Happy New Ears, Lucerne Festival Academy zu Gast, Werkstattkonzert mit fünf Kompositionen von vier Komponisten und einer Komponistin mit dem Ensemble Modern, Bockenheimer Depot Frankfurt, 03.12.2024
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Raimonda Skabeikaitė, Ensemble Modern alle Fotos: H.boscaiolo |
Letztes Konzert dieser Art
Es ist heuer die vierte und damit, nach Aussage des Geschäftsführers des Ensemble Modern (EM), Christian Fausch, auch das letzte Kooperationswerkstatt-Konzert im Rahmen von Happy New Ears (HNE) mit der Lucerne Festival Academy (LFA). Schade, schade möchte man meinen, denn die Zusammenarbeit des EM und ihrer Nachwuchsschmiede, der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA), mit der LFA seit 2021 ist wohl nach dem plötzlichen Tod ihres Begründers Wolfgang Rihm (1952-2024) im Frühjahr dieses Jahres in eine neue Phase eingetreten, die erst einmal die weitere Zusammenarbeit auf Eis gelegt hat. Warten wir es ab.
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Che Buford, Jagdish Mistry |
„Die junge Generation hat immer recht“
Auch dieses Mal wurden aus acht auf dem Luzerner Festival am 30. August dieses Jahres vorgetragenen Uraufführungen junger Komponisten fünf ausgewählt, die nach zweiwöchiger Bearbeitung, Erprobung und Einstudierung am heutigen Tag im Rahmen von Happy New Ears vorgestellt werden.
Die Moderation übernahm das Ensemble Mitglied und erster Geiger, Jagdish Mistry, der alle fünf anwesenden Komponisten (vier Männer und eine Frau) jeweils zu ihren Werken befragte und sie gleichzeitige vorstellte. Geschickt leitete er seine Conference mit einem Zitat von Gustav Mahler ein, gefragt nach seiner Meinung über Werke von Arnold Schönberg und Anton Webern: „Es ist egal, was ich davon halte, die junge Generation hat immer recht.“
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Raimonda Skabeikaitė, Ensemble Modern |
Sie hat. Die fünf jungen, noch gänzlich am Anfang ihrer Karriere stehenden Komponisten aus Neuseeland, den USA, aus Chile, Korea und Deutschland, hatten tatsächlich mit ihren zwischen 6 und 11 Minuten langen Werken ein Kaleidoskop der Weltmusik mitgebracht und damit auch einen Einblick in den Zustand der Musik des Jahres 2024, einem Krisenjahr und einem Jahr der kulturellen Umbrüche weltweit.
Dichterische Musik
Gleich zu Beginn von Che Buford (*2000) Beauty is brief and violent (Schönheit ist flüchtig und gewalttätig). Ein zehn minütiges Stück für 11 Instrumentalisten nach einem Gedicht von Snehal Vadher aus dem Jahre 2019. Vadher ist in Mumbai geboren, lebt seit vielen Jahren im Himalaya und ist dort als Lehrer tätig. Seine Gedichte sind eng mit der Bergwelt verknüpft, mit ihrer Schönheit, Erhabenheit, aber auch mit ihrer brutalen Lebensfeindlichkeit.
Auszug aus dem gleichnamigen Gedicht: „Hunger die Stimmen der Kinder – kommen und bahnen sich ihren Weg – zu meinem Herzen die Steine – meine Füße, die leicht sind – und schwer vom Gehen – die Ufer mit ihren gewundenen Verlangen – sanft und unfreundlich – die Tage die Jahre Felsbrocken – von einem Riesen den Hügel hinuntergeworfen – wir müssen auf den plötzlichen - gewundenes Blau.“
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Raimonda Skabeikaitė, Che Buford, Ensemble Modern |
Das Stück changiert entsprechend zwischen Tonalität und Atonalität, zwischen Dunkel und Helle. Teilweise lyrische, aber auch mit heftigen perkussiven Passagen von Trommel- und Beckenschlägen. Che Buford – selbst Geiger und Gründer des Diaphanous Streichquartetts für das er bereits vier Kompositionen erstellt hat, nebenbei komponiert er auch für die weltberühmte japanische Geigerin Midori – macht eine Musik, die sich stark an der Postmoderne der 1980er Jahre zu orientieren scheint, weg von der seriellen, pragmatischen und konstruktivistischen, hin zur tonalen Musik, aber mit neuen Akzenten und emotionalen Elementen. Ein wenig retro, aber sehr charmant.
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Raimonda Skabeikaitė, Ingrid Saldaña, Ensemble Modern |
Suche nach Ausdruck
Die Chilenin, Ingrid Saldaña (2003), ist die jüngste in diesem Kreis. Ihr Komposition, Transmisión repräsentiert, ihren Aussagen zufolge, eine Art Maschinenmusik, die langsam anläuft, immer schneller (Accelerando) wird und dann wieder zurückfährt.
Sie beginnt demzufolge mit einem heftigen Trommelschlag mit zunächst langer Pause. Es folgen in immer schnelleren Abständen weitere Schläge auf Trommel, Tomtom und Woodblock. Die Zwischenräume werden mit musikalischen Patterns aufgefüllt. Es kreischt, jammert, es ruft und stöhnt. Ständige Wechsel der Metrik machen das Werk spannungsreich. Man ist zwischenzeitlich an Charles Ives´ Celestial Railroad von 1925 erinnert. Ein Experiment mit viel Empathie. Dazu Saldaña: „Meine treibende Kraft beim Komponieren (ist), die Suche ... nach verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten.“
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Christopher Baumgarten, Jagdish Mistry |
Sehr figurativ und kurzweilig
Christoph Baumgarten (*2000), der Einzige Deutsche unter den Fünfen, präsentierte seinen Choral für Ensemble (13) mit orchestraler und starker vertikaler Struktur. Er selbst meinte, dass der Titel eher zufällig entstanden sei. Tatsächlich steche das Klavier heraus. Es bestimme den Raum der Klänge und sei der Motor der Komposition.
Das Stück ist homophon angelegt und könnte auch auf einer Orgel zu realisieren sein. Baumgarten hat nicht von ungefähr als Organist reüssiert, bereits als 15-jähriger in Halberstadt einen 1. Preis gewonnen. Sein acht minütiges Stück wechselt zwischen Transparenz und hymnischer Akkordik, so, als ob ständig neue Register gezogen würden. Sehr figurativ und kurzweilig allemal.
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Sebastian Black, Jagdish Mistry |
Die Stimme Neuseelands
Kommen wir zu Sebastian Black (*1996), der Älteste unter den Komponisten. Sein lediglich sechs Minuten dauerndes Stück nennt er To Shimmer, to Quiver, To Quake (zu deutsch: Schimmern, Zittern, Beben). Es sei die Stimme Neuseelands meint er im Talk. Es repräsentiere die Gefühlswelt der Eingeborenen, wobei er auf den Volkssport des Rugby hinweist, der jeden aber auch jeden auf der Insel beträfe.
Seine Komposition ist absolut atmosphärisch, lebt von den Dialogen der Geige mit der Querflöte, aber auch mit denen der Bratsche und dem Kontrabass, der Bassflöte mit dem der Klarinette, oder auch dem Cello mit dem Horn. Wunderbar anzuhören das Tutti mit der Violine, das den Schluss einleitet. Sehr tonal das Ganze, aber auch ein wenig zitternd, bebend und schimmernd.
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Raimonda Skabeikaitė, Seungju Noh, Ensemble Modern |
Organisiertes Chaos
Den Abschluss bildete das längste und komplexestes Werk des Abends. Es stammt vom Koreaner Seungju Noh (*1997), der es Hwik nennt. Hwik (ausgesprochen Mik) bezeichnet einen lautmalerischen Begriff, den Noh mit „einer raschen, plötzlichen Bewegung“ umschreibt. „Vergleichbar mit einem Windhauch“. Auch spricht er von „kohärenter Organik“, gemeint wohl logische Zusammenhänge herzustellen. Und genau das gelingt ihm mit dieser elf minütigen Komposition ausgezeichnet.
Höchst differenziert ist seine Metrik, schwierig das Zusammenfinden der einzelnen Instrumente (die litauische Dirigentin Raimonda Skabeikaitė hat hier alle Hände voll zu tun). Dennoch scheint im Chaos auch die Ordnung zu stecken. Nie fällt das Stück auseinander. Es ist ein Wechsel von Auseinanderfallen und sich Wiederfinden.
Das Spiel mit den Tönen kommt tänzerisch, jazzig, synkopenreich herüber. Kurz und knapp: Das Werk strotzt vor Ideen, ist irgendwie unausgegoren, dafür aber witzig, schräg und humoresk.
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v. l.: Raimonda Skabeikaitė, Sebastian Black, Ingrid Saldaña, Seungju Noh, Che Buford, Christoph Baumgarten, Ensemble Modern |
Ein Spiegel der Jetztzeit
Ein wirklicher Höhepunkt des Abends, der wieder einmal die Qualität des Ensemble Modern, die gute Auswahl der Kompositionen, die allesamt ein Spiegelbild der Jetztzeit abbildeten, sowie eine kurzweilige Moderation von Jagdish Mistry mit den doch überwiegend schüchternen Protagonisten, sowie einem guten, ja chorischen Dirigat der noch jungen Dirigentin Raimonda Skabeikaitė.
Hoffen wir, dass die Zusammenarbeit mit der Lucerne Festival Academy sehr bald wieder aufgenommen wird. Es ist ein echte Bereicherung der HNE gewesen.
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