Montag, 24. März 2025

2 x Hören / Schumann, Liederkreis op. 39, Julian Prégardien (Tenor), Anna Gebhardt (Klavier) Dr. Markus Fein (Moderator), Alte Oper Frankfurt, 23.03.2025

Julian Prégardien, Anna Gebhardt
(Foto: Erlebnis Freiamt)

Neue Beliebtheitshöhen erklommen

„Doppelt hört besser“ ist bereits angekommen, denn dieses dritte Werkstattkonzert im Abonnement mit dem Frankfurter Tenor Julian Prégardien (*1984) und der Münchener Pianistin Anna Gebhardt (*1995), wie immer hervorragend moderiert vom Intendanten der Alten Oper Frankfurt, Dr. Markus Fein, war bereits Wochen vorher ausverkauft. Sehr bald wird man sich wohl einen neuen Raum suchen müssen.


Intime Auswahl

Dieses Mal stand der Liederkreis op. 39 (1840/42) von Robert Schumann (1810-1856) auf dem Programm. Ein Zyklus von zwölf aus insgesamt 21 ausgewählten unzusammenhängenden Gedichten und Texten von Joseph von Eichendorff (1788-1857), einem der bedeutendsten Lyriker, Dichter und Schriftsteller der deutschen Romantik.

Allerdings sind diese zwölf „Gedichte“ eng verflochten mit der Situation von Clara Wieck/Schumann und Robert Schumann, die in der Zeit des Entstehens dieses Liederkreises einen heftigen Kampf mit Claras Vater ausfochten, der die Ehe der beiden auf gerichtlichem Wege zu verhindern suchte. So finden sich Texte und Bezüge davon in Claras Handschriften, worin Abschriften aus Eichendorffs Gedicht-Anthologie aus dem Jahre 1837 enthalten sind, worauf noch einmal zurückzukommen ist.


Julian Prégardien (Foto: Machreich Artist Management)

Zwischen Dunkel und Optimismus

Denn offensichtlich kann diese Sammlung - ein Zyklus ist sie weniger - doch als innerer Aufruhr der beiden verstanden werden, zumal Schumann, nachdem das Gericht im August 1840 die Ehe der beiden für rechtens erklärte, die bis dahin existierende Anordnung der Gedichte wechselte, die zwölf Lieder in zweimal sechs unterteilte und im ersten hauptsächlich die positiven und im zweiten eher die dunkel gefassteren positionierte. Allerdings ließ er jeweils das sechste und zwölfte Lied optimistisch enden.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass Schumann sich bis ins Jahr 1840 ausschließlich mit absoluter- und da vor allem mit Klaviermusik beschäftigte. Aber im angegebenen Jahr mehr als 150 Lieder produzierte. Auch hat er diesen Liederkreis in knapp drei Wochen, im Mai 1840, erstellt, der allerdings erst zwei Jahre später im Verlag Haslinger gedruckt, und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.


Gedicht an Gesang und Pianospiel

Julian Prégardien und sein pianistisches Pendent, Anna Gebhardt, verstanden es prächtig, den etwa halbstündigen Zyklus kurzweilig zu präsentieren. Er mit variablem Tenor, eng am Textinhalt orientiert, und sie, wie mit einer zweiten Haut des Sängers ummantelt. Tief romantisch beide mit Rubato, Crescendo und Decrescendo, langgezogenen, spannungsgeladenen Phrasen, von großer Innigkeit beseelt. Ein Gedicht an Gesang und Pianospiel.



Nicht allein für Schwiegermütter

Dr. Markus Fein ließ unvermutet einen kurzen Film Clip ablaufen, genannt „Verhör“, in dem Julian Prégardien steckbriefartig nach Vorlieben, Schwächen und Gesangsrepertoire ausgefragt wurde. Ja, er ist gebürtiger Frankfurter, hat schon mit neun Jahren in der Alten Oper Frankfurt gesungen und sich frühzeitig auf seine Stimme konzentriert. Er ist vorwiegend kammermusikalisch orientiert, und, nein, er liebt nicht die romantische Traurigkeit, sondern auch ihren Optimismus. Auch singt er nicht allein für Schwiegermütter.


Eher Vermittler als Ich-Darsteller

Die Frage des Moderators, wie er zum Liederkreis stehe, beantwortet er mit einem vieldeutigen Schulterzucken: Er sei schwer zu erzählen, meint er, und er habe ihn bis heute noch nicht recht verstanden. Er brauchte volle zwei Jahre für die Aufbereitung des „Zyklus“ und heute, ja heute, so sein philosophisches und enigmatisches Fazit, höre er dem „Liederkreis“ nur noch zu (dazu wird ein Aquarell an die Wand projiziert, genannt Mondnacht (Nr. 5), das er bereits als 13-jähriger Bub gemalt hat, nachdem er diesen Zyklus wohl erstmals bewusst gehört hat). In seiner magischen Ausstrahlung fühle er sich „eher als Vermittler, denn als Ich“ bei seinen gesanglichen Vorträgen.


Anna Gebhardt (Foto: Website)

Eine Welt öffnen

Anna Gebhardt wiederum betont ihre Liebe zu den Schumann Liedern. Überhaupt nehme Robert Schumann einen besonderen Platz in ihrem pianistischen Repertoire ein. Bei ihm transformiere sich der Liederkreis zu einer Kammermusik, denn das Klavier sei mehr als ein Begleiter, es „eröffnet vielmehr eine eigene Welt“.


Metaphern der Innerlichkeit

Wie üblich geht es jetzt zur Detailanalyse. Dr. Markus Fein konzentriert sich dabei auf die Textzeilen des ersten Gedichts: In der Fremde: „Aus der Heimat hinter den Blitzen rot, da kommen die Wolken her.“ Heimat, Wolken, und später auch Stille, Ruhe und Einsamkeit sind alles Metaphern der Romantik, der Innerlichkeit, der Empfindung , der Achtsamkeit. 

Dr. Fein stellt die Hypothese auf, hier sei die Gefühlswelt von Clara und Robert bereits offenbart. Dem will niemand widersprechen, zumal diese Sammlung ja in der Hoch-Zeit des Paares entstanden ist.


v. l.: Anna Gebhardt, Julian Prégardien, Dr. Markus Fein
(Foto: H.boscaiolo)

Auch das Klavier kommt hier zum Zuge. Es begleitet diese Strophe in der Tonart Fis-Dur mit langsam gespielten Arpeggien, die Partitur ist an der Wand zu sehen, mit extrem dissonanten Passagen. Eine konsonantische Dekomposition der entsprechenden Takte, von Dr. Fein erbeten, verdeutlicht dies für jeden hörbar.


Perle aller Perlen“

Auch handschriftliche Belege aus dem Archiv legt Dr. Fein vor, die das gemeinsame Entstehen des Liederkreises von Clara und Robert dokumentieren. Hier stellt sich wieder einmal das wissenschaftliche Gespür des Moderators heraus. Wozu auch die schriftliche Quelle aus Eichendorffs Hand zum fünften Lied Mondnacht gehört. Eines der bekanntesten, am meisten gespielten und auch am beliebtesten der zwölf Liedgedichte. 

Thomas Mann nannte es „die Perle aller Perlen“ und hob dabei hervor, dass der „Text von der Musik nicht zu trennen“ sei. Auch in diesem Gedicht wimmelt es vor romantischen Metaphern wie Rauschen, Flügel, Nacht, Himmel, Luft und Seele. Ein tief melancholisches Lied in E-Dur, eine Tonart der ewigen Liebe, der überirdischen Verbundenheit.


Wehmut begeistert gesungen

Auch das neunte Lied Wehmut kommt noch zur Besprechung. Die Frage der Interpretation steht jetzt zur Debatte. Schlicht oder Expressiv steht im Raum. Das Duo führt die ersten Takte mal schlicht, mal opernhaft, mal im romantischen Espressivo vor. Alle Möglichkeiten haben ihre Berechtigung, das ist das Fazit des Sängers wie auch der Pianistin. 

Auch das Publikum kommt zu seinem Recht, denn es darf die ersten Takte von Wehmut mitsingen. Das kommt gut an, und wieder einmal (erinnert sei an MoZuluArt am 22.Feb. des Jahres im selben Saal) erweist es sich als Chor mit Auszeichnung.


Volker Gerling (Foto: Hugo Boeker)

Daumenkino – Portraitkino

Der Überraschungsgast ist dieses Mal der Daumenkinograph Volker Gerling (*1968). Ausgebildet in Potsdam-Babelsberg als Kameramann, hat er sehr bald seine Faible für das Daumenkino entdeckt und die Welt in diesem Sinne als Wanderer erkundet und geschätzt, denn, so seine Lebensphilosophie: „Wer wandert begegnet sich selbst.“ Dabei trifft er auf die unterschiedlichsten Menschen, die er in seinen kurzen Filmen verewigt hat.


Gelungene Abwechslung im analytischen Rausch

An diesem Abend zeigt er einige davon und man einigt sich auf das siebente Lied Auf einer Burg (übrigens eine Parodie auf den unerbittlichen Friedrich Wieck, hier als der „alte Ritter“ bezeichnet), das er, begleitet von Anna Gebhardt, mit drei Portraits unterlegt: Der polnische Pilger, Mann auf Hotelzimmer und Frau mit Zopf

Kurze, nur wenige Sekunden dauernde Gesichtsbewegungen der Protagonisten, eindrücklich und psychologisch vieldeutig. Ein Versuch war es wert, mehr auch nicht. Dennoch eine gelungene Abwechslung im analytischen Rausch, die mit einer Wiederholung des Duo Prégardien/Gebhardt von Auf einer Burg endet.


Julian Prégardien, Anna Gebhardt
(Foto: H.boscaiolo)

Viel Unruhe – ausgelassene Heiterkeit

Der zweite Höreindruck von Liederkreis wurde leider durch reges und lautes Abwandern, wie von Handyklingeln und Dauerhusten extrem gestört. Aber, wie immer war diese Interpretation von lockerer Stimmung der beiden Akteure und von einer großen Heiterkeit vor allem im Intermezzo (Nr. 2), Waldgespräch (Nr. 3), Schöne Fremde (Nr. 6), In der Fremde (Nr. 8) und Frühlingsnacht (Nr.12), und von tiefer Innerlichkeit, wie In der Fremde (Nr. 1), Mondnacht (Nr. 5), Wehmut (Nr. 9). Zwielicht (Nr.10 und Im Walde (Nr.11) geprägt.

Ein gelungener Abend, sehr lang wieder einmal, ebenso an die Grenzen der gesanglichen Fitness des super aufgelegten Julian Prégardien gehend, wie souverän von der einfühlsamen und technisch versierten Pianistin Anna Gebhardt gemeistert.




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