Freitag, 21. Februar 2025

Barbican Quartet, Debütkonzert in der Alten Oper Frankfurt, 20.02.2025 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)


Barbican Quartet: v. l.: Amarins Wierdsma, 
Christoph Slenczka, Yoanna Prodanova, Kate Maloney,
Foto: Sophie-Wanninger

Menschlichste aller Künste

Nicht selten spricht man von der Gattung der Streichquartette als von der menschlichsten Kunst überhaupt. Wird hier doch das kommunikative, geistige und emotionale Wesen des Menschen am deutlichsten zum Ausdruck gebracht.

Das Barbican Quartet (gegründet 2014 in London) gehört zweifelsohne zu den Streichquartetten, das die menschlichste aller Künste auf ihre Fahnen geschrieben hat. Seine steile Karriere begann mit dem ersten Preis beim 71. internationalen ARD-Musikwettbewerb im Jahre 2022 und will seitdem kein Ende nehmen. Gehört es doch mittlerweile zu den renommiertesten Quartetten weltweit.


Barbican Quartet: v. l.: Pablo Hernán Benedi, Kate Maloney,
Christoph Slenczka, Yoanna Prodanova
Foto: H.boscaiolo

Der Reiz des Abends

In der Frankfurter Alten Oper allerdings gaben die vier Streicher: Pablo Hernán Benedi (statt Amarins Wierdsma, 1 Geige), Kate Meloney (2. Geige), Christoph Slenczka (Viola) sowie Yoanna Prodanova (Violoncello) am gestrigen Abend ihr Debüt, und das hatte doch nicht nur Höhen.

Eine Auswahl von Kompositionen aus vier Jahrhunderten hatten sie in ihrem Repertoire, und dazu eine von Komponisten, die kaum die 20 Jahre erreicht hatten (wie bei Felix Mendelssohn Bartholdy), oder gerade einmal in den Twenties waren, wie Wolfgang Amadeus Mozart, Henry Purcell oder auch Maurice Ravel. Und genau das machte den Reiz des Abends aus.


Übung für Komponist und Quartett

Das Quartett stieg mit fünf vierstimmigen Fugen aus Johann Sebastian Bachs Wohltemperierten Klavier, II. Band, ein, die Mozart offensichtlich in den sonntäglichen 12 Uhr-Treffen im Hause des Barons und kaiserlichen Gesandten in Berlin Gottfried Bernhard von Swieten (1733-1803) gehört und daraus zur kontrapunktischen Übung eine Bearbeitung für vier Streichinstrumente gezaubert hat, die zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht, und erst im Jahre 1964 unter dem Köchelverzeichnis KV 405 (1782/83) überhaupt publiziert wurde.

Die ersten fünf Fugen aus dem zweiten Band, kurz, knackig und durchaus eng am Original orientiert, betrachtete das Quartett offensichtlich auch als Einstieg, und als technische Übung für das doch sehr anspruchsvolle weitere Programm.


Barbican Quartet: v. l.: Pablo Hernán Benedi, Kate Maloney,
Christoph Slenczka, Yoanna Prodanova
Foto: H.boscaiolo

Beethoven lässt grüßen

Dem folgte das Frühwerk des gerade einmal 18-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy, das Streichquartett a-Moll op. 13 (1827). Es gehört neben seinem legendären Oktett (1825!), zu seinem bedeutendsten Frühwerk, enthält es doch diverse Bezüge zu Beethovens späten Streichquartetten (op. 132 und 135), wie auch solche zu dessen 7. Sinfonie (op. 92) und zur Les Adieux Sonate (op.81 a). 

Beethoven galt dem jungen Komponisten als wichtigstes Vorbild, das offensichtlich seinen Vater in Rage brachte, der „auf Beethoven und alle Phantasten schalt, und mich darum oft betrübte“.

Allerdings ist auch viel Autobiographisches in diesem viersätzigen Werk versteckt. So verarbeitet Mendelssohn sein Lied Frage op. 9 von 1827 (allerdings auch hier ein Hinweis auf Beethovens op.135 „Muss es sein“) thematisch in allen vier Sätzen und schafft damit einen roten Faden, der sich durch das gesamte Werk zieht.


Bewusste Provokation

Hier zeigt das Barbican Quartet seine innige, sehr romantische Seite mit viel Rubato, ausladender Expressivität und feiner lyrischer Konnotation.

Viel Sehnsucht und Sturm und Drang im ersten Satz, Adagio – Allegro vivace, großer Gesang im zweiten Satz, ein Adagio non lento, mit einer Fuge im Mittelteil von bester dialogischer Qualität, einem wunderschönen Rezitativ der ersten Geige mit gewagten Seufzern und einem tief romantischen Duktus.

Das Intermezzo des dritten Satzes, eine Art Scherzo mit fugiertem Trio könnte eine Volksweise aus Schottland sein. Ihr folgt das Finale, ein Presto im marschähnlichen Rhythmus, gnadenlos vorwärts jagend, dem wiederum ein Adagio non lento folgt, eine Reminiszenz an den zweiten, aber auch den ersten Satz.

Die abschließende Reprise klingt wie ein Gebet. Mendelssohn hat mit Beethoven Frieden geschlossen. Er geht ab da eigene Wege. Großartige Komposition eines Teenagers, der dieses a-Moll Streichquartett als bewusste Provokation des Publikums verstand. So soll er gegenüber Cherubini am Abend vor der Uraufführung in Paris gesagt haben: „Morgen wird mein a-Moll Quartett öffentlich gespielt ... das ganze Publikum wird morgen niesen.“

Hier fehlte der Interpretation vielleicht eine wenig das Aufmüpfige, ja das Provokative.


Barbican Quartet: v. l.: Pablo Hernán Benedi, Kate Maloney,
Christoph Slenczka, Yoanna Prodanova
Foto: H.boscaiolo

Stilistische Vervollkommnung

Henry Purcell (1659-1695) galt zu seinen Lebzeiten als Orpheus Britannicus, in Anlehnung an seine Opern und geistlichen wie weltlichen Vokalwerke. Auch als Sänger machte er sich einen Namen, wogegen seine kammermusikalischen Werke von geringem Umfang sind. Dazu gehören auch seine drei-, vier-, fünf- bis achtstimmigen Fantasien, deren Anlass zwar unklar, aber durchaus Parallelen mit Bachs Kunst der Fuge aufweisen. 

Purcell nutzte offensichtlich diese Form zur eigenen Schulung, zur kontrapunktischen und stilistischen Vervollkommnung. Immerhin war er gerade mal 20 Jahre alt und hatte als Komponist noch viel vor.

Das Barbican Quartet hatte zwei der insgesamt 18 Fantasien ausgewählt, in c-Moll (Z 738) und a-Moll (Z 740), beide knapp jeweils vier Minuten lang und von klassischer barocker Satzfolge: schnell – langsam – schnell, beziehungsweise: schnell – langsam schnell – langsam, einer Triosonate angelehnt. Auch hier ein guter, wenn auch etwas dick aufgetragener Einstieg in den Höhepunkt des Konzertabends.


Zwischen Lob und Ablehnung

Maurice Ravels (1875-1937) Streichquartett F-Dur (1902/03). Gerade einmal Mitte zwanzig, brauchte Ravel allerdings gut zwei Jahre, um sein einziges Streichquartett erfolgreich zu beenden. Die Gründe sind vielfältig, war er sich doch nicht im Klaren darüber, welche Form er wählen sollte.

Erst am 05. März 1904 ist es dann in Paris mit dem Heymann-Quartett zur Uraufführung gekommen, und das allerdings mit gemischtem Erfolg.

Bekanntlich galt Ravel als musikalischer Außenseiter, er wurde sogar des Conservatoire de Paris verwiesen, sein musikalischer Lehrer, Gabriel Fauré (1845-1924), dem Ravel das Quartett widmete, war seiner größter Kritiker und lehnte es rundweg ab, lediglich Claude Debussy (1862-1918) war begeistert und der Musikkritiker Romain Rolland (1866-1944) lobte es über den Klee und trug entscheidend zu seiner Popularität bei, die bis heute anhält


Barbican Quartet: v. l.: Pablo Hernán Benedi, Kate Maloney,
Christoph Slenczka, Yoanna Prodanova
Foto: H.boscaiolo

Beginn der individuellen Musiksprache

Ein Meisterwerk ist es zweifelsohne, enthält es doch alles, was das frühe 20. Jahrhundert charakterisiert: neuartige Harmonien, rhapsodische Formmuster, fremdländische Tanzeinlagen, Experimente mit modalen Skalen, pentatonische Tonfolgen, tonale grenzgängige Abweichungen etc.

Nicht von ungefähr bezeichnete Ravel selbst diese Komposition als zwar „unvollkommene Konstruktion“, aber als klare Ausdrucksweise seines musikalischen Willens. Insofern gilt dieses Quartett auch als Beginn (s)einer individuellen Musiksprache.


Impressionismus in ausgeprägtem Glanz

Gleich der Eingangssatz, ein Sonatenhauptsatz, ein Allegro très doux (zu deutsch: sehr süß). Überaus melodisch mit wechselnden Duetten unter den Streichern. Lange ariose Linien kulminieren in orchestralen Ausbrüchen, die sich in der Reprise wieder auf die Süße des Klangs zurückbesinnen. 

Es folgt eine Art Scherzo, lebendig (assez vif), rhythmisch und auch langsam (lent) soll es hier zugehen. Triolische Passagen mit Zupfeinlagen dominieren diesen Part, in dem das ausgeprägte Vibrato des ersten Geigers heraussticht.

Dem romantischen Trio folgt eine flotte, rhythmisch im Sechsachtel-Takt geführte Kantilene der Streicher, die in ein Nachtlied, angeführt von der Bratsche, mündet, pentatonische Elemente aufweist und melodische Fragmente aus den beiden Sätzen davor erkennen lässt.

Das Trè lent des dritten Satzes erweist sich als rhapsodisches Meisterwerk mit rezitativischer Einlage des Violoncello und abschließender Wiederaufnehme des Bratschen Themas, das in einem himmlischen Unisono endet.

Das Presto des Finale, Vif et agité (lebendig und jagend) wird von einem einfachen Tanzmotiv beherrscht, ein baskischer „Zortzico“, changierend zwischen Dreier- und Fünfer-Takt, einer von ungeheurer Intensität.

Hier erreicht der Gedanke des Impressionismus seinen ausgeprägtesten Glanz. Ravel wäre nicht Ravel, wenn er seinen zyklischen Gedanken vernachlässigen würde. Nein, er erinnert unverhohlen an den „süßen Klang“ des Seitenthemas aus dem ersten Satz und lässt das Streichquartett entsprechend friedlich zu Ende kommen.


Barbican Quartet (Foto: Stefan Pieper)

Der Parnass steht offen

Allein diese herausragende Interpretation war den Abend wert. Das Barbican Quartet – ein Name mit Doppelbedeutung: zum einen bezeichnet der Begriff einen Schutzwall um eine Burg herum, andererseits ist das Quartett eng mit dem Barbican Center in London verbunden, wo es im Jahre 2015 sein Debütkonzert gab – gehört ebenfalls in den Parnass der weltweit besten Streichquartette.

Auffallend allerdings ist sein ausgeprägter romantischer, verinnerlichter, emotionaler Gestus, der allerdings bei klassischen, barocken und frühbarocken Interpretationen nicht immer angemessenen erscheint. 

Auch muss Pablo Hernán Benedi gedankt werden, dass er kurzfristig für Amarins Wierdsma eingesprungen ist. Dass hier durchaus kleine Unstimmigkeiten herauszuhören waren, lässt sich in einer solchen Situation wohl kaum vermeiden.




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