Happy New Ears, Portrait Nina Šenk (*1982), Werkstattkonzert mit dem Ensemble Modern (EM), musikalische Leitung: Pablo Rus Broseta, Moderation: David Haller, Oper Frankfurt, 21.01.2025
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Nina Šenk (Foto: Kultura-Delo) |
Bekannte Unbekannte
Wer ist Nina Šenk? Eine fast schon peinliche Frage, denn Nina Šenk gehört in ihrem fast noch jugendlichen Alter bereits zu den renommiertesten Komponistinnen des 21. Jahrhunderts. Allein ihre Auszeichnungen, ihr Oeuvre, ihre Zusammenarbeit mit den weltweit bekanntesten Orchestern und Dirigenten, sprechen Bände. In Frankfurt allerdings ist sie erstmals vertreten. Und das gleich im Rahmen von Happy New Ears, einem Werkstattforum, auf dem sie sich persönlich mit einem ihrer neuesten Werke, November Night (2024) für Ensemble vorstellen durfte.
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Nina Šenk (Foto: Website) |
Das Kleine im Großen und das Große im Kleinen
David Haller, seit vielen Jahre Perkussionist beim EM, übernahm die Moderation, und zeigte sich nicht nur perfekt vorbereitet, sondern auch von großer Empathie gegenüber der attraktiven, ganz in Schwarz erscheinenden Künstlerin. Nina Šenk spricht perfekt deutsch und versteht es feinfühlig und differenziert, ihre Art der Komposition mitzuteilen. Ja, bestätigt sie den Eingangssatz ihres Gegenübers, ja, sie suche das Kleine im Großen und das Große im Kleinen.
Sie habe mehrere Häutungen in ihrem musikalischen Schaffensprozess durchgemacht. Mal spätromantisch, ja Post-romantisch, dann expressiv und aufmüpfig, wobei sie große Virtuosität von den Spielern abverlangte. Dann wieder sei sie leiser, ja introvertierter geworden, suchte ihre Inspiration bei sich selber.
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Pablo Rus Broseta, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Das Geheimnis ihre Erfolges
Immer aber, und das betont sie im spannenden Gespräch, gehe es ihr darum, eine Musik für Menschen zu schreiben, eine, das dem Publikum gefällt. Gleichzeitig aber wolle sie, dass ihre Werke von den Musikern gerne gespielt werden, denn nur dann werden sie auch schöner, könnten ihre Qualitäten entfalten.
Selbstverständlich entstehen ihre Werke immer im Einklang mit den Ensembles, den Solisten oder auch den Orchestern. Sie kümmere sich quasi um jedes einzelnen Instrument, gehe ins kleinste Detail, um das Große und Ganze zu ermitteln. Das sei vielleicht das Geheimnis ihres Erfolges.
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David Haller und Nina Šenk im Gespräch, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Neue Schaffensphase durch Corona
Die Corona Krise habe sie in eine neue Schaffensphase versetzt. Die Ruhe, die Verbote, die Isolation, all das habe ihre Inspiration, ihre Innenansicht verändert. Ihre Werke seien ruhiger und raumklanglicher geworden. Dazu habe der Tod ihrer Mutter beigetragen, der sie bis heute beschäftige.
November Night sei Ausfluss dieser Phase und gleichzeitig ein Geschenk an ihre Mutter. Es gründet auf ein Gedicht der amerikanischen Dichterin Adelaide Crapsey (1878-1914), auf das sie zufälligerweise stieß, und das ihre Gemütslage perfekt widerspiegelte. Es ist ein fünfzeiliges Gedicht mit lediglich 22 Silben, das den Einbruch des Winters beschreibt.
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Nina Šenk, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Die Geister der Toten sind unter uns
Nina Šenk belegt es mit Begriffen wie Stille, Kälte, Trauer, Tod, Erinnerung. Sie hat es in die ungewöhnliche Form von 5-4-3-2-1 Minuten transformiert und dafür zwei Ensembles vorgesehen. Eines im Vordergrund, und eines hinter einer undurchsichtigen Wand. Der Sinn dabei sei, so die Künstlerin, dass der Tod zwar die Menschen voneinander trenne, aber irgendwie seien wir immer noch mit ihnen verbunden. Wie Geister kommunizierten sie immer noch mit uns Lebenden.
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Nina Šenk, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Reminiszenz mit Apotheose
So besteht der erste Teil vorwiegend aus Klangstrukturen, die sich im Dialog mit den unsichtbaren Ensemblemitgliedern befinden. Abfallende Chromatik sind das einzig herausragende aus diesem Klangspektrum. Der zweite Teil bedient einen trockenen Klang, die Streicher zupfen oder führen Pizzikati aus. Die Bläser raunzen durch ihre Dämpfer und die Holzbläser schwächeln in unausgegorenen Tonlinien.
Dann kommen die Geister. Sie bilden den dritten Teil des Stücks. Ein Hervorlugen aus Fenstern und offenen Türen, um sich sofort wieder zurückzuziehen. Ein Versteckspiel ohne Ende. Die Blätter erstarren im Frost des einsetzenden Winters. In nur zwei Minuten scheint das Kartenhaus zusammenzufallen.
Aber die Komponistin will ihre Reminiszenz an ihre Mutter nicht in Depression und Pessimismus beenden. Dafür lässt sie das Fallen der Blätter in eine Apotheose aufsteigen. Zwei endlos aufsteigende Quinten der Klarinette und Flageoletts der Streicher wie die Klänge der Harfe und der Klaviersaiten lassen Hoffnung aufkommen.
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Nina Šenk, Pablo Rus Broseta, Ensemble Modern Foto: H.boscaiolo |
Ein Abend der neugierig macht
Bekanntlich werden in diesem Format die Stücke zweimal aufgeführt. Und ebenso sind die Interpretationen bei der zweiten Aufführung meist verständlicher, und irgendwie auch gelungener. So auch an diesem Abend.
Nina Šenk hat sich an diesem schmuddeligen Winterabend in der gut besuchten Oper Frankfurt, unter der Moderation mit David Haller, großartig präsentiert und auf ihr Werkschaffen, das Großteils auch in YouTube zu sehen und zu hören ist, neugierig gemacht. Ein kompakter und gelungener Happy New Ears Auftakt 2025 (übrigens der Neujahrswunsch von John Cage aus der Geisterwelt).
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