Samstag, 1. März 2025

Mitsuko Uchida, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 28.02.2025

Mitsuko Uchida (Foto: c.justin_pumfrey)

Das Vermächtnis

Fünf Jahre liegen zwischen Mitsuko Uchidas (*1948) letztem Auftritt in der Alten Oper, wo sie drei der späten Sonaten von Franz Schubert (1797-1828) zum Besten gab, allerdings ohne die 21ste und Letzte, die B-Dur Sonate (D 960), Schuberts großes Vermächtnis, das den Abschluss des Klavierabends bilden sollte.

Mitgebracht hatte sie außerdem Ludwig von Beethovens (1770-1827) Klaviersonate e-Moll op. 90 (1814), Arnold Schönbergs (1874-1951) Drei Klavierstücke op.11 (1909) sowie György Kurtágs Miniatur (*1926) Martá Ligaturaja (2020).


Eine Erscheinung

Mitsuko Uchida ist eine Erscheinung. In einem dezenten schwarzen Hosenanzug mit weißer Schärpe um die Hüften gebunden, groß und schlank und offenem grau melierten Haar, gelang es ihr bereits ohne Ton, den vollbesetzten Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt in ihren Bann zu ziehen. Völlige Stille vor dem ersten Anschlag von Beethovens op. 90. Eine zunächst energische Akkordfolge im forte, die ins piano wechselt und nach 16 Takten melodiös im pianissimo das Seitenthema einleitet.

Beethoven, das sei an dieser Stelle bemerkt, hat diesen Satz, wie die gesamte Sonate erstmals mit deutschen Satzbezeichnungen belegt, und verlangt vom Interpreten „Lebhaftigkeit mit Empfindung und Ausdruck“, ein schier unlösbares Problem möchte man meinen. Mitsuko Uchida löste diesen Spagat durch extrem lyrische wie auch aggressive Passagen, womit sie den Beethovenschen Geist bestens traf.


Mitsuko Uchida (Foto: Richard Avedon)

Ein respektables Werk

Hatte der Meister doch diese zweisätzige Sonate eher aus finanziellen Gründen geschrieben, denn sein Neffe Karl, der Sohn seines verstorbenen Bruders Kaspar Anton Karl, den er bei sich aufnahm, hatte beim Verleger Sigmund Anton Steiner Schulden hinterlassen, die Beethoven als dessen Bürge nach Gerichtsbeschluss durch eine neue Klaviersonate abbezahlen musste. Daraus entstand das op. 90. Mit neuem Ton zwar, aber nach Abschluss seiner Oper Fidelio, der Ouvertüre Wellingtons Sieg und seiner Popularität, ein durchaus respektables Werk (er widmete es übrigens seinem Freund und Gönner Moritz Graf von Lichnowsky) von gerade einmal 13 Minuten Dauer.


Ende, einfach so

Der zweite Satz, überschrieben mit „nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen“ ist ein Gemisch aus Rondo und Sonatensatz, sehr kantabel – man könnte auch von einer Volksweise sprechen – und wird von daher gerne mit dem Stil Schuberts verglichen.

Mitsuko Uchida spielte ihn in mäßigem Tempo, aber mit großer Empfindungskraft. Die Übergänge zum Seitenthema, die triolischen Passagen, der ausgedehnte Mittelteil voller Modulationen in entfernte Tonarten, all das kulminierte in der Schlusscoda, die nach einem rezitativischen dolce noch einmal das Thema aufgreift, aber mit auf- und absteigenden Skalenfiguren im accelerando „einfach so sein Ende“ (Siegfried Mauser) im pianissimo findet.


Mitsuko Uchida (Foto: H.boscaiolo)

Eher auf Popularität abgezielt

Mitsuko Uchida war hier ganz in ihrem Element, wenn auch Beethoven mit dieser Komposition wohl eher auf die Popularität abzielte, und den allgemeinen Geschmack des Publikums erfüllen wollte, als seinem expressionistischen, widersprüchlichen Charakter der folgenden Opuszahlen (man denke an die Hammerklaviersonate, op.106 und seine op.109 bis op.111 aus den 1820er Jahren) gerecht zu werden.


Die Consonanz von morgen“

Arnold Schönberg war bekanntlich ein großer Beethoven Bewunderer. Sein musikalischer und kompositorischer Werdegang ist allerdings weniger von Popularität als von großen Widerständen seines Umfeldes begleitet. Waren seine ersten Werke noch vom spätromantischem Duktus in der Nachfolge von Richard Wagner und Johannes Brahms beseelt (auch Beethovens Einfluss ist nicht zu vergessen), so sucht er zu Beginn des neuen Jahrhunderts neue Wege des musikalischen Ausdrucks. Dazu gehören die Drei Klavierstücke op.11, die er im Jahre 1909 erstellt, und die das Publikum eher abstößt als begeistert.

So soll sich das Publikum bei der Uraufführung in Wien im Jahre 1910 „pöbelhaft benommen“ und die „Aufführung verunmöglicht“ haben. Anderseits lobte der Maler Wassily Kandinsky, der die Aufführung 1911 in München erlebte, die drei Klavierstücke über den Klee und verglich sie mit seiner abstrakten Malerei: „Die heutige malerische und musikalische Dissonanz ist nichts als die Consonanz von morgen.“ (aus dem Programm)


Mitsuko Uchida (Foto: H.boscaiolo)

Disharmonie in Konsonanz verwandelt

Mitsuko Uchida verstand es, die drei in sich abgeschlossenen Teile, die Schönberg kurz mit mäßig – mäßige Achtel – bewegt übertitelt, durch pointierte Suche nach motivischen Linien und extremen dynamischen wie metrischen Differenzierungen zu einem spannenden Narrativ zu verwandeln. Die Stücke unterscheiden sich zwar durch fragmentierte motivische Linien im ersten, Triller und rhythmische Quarten im zweiten sowie bewegte Akkordfolgen im dritten Stück, aber daraus eine expressive, ausdrucksstarke und transparente Interpretation zu zaubern, dass muss als Verdienst der Pianistin gewertet werden. 

Hier zeigte die sonst doch eher an Mozart und Schubert orientierte Künstlerin ihre Meisterschaft, die scheinbare Formlosigkeit und Disharmonie in die sprichwörtliche Consonanz, im Sinne Kandinskys, zu transformieren. Chapeau an die Dame Commander of the British Empire.


Mitsuko Uchida (Foto: H.boscaiolo)

Himmlisches Gebet

Über György Kurtág (*1926), ja, Sie haben richtig gelesen, gibt es einem Menge zu schreiben. Sein Leben lang stand er im Schatten der großen Ungarn, wie György Ligeti, Peter Eötvös und Béla Bartók. Aber sein Oeuvre ist gewaltig, seine Klaviermusik hinreißend und seine Präsenz inspirierend. Kurtág komponierte seit 1973 unzählige kleine Stücke, die unter dem Sammelnamen Játétok (Spiele) veröffentlicht wurden. Darunter zählt auch die Miniatur Martá Ligaturája, eine Hommage an seine im Jahre 2019 verstorbene Frau Martá.


Seine persönlichste Sonate

Eine dreiminütige Ode, ein himmlisches Gebet, das Mitsuko Uchida mit größte Hingabe vorstellte. Ohne Pause, quasi attaca wechselte sie in Schuberts letzte vielleicht persönlichste Sonate, die Robert Schumann dort angesiedelt sah „wo die Phantasie durch das traurigste Allerletzte nun einmal von dem Gedanken des nahen Scheidens erfüllt ist.“ Das viersätzige Werk gehört tatsächlich zur Krone des Schubertschen Klavierschaffens und ist durchaus mit den späten Sonaten Beethovens vergleichbar. Mit dem Unterschied, dass Schubert die Uraufführung seiner letzten Sonaten nie erleben durfte, da sie erst 10 Jahre nach seinem Tod zur Aufführung kamen.


Sonderapplaus – nicht goutiert

Mitsuko Uchida spielte den ersten Satz, das Molto moderato, nicht allzu flott, dazu sehr klang betont mit expressiver Attitüde. Allerdings fehlten den Triolischen- und Sechzehntel-Passagen ein wenig die perlende Geschmeidigkeit, dafür viel Pedal und nicht immer klare Tonfolgen.

Dagegen glänzte das Andante des zweiten Satzes durch wunderschöne Farbfindung. Allerdings sehr getragen mit langen Bögen, aber eher im Adagio. Das Zwischenspiel in E-Dur, ein neues Thema mit Sechszehntel Begleitung gelingt ihr lebendig und ausdrucksstark. Zurück im A-Dur lässt sie das Andante im dreifach piano und Ges-Dur ausklingen. Ein einmaliges Erlebnis, das sogar Sonderapplaus provozierte, was der Pianistin allerdings so gar nicht passte. Kurze Pause, ein missmutiges Gesicht und weiter zum Scherzo des dritten Satzes.

Mitsuko Uchida (Foto: H.boscaiolo)

Irgendwie aus der Bahn geraten

Das Allegro vivace con delicatezza spielte sie äußerst schnell, kleine Fehler schlichen sich ein und man wurde den Eindruck innerer Aufgewühlt der Interpretin nicht los. Hektisch beendete sie es, um ins Finale, das Allegro ma non troppo einzusteigen. Hier wurde ihr das Seitenthema zum ersten Verhängnis. Sie spielte es flüchtig und ohne Akzentuierung, um dann zu Beginn der Durchführung, bei den punktierten Akkorden, völlig daneben zu greifen. Der weitere Verlauf ließ nichts gutes erahnen. Mitsuko Uchida war irgendwie aus der Bahn geraten.

Die Reprise schien sie wieder zu beherrschen, aber auch hier griff sie bei den akkordischen Raketen völlig daneben, traf zeitweise die Sechzehntel Arpeggien nicht und kam bis zum abschließenden Presto nicht mehr in ihren Flow. Sehr, sehr schade.

Mitsuko Uchida (Foto: header_large)

Ein Mensch ist ein Mensch

Mitsuko Uchida ist auch nur ein Mensch. Der Beifall war überschwänglich, die meisten Zuhörer hatten wohl nichts gehört, aber sie war nicht gerade glücklich. Sie gab keine Zugabe, was eigentlich nicht ihrem Naturell entspricht. Ich denke, das wirklich störende Zwischen-Klatschen einiger Unverbesserlichen hat sie gänzlich aus der Bahn geworfen.

Es war dennoch ein sehr lohnender Abend. Vor allem die Drei Klavierstücke op.11 von Arnold Schönberg und Kurtágs Hommage an seine verstorbene Frau Martá haben restlos überzeugt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen