Maskerade, komische Oper in drei Akten von Carl Nielsen (1865-1931), nach der Komödie von Ludvig Holberg (1724) und in neuer deutscher Fassung von Martin G. Berger, Oper Frankfurt, Erste Wiederaufnahme, 10.01.2025 (Premiere: 31.10.2021)
Leichtgängig und doch mit kritischem Blick
Tobias Kratzer, der Regisseur dieser komischen Oper, ist ja bekannt für seine kritischen Auseinandersetzungen mit diversen Opernsujets, Stichwort: Meyerbeer Inszenierung von L´Africaine, in der er den Kolonialismus thematisierte oder seine Verdi Inszenierung La forca del´destino wo es um den Rassismus ging. Wo aber liegt das kritische Moment in dieser doch scheinbar leichtgängigen Maskerade?
Ein Kind der Umbrüche
Er selbst spricht von Gegenüberstellung von „alter Zeit und neuer Zeit“, von Tradition und Moderne, von „Identitätenwechsel, die im alltäglichen Leben unerreichbar sind“, und davon, „wie brüchig doch Alltags-Identitäten“ sein können. Insofern ist die in Deutschland selten aufgeführte Oper (man könnte sie auch als Operette, Opera buffa, Musical, oder gar Vaudeville mit Commedia Dell 'arte Figuren bezeichnen) durchaus auch kritischem Zugang möglich, zumal Carl Nielsen (1865-1931), ein Zeitgenosse Richard Strauss´, Gustav Mahlers, Giuseppe Verdis, Igor Strawinskys, Arnold Schönbergs und auch Richard Wagners, durchaus ein Kind der Moderne, der Umbrüche und Revolutionen war.
Er selbst scheint dieses Werk in einer Zeit der persönlichen Krise geschrieben zu haben: „Ich kann ihnen sagen, dass ich die lustigen Dinge in Maskerade in einem Lebensabschnitt geschrieben habe, der für mich sehr unglücklich war … Vielleicht ist es so, dass man das Bedürfnis nach dem genauen Gegenteil dessen hat, was einen gerade bewegt.“
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Michael McCown (Leonard) und Juanita Lascarro (Magdelone) |
Im Spiegel der Aufklärung
Herausgekommen ist ein in seiner Zeit zunächst sehr umstrittenes Gesellschaftsbild (die Uraufführung 1906 in Kopenhagen war zunächst erfolglos), das in leichter musikalischer und derber sprachlicher Schreibweise implizit das Denken der Aufklärung verkörpert, das bereits in der zugrunde liegenden Komödie von Ludvig Holbergs (1684-1754) gleichnamigen Werk von 1724 anklingt.
Sieger/Verlierer – Verlierer/Sieger
Aber worum geht es eigentlich in dieser Oper? Die Handlung ist schnell erzählt.
Dem reichen Bürger Jeronimus sind die Maskeraden-Veranstaltungen ein Gräuel. Er vermutet darin , und das wohl zu recht, die Auflösung von Tradition und Ordnung. Der Wechsel der Identitäten in solchen Veranstaltungen (berühmt waren die Maskenbälle in Venedig und Wien, auch erfreute sich der Karneval bereits größter Beliebtheit) erreicht auch seinen Sohn Leander.
Er verliebt sich in eine unbekannte Schöne und lehnt daraufhin den Plan seines Vaters ab, die Tochter seines Geschäftspartners Leonard zu heiraten. Nach einem vertrackten Zwischenspiel, in dem Jeronimus´ Frau Magdelone, Leanders Diener, der gewitzte Henrik, aber auch Arv, der Diener Jeronimus´, Leonard und dessen Tochter Leonora herausragende Rollen verkörpern, erweist sich schlussendlich, dass die unbekannte Schöne diejenige ist, die Jeronimus für seinen Sohn vorgesehen hat.
Ein lieto fine lässt offen, wer nun Sieger und Verlierer dieses Schwanks sein soll.
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Liviu Holender (Henrik) und Barbara Zechmeister (Pernille) |
Ein Spektakel in jeder Beziehung
Kommen wir zurück auf Tobias Kratzer: Er und sein Team um Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüme), Joachim Klein (Licht), Kinsun Chan (Choreographie), Alvaro Corral Matute (Chor) und last but not least Benjamin Reiners (musikalische Leitung), haben ein fast dreistündiges Spektakel von außerordentlicher Leichtigkeit, sprachlichem Witz, wahnsinniger Dichte, blendender Unterhaltung und erfrischender Kurzweiligkeit geboten, die seinesgleichen sucht.
Aus dem Volk gesprochen
Eine schlichte Bühne in Grau, mit ein wenig Glas und etlichen Stufen wurde dominiert von einer Übertiteltafel als Teil des Bühnenbildes. Ein Hinweis auf die Gleichrangigkeit des Textes zur Musik. An dieser Stelle sei Martin G. Berger (*1987) herausgehoben, der auf Vorlage der Übersetzung des Librettos von Hans-Erich Heller, einen wirklich derben, modernen, zeitgemäßen, mitunter schlüpfrigen, aber immer packenden Text fabrizierte, der der Commedia Dell 'arte gut zu Gesicht gestanden hätte. Direkt aus dem Volk gesprochen.
Dazu gehörten auch die sechs Tänzerinnen und Tänzer, die das Geschehen auf der Bühne ergänzten und konterkarierten, wie es gerade passte.
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Magnus Dietrich (Leander) und Elizabeth Reiter (Leonora) |
Diatonische Stilvielfalt
Die Musik Nielsens ist kurz zusammengefasst grundsätzlich diatonisch strukturiert. Allerdings verlässt er bewusst die tonalen Gesetzmäßigkeiten. Dazu schreibt er: „Wir sollten wegkommen vom Denken in Tonarten und trotzdem auf eine überzeugende Art diatonisch komponieren, darum geht es mir; da fühle ich in mir eine Sehnsucht nach Freiheit.“ Für diese Oper bedeutet ihm das, in verschiedenen Stilen zu arbeiten, die barocke (vor allem in den Tänzen), klassische und neoklassische Sprache zu sprechen, sich vor allem auf Verdi-, Wagner- und Mozart-Elemente zu beziehen.
Intelligente Unterhaltungsmusik
Überhaupt ist Mozarts Figaro in der Person von Henrik, oder auch Verdis Falstaff in der Person von Jeronimus nicht nur herauszuhören, sondern auch in ihren Charakteren deutlich wahrzunehmen.
Man könnte von intelligenter Unterhaltungsmusik sprechen, gespickt mit italienischem Belcanto (vor allem bei Leander und Leonora) und (rasendem) Parlando (vor allem bei Henrik und Arv, die Diener zweier Herren). Musik und Gesang sind durchweg eng, ja prosodisch verflochten, und verlangen von den Protagonisten schier Unmögliches. Überhaupt sollte man sich davor hüten, Unterhaltung nicht ernst zu nehmen. Gerade in der Leichtigkeit, Leichtlebigkeit liegt die Härte des Ausdrucks und bestens an dieser Oper zu erfahren.
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Michael McCown (Leonard) und Juanita Lascarro (Magdelone) |
Intelligente Charakterauswahl
Und das gelingt den einzelnen Protagonisten auf der Bühne überwiegend brillant. Hervorzuheben sind dabei allen voran Henrik, Leanders Kammerdiener, gesungen und gespielt von Liviu Holender, ein unglaublich geschmeidiger Bariton, der alle situativen Szenen beherrschte.
Dazu gesellen sich Alfred Reiter, ein gestandener Bassbariton, der vor allem seine doch schwierige und tapsige Rolle als autoritärer Patriarch, der sich ständig „ins eigene Knie schießt“, großartig und durchaus zeitgemäß nachvollziehbar meisterte.
Auch Juanita Lascarro als Magdelone konnte ihren Sopran als alternde Lady, die es noch einmal wissen möchte, prächtig in Szene setzen.
Theo Lebow Jeronimus´ Diener, ein kleiner Dieb, der sich durch die schlechte Welt gaunert, glänzte vor allem durch seine Stimme. Aber auch sein fragwürdiger Charakter ließen die Lacher im Publikum manches mal ersterben.
Zu guter Letzt die beiden Liebenden Leander und Leonora. Gesungen von Magnus Dietrich (Tenor) und Elizabeth Reiter (Sopran), waren ihre Partien geprägt von Kantilenen und romantischen Liedern, die mitunter an Vincenzo Bellini oder Gaetano Donizetti erinnerten. Beide schwelgten in ihren Amouren und das mit herrlich-hellem Timbre.
Zu erwähnen noch der Nachtwächter und gleichzeitig Meister der Maskerade, Thomas Faulkner, ein brachialer Bass, der alle und alles übertönte mit bester körperlicher Präsenz, die verhuschte Pernille, Leonoras Zofe, gesungen und gespielt von Barbara Zechmeister (Mezzosopran), die gerne Prinzessin gewesen wäre, und das auch auf der Maskerade mit Stolz vorführte, sowie Leonard aus Slagelse, der reiche Vater von Leonora, der vom leuchtend leichten Bariton Michael McCown im Björn Borg Look seine geheimen Wünsche zur Schau stellte.
Insgesamt könnte man sagen, dass die Oper sehr Männer lastig gestaltet ist. So treten die Frauen selten bis gar nicht auf, lediglich im dritten Akt mischen sich Männlein und Weiblein. Die dominanten Gesangrollen liegen dennoch eindeutig bei den Männern. Warum auch immer? War es Absicht?
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Barbara Zechmeister (Pernille) und Liviu Holender (Henrik; mit roten Haaren) |
Viel Sonderapplaus
Der Chor der Oper Frankfurt, dieses Mal unter der Leitung von Alvaro Corral Matute, sang und spielte wie immer (bereits unter Tilman Michael) perfekt und zeigte auch in den ominösen Umkleideszenen keine Hemmungen. Nur in Unterhosen und Unterkleidern scheinen wir alle gleich zu sein.
Musikalisch war natürlich alles aus der Feder Nielsens entstanden und nichts plagiiert. Seine Affinitäten zu den europäischen Komponisten jeder Couleur waren allerdings herauszuhören. Immerhin kannte der zu Lebzeiten praktizierende Violinist, weitgereiste Dirigent und Komponist die musikalische Welt und das kompositorische Niveau des Westens bestens. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Benjamin Reiners war absolut gefordert bei dessen Vielfalt der Stile, bekam aber zu recht Sonderapplaus vom begeisterten Publikum.
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v.l.n.r. Liviu Holender (Henrik), Barbara Zechmeister (Pernille), Thomas Faulkner (Meister der Maskerade; mit Flügeln), Elizabeth Reiter (Leonora) und Magnus Dietrich (Leander) |
Aufklärung mit Humor
Das Lieto fine, der Kehraus der Scharade ist insofern bemerkenswert, da Henrik vor das Publikum tritt, es zum Applaus auffordert und daran anschließt, dass, wenn es nicht gefallen hat, es ihm auch egal sei.
Eine wunderbare Wendung, denn der Spaß fällt jetzt aufs Publikum zurück, nach dem Motto: Wir hatten Spaß auf der Bühne, wenn ihr ihn nicht hattet, dann ist es schlicht euer Problem. Eine durchaus aufklärerische Parole in dem Sinne: Sich von der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu verabschieden. Ein Komödie mit Pfeffer in einer Zeit der Umwälzung, die von Tobias Kratzer glänzend in Szene gesetzt wurde. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Das Publikum des vollbesetzten Opernsaales hat es goutiert.
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