Aurora Orchestra unter der Leitung von Nicholas Collon, mit dem Cellisten und Sänger Abel Selaocoe sowie dem Perkussionisten Bernhard Schimpelsberger, Alte Oper Frankfurt, 02.03.2025 (fünftes Sonntags-Abonnementkonzert)
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Nicholas Collon, Aurora Orchestra (Foto: Chris Christodoulou) |
Eine besondere Frankfurter Erstaufführung
Großartige Atmosphäre im restlos ausverkauften großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Abel Selaocoe (*1992) entpuppte sich nicht nur als Meister seines Instruments und seiner Stimme, sondern auch als Entertainer erster Güte, der es von Anfang an verstand, das Publikum in seinen Bann zu ziehen.
Bereits die Begrüßung ein Gedicht zwischen Deklamation und Information. In blumiger Sprache erläuterte er kurz und prägnant die vier Sätze seiner Eigenkomposition Four Spirits für Violoncello/Stimme und Orchester (2023), die in Frankfurt seine Erstaufführung erfahren sollte, um dann gleich mit großer Verve loszulegen.
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Abel Selaocoe, Nicholas Collon (verdeckt) Aurora Orchestra (Safar Baygan) |
Gemisch aus Stilen und Genres
Nicholas Collon (*1983) und das gut 60-köpfige Aurora Orchestra, verstärkt durch drei Perkussionisten, darunter Bernhard Schimpelsberger (*1999), bildeten sozusagen einen Nebenschauplatz bei dieser One-Man-Show.
Selaocoe, eigenen Angaben zufolge im Township Sebokeng, einem Stadtteil von Johannesburg, aufgewachsen, bot mit dieser Eigenkomposition ein Spiegelbild seiner Heimat, aber auch eine glänzende Verbindung von europäischer Klassik, afrikanischer Folklore und einem Gemisch aus Stilen und Genres zwischen amerikanischem Jazz, indischen Rhythmen und barockem Kontrapunkt.
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Abel Selaocoe, Nicholas Collon, Bernhard Schimpelsberger mit Mütze, Aurora Orchestra (Safar Baygan) |
Narrationen und Deklamationen
Sein viersätziges Werk von gut 40 Minuten Dauer begann er mit Tradition, einem Dank an die afrikanischen Schamanen, ein Satz mit treibenden perkussiven Elementen, ausdrucksstarken Kehl- und Obertongesang (Umngqokolo) in unisono Kombination mit dem elektronisch verstärkten Cello, sowie rhythmische Gesangseinlagen des Orchesters, die auch mit begeistertem Klatschen und Stampfen aus dem Publikum goutiert wurden.
Der zweite Satz Kinder (Bana) besteht vorwiegend aus Flageolett Tönen des Instruments, untertönigen (!) vokalen Doppelklängen, Zupfen der Streichinstrumente aus dem Orchester und vor allem einem deklamatorischen und narrativem Gesang von Selaocoe mit großem Stimmumfang und kraftvoller Klarheit, die seinesgleichen sucht. Mitreißend seine Sprache, vermutlich Zulu, und sein schauspielerisches Talent.
Der Übergang zum Gebet (Tshepo) des dritten Satzes ist denn auch eng verknüpft mit dem zweiten, zeichnet sich aber durch einen langen Dialog zwischen Schimpelsberger und Selaocoe aus. Djembe, Zimbeln und Tabla versus Cello und Gesang. Ein Höhepunkt der Komposition.
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Abel Selaocoe, Nicholas Collon, Bernhard Schimpelsberger, Aurora Orchestra (Safar Baygan) |
Ein Choral für alle
Der Schlusssatz, er nennt ihn Wir sind eins (Simunye) richtet sich ans Publikum. In langen Deklamationen, von Bordunen aus dem Orchester untermalt, ruft er „Utsamo“ in den großen Saal, eine Aufforderung zum Mitsingen. Eine einfache Melodiefolge, die zunächst von den Orchestermitgliedern, einschließlich Nicholas Collon, mitgesungen, dann aber immer mehr vom Frankfurter Publikum aufgenommen und skandiert wird.
Der Entertainer ist in seinem Metier. In barocker Cantus-firmus-Manier gelingt es ihm, einen großen Choral der Einheit zu inszenieren, wo die Konzertbesucher tatsächlich zu Akteuren werden.
Der Refrain-Gesang „Malinka Malinkumbae“ (phonetisch gehört) wird von ihm mit gewaltiger Stimme und großer Geste in verschiedenen Gesangs- und Cello-Lagen improvisiert, während das Publikum gemeinsam mit dem Orchester das Ritornell viele Male wiederholt, das aber wirklich in schöner Klangfarbe. Großes Lob auch an die Frankfurter Konzertbesucher.
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Abel Selaocoe (Foto: Website) |
Entertainer, Komponist und Dirigent
Selaocoe strahlt gewaltiges Charisma aus, versteht es prächtig, die Menschen mitzunehmen und zu begeistern, wobei seine Stimme von großer Strahlkraft, sein Spiel auf dem Cello allerdings mehr als Dialog, denn als Soloinstrument verstanden wird. Das perfekte Feeling zwischen dem Solisten, den Perkussionisten sowie dem Aurora Orchestra rundete die Erstaufführung ab. Nicholas Collon wurde tatsächlich lediglich Teil der Orchestermitglieder während Selaocoe das gesamte Geschehen auf der Bühne wie im großen Saal vollständig beherrschte.
Die Zugabe, ein afrikanischer „Bachchoral im Cantus firmus“, ein Gospel ohne Instrumentenbegleitung, ein Malimbo (so die Ansage), wo das Orchester zum Chor und der Cellist zum Gesangssolisten wird, bewies noch einmal die Vielseitigkeit und gesangliche Qualität der Musikerinnen und Musiker (auch Nicholas Collon sang aus voller Seele) und die wunderbare Mischung aus vokaler und instrumentaler Musik.
Selaocoe hat mit diesem Konzert Four Spirits für Violoncello/Gesang und Orchester tatsächlich neue Wege der musikalischen Vermittlung von Afrika und Europa eingeschlagen, die zwar in der Neuen Musik schon lang gang und gäbe, aber in der traditionellen und folkloristischen Musik noch eine Neuheit sind.
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Aurora Orchestra, Nicholas Collon (Safar Baygan) |
Einmalig – Sinfonie ohne Noten
Der zweite Teil des Konzert sollte die Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 (1811/13) von Ludwig van Beethoven (1770-1827) sein. Insofern eine Neuheit, als das Aurora Orchestra (übrigens erst 2005 in London von Nicholas Collon aus der Taufe gehoben) das Werk stehend und vor allem ohne Noten präsentierte.
Ja, so neu ist das nicht, denn bekanntlich praktiziert Teodor Currentzis (*1972), bis 2024 Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters und heute künstlerischer Leiter der MusicAeterna, diese Aufführungspraxis bereits seit vielen Jahren. Aber eine Sinfonie von gut 35 Minuten Dauer und für großes Orchester? Das ist wohl einmalig.
Vielschichtige Vorgeschichte
Die Vorgeschichte dieser Sinfonie, die von Beethoven 1811 begonnen und 1812 beendet, am 08. Dezember 1813 in der Wiener Universität uraufgeführt wurde, ist vielschichtig, oft von den politischen Umständen der Zeit als beherrscht erklärt, aber auch auf einfachste Ursachen zurückzuführen.
So meinte man, sie sei Ausdruck der Vaterlandsliebe in einer Zeit der Napoleonischen Kriege, andere wiederum, wie Carl Maria von Weber bezeichneten sie als „Reif für das Irrenhaus“. Richard Wagner hielt sie gar für die „Apotheose eines Tanzes“, und Beethoven selbst hat sie vermutlich aus unsterblicher Liebe zu Antonie Brentano geschrieben.
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Aurora Orchestra, Nicholas Collon (Safar Baygan) |
Ausgereift und gefällig
Tatsächlich gehört diese Sinfonie neben der Dritten, der Fünften und Neunten, zu Beethovens ausgereiftesten und gefälligsten Werken. Nicht von ungefähr war sie von Anfang an von Erfolg gekrönt und die Kritik war im Allgemeinen überschwänglich. Auch musste das Andante (eigentlich das Allegretto) des zweiten Satzes wiederholt werden, weil es „Kenner und Nichtkenner entzückte“, wie es in der Allgemeinen musikalischen Zeitung im Jahre 1814 heißt.
Tänzerisch – beschwingt – energetisch
Tatsächlich schien sich das Aurora Orchestra und sein musikalischer Leiter, Nicholas Collon, auf das Wagnerisch-Tänzerische zu konzentrieren. Mit knapp 50-Musikern (etwas klein für diese Sinfonie, wie der Autor dieser Zeilen meint) führten sie beschwingt und energetisch durch die Sätze. Auch der zweite Satz, das Allegretto wurde sehr flott kredenzt, wobei man sich einige klarere Akzentuierungen und Pointen gewünscht hätte.
Das fünfteilige Scherzo des dritten Satzes im Presto, urplötzlich unterbrochen von den beiden Trios mit Hörner- und Trompeten-Fanfaren, wurde von Robert Schumann zu recht so beschrieben: „Man sieht den Komponisten ordentlich die Feder wegwerfen.“
Blitzendes Feuerwerk – rasendes Rauschen
Das abschließende Allegro con brio wurde hier zu einem stürmischen Presto. Mit rasender Volte ging es zu. Hier scheint tatsächlich Carl Maria von Weber recht zu behalten, wenn er von: „Reif fürs Irrenhaus!“ poltert.
Ein energetisches Feuerwerk wurde abgebrannt, ein rasendes Rauschen durch den Saal veranstaltet, das beim Schlussakkord zu Jubelausbrüchen führte. Wie hieß es doch in den ersten Kritiken nach der Uraufführung: „Die Jubelausbrüche während der A-Dur Sinfonie … übertrafen alles, was man bis dahin im Konzert erlebt hatte.“ Ähnlich war auch im großen Saal der Alten Oper Frankfurt zu erleben.
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Nicholas Collon (Header Large) |
Experiment bleibt Experiment
Die Zugabe sollte ein Experiment sein. Collon verteilte das Aurora Orchestra im Saal und ließ die letzten Takte des Finales noch einmal „abbrennen“. Hier allerdings ging die Kompaktheit verloren. Man hörte lediglich die Instrumente in der Nähe oder unmittelbar neben sich. Na ja, ein schöner Versuch, der mit Freude goutiert wurde.
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