The Fall of the House of Usher, Oper in 2 Akten von Philip Glass, nach einer Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe,1839, Staatstheater Mainz, Großes Haus, Premiere 14.02.2025
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Mark Watson Williams, Brett Carter (Foto: Andreas J. Etter) |
Surreal und höchst morbide
Das Staatstheater Mainz ist dafür bekannt, sich an Opernstoffe heranzuwagen, die andere Häuser eher nicht in ihr Programm aufnehmen. So auch The Fall of the House of Usher (zu deutsch: Der Untergang des Hauses Usher), eine skurrile, surreale, höchst morbide Kurzgeschichte aus dem Jahre 1839 von Edgar Allan Poe (1809-1849), die der Minimal Komponist Philip Glass (*1937) im Jahre 1988 als Libretto für seine Oper gleichen Namens nutzte und dazu Gesangtexte von Arthur Yorinks (*1953) verwendete.
Diese Oper war nicht gerade von Erfolg gekrönt, ist das Thema doch äußerst abgründig und verlangt vom Publikum große Seh- und Hörbereitschaft. Und dennoch ist es ein spannendes, und gerade in heutigen Zeiten ein durchaus angemessenes Opernsujet, wie die Premiere auf der großen Bühne des Staatstheater Mainz durchaus trefflich bewies.
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Mark Watson Williams (Foto: Andreas J. Etter) |
Zwischen Todesangst und Todessehnsucht
Aber worum geht es in dieser Geschichte? Das Haus Usher, ein runtergekommener adeliger Palast, ist nur noch von zwei übriggebliebenen Familienmitgliedern bewohnt. Es sind Roderick und Madeline. Beide werden betreut von einem Arzt und bedient von einem Butler.
William, ein Freund der Familie, besucht beide nach einem Hilfeersuchen Rodericks, der über körperliche und seelische Qualen klagt. Beide Ushers repräsentieren ein untergehendes, degeneriertes Adelsgeschlecht, sind Zwillinge mit inzestuösem Verhältnis, und bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Todessehnsucht und Todesangst.
Roderick ist ein Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn, während Madeline, die immer wortlos bleibt, offensichtlich an einer unheilbaren Krankheit leidet, die sie mitunter in eine todesähnliche Starre versetzt, einen Zustand zwischen Tod und Leben, dessen Ausgang unklar bleibt.
William erkennt seine Hilflosigkeit und entscheidet sich, wenigsten Roderick aus dieser misslichen Lage retten zu wollen. Alle Versuche aber misslingen. Madeline scheint zu sterben, Roderick verfällt zunehmend seiner Geisteskrankheit und das Haus Usher wird durch einen Sturm aus seinen Angeln gehoben.
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Haus Usher (Foto: H.boscaiolo) |
Der ewige Wahnsinn
Nach der Geschichte E. A. Poes sterben die beiden Ushers in den Trümmern, auch wenn Madeline noch einmal aus ihrer Todesstarre erwacht, womit der Adel endgültig aus der Welt geschafft ist. William kann sich retten und bleibt allein zurück.
Diener und Arzt sind lediglich Randerscheinungen und haben im Verlauf der Tragödie eine marginale Rolle zu vertreten.
In der Version der Oper aber bleiben beide Ushers zurück, während William seine Mission als gescheitert erkennt. Geht damit also der Wahnsinn weiter?
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Maren Schwier, Mark Watson Williams (Foto: Andreas J. Etter) |
Horror real – Horror surreal
Tatsächlich beginnt der erste Akt mit Horrornachrichten des ÖRR-Fernsehens, auf mehrere Videobildflächen projiziert, wo von apokalyptischen Weltuntergangsszenarien die Rede ist. Das Publikum, der Saal ist vollbesetzt, ist um ein Haus ähnliches Gestell postiert (Matthias Werner, Bühne), das auf zwei Ebenen viel Hausrat und etliche Videoflächen beherbergt. Im hinteren Bereich der Bühne sitzen etwa 14 Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Mainz unter der musikalischen Leitung von Paul-Johannes Kirschner, bestehend aus einem Streichquintett, einem Kontrabass, einem Fagott, einem Horn, einer E-Gitarre, zwei Flöten, einer Klarinette, einer Hammondorgel, und einem Schlagwerk.
Die spannungsgeladene Atmosphäre wird durch Lichteffekte und Drehbühne (Ulrich Schneider, Licht und Christoph Schödel, Video) verstärkt.
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Georg Schießl, Mark Watson Williams (Foto: Andreas J. Etter) |
Erinnerung – Hoffnungslosigkeit
William (Brett Carter, Bariton) der Freund des Hauses, erscheint, nachdem er aus dem Nebel tritt, und erzählt mit kräftiger Stimmgewalt die Geschichte der Familie und seine Freundschaft zu ihr.
Die Begrüßung mit seinem Freund Roderick (Mark Watson Williams, Tenor) ist herzlich aber nicht ungetrübt. Mehrmals klopft es bedenklich viermal aus dem Orchester. Diener (Doğus Güney, Bassbariton) und Arzt (Georg Schießl, Bariton) mischen sich ein, warnen vor Unruhe und Verschärfung der Krankheit, können aber keinen Einfluss auf das Geschehen nehmen.
Fünf dramatische Zwischenspiele unterteilen den ersten Akt, und geben dem psychopathischen Geschehen ein nachvollziehbares Handlungsmuster. Dazu gehören die Szenen mit der Spieluhr, ein Geschenk Williams an Roderick in Erinnerung an ihre Jugendzeit.
Das Erscheinen Madelines (Maren Schwier, Sopran), gibt der Handlung eine neue Note. Sie singt durchweg wortlos in wunderbar hellem und klarem Sopran. Ein absoluter Hinhörer, auch wenn sie körperlich abwesend erscheint.
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Mark Watson Williams, Brett Carter (Foto: Andreas J. Etter) |
Kein Rat ist zu teuer
Der erste Akt endet mit ihrem Tod. Allerdings rollt sie sich bewusst in einen Leichensack und verschwindet so aus dem Sichtfeld.
Dazwischen findet eine inzestuöse Verbindung der Zwillinge statt („Ich werde du sein und du wirst ich sein“), die William mit Schrecken beobachtet (Beide sind übrigens nahezu identisch kostümiert - Lucia Vonrhein, Kostüme). Auch scheint sich der Zustand Rodericks nach diesem Ereignis zu bessern. Er frönt seiner literarischen und künstlerischen Fähigkeiten, schreibt Poe-Texte an die Stahlträger des Schlosses, die durch Lichtreflektoren sichtbar gemacht werden (eine blendende Idee der Regie, die übrigens von K.D. Schmidt zu verantworten ist), fällt aber sofort wieder in seine morbide Überempfindlichkeit zurück, wischt hektisch alle Texte weg und William, alias Brett Carter, kann ihm nur raten: „Geh an die frische Luft, nur das kann dir helfen.“
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Mark Watson Williams, Brett Carter, liegend (Foto: Andreas J. Etter) |
„Es ist aus Grabsteinen gebaut“
Lange Zeit nimmt sich die Regie für den ersten Teil des zweiten Aktes. Madeline ist tot. Sie wird mit krankhafter Inbrunst von Roderick betrauert. Er öffnet den Leichensack, küsst seine Schwester, zahllose Kerzen werden angezündet.
Roderick kasteit sich und fordert verzweifelt die Vereinigung ihrer Seelen. In einem wirklich eindringlichen Duett der beiden Männer betont er seine enge Verbindung zu seiner Zwillingsschwester, wogegen William nach einem eindrücklichen Intermezzo des Ensembles dem Haus Usher endgültig abschwört: „Es ist aus Grabsteinen gebaut!“
Roderick versteift sich darauf, der Arzt habe seine Schwester ermordet, und verfällt zunehmend dem Wahn eines Irren. Großes Lob an dieser Stelle an Mark Watson Williams, der nicht nur über einen dramatischen und schnörkellosen Tenor verfügte, sondern seine Rolle als unerträglicher Hypochonder und Psychopath exzellent in Szene zu setzen verstand.
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Philharmonisches Staatsorchester Mainz Foto: H.boscaiolo |
Nach dem siebenten Intermezzo, verbunden mit spektroskopischen Blitz und Donnereinlagen, die selbst einige Videoschirme den Geist aufgeben ließen, erwacht Madeline aus ihrer Totenstarre.
Sie steigt aus dem Leichensack und singt in wortloser Manier, mitten im Publikum postiert, ihre starken Melodien, einfach nur perfekt. Überhaupt versteht es Maren Schwier, trotz ihrer scheinbar körperlosen Existenz, gerade durch ihren Gesang das Geschehen auf der Bühne zu dominieren. Auch sie eine Entdeckung dieser Premiere.
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v. l.: Mark Watson Williams, Maren Schwier, Paul-Johannes Kirschner Foto: H.boscaiolo |
Minimalismus und viel mehr
William, alias Brett Carter, bleibt nur noch zu rufen: „Zum Teufel mit diesem Haus.“ Sein Freund Roderick ist so verloren wie dessen Zwillingsschwester Madeline.
Jetzt ist die Musik gefragt, und die hat es im Finale in sich. Mit Tamtam, Trommel, Glockenspiel und Tutti kommt ein orchestraler Zug in den Klangkörper. Ein bisschen Wagner-like scheint Glass hier gedacht und komponiert zu haben, man denke an die Liebestod-Szenen und an die unglaubliche Gewalt Wagnerscher Instrumentierung.
Auch hier wechselt Glass vom Minimalismus zur melodischen Linie, ja zur unendlichen Melodie. Glass ist absolut keine reiner Minimalist, auch wenn er als solcher gehandelt wird. Seine Musik ist sprach affin und absolut der Dramatik des Geschehens angepasst. Ein Hörerlebnis, das das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter der Leitung von Paul-Johannes Kirschner beeindruckend umzusetzen verstand.
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v. l.: Marein Schwier, Mark Watson Williams, Brett Carter, K.D. Schmidt, Paul-Johannes Kirschner, Sonja Westerbeck (?), Doğus Güney Foto: H.boscaiolo |
Der Schluss dieser Inszenierung bleibt offen. Die ewige Wiederkehr des Immer gleichen? Ist die Warnung eines Friedrich Nietzsche vom Leben im Jenseits, das sich unzählige Male wiederholt, das Gute wie das Schlechte, wie eine ewige Sanduhr, die immer wieder umgedreht wird, und das in alle Ewigkeit – Ist diese Warnung berechtigt?
Mit dieser Oper, Lob an alle Beteiligten ohne Ausnahme, hat das Staatstheater Mainz ein fast vergessenes Werk wiederbelebt und das mit großer Stringenz und atmosphärischer Spannung über gut 90 Minuten. Eine Oper zum Nachdenken, zum Neuentdecken und Reflektieren. Gerade deshalb zum mehrmaligen Besuch bestens geeignet.
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