Dienstag, 18. März 2025

Pierre-Laurent Aimard, Klavierrezital, Alte Oper Frankfurt, 17.03.2025

Pierre-Laurent Aimard (Foto: Marco Borggreve)

Zwischen Verblüffung und Begeisterung

Vielen Gästen ist noch das Konzert des hr-Sinfonieorchesters am 24. Januar dieses Jahres zum 100. Geburtstag von Pierre Boulez und zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel in bester Erinnerung, wo Pierre-Laurent Aimard Douze Notations pour piano e pour orchestre von Pierre Boulez sowie Miroirs von Maurice Ravel vorstellte. Zwei bahnbrechende Werke der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, und das mit Bravour.

Zum heutigen Klavierrezital hatte er sich ein Programm zwischen Miniaturen, Versuchen, Experimenten und einfach spontan Dahingeworfenem wie Improvisiertem ausgedacht, mit dem er den voll besetzten Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt teilweise verblüffte und einige sogar zu begeisterten Zwischenrufen anregte.


Ungewöhnliches Programm

Was war es, was er mitbrachte: 

Die letzten sechs Bagatellen op. 126 (1824) von Ludwig van Beethoven (1770-1827), eine Art Reminiszenz an seine späten Sonaten, Arnold Schönbergs (1874-1951) Fünf Klavierstücke op. 23 (1920-23), eine Versuchsreihe die schließlich in einem zwölftönigen Walzer endet, Robert Schumanns (1810-1856) Gesänge der Frühe op.133 (1853), ein Klavierzyklus, entstanden in drei Tagen als Reaktion auf die Bekanntschaft mit Johannes Brahms im schicksalshaften Düsseldorf und wenige Monate vor seinem endgültigen Zusammenbruch, sowie eine Kontrastübung zwischen Franz Schuberts (1797-1828) gesammelten Walzern und Ländlern, davon 33 aus D145, D146, D365, D 734, D 779, D. 783 und D 790, und György Kurtágs (*1926) Játékok-Sammlung (1973-2017), ein work in progress, daraus in Kombination 11 Miniaturen.


Pierre-Laurent Aimard (Foto: Julia Wesely)

Schwer zusammenzuhalten

Eine riesige Auswahl, die schwer zusammenzuhalten und auch nur über vorhandene Notenblätter zu bewältigen war. Pierre-Laurent Aimard (*1957), wie immer in schwarz gekleidet, begann mit den Beethovenschen sechs Bagatellen, die so gar nicht als dahingeworfene Kleinigkeiten zu verstehen sind. 

Vieles in ihnen weist Ähnlichkeiten mit den späten Klaviersonaten auf, wie beispielsweise die eins, Andante con moto, mit der Sonate op.101 und die drei, Andante cantabile e espressivo, mit der Hammerklaviersonate, op. 106. Nein, sie sind wirklich eine Herausforderung für den Pianisten und das verstand er durchaus auch zu vermitteln.

An dieser Stelle sei vermerkt, dass er auf einem eigenen, mitgebrachten Steinway Flügel, Baujahr 1954/56, spielte, ein Flügel, mit dem bereits so legendäre Pianisten wie Emil Gilels und Swjatoslaw Richter auftraten. Ein Flügel, warm im Klang und sehr raumfüllend, gewaltig im Bass und leicht im Diskant.


Durchbruch der Dodekaphonie

Meister ist Aimard allemal bei zeitgenössischen und modernen Partituren, wozu selbstverständlich die Fünf Klavierstücke Schönbergs gehören. Er entwickelte die relativ kurzen Stücke in den Jahren 1920 bis 1923 und nannte sie zu Recht „Versuche“. Dazu er selbst: „Im Gegensatz zu der üblichen Art ... verwendete ich es schon fast in der Art einer Grundreihe von zwölf Tönen.“ (hervorgehoben von Schönberg).

Tatsächlich sind die ersten vier Stücke thematisch strukturiert und eher noch atonal und frei tonal konnotiert. Unterteilt sind sie in sehr langsam, sehr rasch, langsam und schwungvoll.

Aimard verstand es, die Kontraste, Motive und die komplexen Tonhöhenkonstellationen sehr transparent und mit ausgesprochener Expressivität vorzutragen.

Der Walzer allerdings, das fünfte Stück ist rein zwölftonig verfasst. Hier versucht Schönberg erstmals, die zwölftönige Grundreihe, allerdings in der musikalischen Form des Walzers, konsequent durchzuhalten. Das gelingt ihm zwar, nicht von ungefähr zählt dieser Walzer als Durchbruch der Dodekaphonie, aber dennoch fällt er spröde, streng und als Walzer kaum erkennbar aus. 

Aimard allerdings macht daraus den kongenialen Versuch, Innovation und Tradition miteinander zu verknüpfen. Man spürt regelrecht seine tiefe Verbundenheit mit der Neuen Musik und der Zweiten Wiener Schule.


Pierre-Laurent Aimard (Foto: H.boscaiolo)

Eher Brahms als Schumann

Entspannend dann Robert Schumanns Gesänge der Frühe. Alles andere als das. Schumann schrieb sie in knapp drei Tagen, im Oktober 1853. Noch verblieb er im gehassten Düsseldorf, wo er keine Anerkennung fand, und lernte den jungen, aufstrebenden Johannes Brahms kennen, dessen Kompositionsstil ihm sehr zusagte, und worauf er seine fünf Klavierstücke Gesänge der Frühe offensichtlich bezog. Denn man war in jedem der Gesänge eher an Brahms als an Schumann erinnert.

Aimard spielte sie orchestral, majestätisch und mitunter im Stil eines Chorals, aber auch lebhaft, im Galopp wie im dritten Lied. Irgendwie aber ist bereits die tiefe Resignation und Depression in diesen Stücken herauszuhören, die Schumanns Frau Clara zu der Aussage nötigte, die Stücke seien „schwer aufzufassen“. Im Klartext: Sie konnte wohl nichts damit anfangen.

Tatsächlich sind sie gewöhnungsbedürftig, sehr melancholisch und schmucklos. Wenige Monate später wird Schumann in die Psychiatrie in Endenich bei Bonn eingewiesen.


Kontrastreich – umfangreich

Der zweite Abschnitt des Rezitals versprach ein kontrastreiches Programm, zumal Pierre-Laurent Aimard sich hier sehr viel vorgenommen hatte. Quantitativ, stilistisch und musikalisch.

Er kombinierte aus den insgesamt mehr als 500 bekannten Tänzen Franz Schuberts, 33 Walzer und Ländler aus dem Deutschverzeichnis 145, 146, 365, 734, 779, 783, 790 mit 11 Miniaturen, genannt Játékok (übersetzt: Spiele), von György Kurtag, die er in neun Bänden zwischen 1973 und 2017 sammelte und zusammenstellte.


Pierre-Laurent Aimard (Foto: H.boscaiolo)

Walzer – Ländler – Reminiszenzen – Erinnerungen

Sicher eine wunderbare Idee, sind doch die Reminiszenzen, Erinnerungen und Glückwünsche aus Játékok, klanglich sehr pedaliert und stilistisch wunderbar dissonant und unaufdringlich verfasst, ein Gedicht an Musik, während die Walzer und Ländler eher das pure Leben, genannt auch Schubertiaden, auf dem Anwesen seines Gönners und Freundes Josef Freiherr von Spaun (1788-1865) widerspiegeln. 

Auch ist bekannt, dass Schubert einen Großteil dieser Piecen spontan improvisierte und lediglich Skizzen der mehr als 500 vorhandenen Walzer und Ländler überhaupt vorhanden sind. 

Dreiunddreißig davon, das ist schon eine Aufgabe, denn oft gleichen sie sich, wie ein Ei dem anderen. Auch ist der Pianist alles andere als ein Walzerkönig. Man kann sich vorstellen, dass viele dieser Tänze für ausgelassene Stimmung sorgten, wobei es den Tänzern egal war, ob sie sich ähnelten. Hauptsache der Rhythmus stimmte.


Pierre-Laurent Aimard (Foto: H.boscaiolo)

Zwischen Genialität und Mittelmaß

Am Rezitationsabend allerdings zog sich das Ganze mehr als ein Stunde lang hin. Es fehlten tatsächlich die Höhepunkte, der Spannungsbogen war kaum zu halten. Dennoch: Der satte Klang des Flügels und die echten Bemühungen des Pianisten, er kämpfte mit all seinen Gesichtszügen, machten doch vieles wett. 

Pierre-Laurent Aimard geht trotz seines Alters immer wieder neue Wege, scheut das Experiment, die außergewöhnliche Programmgestaltung nicht, und spielt vor allem Werke aus unserer Zeit mit großer Genialität. Die Romantiker allerdings liegen ihm dabei weniger, das muss auch festgehalten werden.

Der Beifall des Publikums war sehr gemischt. Eine erwartete Zugabe blieb aus. Man war reichlich erschöpft, wie wohl der Pianist auch.



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