Monteverdi Choir & English Baroque Soloists, Leitung: Christophe Rousset, Alte Oper Frankfurt, 08.12.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)
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English Baroque Soloists (EBS) und Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Mit Bravour reüssiert
Eigentlich werden der Monteverdi Chor und die Englischen Barock Solisten seit Jahrzehnten, genau seit 1978, mit Sir John Eliot Gardiner identifiziert. Leider hat er diesen einmaligen Klangkörper verlassen, verlassen müssen, und wird seit diesem Jahr von Christophe Rousset ersetzt.
Das aber sei vorweggenommen: Christophe Rousset ist sein würdiger Nachfolger. Mit Werken von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704) und Johann Sebastian Bach (1685-1750) reüssierte er im gut besetzten großen Saal der Alten Oper Frankfurt mit Bravour.
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Christophe Rousset (Foto: Nathanael-Mergui) |
Französisch-deutsche Weihnachten
Mitgebracht hatten er und sein Team, allerdings schon zur Zeit Sir Gardiners intensiv vorbereitet, von Charpentier eine Mitternachtsmesse: Messe de Minuit à 4 voix, flûtes et violons, pour Noël H 9 (1694) sowie Weihnachtslieder auf Instrumenten gespielt: Noëls sur les instruments H 531 & H 534 (1680/1690). Dazu zwei Bachkantaten aus dessen reichem Angebot von nahezu 300: Die Kantate BWV 36: „Schwingt freudig euch empor“ (1731) sowie aus BWV 110: „Unser Mund sei voll Lachens“ (1725).
Ein Weihnachtsprogramm am zweiten Advent wie es vollständiger kaum sein kann, denn auch die Kantaten aus Bachs genialer Hand sind, trotz vielfacher Verwendung auch in anderen Bereichen (Geburtstagsständchen, Ouvertüre und Magnifikat), auf den ersten Advent (BWV 36 ) sowie auf den ersten Weihnachtsfeiertag (BWV 110) gemünzt.
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Christophe Rousset, EBS, Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Genialer Unterhalter und Neuerer
Gehen wir ins Detail: Charpentier, Hofkomponist unter Ludwig XIV. und genialer Unterhalter und Neuerer seiner Zeit – so hat er unter anderem das italienische Oratorium in Frankreich salonfähig gemacht, Oper und Theater revolutioniert und ein exorbitantes Tonarten-Schema entwickelt, „Energie des modes“, womit er die Tonarten bestimmten Charakteristiken und Stimmungen zuordnete (also C-Dur = lustig und kriegerisch, oder E-Dur = grausam und hart etc.) – präsentiert auch in dieser Mitternachtsmesse durchaus Revolutionäres. Zwar hält er sich vom Kyrie bis zum Agnus Dei an den liturgischen Text, bestückt aber die einzelnen Abschnitte mit insgesamt zehn bekannten französischen Weihnachtsliedern.
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Christophe Rousset, EBS, Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Souveräner konzertanter Coup
Trotz der umfangreichen Textur ist diese Messe absolut kleinteilig gestaltet, im ständigen Wechsel von Chor, Ensemble und solistischen Einlagen, eher in Trios und Duetten, und dauert nur knapp zweiundzwanzig Minuten.
Charpentier gelingt hier ein absolut souveräner, konzertanter Coup in Kombination von Chorgesang und instrumentaler Begleitung. Ein kurzweiliger, fast fröhlicher Umgang vor allem im Credo und Agnus Dei, wo bekannte und gern gesungene Weihnachtslieder wie „Josef est bien Marie“ oder „A la Venue de Noël“ intoniert werden.
Ergänzt wird die Messe de Minuit durch neun instrumentale Weihnachtslieder (fünf vor und vier nach der Messe), die sich alle bei genauem Hinhören in der Messe genuin verstecken. Ein schönes Angebot an das Publikum, denn vieles hat doch einen Wiedererkennungswert und sorgt für einen Aha-Effekt.
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EBS, Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Kantaten für alle Zwecke
Nach der Pause dann Bachs Kantaten, die sich allerdings von der Mitternachtsmesse Charpentiers diametral unterscheiden. Allein ihre Textur und Struktur sind nicht vergleichbar.
Bekanntlich hat Bach nahezu wöchentlich eine Kantate geschrieben, was zu seinem Aufgabenbereich als Kantor in Leipzig gehörte. Nahezu 300 sind bekannt, aber nur ca. 200 noch erhalten. Hieraus ergibt sich auch, dass er viele Teile für weltliche Zwecke verwendete, beispielsweise Geburtstagsständchen, Glückwünsche und Ehrungen für bekannte Persönlichkeiten.
Kirchliche und weltliche Unterhaltung
Die beiden Kantaten dieses Abends, „Schwingt freudig euch empor“ und „Unser Mund sei voll Lachens“ sind vielfach anderweitig verwendet worden, aber hier speziell für den 1. Advent (der offizielle Beginn des neuen Kirchenjahrs) und den ersten Weihnachtsfeiertag konzipiert worden.
Bach verwendet hier verschiedene Texte, unter anderem von Christian Friedrich Henrici Picander, Martin Luther, Philippe Nicolai, Christian Lehms oder auch Kaspar Füger, alles bekannte Dichter, Geistliche und Literaten ihrer Zeit, sowie Texte aus Psalmen und von den Evangelisten. Sehr flexibel unterteilt er seine kaum mehr als 20-minütigen Werke in sieben, acht oder auch mehr Teile, zu Anfang und zu Ende immer der Chor, dazwischen solistische Arien, Rezitative, Duette und Choräle, wobei letztgenannte chorisch wie solistisch gesungen werden können.
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Christophe Rousset, EBS und Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Die musikalische Begleitung besteht aus einem Ensemble aus Streichern, Holz- und Blechbläsern, sowie einem Basso Continuo, bestehend aus Orgel, Cembalo, Kontrabass oder Cello.
Da während der Adventszeit keine Bleche und Pauken verwendet werden dürfen, wird lediglich die Kantate: „Unser Mund sei voll Lachens“ mit zusätzlich drei Bachtrompeten und einer Pauke zu Jubelzwecken ergänzt.
Hier treten die Solisten aus dem Chor (im Gegensatz zu Charpentiers Mitternachtsmesse) heraus, vor die Bühne.
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Christophe Rousset, EBS und Monteverdi Choir Foto: H.boscaiolo |
Geniale Besetzung
Herausragend dabei alle fünf Stimmen mit Hilary Cronin (Sopran), Rebecca Leggett (Mezzo/ hier Alt), Ruairi Bowen (Tenor) und Florian Störtz (Bass), sowie Edward Ross (Tenor), der in Carpentiers Messe den solistischen Part übernahm. Sie sind Mitglieder des Monteverdi Choir und könnten zu jeder Zeit auch von den anderen Sängerinnen und Sängern ersetzt werden, wie augenscheinlich auch Florian Sievers (Tenor ) und Keri Fuge (Sopran), die im Programm genannt, aber nicht hervorgetreten sind.
Ebenfalls bemerkenswert die Ensemblemitglieder der English Baroque Soloists. Etwa 20 an der Zahl, ragten doch vor allem die Flötistinnen Elizabeth Walker und Annabel Knight, wie die Oboisten d´amore Rachel Chaplin und Mark Baigent hervor. Zu nennen auch die brillante Erste Geigerin Madeleine Easton und das perfekte Basso Continuo Team mit Cembalo, Theorbe, Orgel und Kontrabass, das den Sologesängen unauffällig und mit großer Zurückhaltung einen genialen musikalischen Teppich bot.
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EBS und Monteverdi Choir, vorne stehend v. r.: zweiter: Florian Störtz, dritter: Ruairi Bowen, sechste: Rebecca Leggett, siebente: Hilary Cronin Foto: H.boscaiolo |
Einmalige Symbiose – Abend der Superlative
Überhaupt sind die beiden Klangkörper vor allem unter der Hand von Sir John Eliot Gardiner zu einer weltweit einmaligen Symbiose zusammengewachsen. Christophe Rousset, der seine Sache bestens bewältigte und mit einem minimalistischen aber durchaus hochkonzentrierten Dirigat aufwartete, hat hier sozusagen ins Gold gegriffen.
Denn auch ohne ihn, so schien es, wäre diese beeindruckende Vorstellung von Monteverdi Choir und English Baroque Soloists zustande gekommen. Ein Abend der Superlative war es allemal.
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vorne: Madeleine Easton mit Bouquet und Christophe Rousset, English Baroque Soloists Foto: H.boscaiolo |
Die Zugabe, die Wiederholung des Chorals: „Unser Mund sei voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens …“ gelang noch einmal sogar besser als beim ersten Mal, und legte auf die Gesichter aller Akteure wie auch auf diejenigen des Publikums ein schmunzelndes, möglicherweise "nachhaltiges" Lächeln.
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