterschiedliche Klänge (oder Menschen) miteinander verbindet, bzw. nach dem, was scheinbar ähnliche Strukturen voneinander unterscheidet.“

Mit Leviathan (bekannt durch Thomas Hobbes gleichnamigen Epoche Werk, in dem er die Allmacht des Staates kritisch behandelt), den sie während der Corona-Krise schrieb, möchte sie ihre eigene „männliche Energie herausholen“, so ihre Worte. 

Wie sie das in die Tat umzusetzen versucht, lässt sich, bei aller Vorsicht, vielleicht so beschreiben: Sie bevorzugt collagierte Arbeitstechnischen mit dramatischem Gestus, sucht nach subversiven Klängen, bevorzugt radikale Brüche in der Absicht Energien auszusenden, „die wie ein Sturm über das Publikum hinwegfeg(en).“

Vimbayi Kaziboni, Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo


Befremdliche Radikalität

Leviathan für 14 Instrumente mit Akkordeon, Kontrafagott und zwei Perkussionisten ist dementsprechend gleich auf Krawall gebürstet. Extrem laut, in heftigen Wellen mit dynamischen Extremen, Schlägen, Schreien, aber auch Hauchen, Blasen und Zischen, führt sie die Hörer quer durch ihre ganz persönliche Stimmungslage. Radikal, aber irgendwie auch sehr befremdlich.

In ihrer Werkbeschreibung nennt sie Thomas Hobbes einen „Cis-Mann“, der sich als Mann fühlt, „aber wie die Schauspielerin Scarlett Johansson aussieht“. Sie scheint mit ihm zusammenzusitzen und sich über diejenigen zu amüsieren, „die immer noch nicht gecheckt haben, dass zwischen den Genitalien und der Kreativität kein Zusammenhang besteht.“ Das bedeutet: 13 Minuten stürmische Winde über den Köpfen des Publikums.


v. l.: Vimbayi Kaziboni, Jagdish Mistry, David Haller,
Drew Gilchrist, Johannes Schwarz

Foto: H.boscaiolo


Licht – Intensität – Wolkenbilder

Auch der zweite Komponist, Jeffrey Mumford (*1955) verbindet mit seiner Musik ein ganz persönliches Anliegen. Er, in den Staaten sehr wohl ein Begriff in der Musikwelt, in Europa weniger, erlebte mit seiner Komposition Through a Stillness Brightening (frei übersetzt: Durch die Stille zur Helle) seine Deutsche Erstaufführung.

Das bereits 2011 in New York uraufgeführte Oktett mit integrierter Sologeige soll nach dem Willen des Komponisten ein Landschaftsbild darstellen, das zwischen Dunkel und hell changiert. So schreibt er selbst: „In meine Arbeit geht es um Licht, um unterschiedliche Lichtintensitäten, um Vorder- und Hintergrund, vor allem um Wolkenbilder.“ (aus dem Programm).


Wolkig – nebulös

Spannend vor allem die Besetzung in Zweiergruppen: Violine – Marimbaphon, Kontrabass – Vibraphon, Klarinette – Flöte sowie Kontrafagott – Klavier. Jagdish Mistry war als Sologeiger absolut gefordert, denn seine virtuosen Passagen konnten sich nur schwer mit den anderen Instrumenten verbinden. 

Überhaupt glänzte das Werk eher durch seinen Pointillismus. Nie hatte man den Eindruck eines wirklichen Zusammenspiels, zumal der Dirigent, Vimbayi Kaziboni, alle Mühe hatte, den Vierer Takt durchzuhalten. Wolkig blieb es von Anfang an, verhangen und nebulös.

Brillant die Leistung von Jagdish Mistry und bemerkenswert die Disziplin der übrigen Sieben, der Komposition ein Licht zu geben.


Vimbayi Kaziboni, Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo


Ein Bekenntniswerk

Der Höhepunkt des Abends sollte zweifellos Georg Friedrich Haas´ (*1953) Weiter und Weiter und Weiter (2022) sein. Ein Bekenntniswerk, das ebenfalls in der Corona-Krise entstand und seine Uraufführung mit dem Ensemble Modern unter der Leitung von Vimbayi Kaziboni auf den Donaueschinger Musiktagen erfuhr.

Auch Haas versteht sich als politischer Mensch und verweist auf seine im gleichen Jahr publizierte Autobiographie, in der er seine Jugend beschreibt, die er unter „anständigen Nationalsozialisten, die ihrer Gesinnung immer treu geblieben sind“ durchleben musste. 

Ein Trauma? Eine Wut? Wohl eher „Weltschmerz“, oder innere Verzweiflung, aus dem er dieses 45-minütige Mammutwerk entstehen ließ. Weiter und weiter und weiter beschreibe, so Haas, schlicht, „dass die Qual immer dieselbe bliebe“.


Die Qual des Immer-selben

Warum dieser politische Gesinnungsüberbau, fragt man sich?, denn das Werk ist ein insgesamt doch effektvoll inszeniertes Spektakel in der von ihm oft bevorzugten Vierteltönigkeit. Mit starken Klangschichtungen, unterbrochen von perkussivem Löwengebrüll, diversen Tamtams, Trommeln, Becken und Snares, getragen von zwei im Viertelton gestimmten und E-Bows verstärkten Klavieren, wie einem vierteltönigen Akkordeon.

45 Minuten lang ein unerbittliches Accelerando, ein Aufwallen und Abebben im drei Minuten Takt. Ein Psycho-Filmscreen von höchster Gefahrenstufe. Nervige Glissandi, zitternde Tremoli, vierteltönige Skalen in dreifachem Forte, Extreme akkordische Passagen und dazwischen, man glaubt es kaum, choralähnliche Effekte mit harmonischen Strukturen. Erinnert sich Haas an seine Vorliebe für Schubert, Mozart, Bach?


Vimbayi Kaziboni, Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo


Dem Weltschmerz entfliehen?

Die sich wiederholenden ostinaten Strukturen werden kürzer, abgeschliffener, ja etwas weniger aufgeregt und persönlich betroffen. Die Idee, Joseph Haydns Abschiedssinfonie, in der er seinen Arbeitgeber Esterhazy darauf aufmerksam machen möchte, seinem Orchester endlich Urlaub zu gewähren (bekanntlich gehen alle nacheinander von der Bühne), zu übernehmen ist zwar irgendwie witzig. 

Aber im Zusammenhang der Absicht, Weiter und weiter und weiter als Kontrapunkt zum immer noch schlummernden Nazi-Denken zu verstehen, doch irgendwie auch fragwürdig. Haydn wollte Urlaub für sein Orchester. Was aber will Haas? Die Flucht vor der ewigen Qual ins Private? Dem Weltschmerz entfliehen, in eine idyllische Utopie irgendwo im Nirgendwo? 

Diese Frage müsste man dem Komponisten stellen. Seiner politischen Absicht entsprechend bleiben allerdings eine Menge Fragen offen.


Vimbayi Kaziboni, Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo

Gedanken anregend

Ein sehr durchwachsenes zweites Abonnement Konzert des Ensemble Modern, unter der musikalischen Leitung von Vimbayi Kaziboni, das wie immer prächtig konzertierte. Und das allerdings durchaus Gedanken anregend.


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