Orchestre de Paris – Philharmonie, musikalischer Leiter: Klaus Mäkelä, Alte Oper Frankfurt, 07.03.2025 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)
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Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris (Foto: Mathias Benuigui) |
Führendes Sinfonieorchester Frankreichs
Das Orchestre de Paris – Philharmonie gehört zweifelsohne zum führenden Sinfonieorchester Frankreichs und hat in seiner gut 50-jährigen Geschichte zehn der renommiertesten Dirigenten der Welt beherbergt, darunter Herbert von Karajan, Christoph von Dohnanyi, Christoph Eschenbach und Daniel Barenboim. Ihr elfter ist Klaus Mäkelä (*1996) und das bereits seit vier Jahren. Blutjung und dennoch schon mit Preisen und internationaler Anerkennung überhäuft.
Zum Konzert im sehr gut besetzten großen Saal der Alten Oper Frankfurt (in dieser Formation war das Orchester mit seinem Dirigenten zum ersten Mal in Frankfurt vertreten) hatten sie anlässlich des 150. Geburtstags von Maurice Ravel (1875-1937) zwei seiner Werke mitgebracht, nämlich dessen Suite Ma Mère L´oye (1908/1910/1911), und dessen Orchesterbearbeitung von Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung aus dem Jahre 1922. Dazu Igor Strawinskys (1882-1971) Orchestersuite Petruschka in der Fassung von 1947.
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Klaus Mäkelä (Foto: Andreas Etter/Pro Arte) |
Kindlich und geistreich
Gleich zu Beginn des Konzerts Ravels Ma Mère L´oye (übersetzt: Mutter Gans), eine vierteilige Kinderfantasie im Stile von Robert Schumanns Kinderszenen oder auch Claude Debussys
Children´s Corner. Bekanntlich war Ravel sehr Kinderlieb, man bescheinigte ihm sogar, ein kindliches Gemüt zu haben. Tatsächlich komponierte er die Stücke in den Jahren 1908 und 1910 für die Kinder seiner befreundeten Familie Godebski, Mimi und Jean, und orchestrierte das vierhändige Klavierstück im Jahre 1911 für Orchester (Uraufführung am 28.Jan. im Pariser Théâtre des Arts), das gleich von großem Erfolg gekrönt wurde.
Kindlich und geistreich sind die Schlüsselbegriffe für diese fast 20-minütige fünfteilige Märchenerzählung über Dornröschen, Däumling, die Kaiserin von den Pagoden, die Schöne und das Biest sowie der Feengarten.
Eine Klangorgie
Unglaublich einfühlsam, lyrisch und melodisch agierte das 119-köpfige Orchestre de Paris unter der eleganten Führung ihres Dirigenten Klaus Mäkelä. Herrliche Akzentuierungen durch perkussive Einschübe von Glockenspiel, Xylophon, Harfe, Triangel und Trommel, traumhafte Dynamik zwischen pianissimo und mezzoforte, nie aufdringlich oder zu laut, sondern immer spannungsgeladen und - irgendwie nicht von dieser Welt. Eine Klangorgie par excellence.
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Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris (Foto: Andreas Etter/Pro Arte) |
Zwischen Tragik und Entsetzen
Igor Strawinskys Petruschka sollte einen direkten Kontrast dazu abbilden. Zwei Jahre vor seinem legendären Skandalwerk Le Sacre du Printemps hatte er mit Petruschka allerdings einen Coup gelandet, der ihn in die Schlagzeilen der Pariser Kulturwelt brachte. Sein Kontakt zum bereits weltberühmten Impresario Sergei Diagilew, der Begründer des Ballet Russe, verschaffte ihm das Auftragswerk für dessen Kompanie.
Strawinsky schwebte dabei die Geschichte des russischen Kaspers Petruschka vor, eine Puppe, begleitet von einer Ballerina und einem Mohren, die durch einen bösartigen Gaukler zum Leben erweckt, ein tragisches Schicksal erleiden. Petruschka wird nach einem Liebesdrama erschlagen. Aber weil er eine Puppe, eine Marionette in der Hand des Gauklers ist, hält sich das Entsetzen in Grenzen.
Buntes Treiben und Charakterbeschreibung
Wie gesagt, ursprünglich eine Ballettmusik nach dem Libretto vom damals berühmten Maler und Literaten, Alexander Benois (1870-1960), überarbeitete Strawinsky seinen ursprünglichen Entwurf für Orchester und Klavier von 1911 noch einmal gründlich im Jahre 1947, dessen Fassung am heutigen Konzertabend vorgestellt wurde.
Strawinsky unterteilt das Werk in vier Episoden oder Bilder, dem Marktgetümmel, dem Geschehen bei Petruschka, dem Geschehen bei dem Mohren und abschließend der Wiederaufnahme des Marktgetümmels.
Das Werk changiert zwischen buntem Treiben und Charakterbeschreibungen. Dabei wechselt der Komponist geschickt zwischen Stimmengewirr durch heftige Tremoli und folkloristische Intermezzi mit Zitaten aus russischen Volksliedern.
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Klaus Mäkelä (Foto: Website) |
Armer Petruschka – glanzvolle Interpretation
Die einzelnen Figuren, wie der Gaukler (Chromatik, Klavier), der Mohr (ostinate Rhythmen), die Ballerina (mit Snaredrums und Trommeluntermalung) sowie Petruschka (mit ausnehmender Lyrik von Geige und Klarinette), sind aus der collagierten Anlage des Stücks stets herauszuhören und vermischen sich mit dem Tuttiklang des Orchesters.
Herauszuheben dabei das Piano solo von Nicolai Maslenko im Mittelteil und die wunderbaren Zwischenkadenzen des Konzertmeisters Nikola Nikolov. Aber auch die einzelnen Gruppen des Orchesters, vor allem die Bleche und Perkussionisten, glänzten durch perfekte Präsenz und prickelnde metrische Nuancierung.
Die Stille kurz vor dem dramatischen Ende lässt noch einmal Petruschka in dem Mittelpunkt rücken. Mit gedämpften Trompetenfanfaren und klangvollem Streicher zupfen wird sie im Morendo langsam in ihre Marionettenzelle getragen. Arme Petruschka, aber glanzvolle Interpretation.
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Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris (Foto: Andreas Etter/Pro Arte) |
Gleißende Farbenpracht
Wer glaubte, die abschließenden Bilder einer Ausstellung in der Bearbeitung für Orchester von Maurice Ravel wären etwas zum Zurücklehnen und Genießen, der war getäuscht. Die elf Bilder, ursprünglich bezogen auf die Galerie des 1873 verstorbenen Malers und Freundes von Modest Mussorgsky (1839-1881), Wiktor Alexandrowitsch Hartmann (1834-1873), gerieten zu einer gleißenden Farbenpracht.
Bekanntlich bearbeitete Ravel diese fiktive Ausstellung nicht alleine für Orchester. Auch Nikolai Rimski-Korsakow gehörte dazu. Ebenfalls bearbeiteten die Urfassung für Klavier von 1874 auch die berühmte Pop-Gruppe Emerson, Lake und Palmer, der Gitarrist Kazuhito Yamashita und viele andere Künstler.
Diese Version allerdings gehört zu den besten und weltweit anerkanntesten. Sie ist ein Durchgang durch die unterschiedlichsten Gemälde, meist unterbrochen durch eine Promenade (dem Leitthema), gedacht als Wechsel von einem zum anderen Gemälde.
Spieltechnische Herausforderung
Musikalisch promeniert der Galeriebesucher durch das Eingangstor mit Trompeten und Streicherbegleitung, um dann beim ersten Bild, dem Gnomus halt zu machen. Ein missgestalteter Zwerg ringt um sein Gleichgewicht, hinkt, zappelt, macht wahnwitzige Sprünge und entschwindet nach einer Generalpause im Zickzacklauf aus der Szene. Eines der schwierigsten zu beschreibenden Bildern, aber eine exorbitante musikalische Umsetzung. Die Schlusspassage, velocissimo, eine spieltechnische Herausforderung, die das Orchester mit Bravour erledigte.
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Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris (Foto: Andreas Etter/Pro Arte) |
Vom Teufelsintervall zur Apotheose
Wie gesagt, mit variativen Promenaden geht es von Bild zu Bild: Mal das Alte Schloss, dann der Park der Tuilerien, der Ochsenkarren, das Ballett der Küken bis zum Höhepunkt, das Bild der Baba Jaga, der Hexe in der russischen Volkssage. Ein verwegener Ritt auf dem Besen mit wuchtigem Stampfen und gefährlichen Lockrufen. Das Teufelsintervall, der Tritonus, dominiert den gewaltigen Schluss, um dann das große Tor von Kiew zu öffnen.
Zunächst gedämpfte Glockenklänge vom Glockenturm, dann oktavierte Tonleitern und eingeschobene Episoden eines Choralsatzes. Die Glockenklänge werden lauter, das Geschehen lärmender. Alles endet in einer Apotheose des Hauptthemas, dem Promenadenthema, und das mit ohrenbetäubender Lautstärke. Eine Offenbarung wie die Fanfaren von Jericho.
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Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris (Foto: Andreas Etter/Pro Arte) |
Zwei Stunden höchste Kunst
Der Beifall wollte kein Ende nehmen, aber Klaus Mäkelä und sein Orchestre de Paris – Philharmonie waren standhaft. Gut zwei Stunden höchste Kunst an den Instrumenten wie am Pult. Das sollte für den Konzertabend genügen. Aber man fragt sich, wieso es so lange brauchte, bis dieses Orchester in Frankfurt ankam. Man wünscht sich einfach mehr von ihm.
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