Freitag, 28. März 2025

In C, Tanzperformanz von tanzmainz und Sasha Waltz & Guests mit der gleichnamigen Musik von Terry Riley (*1935), Staatstheater Mainz, 27.03.2025 (zweite Premiere)

In CSasha Waltz & Guests, 
Probe (Foto: Yanina Isla)

Minimal Music als Gegenthese

In C (1964), ein bahnbrechendes Minimalwerk vom Terry Riley (*1935), eine Art Gegenthese zur komplexen, damals bereits postseriellen Musik der westeuropäischen Avantgarde, man denke an Pierre Boulez, György Ligeti, Luigi Nono, oder Karlheinz Stockhausen, um nur einige zu nennen, die allerdings in der europäischen Szene zunächst gar nicht gut ankam und viele Jahre sehr umstritten blieb.

Ihre ständigen rhythmischen, harmonischen und melodischen Wiederholungen, ihre einfachsten tonalen Strukturen, waren alles andere als erstrebenswerte musikalische Ziele, die man damals anstrebte. Mit ihren Nachfolgern wie Steve Reich (*1936) und Philip Glass (*1937) gehört dieser Musikstil allerdings heute zu einem der beliebtesten und hat sich durchaus auch publikumswirksam entwickelt. Man denke an die erfolgreichen Opern von Philip Glass oder auch Music for 18 Musicians von Steve Reich.


In CSasha Waltz & Guests,
Probe (Foto: Yanina Isla)

Polyphones Wechselspiel

Interessant an In C (erstmals 1969 auf den Internationalen Darmstädter Ferienkursen aufgeführt) sind vor allem die Angaben des Komponisten zu diesem Werk. So soll es zwischen 15 und 90 Minuten dauern, von 11 bis 35 Instrumentalisten gespielt werden (es wurde aber auch schon mit mehr als einhundert aufgeführt, z. B. 2006 in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles).

Dann besteht es aus 53 nummerierten Phrasen, wobei jede Phrase beliebig oft wiederholt werden kann. Die Spieler dürfen allerdings nicht weiter als drei Phrasen voneinander abweichen. Das gemeinsame Metrum ist ein durchgehend repetierter, fast aggressiver, Achtelpuls von gut 200 Beats pro Minute.

In C nennt sich das Werk deshalb, weil dieser Achtelpuls durchweg auf c gespielt wird. Drumherum aber bilden sich Motive in Sekund-, Terz-, Quart- und Quint-folgen. Auch Modulationen nach F- oder G-Dur sind vorgesehen, was auch das Werk in mehrere Abschnitte aufteilt.

Für den Hörer sind vor allem das polyphone Wechselspiel und die rhythmischen Verschiebungen interessant zu hören. Allerdings treten bei einer 90-minütigen Aufführungen dann doch einige Längen auf, wie bei der gestrigen Vorstellung geschehen.


In CSasha Waltz & Guests,
Probe (Foto: Yanina Isla)

Eine demokratische Partitur

Sasha Waltz hat sich in ihrer Choreographie, eigenen Aussagen zufolge, gerade für dieses Werk entschieden, weil die 53 Phrasen genuin eine tänzerische Struktur vorgeben. So sind es 53 Figuren, die sie mit ihrer eigenen Compagnie und Mitgliedern der tanzmainz einstudierte, und das in kaum drei Wochen. Sie hält die Partitur für eine demokratische, da sie den Akteuren viele Freiheiten lasse. 

Sie bezeichnet es als „strukturierte Improvisation“, die ihrer Vorstellung, der Verbindung von individuellem Tanz und Kollaboration, sehr nahe komme. Es gehe ihr darum, meint sie, „sich aufeinander einzulassen und als Kollektiv zu wachsen“. Ein demokratisches Abbild der postmodernen Gesellschaft.


In CSasha Waltz & Guests,
Probe (Foto: Sebastian Bolesch)

Modularer Baukasten

So bestand das Training, entsprechend der Aussage des Tanzdirektors, Honne Dohrmann, vor allem darin, gemeinsam mit der Choreographin leicht erlernbare Bewegungsmuster zu entwickeln, ohne große regulative Vorgaben und mit erwartbaren improvisatorischen Entwicklungen der Tänzer während der Tanzvorstellung. Folglich entsteht keine fertige Choreographie, sondern eher ein „modularer Baukasten“, der eigene Entscheidungen der Tänzer voraussetzt, oder zumindest erwartet.

In diesem Sinne ist somit jeder Auftritt des Balletts eine Uraufführung.


In CSasha Waltz & Guests (Foto: H.boscaiolo)

Zwischen Chaos und Struktur

Der Abend im vollbesetzten großen Saal des Staatstheaters Mainz startet tonlos. Vor einer tief roten Kulissenwand erscheinen 24 Schattengestalten auf der Bühne, die unterschiedlichste Formationen bilden, mal gehend, mal laufend. 

Ein scheinbar chaotisches Gewimmel, das sich nach gut fünf Minuten aufteilt in 11 Musikerinnen und Musiker und in 13 Tänzerinnen und Tänzer, davon vier Männer und neun Frauen.

Dann hört man den berühmt berüchtigten C-Dur Akkord mit Betonung auf dem Ton e, der sich die ersten 13 Phrasen fortspinnt und mikrotonal entwickelt. Dazu bewegen sich die Tänzer in einfachen, ganz individuellen fließenden Bewegungsmustern, bilden kleinere oder größere Gruppen, gehen auseinander und entfernen sich in eigenen, individuellen Tanzschritten. Alles scheint sich zu chaotisieren, bis sich die Musik neu strukturiert.


In C, Sasha Waltz & Guests (Foto: H.boscaiolo)

Angepasst an die minimalistische Grundstimmung

Ab Phrase 14 ff. wird in G-Dur moduliert. Die Gruppe findet sich neu und erfindet gleichzeitig neue Bewegungsmuster in zunächst absoluter Synchronizität. Man hüpft, geht in die Knie oder kreiert Ausfallschritte, alles irgendwie bekannt aus der Turngymnastik, oder aus der klassischen Ballettausbildung. 

Hier seien die Kostüme (Jasmin Lepore) und das Lichtdesign (Olaf Danilsen) erwähnt. Einfache, sportlich legere und farblich unaufdringliche Hosen und T-Shirts und ebensolche Farbwechsel des Bühnenhintergrunds. Alles sinnvoll angepasst an die minimalistische Grundstimmung der Musik und des Tanzes.

Noch zweimal finden sich die Tänzer in Phrase 25 und 48 zusammen, um sich zunächst synchron und dann individuell, improvisierend der neuen Situation zu stellen. Auch treten die einzelnen Instrumente des Ensembles, wie Klarinette, Flöte, Fagott, Trompete und E-Gitarre immer deutlicher hervor. 

Sampler und overdub-Technik kommen zum Einsatz, wie auch das präparierte Klavier, das vom musikalischen Leiter des Philharmonischen Staatstheaters Mainz, Michael Millard, bedient wird.


In C, alle Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne
(Foto: H.boscaiolo)

Endlose Wiederholungen

Nach dem vierten Phrasen-Abschnitt wird es sogar liedhaft. Gesang und Rufe kommen aus dem Sampler und der Schlusshöhepunkt scheint sich einzuleiten. Das alles nach ca. 65 Minuten.

Aber nein. Es geht noch gute zwanzig Minuten weiter. Jetzt dominiert ein Dreiklang mit dem pochenden Grundton c, aber auf f, g und b (ein G-Septakkord), von den einzelnen Instrumenten, wie auch der Geige, dem Kontrabass und den Blasinstrumenten endlos wiederholt, wobei auch den Tänzern die Einfälle auszugehen scheinen.


In C, alle Akteure auf der Bühne
(Foto: H.boscaiolo)

Offenheit und Dialog – keine Phraseologie

Hier wird das Dilemma der Minimal Music wie auch dieser Choreographie deutlich: zu lang und kreiselnd im immer gleichen Muster. 

In C hat zwar keine bestimmte Längenvorgabe, aber die vorgesehenen 70 Minuten hätten wunderbar ausgereicht, zumal die Bewegungen der Tänzer insgesamt doch limitiert waren (Prinzip: leicht erlernbar und das in knappen drei Wochen).

Es wiederholte sich viel und die hehre philosophische Absicht der Choreographin, Sasha Waltz, die auch für Konzept, Licht und Dramaturgie (Jochen Sandig) verantwortlich zeichnete, drohte etwas zu zerfließen. 

„Offenheit und Dialog“ sind gerade heute besonders angesagt, wie die mit vielfachen Auszeichnungen und Ehrungen versehene Erfolgschoreographin immer wieder herausstreicht. Aber doch nicht im ewigen Einerlei und endloser Phraseologie?! könnte die Antwort lauten.

Dennoch ist es ein großes Verdienst der Choreographin, diese in der Corona Katastrophe im Jahre 2021 im Radialsystem V Berlin (der Sitz ihrer 1993 gegründeten Compagnie, Sasha Waltz & Guests) zumindest im Livestream zur Uraufführung brachte und zu einem der bekanntesten und beliebtesten ihrer Werke werden ließ. Ebenso war der Beifall des Publikums nach dieser Vorstellung herzlich und überschwänglich. 

Nächste Vorstellungen im Rahmen des tanzmainz Festivals # 5, noch bis zum 05. April: sehr zu empfehlen.




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