Expedition Mozart: Ein Orchesterprojekt mit Kit Armstrong, Alte Oper Frankfurt, 31.01.2025 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e.V.)
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Kit Armstrong (Foto: Marco Borggreve) |
Expedition gigantischen Ausmaßes
Ja, es war eine Expedition gigantischen Ausmaßes. Von Johann Sebastian Bach (1685-1750), über Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) bis zum frühen und späten Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Weniger zwar im zeitlichen Spektrum der genannten Komponisten, als im vollgepackten Programm, das für mehr als drei Stunden das Publikum des gut besuchten großen Saals der Alten Oper Frankfurt an die Sessel fesselte.
Individuelle Bühnenpräsenz
Kit Armstrong, Liebling der Frankfurter, erfüllte sich mit dieser, auf die Zeit Bachs ausgedehnten Expedition Mozart einen Traum. Den Traum, ein „Theater der Instrumente entstehen“ zu lassen und die „Linien der verschiedenen Partituren zu Charakteren der Menschen zu transformieren“.
Dazu hatte er drei internationale Streichquartette (Minetti Quartett, Quatuor Hermès, Schumann Quartett) sowie sieben Solistinnen und Solisten verschiedener Instrumente eingeladen, in der Absicht, ihre solistische Bühnenpräsenz wirksam werden zu lassen, oder wie er selbst formuliert: „ der Charakter, den jede musikalische Figur besitzt, verschmilzt mit der Bühnenpräsenz des jeweiligen Solisten.“
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Ensemble: 5. Brandenburgische Konzert, vorne v. l.: Andrej Bielow, Kit Armstrong, Jasmine Choi Foto: H.boscaiolo |
Erstes Klavierkonzert überhaupt
Sieben Werke von doch ausgedehnten Ausmaßen hatte Armstrong dazu ausgewählt. Dazu gleich zu Beginn das 5. Brandenburgische D-Dur (BWV 1050), das wohl in der Winterzeit 1718/19 entstanden ist, und wegen seiner späten Kadenzerweiterung für Cembalo (die Technik des Cembalo hatte sich enorm erweitert und machte neue Techniken möglich) heute oftmals, wenn auch fragwürdig, als das erste Klavierkonzert überhaupt bezeichnet wird.
Sehr frisch vorgetragen von den drei Solisten, dem Geiger Andre Bielow, der Flötistin, Jasmin Choi, sowie Kit Armstrong am Cembalo, das allerdings mit seinem sehr dumpfen Klang kaum zu-vernehmen war.
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Quatuor Hermès (Foto: H.boscaiolo) |
Expedition wohin?
In schneller Abfolge präsentierte das französische Quatuor Hermès, allerdings ohne die zweite Geige, Wolfgang Amadeus Mozarts Adagio und Fuge in d-Moll (KV 404a), das der Komponist wohl zur Fastenzeit im Jahre 1783 schrieb. Eine Art Bardengesang mit nachfolgender Kontrapunktstudie. Gut gespielt, aber wohin wollte die Expedition das Publikum eigentlich führen?
Es folgten, nach langer Umbauphase und störender Übungsmusik hinter der Bühne, zwei Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, die Mozart in seiner Wiener Zeit für vierstimmige Streicherstimmen bearbeitet hat. Von den insgesamt fünf des Zyklus die Fuge 2 in Es-Dur und die Fuge 4 in d-Moll (KV 405).
Hier spielte das Wiener Minetti Quartett in sauberer, sehr konzentrierter Manier, aber ohne große Verve, was diese Fugen auch gar nicht hergeben.
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Minetti Quartett (Foto: H.boscaiolo) |
Klavier als Klangecho
Den ersten Teil des Konzertabends beendete dann Carl Philipp Emanuels Bachs Klavierkonzert D-Dur (WQ 27), das er wohl in seiner Zeit als Angestellter des Preußischen Königs, Friedrich II., in der Zeit nach 1741 geschrieben haben mag. Immerhin verblieb er in diesem Amt 28 Jahre. Hier hörte man bereits starke Affinitäten zu Telemann, Händel, aber auch Haydn heraus.
Warum Armstrong den Flügel abseits der Gruppe stellen ließ, bleibt wohl sein ureigenstes Geheimnis. Musikalisch hat es sich nicht gelohnt. Das Klavier blieb unbestimmt und schien wie ein Echo den Hintergrund der musikalischen Geschehens mit Klängen aufzufüllen. Positiv zu erwähnen allerdings das gut eingespielt Team der Solisten.
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Ensemble: Klavierkonzert D-Dur WQ 27 Foto: H.boscaiolo |
Langatmig – Wege suchend – flüchtend
Der zweite Teil des Abend, die Zeit war schon weit fortgeschritten, begann mit Johann Sebastian Bachs Triosonate c-Moll, aus seinem Musikalischen Opfer BWV 1079. Hier kam das deutsche Schumann Quartett zu seinem Einsatz. Allerdings lediglich zwei ihrer Mitglieder. Dazu noch die ausgezeichnete Traversflötistin Jasmine Choi und selbstverständlich Kit Armstrong am Cembalo.
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v. l.: Erik Schumann, Kit Armstrong, Jasmine Choi, Mark Schumann Foto: H.boscaiolo |
Ein langes, sehr langes viersätziges Werk, das Bach 1747 als Verneigung für den Flötisten von Sanssouci schrieb, als „Sonate über ein königliches Thema“. Großartig interpretiert, allerdings mit gut zwanzig Minuten Dauer doch bereits arg strapaziös für das Publikum. Die ersten Gäste verließen bereits den Saal.
Es folgte von Wolfgang Amadeus Mozart das Adagio und Rondo für Glasharmonika KV 617 (1791), ein Quintett für Flöte, Oboe, Viola, Violoncello und Glasharmonika (hier allerdings für Klavier aufbereitet). Vermutlich sollten mit dieser Komposition noch einmal einzelne Solisten in den Vordergrund treten können, wie Ramón Ortega Quero (Oboe), Milan Milojicic (Viola) sowie Leonard Roczek (Violoncello). Mehr aber auch nicht. Denn dieses Stück war absolut überflüssig, und setzte eine weitere Fluchtwelle im Großen Saal in Bewegung.
Schade, einfach schade für die doch ausgezeichnete Interpretation dieses Werks.
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v. l.: Kit Armstrong, Ramón Ortega Quero, Leonard Roczek, Milan Milojicic, Jasmine Choi Foto: H.boscaiolo |
„Ein Weltwunder“ – „Mozarts Eroica“
Den krönenden Abschluss sollte das berühmte neunte Klavierkonzert, genannt auch „Jeunehomme“ oder auch „Jenamy“, Es-Dur (KV 271), bilden. Es ist das letzte und bedeutendste Klavierkonzert aus Mozarts Salzburger Zeit, im Jahre 1777 für seine Schülerin Louise Victoire Noverre, verheiratete Jenamy (daher auch einer der Beinamen) gedacht, die es auch öffentlich aufführte. Jeunehomme ist sie dann im 20. Jahrhundert umgewidmet worden, allerdings ebenfalls bezogen auf die genannte Pianistin.
Jenamy strotzt nur so vor bekannten Melodien und Motiven. Es ist dreisätzig, wie damals üblich, enthält ungewöhnliche drei Solokadenzen, in jedem Satz eine, davon die ausgedehnteste im Andante, und spiegelt die emotionale Welt des noch jungen Mozart exzellent wider. Selbst Alfred Brendel verglich das Klavierkonzert mit einem „Weltwunder“, und Alfred Einstein, der wohl bekannteste Mozart Biograph überhaupt adelte es als „Mozarts Eroica“.
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Ensemblemitglieder: Klavierkonzert KV 271, in der Mitte, links neben dem 1. Geiger Andrej Bielow: Kit Armstrong Foto: H.boscaiolo |
Verwaschen, ohne Strahlkraft und Klarheit
Kit Armstrong nahm hier noch einmal alle 21 Solisten in die Pflicht, darunter zwei Hörner, zwei Oboen, einen Kontrabass, eine Traversflöte und die zwölf Streicher der Quartette und heraus kam – leider relativ wenig.
Wieder ließ er den Flügel in den Hintergrund stellen, sodass die Klänge wie aus dem unbestimmten Off in den Saal strömten. Immer verwaschen, ohne Strahlkraft und Klarheit.
Technisch gibt es keine Mängel zu erkennen, aber warum dieser Aufbau? Will Armstrong in der Gruppe versinken? Will er sich selbst überflüssig machen? Offene Fragen.
Seine Bach/Mozart Expedition erwies sich in weiten Teilen als Marsch durch einen undurchsichtigen Dschungel. Nie wusste man so recht, wo es weiterging. Immer Neues im alten Kleid, aber ohne wirkliche Entwicklung im Klang, im Stil und vor allem in der epochalen Musikentwicklung.
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Ensemblemitglieder: Klavierkonzert KV 271 Foto: H.boscaiolo |
Nicht auf die Reise mitgenommen
So geriet denn auch direkt beim letzten Ton des Jeunehomme der bereits gelichtete Saal in Aufruhr. Man wollte so schnell wie möglich raus, zum Auto, zur S-Bahn oder zum Taxi. Armstrongs Traum der Verschmelzung aller tonalen oder klanglichen Linien zu menschlichen Wesen, der Traum von der Transformation der Töne zu Menschen ist gut gemeint, aber schwer zu realisieren, vor allem nicht an diesem Konzertabend.
In der Länge zumindest liegt nicht der Lösungsweg. Auch wenn sich alle Teilnehmer als ausnehmend exzellente Musikerinnen und Musiker zeigten, so muss ein musikalisches Programm auch inhaltliche Wege aufzeigen, das die Zuhörer auf die Reise mitzunehmen in der Lage ist. Das war an diesem Konzertabend leider nicht der Fall.
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