Troubadoure aus West-Bengalen, Rina Das Baul Trio, Alte Oper Frankfurt, 06.12.2024
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Rina Das Baul Trio (Foto: ArtistArchive_web) |
Ein kultureller Leckerbissen
Wo liegt West-Bengalen? Wer oder was ist Baul? Welche Musik kommt aus dieser Region der Erde? Zunächst sind tatsächlich viele Fragen offen und man erwartet sich beim Besuch dieser exotisch anmutenden Veranstaltung, in dem leider mäßig besetzten Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, doch einige Antworten und vor allem auch entsprechende Hör- und Seherlebnisse.
Und, das kann vorweggenommen werden: Der Abend mit diesem Rina Baul Trio bot nicht allein ein echtes Erlebnis, sondern vor allem auch einen kulturellen Leckerbissen.
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul, Arpan Thakur Chakraborty (alle weiteren Fotos: H.boscaiolo) |
Baul ist Identität
West-Bengalen liegt im Nordosten des indischen Subkontinents, hat eine wechselvolle Geschichte erfahren und wurde nach Beendigung der britischen Herrschaft 1947 dem indischen Teil West-Bengalen und Tripura, sowie im östlichen Teil Bangladesch zugeteilt. Die Bengalen sprechen eine eigene Sprache und haben im Laufe ihrer kolonialen Geschichte, trotz Unterdrückung und Ausbeutung, eine eigene Kultur entwickelt. Dazu gehört unter anderem das Baul.
„Gemeinsam vom selben Teller essen“
Baul kommt aus dem Alt Sanskrit und kann mit "entrückt, verrückt" oder auch poetisch als „berührt vom Geist des Windes“ bezeichnet werden. Im eigentlichen Sinne umschreibt Baul eine spirituelle Musikrichtung, vergleichbar mit dem Sufismus innerhalb des Islam.
Es orientiert sich philosophisch am Hinduismus, Buddhismus, aber auch am Islam und Christentum. Zusammengefasst könnte man Baul als Versuch bezeichnen, die verschiedenen Religionen und Denkweisen der Völker in ein Restaurant einzuladen, um gemeinsam „vom selben Teller zu essen“.
Baul ist also mehr als nur Musik, Baul ist, wie der Nobelpreisträger für Literatur im Jahre 1913, Rabindranath Tagore (1861-1941), einmal sagte, als das Göttliche zu verstehen, das nicht außerhalb, sondern nur innerhalb des Menschen zu finden ist.
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul, Arpan Thakur Chakraborty |
Mehr als Musik
Rina Das Baul (*1975) ist mittlerweile eine der wichtigsten Vertreterin dieser Denk- und Musikrichtung, mit großem internationalen Renommee, und lässt mit ihren Auftritten die westliche Welt an ihrer traditionellen Musik teilhaben.
Mit ihr dabei ist ihr Sohn Purnendu Das (Das ist der Nachname des Vaters Dibakar Das), der mit seinen dreiundzwanzig Jahren bereits einer der weltweit bekanntesten Vertreter des Baul ist, sowie Arpan Thakur Chakraborty (*1986), der sich neben seiner musikalischen Tätigkeit noch als Projektmanager der UNESCO für die Rechte der Frauen, Kinder und Minderheiten, vor allem in Indien einsetzt.
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul, Arpan Thakur Chakraborty |
Instrumente aus einer anderen Welt
Alle drei singen und beherrschen Instrumente, die in unserer westlichen Hemisphäre gänzlich unbekannt sind. Sechs davon haben sie mitgebracht, darunter die Ektara, ein einsaitiges Saiteninstrument, die Khamak, ein singendes Rhythmusinstrument, die Dotara, eine Art Laute mit zwei, hier aber vier Saiten, sowie ein Dubki (Tamburin), eine Khol und eine Dhol (zwei Trommeln mit unterschiedlicher Bespannung). Alle Instrumente beherrscht das Trio phänomenal.
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul |
Balladen und strophische Erzählungen
Hauptsächlich aber geht es um den Gesang, den Rina Das Baul mit ungekünstelter, fantastisch klarer Stimme im Mezzo-Bereich vorträgt. Es sind nach unserem Verständnis hauptsächlich Balladen, lange strophische Erzählungen mit Tanz und gestischen Ausschmückungen.
Neun Songs trägt das Trio Das Baul vor. Es beginnt mit einem „Gebet“, mit dem Ruf an die Götter, sich doch an einen Tisch zu setzen. Natürlich eine reine Vermutung, denn Rina singt in ihrer Muttersprache. Lediglich Arpan Thakur erläutert zwischen den Pausen in knappem Englisch die Titel ihrer Stücke.
So ist das zweite ein Love Song, dominiert von Zimbeln, Ektara und Dotara. Es besteht aus langen rezitativischen Passagen, manches Mal an einen Bänkel-Gesang erinnernd. Auffallend, dass alle Lieder immer in langsamem, fast endlosem Duktus ausklingen. Ein Hinweis auf die Ewigkeit und Göttlichkeit des Gesangs?
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul, Arpan Thakur Chakraborty |
Der Gott im Gott
So auch die Hymne an den Guru. Dazu muss man wissen, das neben Körper und Seele auch der Guru einer der wichtigsten Säulen der Baul Philosophie ist. Er, der Guru, ist es, der die göttliche Gnade bereits empfangen hat, also der Gott im Gott. Ihm folgt man, ihm gehört das Lob der noch nicht so weit Gekommenen.
Dieser Song wird fast ausschließlich von Rina deklamiert. Lange Melismen mit endlosen Schleifen schaffen einen meditativen Zustand, unterstützt von Dubki, Khol, Dotara und Banjo (ja richtig gelesen). Auch dieser Vortrag endet irgendwie im Nirwana.
Khamak Solo, ein Highlight
Es folgen zunächst ein rein instrumentales Stück. Alles im Unisono, in einfacher Tonfolge, aber mit komplexer Metrik, und dann der Gesangauftritt von Purnendu Das. Er singt, ebenfalls wie seine Mutter, natürlich und ohne Stimmbildung in einem hohen Bariton. Kräftig und sehr lebendig. Dabei begleitet er sich mit der Khamak, der singenden Resonanztrommel mit zwei Saiten, die er mit einem Plektrum bespielt. Er erweist sich bereits hier als Ausnahmekünstler des Trios.
Sprudelnde Lebensfreude
My Body is my Castle, der nächste Song, spricht aus dem philosophischen Werkkasten des Baul. Sehr deklamatorisch singen alle Drei und Rina dreht sich wie die Sufis im Kreis. Überhaupt sprudeln die letzten drei Songs vor Lebensfreude.
Darunter das Khamak-Solo von Purnendu Das, mit dem er nicht allein metrisch und rhythmisch brillierte, sondern auch jazzige, bluesige wie Country-Elemente einbaute. Auch seine Stimme verfremdete er perkussiv, sodass ein witziger Dialog daraus erwuchs.
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Rina Das Baul Trio v. l.: Purnendu Das, Rina Das Baul, Arpan Thakur Chakraborty |
Götterpreisung ans Publikum
Der Schlusssong, gleichzeitig die Zugabe, schien eine Art Epilog des Abends präsentieren zu wollen. Rina und ihre Mitstreiter lobten und priesen die Götter (welche auch immer), man tanzte im Kreise und animierte den Saal, mitzumachen. Spontanes, rhythmisches Klatschen begleitete dann das Trio Das Baul von der Bühne und ließ ein begeistertes Publikum zurück.
Im Westen sind die Troubadoure (die höfischen Dichter, Sänger, Philosophen und Komponisten des Mittelalters) leider ausgestorben, jetzt kommen sie aus dem Nordosten des Subkontinents zurück. Eine wunderbare Geschichte voll lebendiger Erinnerung.
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