Sheku Kanneh-Mason (Violoncello) mit der Camerata Salzburg (Leitung: Giovanni Guzzo), Alte Oper Frankfurt, 13.02.2025 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)
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Sheku Kanneh-Mason (Foto: credit_ollie_ali.jpg) |
Eis und Heiß
Ein wirklich denkwürdiger Abend in der leider nur mäßig besuchten Alten Oper Frankfurt. Vier Komponisten der besonderen Art wurden von der Camerata Salzburg unter der Leitung ihres Konzertmeisters Giovanni Guzzo (*1986) und dem noch jungen Cellisten Sheku Kanneh-Mason (*1999) in einer Weise präsentiert, dass es das Blut in den Adern mal gefrieren oder mal in Wallung geraten ließ.
Es waren Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) mit seinen Polnischen Weisen op. 47 Nr. 2 (1950) in der Bearbeitung von Firmian Lermer, Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) erstes Cellokonzert in Es-Dur op.107, Charles Ives´ (1874-1954) The Unanswered Question (1906/1930/1946) und Maurice Ravels (1875-1937) Kaddisch. Lent (1914) sowie Le Tombeau de Couperin (1914) in der Bearbeitung für Orchester.
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Camerata Salzburg (Foto: igor-studio) |
Erinnerung – Leben – Zukunft
Was eint diese vier doch so unterschiedlichen Komponisten mit noch unterschiedlicheren Lebensgeschichten? Es ist ihre Erinnerung, ihre musikalische Antwort auf die Frage, was prägte mein Leben und wie gestalte ich es in der Zukunft. Vier Werke, die in dieser Konstellation wohl einmalig auf der Bühne zu erleben sind und die von der Camerata Salzburg (gegründet 1952 von Bernhard Paumgartner) unter der Führung ihres Konzertmeisters Giovanni Guzzo und dem britischen Star-Cellisten Sheku Kanneh-Mason mit außerordentlicher Schönheit, Ausdruckskraft und erhabener Transparenz interpretiert wurden.
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Giovanni Guzzo (Foto: igor-studio) |
Ansteckende Lebensfreude
Gehen wir ins Detail. Alles beginnt mit Mieczyslaw Weinbergs Polnische Weisen. Dazu muss man vorausschicken, dass er wegen des Überfalls der Deutschen Wehrmacht im Jahre 1939 aus seiner Heimat Polen nach Russland bzw. in die damalige Sowjetunion floh, wo er tatsächlich als bekannter und erfolgreicher Komponist tätig sein konnte. Zwar kritisierte man seine Kompositionen als formalistisch, ähnlich wie bei seinem Freund Schostakowitsch, aber er konnte seiner Tätigkeit frei nachgehen. Seine Inhaftierung im Jahre 1953, kurz vor Stalins Tod, beruhte auf dem fälschlichen Vorwurf, er habe eine jüdische Republik auf der Krim errichten wollen.
Dennoch, seine polnischen Weisen, ein viersätziges munteres Werk, voller Tänze, spritzigen Allegros, Walzer- und Mazurka-Rhythmen sowie purer Unbekümmertheit, lassen zumindest die Vermutung aufkommen, dass er sich seiner unbeschwerten Zeit in seiner Heimat erinnert.
Eine Weinberg Adaption, die man ihm nach Kenntnis seiner Opern und Sinfonien kaum zuschreiben könnte. Eine Lebensfreude, die ansteckend ist. Das abschließende Allegro mit Trommelwirbel, Fagotten und Hörnern, Tamburin und vorwärtstreibendem Walzerrhythmus, der sich zu einem Marsch verdichtet, ist wie ein Fingerzeig auf bessere Zeiten. Erinnere dich an Deine Kindheit und du wirst das Leben genießen können.
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Giovanni Guzzo, Sheku Kanneh-Mason, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Abrechnung mit seinem verhassten Gönner
Gleich darauf von Dmitri Schostakowitsch das erste Cellokonzert in Es-Dur. Auch dieses Werk hat seine Vorgeschichte, die es zu erinnern gilt. Schostakowitsch schrieb es im Jahre 1959, also sechs Jahre nach dem Ableben seines verhassten Gönners Josef Stalin. Zur Zeit der Stalin Diktatur hatte auch er stets mit der Formalismuskritik zu kämpfen, die nichts anderes bedeutete, als dass seine Musik dem Volk nicht gerecht werde. Das Tauwetter der Nach-Stalin-Ära animierte den Komponisten offensichtlich, mit Stalin abzurechnen, sich aus seiner jahrelangen Knute zu befreien.
Er widmete das Werk seinem Freund und Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, der es 1959 in der Leningrader (heute Petersburger) Philharmonie uraufführte.
Das Werk ist tatsächlich autobiographisch, besteht doch der erste Satz ausschließlich aus seinem Namenskürzel DSCH, dessen Motiv sich auch in den folgenden drei Sätzen wiederfindet. Auch ist das Finale eine Satire auf Stalins Lieblingslied Suliko (Seele), das er angeblich täglich sang und von den Chören des Landes zum allgemeinen Repertoire verpflichtend erhoben wurde.
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Sheku Kanneh-Mason, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Aufgestaute Wut im Focus
Mit Sheku Kanneh-Mason hatte das Werk einen würdigen Interpreten. Er spielte auf seinem Matteo-Goffriller-Cello aus dem Jahre 1700, ein etwas dumpf klingendes Instrument, gleich im Staccato das Viertonmotiv in all seinen Ausprägungen, begleitet vom rhythmisierenden Klangkörper und dialogisierend mit Horn, Fagott, Oboe und Flöte. Ein fast übermütiger, schroffer Satz, der die gesamte aufgestaute Wut der letzten Jahrzehnte zu fokussieren schien.
Schostakowitsch wäre nicht Schostakowitsch, wenn er sich nicht seiner kompositorischen Vielfalt besönne.
Elegische Düsternis
So ist das folgende Moderato ein tiefsinniger Trauergesang, dominiert von Celli, Bratschen, Kontrabässen und Klarinette. Eine Elegie, die Düsternis verbreitet, aber zunehmend in himmlische Gefilde aufsteigt, von herrlichen Flageoletts des Solisten gerahmt. Ein Zupfen der Streicher leitet in die Cadenza über, ein lyrischer Part, voller Zweistimmigkeit, in dem Kanneh-Mason ganz sich selbst wird.
Er nimmt sich viel Zeit, arbeitet jede einzelne Note bis ins Kleinste durch und versenkt sich tief in diese Musik, die an Wahnsinn grenzt. Schostakowitsch scheint hier noch einmal in tiefe Depression zu verfallen, die Erinnerungen scheinen ihn einzuholen.
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Camerata Salzburg (Foto: H.boscaiolo) |
Attacca geht es dann in den Schlusssatz, ein Finale, dass dem Lieblingslied des Diktators gewidmet ist. Es ist ein weitverbreitetes russisches Volkslied, Suliko nennt es sich, das Schostakowitsch zur Fratze seines Peinigers werden lässt. Es ist kaum wiederzuerkennen, wird in aufreizende Chromatik zerlegt und durch ständige metrische Überlagerungen zur Unkenntlichkeit verzerrt. Dem Solisten wird hier technisch und musikalisch alles abverlangt. Die Despotie wird hier zur Karikatur verkehrt, Schostakowitsch kann jetzt wieder atmen, er hat sich quasi innerlich wie äußerlich befreit, sich seiner Traumata entledigt.
Ein Lyriker par excellence
Kanneh-Mason brilliert vor allem in den lyrischen Abschnitten. Sein technisches Vermögen unbenommen, ließen doch die Resonanz und Klangfülle (vermutlich ist es das Instrument) doch ein wenig zu wünschen übrig. Seine Zugabe passte blendend zu ihm. Es war eine katalanische Volksweise für vier Celli und drei Kontrabässe, arrangiert von keinem Geringeren als Pablo Casals (1876-1973). Eine Interpretation, die alle Seelen öffnete und die Gemüter von aller Last befreite.
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Giovanni Guzzo, Sheku Kanneh-Mason, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Existenzfragen: verzweifelt – intensiv
Nach der Pause gleich die unbeantwortete Frage von Charles Ives, der Sonderling der amerikanischen Musikwelt, der nie eines seiner Werke live gehört haben soll. The Unanswered Question hat viele Bearbeitungen erfahren und wurde tatsächlich erst 1946 uraufgeführt, obwohl die erste Version bereits 1906 und mehrere in den 1930er Jahren folgten.
Ives ging es in diesem kaum sechs minütigen Werk um die ewige Frage nach der Existenz. Dazu hat er drei Ebenen entwickelt: So repräsentieren die Streicher die Schweigsamkeit, tatsächlich bilden sie einen choralähnlichen Teppich durchweg in dreifachem piano, ein im Publikum befindlicher Solotrompeter repräsentiert mit seinem immer wiederholenden fünftönigen Motiv die Existenzfrage, während ein Holzbläserquartett (hier zwei Flöten, eine Klarinette und ein englisch Horn) nach der unsichtbaren Antwort suchen, ungeduldig und verzweifelt. Ein wahrhaft tief in die Gemüter eindringendes Werk, von zwar kurzer Dauer, aber dafür intensiv.
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Giovanni Guzzo, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Zwischen Totengebet und Erinnerung
Gleich darauf Maurice Ravel mit seinem Kaddisch. Lent. Eine vom Cello dominiertes Totengebet, das Sheku Kanneh-Mason in bester Manier vortrug, inbrünstig und pathetisch. Von absolut einnehmender Atmosphäre diese knapp drei Minuten. Dann folgte sein Tombeau de Couperin für Orchester.
Auch hier gibt es die Vorgeschichte der Erinnerung. Ravel verfolgte mit dieser vierteiligen Suite (eigentlich ist sie sechsteilig) mehrere Absichten. Einmal wollte er die musikalische Geschichte Frankreichs retten, die er wohl durch die Einflüsse deutscher Barockmusik gefährdet sah, andererseits verwendete er diese Suite in Memoriam an seine gefallenen Freunde während des Ersten Weltkrieg, nachdem er sie 1919 noch einmal überarbeitete und uraufführte.
So bezieht er sich nicht allein auf seine französischen Vorbilder wie François Couperin (1668-1733) oder Jean-Philippe Rameau (1683-1764), deren Tanzfolgen er übernahm, sondern erinnerte auch mit jeder Tanzfolge an seine gefallenen Freunde wie Jacques Charlot in Prélude, Leutnant Gabriel Deluc in Forlane, Jean Dreyfus in Menuett oder die Brüder Pascal und Pierre Gaudin in Rigaudon.
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Giovanni Guzzo, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Grandezza mit brillanter Technik
Die Camerata hatte hier von Anfang an ein flottes Tempo avisiert, von großer Grandezza und ausnehmend guter Technik begleitet. Giovanni Guzzo war in seinem Element und markierte die einzelnen Suiten mit besonderer Gestik. Auch wenn die Hörner nicht durchweg sattelfest agierten, war das gut 30-köpfige Ensemble bestens eingestellt und brillierte durch ausgefeilte Dynamik und erfrischender Transparenz. Vor allem die einzelnen Gruppen und auch Instrumentalisten waren in allen Werken gefordert. Jedes Orchestermitglied hätte auch solistisch auftreten können.
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Giovanni Guzzo, Camerata Salzburg Foto: H.boscaiolo |
Alles im Fluss – auch die Erinnerungen
Ja die Erinnerung. Alte Zeiten erscheinen wohl meist die besseren zu sein, siehe Mieczyslaw Weinbergs Polnische Weisen, oder auch Ravels Le Tombeau. Aber auch die Traumata wie bei Dmitri Schostakowitsch oder die unbeantworteten Fragen zur menschlichen Existenz bis hin zum Totengesang des Kaddisch sind Ausdruck der Erinnerung und gleichzeitig Mutmacher für die Zukunft. Nicht von Ungefähr haben Ravel, Ives, Weinberg und Schostakowitsch immer wieder an ihren Produkten gefeilt, ergänzt, verändert, wie das richtige Leben es auch erfordert.
Ein musikalisches Erlebnis mit viel Tiefgang war der Konzertabend allemal. Erwähnenswert noch die Zugabe aus Ravels Ma Mère l´oye (1908/11). Zu deutsch Mutter Gans, eine kindliche Erzählung in sechs Abschnitten, von der Theodor W. Adorno meinte, sie an die Seite von Schumanns Kinderszenen, Mussorgskis Kinderstube und Debussys Children's´ Corner stellen zu können. Ein zweiminütiger Ausschnitt mit der Leichtigkeit von Kinderseelen.
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