Donnerstag, 12. Dezember 2024

Ensemble Modern, musikalische Leitung: Brad Lubman, mit Juliet Fraser (Sopran) und Jaan Bossier (Klarinette), Alte Oper Frankfurt, 11.12.2024

Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: Wonge Bergmann))
Denkwürdig

Das dritte und letzte Abonnementskonzert in diesem Jahr sollte eines der denkwürdigsten werden. Eine Hommage an große Komponistenpersönlichkeiten, wie Kaija Saariaho und Wolfgang Rihm, die beide viel zu früh die Welt verlassen haben, aber auch die Präsentation bahnbrechender großer Kompositionen:

Meditativ, wie die von Brad Lubman (*1962), betitelt mit To Quiet The Mind (2023 und in Deutscher Erstaufführung); spektralistisch und farbenprächtig, wie die von Kaija Saariaho (1952-2023) unter dem Titel Lichtbogen (1985/86); eine eigenwillige Bildbetrachtung von Pieter Brueghels Gemälde Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (1558), von Brian Ferneyhough, die er La Chute D´Icare (1988) betitelt; 

eine musikphilosophische Betrachtung von lyrischen Texten des Italieners Giacomo Leopardi (1798-1837), von Klaus Ospald (1956), seine 2. Kammersinfonie (2005/06) mit dem Untertitel „Il Fiore del Deserto“ (zu Deutsch: die Blume in der Wüste) und abschließend von Wolfgang Rihm (1952-2024) Gejagte Form (1996), ein nie zu gelingender Versuch, die Form einzufangen. Oder vielleicht doch?


To Quiet The Mind: Brad Lubman (Wonge Bergmann)

Den Geist beruhigen

Meditativ gleich zu Beginn des fast zweieinhalbstündigen Konzertabends die Eigenkomposition vom Amerikaner Brad Lubman, der an diesem Abend auch das Dirigat übernahm, und das, das sei vorweggenommen, mit großer Verve und genialer Interpretation.

Wie der Titel To Quiet the Mind (oder: Sein Innerstes zur Ruhe bringen) schon insinuiert, geht es Lubman um die Frage, wie man den Geist beruhigen kann. Musikalisch versucht er dies über einen entsprechenden Klangfluss, ausgedrückt durch eine entsprechende Instrumentation mit Harfe, Vibraphon und Marimbaphon. Aber auch Streicher und Holzbläser dominieren meist im Pianissimo und minimalistischen Tonfolgen. Oft unisono, oder in Terzen, immer aber in polyphoner, horizontaler Bewegungsform.

  

Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Introspektives Hör-Exerzitium“

Allerdings bleibt es nicht dabei. Zwischenzeitlich steigert sich das Geschehen zu einer wellenförmigen Aufgeregtheit. Das Klavier sendet perkussive Cluster und die übrigen zwölf Instrumentalisten brechen im wahrsten Sinne aus der Innerlichkeit in die Äußerlichkeit aus. Lubman meint dazu: „Wenn wir zu meditieren beginnen, stellen wir sehr oft fest, dass unser Geist sofort abschweift.“ Es sind die „aufdringlichen Gedanken“, die uns stören.  

Aber, so seine Idee, das ist kein Versagen des Geistes, sondern viel eher das Finden des Weges zur Ruhe. Genau in diesem Sinne folgen wieder gedehnte Phrasen in minimalistischen Strukturen, lange Pausen, die die Zeit anzuhalten scheinen. Das „introspektive Hör-Exerzitium“ endet mit beruhigenden Harfen- und Streicherklängen im Pianissimo.

   

Lichtbogen: Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Science Fiction Phantasma?

Es folgen die Polarlichter der Finnin Kaija Saariaho. Das fast 20-minütige Werk für neun Instrumente mit live Elektronik, folgt der Idee der Nordlichter, der flirrenden Lichtspiele am dunklen Himmel der Heimat.

Auch hier dominieren die hellen, fast meditativen Töne. Die Komposition beginnt mit einem langen Unisono der Instrumente auf dem eingestrichenen Fis, fortgesetzt mit langsam sich entwickelnden Schwingungen und leichten Verschiebungen der Tonstrukturen.

Ein kleines Flötensolo schafft Abwechslung und moderate Skalierungen wie chromatische Ab- und Aufwärtsbewegungen, alles im piano Bereich, lassen Lichtspektren erahnen. Alles geht in völliger Harmonie vonstatten, kongenial unterstützt von einem Computer gestützten Harmonizer, und mit Halleffekten, sphärisch in lichte Höhen gehoben. Dazu ein Glockenspiel und einem unvermittelten finalen Aufbruch ins Forte mit heftigem Zupfen der Streicher.

Die Erinnerung an die irdische Realität? Oder vielleicht ein Science-Fiction Phantasma? Zum Abschluss zumindest haucht die Flötistin Jaume Darbra Fa in ihr Instrument, eindringlich und mit tiefer Emotion, bevor das Stück langsam vergeht.


Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Kleine Serenade des Verschwindens“

Ganz das Gegenstück dazu ist Brian Ferneyhough´s La Chute D´Icare für Nonett und Klarinette. Er bezieht sich dabei sinnigerweise auf das berühmte Gemälde von Pieter Brueghel (1525-1569) Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (1558), auf dem der Ertrinkende, kaum erkennbar, eine Nebenrolle spielt. Das Landschaftsgemälde changiert zwischen romantischer Idylle und schrecklichem Ereignis.

Ferneyhough, ein Vertreter der New Complexity, hat daraus eine Programmmusik der besonderen Art gezaubert. Ikarus wird in dieser Komposition vom Klarinettisten Jaan Bossier verkörpert, der sich binnen zehn Minuten mit dem Ensemble regelrecht keppelt. Dichte, extrem virtuose Passagen weichen etwas weniger expressiven Abschnitten, die zudem metrisch wie dynamisch, Flügelschlägen gleich, das musikalische Geschehen prägen. 

Dann eine Klarinetten-Kadenz, die alles, aber auch alles vom Solisten Jaan Bossier abverlangt: diverse Blastechniken, aber auch ungeahnte Tiefen und Höhen, ein Ambitus von fast fünf Oktaven

Das Ende gleicht dem Verschwinden der Wellen des Ozeans. Nicht von Ungefähr hatte Ferneyhough diese Stück ursprünglich auch „Kleine Serenade des Verschwindens“ benennen wollen.

Und so dialogisiert die Klarinette mit der Trommel und verhaucht mit leisen Glockenschlägen im Nichts. Extreme Komplexität wird hier zu einem Spiegel der Vielschichtigkeit, zum verzweifelten Strampeln, zur Diskrepanz von Wollen und Können. Eine Meisterleistung.


La Chute D´Icare: Jaan Bossier, Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Skeptiker und Gläubiger

Klaus Ospalds Kammermusik Nr. 2 mit dem Untertitel „Il Fiore del Deserto“ erfuhr gestern, obwohl bereits zwanzig Jahre alt, seine Deutsche Erstaufführung. Ospald war wohl auch erstmals in der Alten Oper und gleichzeitig mit dem Ensemble Modern zu hören.

Er selbst sieht sich als Bruder im Geiste von Giacomo Leopardi. Dessen umfangreiche Gedichtsammlung in seinem nur kurzen Leben von 39 Jahren lässt sich vielleicht so zusammenfassen: „Leopardi ist Skeptiker und macht uns gläubig. Er glaubt nicht an eine bessere Zukunft … Er hat eine derart schlechte Meinung von der Menschheit, und seine freundliche Seele verehrt und besingt sie.“

Ähnlich zwiespältig denkt auch der Komponist, wenn er dem linearen Fortschritt eine Absage erteilt und dagegen die Starrheit unseres Verhaltens setzt, das Festhalten am Unmittelbaren als menschliche Ureigenschaft.


Klaus Ospald, Juliet Fraser, Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Verlorene Seelen

Sein Komposition für Orchester (hier 29) und Gesang (Juliet Fraser, Sopran) orientiert sich an Leopardis Canto Notturno di un Pastore errante Dell´Asia (übersetzt: Nachtlied eines wandernden Hirten aus Asien) und beschreibt den Lauf des Mondes, seines Sinns am Firmament und für die Menschheit. Der Schluss lautet: „Vielleicht ist jede Seele … am Tag, der sie zur Welt bringt, schon verloren.“

Sehr melancholisch und pessimistische möchte man meinen. Seine Musik aber beginnt mit heftigen Klangtiraden, bei elektronischer Verstärkung der Streicher und Bläser. Flirrende Arpeggien werden mit langen Orgelpunkten unterlegt und die Tuba bildet in tiefsten Tönen eine Atmosphäre der Skepsis.

Nach gefühlten zehn Minuten, gut zur Hälfte des Werkes, rezitiert die Sängerin Juliet Fraser den Leopardi Text. Mit langen sehr hohen Tönen, mal deklamatorisch, mal rufend, nie aber rezitativisch und erzählend. Ihre Worte bleiben unverständlich, lediglich ihre warme, klare Stimme erzeugt die Stimmung und prägt die Atmosphäre des zweiten Teils der Sinfonie, mal gepaart mit Flöte, Geige oder Klarinette, mal Accompagnato mit allen Instrumentengruppen.


Zweite Kammersinfonie: Brad Lubman, Ensemble Modern 
(Foto: H.boscaiolo)

Illusion und Täuschung“

Kleinste Tonverschiebungen und Akkordcluster von Klavier und Streicher prägen zudem weite Teile der Komposition. Vielleicht lässt sich das Werk mit den Worten des Komponisten zusammenfassen, wonach „nicht das Aussprechen von Wahrheit das gesellschaftliche Leben zusammenhält, sondern Illusion und Täuschung.“ 

Große Worte zwar, aber irgendwie auch charakteristisch für diese musikalische Interpretation.


Güte war seine Religion“

Kommen wir zu Wolfgang Rihm. Er verstarb erst kürzlich an einem unheilbaren Krebs und bleibt als Freund, Berater und Komponist immer in der Erinnerung des Ensemble Modern.

Uwe Dierksen, langjähriger Posaunist des Ensembles, sprach in Memoriam seines Freundes. Wolfgang Rihm, so sinngemäß seine Worte, förderte grundsätzlich die Kreativität und Persönlichkeit der jungen Komponisten und Musiker. Nie habe er als Besserwisser eingegriffen, oder sein Gegenüber bevormundet. Güte, so Dierksen, sei „seine eigentlich Religion“ gewesen. Dazu spricht er aus dem sprichwörtlichen Nähkästchen. Seine abschließenden Worte: „Wolfgang, Du hast uns verlassen, aber Deine Werke bleiben für immer. Wir spielen sie ganz laut und ganz leise.“


Gejagte Form: Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo)

Abschluss nach Maß

Entsprechend gelang die Interpretation von Gejagte Form. Ein Ausbund an Energie, Rhythmus und Lebensbejahung. Rihm greift hier in die Trickkiste des Ragtime wie der der Fuge, stellt Bezüge zu Charles Ives und Richard Wagner her und hat kein Problem damit, auch Leonard Bernstein und Aaron Copland an der Jagd zu beteiligen.

Das Ensemble Modern flog im Galopp durch die 15 Minuten und gab ihrem Freund noch einmal beste Reputation und vor allem seinem Werk eine Lebendigkeit, die seinesgleichen sucht.

Wie gesagt, eine denkwürdiger Abend und ein Abschluss der Abonnementskonzerte für dieses Jahr nach Maß. Allen sei gedankt.









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