Montag, 13. Januar 2025

1822-Neujahrskonzert mit der Jungen Deutschen Philharmonie, (Leitung: Delyana Lazarova) und dem Kebyard Saxophonensemble, Alte Oper Frankfurt, 12.01.20

Junge Deutsche Philharmonie in der Alten Oper Frankfurt 2025
Foto: Salar Baygan

Glückwünsche zum Neuen Jahr 2025

Es ist das 26. Mal, dass dieser fulminante Neujahrsempfang, organisiert von der Frankfurter Sparkasse von 1822 in der Alten Oper stattfindet: Seit 1998 mit zwei „Corona“ bedingten Ausfällen. Aber immer wieder mit neuen Höhepunkten, wobei nicht allein die Auswahl der musikalischen Werke, sondern vor allem das jugendliche und höchst engagiert auftretende Orchester der Jungen Deutschen Philharmonie (JDP) immer wieder beste Akzente setzt und das jeweilige Jahr mit großem Pomp, aber auch mit Zuversicht und positiver Erwartungshaltung beginnen lässt.



Delyana Lazarova, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: Salar Baygan

Eine Fanfare nicht für Helden

So auch dieses Mal. Gleich zu Beginn wurde das Publikum des vollbesetzten großen Saales der Alten Oper Frankfurt mit neun Donnerschlägen, Tamtamgedröhne und Trompetenfanfaren empfangen. Es ist das berühmte Glanzstück aus Aaron Coplands (1900-1990) Hand, das er im Kriegsjahr 1942 in einem Wettbewerb für die patriotischen Militärorchester gegen 18 Mitbewerber gewann, es aber schlicht Fanfare for the common Man nannte. Nicht die Kriegshelden sollte es beschallen, sondern die Menschen, so Copland, „die keine Heldentaten auf dem Schlachtfeld vollbracht“ haben.

Eigentlich eine wunderbare Wendung in Kriegszeiten, in denen wir uns aktuell indirekt ja auch befinden. Ein knapp dreiminütiger Auftakt nach Maß. Ein wenig auch zum Nachdenken. Zumindest geht die Musik gleich unter die Haut.


Friedenswünsche

Vorausgeschickt sei, dass der Konzertabend sehr amerikanisch gestaltet war. Vielleicht eine Reminiszenz auf die amerikanischen Wahlen und dem Erdrutschsieg der Donald Trump Administration? Und in der Hoffnung auf Friedenszeiten, die damit verbunden sind? Der Spekulationen gibt es unendlich viele, aber kommen wir gleich zum zweiten Stück, die Catfish Row Suite (1936) von George Gershwin (1898-1937).


Delyana Lazarova, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo

Catfish Row – Straße des Schicksals

Ursprünglich nannte Gershwin sie Suite aus Porgy and Bess, nach seiner gleichnamigen Oper, die er ein Jahr früher vollendete. Sie hat aber wenig damit zu tun, außer der Übernahme einiger Songs. Auch gibt es eine Version für Orchester, das fünf Jahre nach Gershwins Tod von Robert Russell Bennett (1894-1981) vertont wurde. Der Titel Catfish Row, eine Straße in der sich die Handlung der Oper abspielt, wurde 1958 von Gershwins Bruder Ira (1896-1983) ausgewählt, um eventuelle falsche Analogien auszuschließen. Sei es drum.

Diese Suite in fünf Abschnitten enthält zwar berühmte Songs aus der Oper, wie „Summertime“, „I got plenty o ´Nuttin“, „Bess, you is my Woman now“, „Good Morning, Sistuh“, oder auch „Oh Lord, I'm on my way“, aber darüber hinaus auch eine fulminante Fuge, sehr dissonant mit komplexer Metrik zum Tode von Crown aus dem III. Akt, oder auch einen erschreckend schönen Hurrikan (Hurricane), ein im Adagio beginnender Sturm, der sich beängstigend dynamisch auflädt und sich schließlich in höllischer Manier ausbreitet. 

Den Abschluss der Suite könnte man, gut gemeint, als versöhnlich bezeichnen, aber mitnichten. Witzig mit Dixieland-Rhythmen kommt er zwar daher, aber irgendwie auch düster und nachdenklich. Eine Suite, zwischen Zu-Tode-betrübt und Himmel-hoch-jauchzend. Alles drin, gespickt mit entsprechender Instrumentation wie Banjo, Xylophon, Röhrenglocken, Klavier, Englisch Horn und viel Perkussion. Zu Zeiten Gershwins ein absolutes Novum.


Delyana Lazarova, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo


Ein Genuss von Rhythmik und Technik

Was die JDP hier bot, war bereits von bester Qualität. Der Smooth, die jazzige Synkopik, die komplexe Metrik und vor allem der Swing, alles war den jungen Musikerinnen und Musikern (sie sind zwischen 18 und 28 Jahre alt) wie auf den Leib geschnitten. Auch die Dirigentin, Delyana Lazarova, hatte mit ihren weit ausladenden und höchst motivierenden Bewegungen ihren gehörigen Anteil daran. Sie tanzte auf dem Podium und übertrug die Songs regelrecht auf die Akteure. Einfach ein Genuss.


Delyana Lazarova, Kebyard Ensemble, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: Salar Baygan

Sehr amerikanisch

Wer kennt eigentlich William Bolcom (*1938) hier in Deutschland? Der Schreiber dieser Zeilen zumindest nicht. Aber sein Werk mit dem Titel Concerto Grosso für Saxophonquartett und Orchester (2000) sollte die beste Reputation dieses amerikanischen Komponisten werden. In den USA wohl bekannt und vielfach ausgezeichnet hat er dennoch Erfahrung mit der europäischen Musik, erfuhr er doch eine Ausbildung bei Olivier Messiaen und Darius Milhaud in den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sein Werk ist allerdings geprägt vom Bebop, Dixieland und vor allem vom Jazz. Dazu gehören selbstverständlich die vier Saxophonisten des Kebyard Ensemble, eine Formation die 2014 in Barcelona gegründet wurde und heute zum renommiertesten Quartett weltweit gehört.


Delyana Lazarova, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: Salar Baygan

Eine gelungene orchestrale „Vierheit“

Das etwa 20 minütige Werk ist ursprünglich für Saxophonquartett geschrieben und wurde von Bolcom in der Weise für Orchester gefasst, dass die „Vierheit“ des Ensembles erhalten blieb. So erklärt sich auch der Begriff Concerto Grosso aus dem Barock, indem das Orchester von einzelnen Solisten getragen wird. 

In diesem viersätzigen Werk, unterteilt in Lively (Lebhaft) ein Abschnitt in Sonatenform, Song without words (Lied ohne Worte), eine Art Scherzo mit Trio als Mittelteil, Valse (Walzer), ein schnell getanzter 6/8 Dialog zwischen Solisten und Orchestergruppen, sowie Badinerie (ein barocker Tanz aus Bach Zeiten), extrem schnell, gespickt mit Improvisationen der Solisten bis hin zum Free Style, aber auch eingelegten lyrischen Elementen, Ruhepole in der Aufgeregtheit des Tanzes.

Diese Stück schien den Orchestermitgliedern besonders am Herzen zu liegen. Hier legten sie noch einmal eine Schippte drauf. Jeder einzelne von ihnen schien auf der Tanzbühne zu schweben und mit den vier Solisten auf ihren Saxophonen zwischen Sopran, Tenor, Alt und Bass zu kokettieren. Ein Meisterwerk der Unterhaltung, aber auch ein Werk von stilistischer und rhythmischer Vielfalt, das alles von den Musikerinnen und Musikern fordert.


Kebyard Ensemble, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo

Die Ruhe vor dem Sturm

Die Zugabe dann ein cool down der Sonderklasse: Das Ave Verum von W. A. Mozart. Mit viel Seele und Hingabe. Eine wunderbare Erinnerung in Weihnachtsfeiertage und die Ruhe vor dem Sturm im neuen Jahr. Viel Beifall und begeisterte Rufe.


Delyana Lazarova, Kebyard Ensemble, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo


Viel zu ernst

Leonard Bernsteins (1918-1990) Ouvertüre zu seinem Musical „Candide“ (1956) – oder ist es vielleicht eher eine Operette? – sollte das Publikum wieder, nach einer langen erholsamen Pause, in die Aufgeregtheit der Musik zurückführen. Eine Ouvertüre aus einem Musical, das sich auf Voltaires gleichnamige Novelle bezieht, deren ernste Thematik (Frage nach dem Sinn des Lebens) allerdings in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts (Uraufführung am 29.10.1956 in New York) wenig ankam. So wurde das Stück am Broadway relativ früh abgesetzt. 

Bernstein überarbeitete es viele Male, um es publikumswirksamer zu machen, und übrig blieb letztlich die besagte Ouvertüre, die zum Repertoire nahezu aller großen Orchester der Welt geworden ist.


Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo


Vertagte Uraufführung

Knappe fünf Minuten Spannung pur, unglaubliche Energie und ausgefallene Rhythmik. Ein

Hors D'Oeuvre zum gedachten Hauptgericht des Neujahrskonzerts: Die nachgeholte Uraufführung des Auftragswerks der JDP an Daniel Schnyder (*1961) unter dem schlichten Titel Konzert für Orchester (2021). Eigentlich stand es auf dem Programm von 2022, aber da machte die Corona Krise der Uraufführung einen Strich durch die Rechnung.


Musik der Integration“

Daniel Schnyder ist gebürtiger Schweizer und lebt seit 1992 in den USA. Seine Erkennungsmerkmale sind eklektizistische Bezüge zu allen existierenden Stilen, von der Alten- bis zur Neuen-Musik, von ethnischer Weltmusik bis zu jazzigem Blues, von ernster- bis zur Unterhaltungsmusik. Sein Slogan lautet dementsprechend: „Eine Musik der Integration, die die urbane Realität unserer multikulturellen Gesellschaft widergespiegelt.“


Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo


Viele Bausteine, die nicht zusammenpassen

Seine gut 25 minütige Komposition unterteilt er in Misterioso, Grave und Vivace. Eingeleitet wird sie durch einen heftigen Becken und Paukenschlag, um dann in ein einfaches Vierton-Motiv überzuwechseln. Xylophon, Glockenspiel und perkussive Elemente, wie Rasseln und Tamburin (drei Perkussionisten) dominieren zunächst, um dann von Blechbläsern, darunter einem Tuba-Solo, Trompeten und Hörnern fortgesetzt zu werden. Der Teil wechselt ständig in der Rhythmik, man hört Samba und Rumba, aber auch klassischen Blues.

Das folgende Grave, mit feierlichem Ernst gespielt, besteht aus einem lang-kurz-kurz-lang-Motiv, das sich durch den gesamten Satz mit leichten Fortspinnungen durchzieht. Man ist an eine geistliche Motette erinnert, im Singsang eines gregorianischen Chorals, aber doch in sehr einfacher Struktur, sodass auch Längen nicht auszuschließen sind.

Das Vivace des Schlusssatzes wirkt ebenfalls bausteinförmig aufgestellt. Viele Wiederholungen des immer Gleichen, aber dennoch weit entfernt von der Minimal-Musik der 1980er Jahre. Vieles verbliebt in der Andeutung. Ständig wird man mit Neuem konfrontiert, ein kryptisches Überangebot von Melodien und Tänzen, die bruchstückhaft angeboten, aber sogleich wieder verschwinden. 

Man fühlt sich wie ein Konsument, dem alles zur Bedürfnisbefriedigung angeboten wird, ohne tatsächlich Wirkung zu zeigen. Schade schade, denn die JDP war extrem gefordert und versuchte, alles aus diesem Werk herauszuholen. Auch die Dirigentin, Delyana Lazarova, tat ihr Bestes, sprang wie ein Derwisch auf dem Podium hin und her und hielt zusammen, was kaum zusammenzuhalten war. Der Beifall war denn auch freundlich aber nicht überschwänglich.


Daniel J. Schnyder, Junge Deutsche Philharmonie
Foto: H.boscaiolo

Eine Menge Herz, Seele und Hollywood

Die Zugabe, ein Lied, oder besser ein gewaltiger Hummelflug aus dem Ballett Lezginka von Aram Khatschaturian, ließ die Herzen wieder einmal höher schlagen. Diese Junge Deutsche Philharmonie ist eine Bereicherung der Orchesterwelt. Man möchte nicht vergleichen, aber Hollywood hätte seine Freude gehabt, oder besser seine Zuversicht bekommen, zumal in aktuellen Zeiten der verheerenden Brandkatastrophe rund um Los Angeles.


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